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Experimentelles Versuchslabor

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Alt 07.11.2011, 20:33   #1
Walther
Gelegenheitsdichter
 
Registriert seit: 09.11.2009
Ort: Im Wilden Süden
Beiträge: 3.210
Standard du bist gestalt II

du bist gestalt
du warst gestalt
du wirst / dich stets gestalten
gleich was wille ist / und können
wenn du endlich göttlich bist /
auf deiner burg
auf deinem turm
dem first // dem höchsten
den du elend niedertrittst /
im falschen glauben
den du eingeritzt / in blut und boden
und dann ausgeschwitzt /

verkaufst als neu
wie deine krone blitzt //
auf deinem haupt
so kahl und abrasiert /
was alt ist wird schnell
heimlich massakriert /
zerfasert ausgedünnt und
finissiert //

am ende hängst du schlicht
an einem strick /
der zieht dich hoch und bricht
mit einem klick /
du puppe deines spiels
dir das genick //
__________________
Dichtung zu vielen Gelegenheiten -
mit einem leichtem Anflug von melancholischer Ironie gewürzt
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Alt 13.11.2011, 20:03   #2
Stimme der Zeit
Erfahrener Eiland-Dichter
 
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Registriert seit: 15.03.2011
Ort: Stuttgart
Beiträge: 1.836
Standard

Guten Abend, Walther,

mittlerweile weißt du ja, dass mich deine Collagen-Gedichte faszinieren.

Der "Einstieg" ist gelungen: "du bist / du warst / du wirst" - selbst"gestaltend" in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Trotz der hier vorhandenen Zäsuren kommt

Zitat:
du wirst / dich stets gestalten
gleich was wille ist / und können
inhaltlich auch so "zu mir herüber":

Zitat:
du wirst / dich stets (gleich) gestalten
was wille ist / und können
Also gewissermaßen "doppelt".

Für mich handelt es sich beim "Du" um ein LD, hier scheint das LI nur ein "Berichterstatter" zu sein. Das LD manifestiert sich in meinen Augen als ein Charakter, der sich selbst immer "höher und höher hinaufhebt" - Burg, Turm, First. Sich "selbst vergötternd"?

Der "First" darf nicht höher sein als das LD, daher wird er "zertreten". "Falscher Glaube, eingeritzt, Blut und Boden" - jetzt wird es für mich hier "finster", denn nun kommt "ausgeschwitzt" ...

Dann, in der nächsten Strophe, das "Neue", oder besser gesagt, das "Alte, das sich als neu verkauft". Ich glaube nicht, dass ich mich irre, denn "kahl und abrasiert" ist klar. Was "alt" (unwert?) ist, wird schnell und heimlich "massakriert, zerfasert, ausgedünnt und - finissiert". Auch hier ein "Doppelbezug" zwischen Vergangenheit und Gegenwart, jedenfalls lese ich es so. Es ist schon richtig, wenn ich hier zwei Mal Bezug auf "Altes" nehme, denn es sind zwei äußerst unterschiedliche "Alte(r)" hier. Bei "finissiert" schlucke ich schwer, denn das ist heute so beängstigend und grauenhaft, wie es damals war.

Und ich kann nicht verstehen (und werde es auch nie), wie man dafür blind sein und sich die Köpfe kahlrasieren kann ...

Die letzte Strophe erzählt vom damaligen Ende, als die "Puppe(n) des Spiels" sich letzten Endes durch ihr eigenes Agieren selbst den "Strick" um den Hals legten, der ihnen "das Genick brach". Ich nehme diese Strophe auch als Hoffnung, dass es immer so sein möge, dass diese Spieler sich immer selbst strangulieren mögen - nur hoffentlich weit schneller, als damals.

Puh. Das ist ein sehr bedrückendes Gedicht, Walther. Mir fiel es schwer, es zu lesen, und auch schwer, es zu kommentieren. Andererseits halte ich das Thema aber auch für zu wichtig, um es unkommentiert "versinken" zu lassen. Das passiert im "echten Leben" da draußen schon viel zu oft.

Das LD ist die nationalsozialistische Ideologie, ich habe (hoffe ich) verstanden.

Liebe, bedrückte Grüße

Stimme (ohne Markenzeichen, das wäre hier deplatziert.)
__________________
.

Im Forum findet sich in unserer "Eiland-Bibliothek" jetzt ein "Virtueller Schiller-Salon" mit einer Einladung zur "Offenen Tafel".

Dieser Salon entstammt einer Idee von unserem Forenmitglied Thomas, der sich über jeden Beitrag sehr freuen würde.


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Alt 14.11.2011, 10:58   #3
wolo von thurland
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Beiträge: n/a
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hallo walther
meine herkunft aus einer uhrmachergegend hat mich bei "finissiert" stutzen lassen. synonym wäre schon fast "vollenden". auch in der gastronomie? zitat: Unter Finissieren (franz. finire) versteht man eine spezielle Zubereitungs- bzw. Anrichtungsart bestimmter Lebensmittel (insbesondere von Würsten, z. B. Blutwurst). Dabei wird unter anderem kurz vor dem Servieren die Haut in vier Teilen abgezogen, wobei darauf geachtet wird, dass die Wurst ihre typische Form behält.
wolo/wilma
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Alt 14.11.2011, 17:08   #4
Walther
Gelegenheitsdichter
 
Registriert seit: 09.11.2009
Ort: Im Wilden Süden
Beiträge: 3.210
Standard

Lb. Stimme der Zeit,

das Drama dieses Gedichts, das auch als Sonett geht, hier http://www.gedichte-eiland.de/showthread.php?t=8038 zu finden, ist, daß es gerade von der Wirklichkeit eingeholt worden ist. Irgendwie hat es in mir rumort, und nun entsteht eine unwirkliche Koinzidenz. Ich verstehe Deine Anmerkungen, aber manches muß gesagt werden, auch wenn es unaussprechlich ist. Auch dieses habe ich ein einem Gedicht versucht zu thematisieren: http://www.gedichte-eiland.de/showthread.php?t=8076

Manchmal muß man sich so etwas einfach von der Seele schreiben und hoffen, daß es anderen hilft, diese Fragen zu verarbeiten, so wie es dem Autor selbst ein wenig geholfen hat.

Danke für Deinen Eintrag, der so viel Kluges enthält, das in diesem Text geschlummert hat, ohne daß ich es gleich gesehen habe.

LG W.

Lb. wolo,

das Verb "finissieren" ist absichtsvoll benutzt worden. Auch und gerade seiner Bedeutungsambivalenz wegen.

LG W.
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