24.04.2011, 02:23 | #11 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Hallo Faldi,
Du kannst dich gut und gern "nur" an den Dichterfürst als Vorbild halten. Mit den Klassikern habe ich von einer Möglichkeit gesprochen, die hätte infrage kommen können. Was Deine Texte betrifft, gehst Du von einer erzkonservativen Haltung aus, öffnest Dich darüber hinaus aber auch der Avantgarde, kehrst dann aber am liebsten wieder zu den klassischen Ursrprüngen zurück. Die Neigung, Texte so gut es geht, auf die Metrik hin auszureizen, hast Du zuletzt auch in unserer regen Diskussion bekannt. Im Gegensatz dazu sehen das fringilla/yoapharel (schwerer zu merken ) und ich weniger streng. Im Kompromiss erweist sich das trotzdem nicht als Bürde. Denn es geht uns hier um schöne Texte, die das eine wie andere nicht ausschließen und deshalb gegenseitige Zugeständnisse viel leichter machen. Ich möchte es mit einem Beispiel aus der Musik verdeutlichen: Es gibt Panflötisten, die beherrschen die Notensprache "gerade mal so", sind aber dennoch sehr musikalisch und geben Konzerte mit Profis. Von diesen Profis wäre es nun sehr vermessen, die Nase zu rümpfen, denn sie würden dann deren Musikalität verkennen, aus der sich ja immerhin noch eine viel bessere Notenkenntnis entwickeln könnte. So ähnlich verhält es sich, wenn wir über unser Thema reden. Ich wußte, daß du gegen diese Poetry-Slams nicht gerade wettern würdest, die klassische Variante aber immer Dein Ideal bleibt. Wie Du richtig sagst, läßt sich die Klassik nicht durch Modeerscheinungen verdrängen. Aber ich denke, da müssen wir schon ein bißchen relativieren. Denn neben der Klassik gibt es ja - um es im Vergleich mit der Musik zu verdeutlichen, noch Schlager und den Jazz. Auch diese konnten und können sich behaupten. Als Modeerscheinung kommen eher diese Poetry-Slams infrage. Wie in der Musik ist es dann wohl so wie bei den ehemaligen Hootennanys, die eines Tages wieder in der Versenkung verschwanden und lediglich noch in der Statistik registriert werden. Und möglicherweise wird es früher oder später auch dem Karaoke-Singen so ergehen. Ich möchte klarstellen, daß auch ich die Poetry-Slams nicht verteufele. Meiner Meinung nach wäre es aber besser gewesen, diese Richtung nicht einseitig zu propagieren. Wenn Schüler für die Lyrik gewonnen werden, ist das lobenswert, aber keiner weiß, ob später das angedachte Umdenken wirklich stattfindet... Liebe Grüße Justin Geändert von Justin (24.04.2011 um 12:38 Uhr) |
24.04.2011, 21:02 | #12 |
Lyrische Emotion
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Moin Justin,
daß mit "nur" Goethe war ein Spaß, den ich mir erlaubt habe. Ich gebe zu, ich mag den "Faust", ja, er fasziniert mich, aber auch der "West-oestliche Divan" ist ein herausragendes lyrisches Werk. Selbstverständlich könnte ich noch viele andere Dichter hier aufführen. Hugo von Hofmannsthal, zumindest die Gedichte seiner Jugendzeit (später schrieb er ja fast ausschließlich Dramen), möchte ich stellvertretend hier nennen. Schiller, Heine, Hesse, Storm, Fontane, C.F.Meyer, Roth, Novalis, Droste-Hülshoff, Gernhardt und viele mehr standen und stehen selbstverständlich auch auf meinem lyrischen "Speiseplan". Das muss ich mir neben Kant, Schopenhauer und meiner täglichen wissenschaftlichen Lektüre einfach geben, zur Auflockerung sozusagen. Ich habe, zugegebenermaßen, etwas Probleme mit den Texten von z. B. Ringelnatz, ich lese wirklich lieber gebundene Lyrik, metrisch korrekt und dadurch mit dem Reim auf den Punkt kommend. Das ergänzt sich meines Erachtens bestens und erzielt, zumindest auf mich, die schönste und erhebendste Wirkung. Aber wie schon an anderer Stelle erwähnt, muss jeder Dichter für sich selbst entscheiden, welche Wege er geht. Das kann einem niemand vorschreiben. Für mich bleibt es aber ein Fakt, daß Gedichte, die keine klare metrische Struktur aufweisen, nicht zur gebunden Lyrik gehören, weil ein nachvollziehbarer Rhythmus hier einfach fehlt. Das erinnert mich an die klassische französische Lyrik, die ausschließlich auf Reime setzte und die Metrik dabei vollkommen außen vor ließ, bis die Franzosen dann merkten, daß es auch anders geht. Mir ist, ehrlich gesagt, in einem lyrischen Text eine einheitliche Metrik ohne Reime lieber, als umgekehrt. Ich kann das auch nicht begründen, vielleicht bin ich zu "mathematisch-logisch" angehaucht, es ist eben so. Ich kann fast jeder Musikrichtung etwas abgewinnen, wenn sie denn "gut" (ich weiß nicht, wie ich das anders definieren soll) gemacht ist, doch an "Free Jazz" z.B. komme ich überhaupt nicht ran. Das ist mir zu konfus, ich sehe keine klare Linie mehr im improvisierten Zusammenspiel der Musiker, es trifft mich nicht, es berührt mich nicht einmal. Der später daraus aufkommende "Avantgarde Jazz" hingegen spricht mich schon wieder mehr an weil dort (außer in den freien Passagen) Rhythmus und Tempo wieder regelmäßige Strukturen aufweisen, also (für mich) nachvollziehbar sind. Was die Basslinie (unterstützt vom Schlagzeug) in der Musik ist, ist die Metrik für mich in einem Gedicht. Fehlt die regelmäßige Linie, so tue ich mich sehr schwer damit. Ich will weder dem einen, noch dem anderen die Kunst absprechen, ich akzeptiere das und jeder soll auf seine Art glücklich werden, es gehört nur nicht zu meinen bevorzugten Stilrichtungen. Was die Einseitigkeit angeht (von der ich mich ja auch nicht ganz freisprechen kann), so sage ich, daß dies jeder für sich selbst entscheiden muss. Das gehört eben zur individuellen Weltanschauung, ist also vergleichbar mit dem Glauben, den ein Mensch "glaubt zu glauben", wobei ich persönlich dann Free Jazz noch allen Religionen (mit Ausnahme von Teilaspekten des Buddhismus') vorziehe. Da würde ich mir lieber ein solches Konzert anhören, als die Hirngespinste und das dumme Geseiere in den Predigten aller Sorten von Pfaffen in irgendwelchen Tempeln und Kirchen aller möglichen Glaubensrichtungen. Das aber ist wohl ein anderes Thema. Liebe Grüße Bis bald Falderwald
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26.04.2011, 16:10 | #13 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Hallo Faldi,
Du hast dir die Mühe gemacht, den Reigen der Dichter und Schriftsteller aufzulisten, die Dir besonders nahestehen. Die ganze Abhandlung habe ich mit Freude gelesen. Unter den Auserwählten stehen auch bei mir einige der genannten Autoren im Bücherregal: Hesse, Storm, Fontane, Meyer und natürlich Gedichte von Goethe. Du bist viel zu belesen, um Dich nur mit dem Dichterfürsten zufrieden zu geben, doch diese besondere Vorliebe für ihn hat natürlich auch ihre guten Seiten. Bei mir ist es nicht anders, daß ich mich am liebsten der gebundenen Lyrik hingebe. Ich lasse vielleicht kleine Abstriche an der Metrik gelten, wenn eine zurechtgelegte innere Melodie das zuläßt und man sich ein Gedicht sangbar vorstellen kann. Im großen und ganzen sollte aber der Rhythmus schon stimmen und nicht zu sehr durcheinanderpurzeln. Du sprichst weiterhin vom Weltbild, das Du dir zurechtgelegt hast. Da verstehe ich Dich schon, wenn lediglich eine Teilannäherung an den Buddhismus erfolgt. Denn es ist die einzige Religion, die niemals Kriege geführt hat. Eine frei gewählte Musikrichtung ist noch vernünftiger, als sich mit vollendetem Pathos einer Religion unterzuordnen. Auch mir schlägt das Geseire, das von der Religion ausgeht, sehr aufs Gemüt. Damit konnte man sich die Welt schon immer so zurechtbiegen, wie man sie haben wollte. Sogar das schlimmste Leid von Menschen wird so auf eine unerträgliche Weise zerredet, weil wir ja alle in der Liebe des Herrn stehen und im Jenseits auch die Benachteiligten für das Ungemach auf Erden belohnt werden. In diesem Sinne erfolgt dieses Gerede, das mir sauer aufstößt und mit viel Zynismus durchmischt ist. Ich komme noch mal auf die Poetry-Slams zurück, von denen ich Dir sagte, daß ich im Grunde genommen nichts dagegen einzuwenden habe. Diese Modeerscheinung wird wahrscheinlich aber nicht so langlebig sein wie die "Estrade", zumal sich dieser Begriff in der Vorstellungswelt besser halten konnte. Es ist eine Darbietungsform vor großem Publikum, wie sie vor allem von Jewgeni Jewtuschenko geschätzt wurde. Als bekannte Persönlichkeit konnte er sich das aber auch leisten. Bei den Poetry-Slams, die als Wettbewerb ausgetragen werden, läuft es anders. Und hier sehe ich durchaus auch Nachteile. Ganz ähnlich wie bei "DsdS" könnte letzten Endes der Phänotyp, die Art und Weise, wie man sich verkaufen kann, in der Bewertung mit ausschlaggebend sein. Und es ginge irgendwie nicht mit rechten Dingen zu. Erst neulich hat eine Schreiberin der Vermutung widersprochen, wonach sie womöglich ihre Gedichte laut vor sich hersagt, und das Bekenntnis abgelegt, daß sie, ganz im Gegenteil, ihre Gedichte meist nur verinnerlicht. Ein namentlich nicht genannter Meister wurde zitiert, der das als größte Liebe zu den Gedichten bezeichnet hat. Und wie ich zugeben muß, ist das genau auch meine Anschauung... Liebe Grüße Justin Geändert von Justin (26.04.2011 um 17:06 Uhr) |
06.05.2011, 22:22 | #14 |
Slawische Seele
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Lieber Faldi,
eigentlich müsste ich hier mit Stimmes Wort beginnen und aufhören: "wow", und zwar in tiefster Anerkennung. Aus einem "schlichten" Frühlingsspaziergang eine Ballade des Lebens zu zaubern, verzaubert den Leser gleichermaßen. Man braucht nichts mehr hinein zu interpretieren und steht auch nicht unter diesem Zwang. Ein jeder hat seine Sichtweise für die Welt und die Natur. Diese Ballade ist ein Magnet, der anzieht, mitzieht und erlaubt, eigene Bilder zu sehen. Ich zeige dir meine: Ich bin am frühen Morgen losgezogen, frisch auf in die Natur, denn ihre Pracht entfaltete den sanften Silberbogen aus tausend und auch einer Nebelnacht. Wasser, Himmel, Nebelschwaden Ein Märchentraum, aus Poesie gesponnen, erfüllte mir durch einen Hauch Magie die Seele und das Herz mit höchsten Wonnen und führte mich ins Reich der Fantasie. Erfüllung, Vorfreude - der Naturverbundene weiß um die Steigerung. Dort war ich König und von allen Sinnen verschmolz mein Sein in jenem Hintergrund, wo machtvoll wieder alle Kräfte rinnen zum festen Willen für den Lebensbund. Über diese Betrachtung entsteht eine tiefe Verbundenheit zur Natur, zum Leben = ein wunderschöner Lebensbund Mir war, als grüßten mich die Altbekannten in bunten Kleidern zwischen frischem Grün im Funkellicht der scheuen Diamanten, die nur im Netzwerk wilder Kräuter blühn. Frühlingsblüher überall und Tautropfen Und der Kulissen alter Bühnenmeister erwachte zur gewohnten Eleganz und bat zum Höhepunkt die Schwadengeister auf spiegelfeuchtem Ort zum letzten Tanz. letzte Nebelschwaden über dem See verflüchtigen sich Fernab begann die Sphäre zu erröten, von warmen Sternenfeuern angestrahlt, da hatte schon ein Chor von hundert Flöten das Schauspiel musikalisch untermalt. beginnender Sonnenaufgang mit Hintergrundmusik. Der Vogelchor setzt an Im Violinenstreichelspiel der Lüfte vibrierten Töne über mein Gesicht, und aus Aromen wurden süße Düfte, so wie aus allen Sorgen Zuversicht. Die Verzauberung obsiegt. Es bleibt kein Platz für trübe Gedanken. Zu schnell war dieser Zauber mir entschwunden, doch meine Seele war jetzt aufgeklärt, ich hatte meinen Ursprung nun gefunden und war auf kurze Zeit zurückgekehrt. Es endet, wie eine Entdeckungsreise, zurück zum Ursprung, den man sich (wenn man die Sinne öffnet) immer wieder holen kann. Den Aufbruch und das Eintauchen in die Natur kann ich nachvollziehen, allein die Worte haben mir gefehlt. Du hast sie uns präsentiert und durchleben lassen. Liebe Grüße Dana
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Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen,
ich schulde ihnen noch mein Leben. (Frederike Frei) |
16.05.2011, 20:03 | #15 |
Lyrische Emotion
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Liebe Dana,
jetzt hätte ich dich fast vergessen, aber eben nur fast... Ja, das ist ein Bildergedicht mit mehreren Bedeutungsebenen. Der morgendliche Spaziergang beschreibt den Frühling mit fantasievollen Bildern und mündet zum Schluss auf der metaphysischen Ebene, ohne dabei Behauptungen oder Spekulationen auszusprechen, sondern bleibt beschreibend aus der (Welt)Sicht des Lyrischen Ichs. Wenn ich deine Interpretationen der einzelnen Bilder lese, dann sehe ich, daß die Sicht des LI's durchaus nachvollziehbar ist, denn sie treffen die zugrunde liegenden Intentionen ziemlich genau. Darüber freue ich mich sehr... Vielen Dank für deinen zusprechenden Kommentar. .. . Liebe Grüße Bis bald Falderwald
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