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06.09.2023, 02:18 | #1 |
Erfahrener Eiland-Dichter
Registriert seit: 05.10.2009
Ort: Bratislava-Wien
Beiträge: 616
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Ich liebe die Menschen
Ich liebe die Menschen
Wie an jedem anderen Morgen schnüre ich die zarten Ballettschuhe auf meine leicht verkrüppelten Treter. Es wäre an der Zeit meinen Halux mal unter die Guillotine des Ortho-Chirurgen zu strecken; nur: ich löse mich in Panik auf, wenn ich an Übergriffe gegen meine Glieder denke. Leichtfüßig tänzle ich über das Gepflasterte der morgensonnendurchfluteten Nebenstrasse und zupfe schnell ein paar Veilchen, die ihre lila Köpfchen fast munter zwischen den Granitpölstern rausrecken. Ein Sträußlein als Zeichen meiner Liebe - für ihn. Ich ziehe am Faden meiner letzten REM-Phase und: da ist er, der süße Junge mit dem kahlgeschorenen Kopf**und den glänzenden dunklen Glotzern. Er blickt mich zärtlich an. Ein Spermafädchen glitzert auf seiner Unterlippe. „Ich brauch’ heut nen Fuffziger Sunny, mein Dealer fickt mich sonst zu Brei!“ Ein süßer Traum, nur: wo nehm ich einen Fuffziger her? Bin froh wenn mich der alte Autohändler, dem die Zinsburg mit meiner Bleibe gehört, nicht diesen Monat vor die Türe setzt. Es ist nicht gerade der wirre Fun den Schwanz dieses miesen Drecksackes zweimal pro Woche abzunagen. Aba was soll’s. Das sind so meine Gedanken und Tagträume, während ich am Autoplatz des schwulen Gebrauchtwagenhändlers vorbeigehe. Es ist Frühling und winziges Grünzeug treibt aus den Ästen. Als würden kleine grüne Schwänze die Vorhaut hinter sich lassen. Da sind meine Gedanken gleich wieder bei ihm, dem zauberhaften Grünschnabel. Ein warmer Wind krault durch mein Toupet und erinnert mich an die geilste Zeit des Jahres. Oh shit - es iss Frühling! Ich passiere den leicht debilen Jungen von der Straßenreinigung, der gerade ein paar Bierflaschen in seinen Karren leert. Ach – tut mir das Geräusch in den Ohren weh. Ich schenke ihm und seinen knallroten Pausbacken trotzdem ein Lächeln und spitze meine Lippen zu einem schnalzenden Kussmündchen. Stelle mir grafisch vor, wie er die Hose seines grellorangen Outfits in einer dunklen Hauseinfahrt runter lässt. „Du kommst auch noch dran, Süßer!“ Er blickt mich entgeistert an und lallt was Unverständliches in seine Hasenscharte. Am Himmel schweben einander ein paar Federwölken nach, wie weiße Lesben. Ich hüpfe lebensfroh über die Geleise des stillgelegten Verschiebebahnhofes, dessen desolate Stahlkonstruktion wie das Skelett eines ausgebrannten Luftschiffes ausschaut. Hab gestern nämlich einen Film über die Hindenburg-Katastrophe im ZDF geguckt. Schön wie der Plusterer abbrannte. Dabei fällt mir ein, dass ich mal ein paar Spirituswürfel im alten Holzverbau unseres Hauses abfackeln könnte. Aha – das Tuten des Intercityzuges. Ich beschleunige die Trottstangen unter meinem Arsch und hopse aufgeregt auf den erhöhten Bahnsteig. Er rollt gemächlich ein; mit leisen Puffen öffnen sich die Schiebetüren und eine Horde Jugendlicher quillt auf meiner Höhe aus dem Wagon. Ich stehe beim Zeitungskiosk, Rücken wagonseits**und stiere in den großen Rückspiegel, den sich der alte Mohammed hier kürzlich montieren lies. Gegen Zeitungsdiebe – el klaro! Die Bälger schienen einer netter als der andere. Vom fröhlichen Geplapper ihrer jungen Stimmen erreicht mich Sinniges wie: „…was in den Arsch gefickt…drei Mal gekommen, du Wichser…ihr zwei Harte über die Schnauze gegeben…die wirre Tussi halb erschlagen…du beschissener Drecksack…Scheiß Fixer…fick dich Ali…du Türkensau…!“ Ein herrliches Gefühl ergreift Besitz von mir. Wunderbar unsere Jugend, offen für alles was Spaß macht. Ich liebe sie. Ich liebe ihn! Und dann er – mit dem Rücken zu mir. Seine zerrissene Jean lässt mich den schönsten Arsch erahnen. Den Arsch von dem ich nun schon seit Wochen jede Nacht fantasierte, während ich meine Kotze voll-ejakulierte. Sein kahlgeschorener Kopf ist vorgebeugt. Mann - seine hasserfüllte Stimme kam deutlich rüber zu mir, tief und samtig: „Ein Wort noch du verfickter Jugostricher und ich brenn dich ab!“ Der Satz geht unter im Stimmengewirr, die Jungs starten ein Gemenge. Da wird es gleich knallen. Wie atemberaubend. Ich, shit – Mensch, ist das nicht der feinste Moment um mich mit meiner Liebe zu outen? Ich fasse meine Courage bei den Eiern und drehe mich um. Die Herde steht in drei Meter Entfernung von mir. Der Zug beginnt langsam zu rollen. Er knarrt und quietscht fast müde und verabschiedet sich mit einem zarten Tüten. Blitzig hatte ich die Menge gezählt. Es waren neun Fehlgeburten und mein Traummann – umringter Weise. Zwei Mädels haben sich mit großen Augen und quasselnd zum Ausgang entfernt und verschwinden hinter den Schwingtüren. Ja – es liegt Mordlust in der morgendlichen Luft. Die zitterte irgendwie, als wären wir auf einem Picknick in der Sahara. Ich trete ran und zupfe mein Idol von hinten am Ärmel seiner Jacke. Der Stoff fühlt sich seidig an und ich spüre heißen Urin auf dem Weg abwärts in meine Harnröhre. Der Aufdruck auf dem Rücken seiner schwarzen Jacke ist irgendwie originell. „Keine Ehe vor dem Sex!“ Das zaubert ein Grinsen auf meine Visage. Hoffe nur mein Make-up ist nicht zu auffällig. Die Jungs verstummen schnell, als sie mein Einschreiten mitkriegen. Er dreht sich um, richtet seine wunderschönen Augen auf mich. Seine Stirn furcht sich zu einem scharfen Runzeln. Der Blick aus seinen wunderschönen Glotzern wirkt nicht erwärmend. „Was?“ „Ich liebe dich Ali!“ Dabei strecke ich meine Hand mit den Veilchen in seine Richtung. Die lassen ihre lila Köpfen hängen. Na ja – hoffe, die haben keine Vorahnung. „Hier, die sind für dich.“ Die Stille hat was. ich weiß nur nicht was. Kommt mir vor wie ein Film; so ein bisschen in Zeitlupe. Das schallende Gelächter klingt irgendwie fern. Neun Missgeburten kichern, aber nicht im Chor. Der Edelmann blickt mich wortlos an. „Scheiß Tunte, ich fix dich, wenn du hier nicht fluxi die Fliege machst!“ „Ich liebe dich Ali!“ „Mensch Ali, der Stricher will nur deinen Arsch, Mann. Blas ihm gleich einen hier – hm? Bosso, komm Mann, mach n’ Foto von den zwei Süßen – hei?“ „Ich mach dich Mann, shit ich mach dich!“ „Du magst mich Ali? Oh Gott, ich liebe dich, Mann!“ Sein harter Schuh landet genau zwischen meinen Beinen - eierwärts. Und ich: bin mal luftleer. Oh tut das weh. Ich knicke mal nach unten, und er knallt noch mal nach oben. Ich höre das Krachen meines Kiefers - oder ist es die Nase – als wäre ich inmitten einer Geröll-Lawine. Ich richte mich mühsam auf. „Ali, bitte, bitte…!“ Die Veilchen liegen am Boden. Wie in einem Frühlings- Still-Leben. Die neun Abartigen rundum, sind still geworden. Sein Gesicht**ist knapp vor mir. Ich spüre seinen warmen Atem auf meiner Wange. Wodka und Wrigleys. Ich liebe die Menschen.**In meinem Mund gurgelt etwas nach oben. Der Kragen seiner offenen Jacke ist voll rot geworden. Erst jetzt spüre ich ein wenig Schmerz. Er zieht die lange Klinge des Messers aus meinem Hals. Ich fühle mich traurig. Und ja – schwer. Es ist als ob mich die Erde zu ihrem Mittelpunkt zöge. Er stößt mich von sich und ich kippe über den Bahnsteig. Der Stahl der Schiene ist kalt und ich beiße auf meine eigenen Zähne. Knirschig. Ich bin müde und wälze mich schwerfällig auf den Rücken. Die Wolken haben einander erwischt, umarmen sich endlich. Der Himmel ist hellblau. Alis Gesicht**ist wunderschön wie er so über den Bahnsteig lugt. Seine Spucke landet warm auf meiner Wange. „Stirb, Tunte!“ Ja das muss ich wohl, denn viel Blut hab ich nicht mehr. Es quillt und quillt und mir wird eiskalt um die Seele. Ich muss den Himmel nicht mehr sehen. Ich nehme den mit. Nehme in dorthin mit wo ich jezz hin muss. Das Stimmengewirr ist klar und deutlich: der Chor wilder Engel. „Lasst uns abhauen, bevor die Bullen kommen!“ Ich liebe die Menschen. Geändert von ralfchen (06.09.2023 um 02:25 Uhr) |
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