08.08.2016, 10:56 | #1 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Strafe der Erleuchtung
Strafe der Erleuchtung
Er ward erleuchtet, dieses war sein Schicksal: Wo sich Geringere mit Zweifeln plagen, da musste er die nackte Wahrheit sagen, die er, weil er enthoben war, auf einmal erkannte und, als wär's nicht seine Wahl, verkünden musste mit verklärtem Lallen, wodurch er, jenseits und auch fern von allen, sich ganz entsprach. Doch ahnte seine Qual nicht einer, der ihm wissensdurstig lauschte, weil keiner wusste, wie die Götter strafen, wenn sie den Boden nehmen. Es verrauschte sein Wesen zwischen Wachen und Entschlafen. Obwohl er sich an seinem Selbst berauschte, gehörte er letztendlich zu den Schafen.
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© Ralf Schauerhammer Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität. Diese seine Individualität so sehr als möglich zu veredeln, ist sein erstes und wichtigstes Geschäft. Friedrich Schiller |
08.08.2016, 12:37 | #2 |
TENEBRAE
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Hi Thomas!
Ein gelungenes Sonett, und ich hab nix zu meckern! Inhaltlich beschreibst du, was passiert, wenn man als allzu vergeistigter Wolkenkuckucksheimbewohner die Bodenhaftung verliert: Wie ein Drachen, dessen Schnur man losgelassen hat - taumelnd ohne Halt in den Winden des Lebens ... Ohne Basis, ohne bodenständige Verankerung im Sein, physisch wie psychisch, vermeinen manche zu fliegen und sind doch nur Getriebene ihrer vagen Vorstellungen und hilflos Treibende im sie umgebenden Universum. Aber, philosophisch betrachtet - sind wir das nicht alle irgendwie, verankert oder nicht? Anders gesagt: Du denkst, dass sich alles um dich dreht - dabei bist du es, der sich haltlos wendet ... Schöner Spruch, hab ich grad erfunden! Aber vielleicht war ich nicht der erste ... Sehr gern gelesen und darüber nachgesonnen! LG, eKy
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen. Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen! Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind. Dummheit und Demut befreunden sich selten. Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt. Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit. |
08.08.2016, 21:45 | #3 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Lieber Erich,
danke für deinen Kommentar. Wenn du "nix zu meckern" sagts, empfinde ich das als Lob. Mit deiner Interpretation liegst du übrigens recht nahe bei dem, was ich meine. Zu deiner interessanten Frage, inwieweit wir "verankert" sind, kann ich aus Erfahrung sagen, dass jeder, der nicht einfach nur geistigen Trampelpfaden folgt, zwangsläufig in eine Situation kommt, in der er nicht mehr sicher ist, ob er spinnt oder nicht. An diesem Punkt scheiden sich dann die Geister, einige machen es sich leicht und schreiten einfach als "Erleuchtete" fort, andere beißen in den sauren Apfel einer kritischen Selbstreflektion des eigenen Denkens (und Fühlens) und versuchen Methoden zu finden, ihr neues Denken mit der Außenwelt in Einklang zu bringen, was einschließt, es am alten Denken zu messen und oft sehr anstrengend und schmerzlich ist. Es ist jedoch nicht so schmerzlich, wie das Schicksal der Abgehobenen, welche immer mehr Energie darauf verschwenden müssen, ihr erleuchtetes Dasein aufrecht zu erhalten. Deswegen das Wort "Strafe" im Titel. Also kurz: Für die "Verankerung" sind wir selbst verantwortlich. Liebe Grüße Thomas.
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08.08.2016, 22:01 | #4 |
TENEBRAE
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Hi Thomas!
Selbstreflexion - das möglichst gefühlsbereinigte, nach bestem Wissen objektive Abwägen von Vermutung, Wissen und Wahrscheinlichkeit bezüglich der eigenen Person, ihrer Motivation und ihrer relativen Position zu ihrem jeweiligen Umfeld. Eigentlich müsste man jede seiner Überzeugungen ständig diesem Prozess unterziehen - aber wer will schon immerzu grübeln ... LG, eKy
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen. Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen! Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind. Dummheit und Demut befreunden sich selten. Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt. Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit. |
08.08.2016, 23:04 | #5 | |
Gast
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Zitat:
über die Form kann ich nichts sagen, mir erscheint sie perfekt... nur diese letzten zwei Zeilen bereiten mir Kopfzerbrechen. Denn in dem Augenblick, in dem sich der Erleuchtete an seinem Selbst berauscht, sprich das Geschenk zum Selbstzweck macht, besteht für ihn nicht nur die Gefahr bigotter Schwärmerei, er hat das Zeug zum Wolf im Schafspelz, Guru, Sektengründer usw., dann nämlich, wenn er andere in seinen vergeistigten Sinnenrausch mit hineinzieht und zu Bewunderern und Anhängern macht, was ihn sehr bald dahinterkommen lässt, welche persönliche Vorteile ihm daraus entstehen. Kennt man ja zur Genüge. Über mangelnde Bodenhaftung jedenfalls braucht er sich infolge seines wachsenden materiellen Reichtums bald keine Sorgen mehr machen, mögen seine "Jünger" noch so brave Schäfchen sein. Zu welchen Schafen aber soll er dann gehören? Das geht nicht recht zusammen. Am klügsten ist ein Erleuchteter zweifelsohne dann, wenn er seine Erfahrung für sich behält. Erstens versteht ihn niemand, der nicht Ähnliches kennt, zweitens lässt sich eine Erleuchtung sowieso nicht in Worte fassen, bestenfalls umschreiben, doch auch dieses "Lallen" geht Welten weit an dem vorbei, was er erlebt hat. Die Wahrheit kann er auch so ungeschminkt sagen, ohne jedoch den Hintergrund dafür in den Vordergrund zerren zu müssen. Genau das aber wird geschehen, wenn er es wem auch immer noch so "privat" zu erklären versucht. Zuletzt wird er es in einen kurzen Satz bündeln, weil er es Leid ist, sich erklären zu müssen. Auch dafür gibt es genügend Beispiele. Nur, zu welchen Schafen gehört er dann? Er selbst hat keine, ebenso wenig passt er in eine Herde, weil ihn ja kein Mensch verstehen kann und er zeitlebens "Außenseiter" bleiben wird. Auch hier kommt kein Schaf bei raus. Wenn er aber hingeht und zu den Leuten sagt: Euer analytischer Verstand ist ein Nichts, es gibt da so unendlich viel mehr, als ihr es euch überhaupt vorstellen könnt, auch eure religiösen Praktiken bringen euch da nicht hin, sie stehen euch sogar im Wege... dann ist er weder brav noch Schaf, sondern tendenzieller Provokateur, auf alle Fälle aber für viele ein unerträgliches Ärgernis. Auch dafür gibt es genügend Belege, daraus können unter Umständen Weltreligionen entstehen. Dann wird der Erleuchtete zum Hirten, ist also definitiv kein Schaf mehr, und an seinem Selbst berauscht hat er sich mit Sicherheit nicht, weil er einen teuren Preis dafür bezahlt. Die eigentliche "Strafe" der Erleuchtung. Diese Form des Erleuchteten kann also nicht gemeint sein und fällt quasi weg. Welche bleibt aber dann? Sorry, aber ich kann diesen Widerspruch nicht lösen. Für Blendung trifft es zweifellos zu, auch für suggerierte "Miterleuchtung" oder manipulative "Belichtung", die jede Selbstreflexion geflissentlich vermeidet, ja mitunter strikt verbietet... aber Erleuchtung ist nun mal Erleuchtung, also in jedem Falle die höchste Form der Selbsterkenntnis, auch wenn der Begriff gerne für die üblichen Plagiate deformierender Entfremdung herangezogen wird. Vielleicht liegt es ganz einfach am missbräuchlich abwertenden Gebrauch des Wortes, dass sich mir der Sinn Deines Gedichtes nicht so recht erschließt. Ich geh mal davon aus, dass dem so ist. Gute Nacht Wozi Geändert von Wodziwob (09.08.2016 um 00:29 Uhr) Grund: Kleinigkeit |
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09.08.2016, 10:36 | #6 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Lieber Wodziwob,
dein Kommentar erfreut mich, weil mir die Gedanken, die du dir (um das "Paradox") machst zeigen, dass die Metapher des Gedichtleins funktioniert. Ich kann es dir jedoch nicht in einem Satz erklären. Du sagst in deinem Kommentar zwei Dinge, über die du vielleicht genauer nachdenken solltest, um es zu verstehen. "Am klügsten ist ein Erleuchteter zweifelsohne dann, wenn er seine Erfahrung für sich behält." Ist das wirklich so? Ist die Wahrhaftigkeit der erleuchteten Erkenntnis nicht erst durch ihre Wirksamkeit im Universum, zu welchem die Mitmenschen (aller Zeiten) gehören, erkennbar? Zweitens wäre es vielleicht gut, zu überdenken, ob dein Satz stimmt: "Erleuchtung ist nun mal Erleuchtung, also in jedem Falle die höchste Form der Selbsterkenntnis." Nicht weil er in seiner Grundaussage vielleicht falsch wäre, sondern das lockere "ist nun mal… in jedem Fall" zeigt, dass du die potenzielle Tragik der Sache (welche ja am Schluss des Gedichtleins anklingt) noch nicht siehst. Viel Erfolg auf deinem weiteren Weg. Liebe Grüße Thomas
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09.08.2016, 11:33 | #7 |
Gast
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Hallo Thomas,
dieses "ist nun mal" ist meinem Slang geschuldet. Soll heißen "in der eigentlichen Bedeutung des Wortes Erleuchtung ist diese...". Mit dem "für sich behalten" meine ich keine Isolation im Schneckenhäuschen, das wäre purer Egoismus, sondern die verantwortungsbewusste Wirkkraft von unaufdringlichem Wort und Tat anstelle eines "missionarisch" mit dem Wort hausieren Gehens. Beides kann jedoch gleichermaßen zu gesellschaftlicher Ablehnung oder zumindest Skepsis führen, deshalb der "Außenseiter". Gegen Mitternacht lässt meine Unmissverständlichkeit von Formulierungen etwas nach, sollte natürlich sein. Sicher, es gibt "Erleuchtungen", die den Menschen entwurzeln. Dann stellt sich freilich die Frage, ob man sie überhaupt so nennen kann. Zudem lässt der Eindruck einer erfahrenen Erleuchtung -wie jeder andere auch- nach und schützt nicht vor Irrung, Rechthaberei und dem sprichwörtlichen "Abgehoben sein" elitärer, weil "erwählter" Überheblichkeit. Ob ich das aber tragisch nennen will? Wohl eher selbstherrlich und scheinheilig. Da kann sich schon mal eine Schafherde von Gleichgesinnten zusammenfinden, die sich gegenseitig beweihräuchert und bestätigt, stimmt. Hättest Du aber Erkenntnis genommen anstatt Erleuchtung, würde es sich auf dasselbe hinauslaufen. Es kommt eben immer drauf an, was die Menschen aus ihren "Charismen" machen. Mancher will sich wirklich nur aus der Masse der Gewöhnlichkeit hervorheben damit, das könnte man dann durchaus Missbrauch nennen, zudem ist es der zuverlässigste Weg ins Dasein eines geklonten Schafes. Ist auch mit besonderen Begabungen nicht anders. Aber es ist ja niemand dazu gezwungen, das Schlechteste aus dem Besten zu machen, da spielt die Entscheidungsfreiheit die entscheidende Rolle, er bestraft sich ja quasi selbst mit seiner Egozentrik, dann geschieht ihm das Ergebnis ganz recht. Das hat schon eher tragikomische Züge. Vielleicht ist es die Rubrik der "finsteren Nacht", die mich verwirrt. Derlei Irrlichter schweben doch wie Leuchtkäfer über dem Moor von Zeit und Leben, da bleibt einem doch nur ein befreites Lachen. Naja, kann man sehen, wie man will. Lieben Gruß Wozi |
09.08.2016, 13:17 | #8 |
TENEBRAE
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Hi Wozi!
Ich denke, es geht hier nicht um die Auslegung von "Erleuchtung" als Zustand an sich, sondern um das, was verblendete oder komplexgeschädigte Menschen daraus machen ... Ich glaube, Thomas meint hier einen Erleuchteten, der vor allem selbst von seiner Erleuchtetheit überzeugt ist. Die sog. Erleuchtung wird zum Transportmittel für Hybris und Gefallsucht, oder sie wird dem eigenen Ich vorgeschoben, um die Einsicht ins eigene - unerträgliche - Mittelmaß zu verhindern. Wer im Lichte glänzt (und sei es nur ein eingebildetes), der sieht die Schatten nicht ... LG, eKy
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09.08.2016, 16:43 | #9 |
Gast
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Alles klar, eKy,
mir ist außerdem eingefallen, dass ihr hier kurz vor meiner Ankunft ein paar Verunsicherungen zu ertragen hattet mit einem Unbekannten Flug Objekt voller greller Neonscheinwerfer, das hatte ich ganz vergessen. Bin dem anderswo schon begegnet und hatte Mühe, nicht in den Graben zu fahren, weil ich nur noch Sternchen gesehen habe und tanzende Funken, das war schon ordentlich schräg und schrill. Wenn ich an diese Begegnung der dritten Art denke, kann ich das Gedicht nicht nur verstehen, sondern finde sein Unbehagen ausgesprochen milde ausgedrückt. Auch eine Supernova hat ihre Erleuchtung... Grüße aus der Zwielicht-Zone Wozi Geändert von Wodziwob (09.08.2016 um 17:24 Uhr) Grund: x |
09.08.2016, 22:52 | #10 |
Slawische Seele
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Lieber Thomas,
das Werk ist großartig und für mich weniger finster, eher philosophisch. Wir sind Menschen; individuell, unterschiedlich weise und trotz jeder Erkenntnis, Erleuchtung immer auf die zukünftige Wissenschaft angewiesen. Bei jedem Durchbruch neuer, belegter Erkenntnisse verbleiben wir Schafe der bisherigen belegten Erkenntnis. Manchmal aber bekommt ein bekennendes Schaf doch recht, nur erlebt es das nicht mehr. Selbst wenn ich hier von Wissenschaften spreche, beziehe ich die Erleuchteten mit ihrem Drang sich mitzuteilen, zu überzeugen mit ein. Sie erfahren es auch nimmer, wie und ob die Götter strafen. Nicht selten strafte auch geltende Wissenschaft. (Eigentlich müsste dieses Wissen genügen, es bleiben zu lassen.) Fast Satire. Ein gutes, sehr gutes Gedicht. Liebe Grüße Dana
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Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen,
ich schulde ihnen noch mein Leben. (Frederike Frei) |
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