04.12.2016, 12:26 | #1 |
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Niklas
Niklas Wisakechak heißt der Kulturheros und Trickster der Woods, Swampy und East Cree, die Engländer haben den gerissenen Schelm zu Whiskey Jack verballhornt, bei den Kutchin, die ihn von Händlern der Cree, denen sie im Pelzhandelsknotenpunkt Fort Yukon begegneten, übernommen und in ihre eigenen Überlieferungen eingeflochten haben, nennt er sich Vasaagijik und macht inzwischen ihrem Heros, dem Raben Konkurrenz. Der Einfluss der Hudson Bay Company hat dafür gesorgt, dass die Anrainer des Großen Sklavensees, die Chipewyan, Yellowknife, Dogrib und Slave viel von ihrer Ursprünglichkeit verloren haben, besonders begehrt sind die warmen Wolldecken, die Frauen der Montagnais, die sich selber Ilnu nennen, sprich Menschen, erachten inzwischen französische Wollmützen als Teil der traditionellen Tracht ihres Volkes. Sei wie es sei, nicht erst bei den Cree höre ich die Geschichte, dass Wisakechak Menschengestalt angenommen haben soll, verborgen in den Wäldern leben und alle Jahre wieder ihre Kinder beschenken. Schwer zu erraten zwischen den russisch-orthodox missionierten Stämmen in Alaska und den englisch-anglikanisch christianisierten in Kanada, zu welchem festlichen Anlass Wisakeha, wie die Sauk und Fox ihn nennen, die Kinderherzen beglückt. Auch der vermummte Kerl mit dem weißen Bart, der zur Weihnacht durch den Kamin in die Häuser geflogen kommt, um die Kinder zu bescheren, hat seinen Stammbaum. Ob Santa Claus nun mit Sankt Nikolaus verwandt ist, lässt sich nicht mit letzter Sicherheit sagen, die Namensähnlichkeit legt den Schluss allemal nahe, aber der christliche Bischof ist Osmane, ja ein waschechter Turkey, wohingegen der Claus der Sohn von Sinterklaas ist, und der ist Dutchy, doch wenn das Verwandtschaftsgeflecht der alten Welt seinerzeit nur halbwegs so weit gefächert war wie das der hiesigen Indianervölker der Gegenwart, wäre das durchaus im Bereich des Möglichen. Wie dem auch sei, der holländische Sinterklaas wiederum ist der direkte Abkömmling von Klaas, der im sogenannten Skandinavien beheimatet ist. Dort im hohen Norden reitet dieser grimmige Alte auf einem Rentier durch die winterlichen Wälder und geht den unliebsamen Menschen aus dem Weg wie ein einsamer Wolf, der vierschrötig riesenhafte Geselle ist ein mächtiger Waldgeist und als solcher standesgemäß ein Fliegengewicht. Sein Urenkel nun, dem ich diesen Einblick in die Ahnengalerie des Weihnachtsmanns verdanke, ist zwar ein Mensch aus Fleisch und Blut, ansonsten aber gerät er ganz nach seinem Urgroßvater, und da dessen Sohn Sinterklaas ganz offensichtlich aus dem Techtelmechtel mit einer Menschenfrau hervorgegangen sein muss, ist der Dutchy zu einem leichtgewichtigen Mischwesen aus Mensch und Geist geraten, auch sein Sohn Claus, als blinder Passagier übers große Wasser in die Neue Welt eingewandert, ist noch ein Mittelgewicht, Santa braucht aber schon ein ganzes Rentiergespann für seinen voll bepackten Schlitten. Der eine Generation weiter vermenschlichte Sprössling hat die leidige Angelegenheit mit dem Körpergewicht auf ganz eigene und durchaus pfiffige Weise gelöst, ich bin also auf der Suche nach der gut versteckten Hütte von Niklas, dem örtlichen Weihnachtsmann. Der in den Christfesttagen unmäßig zur Verantwortung Gezogene fährt auch nicht mit einem prächtigen Schlittengespann von zwölf Rentieren durch die Schneewolken, er reitet auf einem großen, achthundert Kilo schweren Elchbullen durch den Winterwald, den Niklas als verwaistes Kälbchen gefunden und aufgezogen hat. Ebenso wenig wohnt er in einem Eispalast am Nordpol wie sein Pa, sondern haust in einer abgelegenen einsamen Blockhütte in den endlosen Weiten Kanadas. Einen weißen und wuchernden Bart hat er im Gesicht, das wohl, sein Wuchs jedoch ist der eines Zwerges, irgendwann hörte er auf mit Wachsen und blieb in Kindergröße, so was kommt mitunter vor bei Mutter Natur. Weil er aufgrund seines Andersseins keinen rechten kleinen Fuß fassen konnte in der Welt der Hochaufgeschossenen um ich sich her und abgesehen von ihrem beißenden Spott bestenfalls als Freak in einem Kuriositätenkabinett und Lachnummer eines Wanderzirkus sein Dasein hätte fristen können, was ihm nach einigen Versuchen nicht besonders erstrebenswert erschien, zog er sich bereits in relativ jungen Jahren in die Einsamkeit der Wälder zurück und lebt dort seither mit sich zufrieden unter den wilden Tieren. Da er aber im Herzen eine grundgütige Haut ist und seinen bitteren Erfahrungen zum Trotz ein gutgläubiger Kinderfreund geblieben, schnitzt und bastelt und zimmert er das ganz Jahr über Spielsachen, baut liebevoll ausgestattete Puppenküchen, Farmen und Indianerhäuser, strickt bunte Puppenkleider, gestaltet Wichtelmännchen aus Leder, handliche Menschenfiguren jeder Herkunft und aller Berufsstände, kleine Bären, Biber, Hörnchen und Wölfe aus Fell, Vöglein und Enten aus Federn, Eulen aus Zapfen und Baumstachler aus Nüssen mit Föhrennadeln, Hirsche mit Geweihstangen aus kleinen Knochen, Schlangen aus Eicheln, es gibt kein Getier, dem er noch keine kindgerechte Spielsachengröße und ansprechend putzige Gestalt verpasst hätte. Und rechtzeitig zur Bescherung schwingt er sich auf seinen Elch, macht sich auf den Weg und steckt die feinen Sachen mittnachts und klammheimlich den Kindern der Indianer und Siedler der Umgebung in die aufgestellten Stiefel und Mokassins. Damit niemand, der ihn dennoch versehentlich mal zu Gesicht bekommt, seine wirkliche Größe und Figur erkennen kann, hüllt er sich zu diesem Zweck in einen langen dick bepelzt gepolsterten Mantel, hockt auf einem viellagigen Fellsattel und verbirgt sein Gesicht bis auf den Rauschebart unter einer großen ausgestopften Kapuze, was ihm das Aussehen einer imposanten Erscheinung verleiht. Wirklich niemand würde einen dürren Gnom unter dieser Maskerade vermuten, der Elchriese tut das seine dazu, diese Täuschung zu vervollkommnen. Der Weihnachtsmann ist also in Wirklichkeit ein Weihnachtsmännchen, und ein bescheidener liebenswerter Geselle dazu. Als ich ihn damals zwischen den Zweigen erspähe, ist er grade dabei, sich nach getaner Arbeit aus seinem Kostüm zu schälen und an einem kleinen Lagerfeuer von der Plackerei auszuruhen. Auch der Elch ist glücklich, von der Last der Säcke, Päckchen und Bündel befreit zu sein und gräbt mit seiner gewaltigen Nase nach Essbarem im Schnee, ein friedlicher Anblick, der mich ungefragt zum Verweilen einlädt, wogegen der freundliche kleine Mann überhaupt nichts einzuwenden hat, im Gegenteil, sich mit ungespieltem Willkommensgruß über mein Auftauchen freut, zumal ich das Alter eines Weihnachtsmanngläubigen offensichtlich vor langem hinter mir gelassen habe, wie meiner ausgepackten und als Gastgeschenk angebotenen drei Liter fassenden Korkglockenampulle unschwer zu entnehmen ist. Welcher Brandtwein nun genau in ihrem Innern glitzerte und lodernd auf Vernichtung wartete, woher ich das selbstgebrannte Teufelszeug bezogen habe und von welcher Stärke es gewesen sein mag, darüber sei der lallende pardon wallende Mantel des Weihnachtsmännchens und seines Geheimnisses gebreitet, der Inhalt wärmt herrlich, feuert allemal ausreichend, zumal wir seine aufheizende Wirkung ein wenig verstärken, indem wir unsere Blechbecher überm Feuer zum Dampfen bringen, worauf das dergestalt vergeistigte Gesöff die Zunge lockert und das Gemüt befreit auf angenehm erheiternde Weise von derart überirdischer Natur, dass sich die Einzelheiten etwaig später eingefordertem Erinnerungsvermögen vollständig entziehen werden. Einig sind wir uns und eines Sinnes darin, dass die Kinder dieser Welt nicht verantwortlich zu machen sind für den ganzen Wahnsinn allerorten und deshalb, völlig gleichgültig und unabhängig davon was später mal für vertrottelte Erwachsene aus ihnen werden mögen, mit Geschenken zu beglücken seien, ob nun verdientermaßen oder nicht, da ihnen im späteren Leben sowieso nichts mehr geschenkt wird. Außerdem seien Tiere grundsätzlich die besseren Menschen, wie unschwer an seinem treuen Gefährten Mooswa zu erkennen sei, den wir offenherzig in unser geselliges Beisammensein miteinbeziehen, da wir abwechselnd und freigiebig Rindenstücke mit unserem Feuerwässerchen tränken und dem riesenhaft gewordenen Elchkälbchen darreichen, die der Bursche schmatzend schlürfend mit sichtlichem Vergnügen und großem Appetit verschlingt. Angesichts seines Körpervolumens verträgt der zwergwüchsige Niklas eine erstaunliche Menge des Elixiers, was man von seinem Monsterkalb nicht unbedingt behaupten kann, sei wie es sei, als Klas anfängt, das Schweigen der Wälder mit blechener Stimme und nicht gerade weihnachtlichen um nicht zu sagen dem besinnlichen Frieden abträglichen und auf peinliche Weise entgegengesetzten Liedern zu beleben, sowie das ohnehin nur spärlich vorhandene Tageslicht vollständig zu schwinden beginnt, habe ich den grade noch vorhandenen Einfall, unter Berücksichtigung lästiger Sachzwänge möglicherweise so lange noch möglich die Geborgenheit seiner Waldhütte anzupeilen und aufzusuchen, ehe die wenn auch nicht mehr empfundene Temperatur in den tiefsten sprich lebensbedrohlichen Keller gefallen ist. „Mosswa finnet gansvonleine heim“, wie Niklas mir übermannt von überschwänglich überfließenden Liebesschwüren und Belobigungen für sein unvergleichlich weltweit einmaliges Reittier ausführlich versichert, ich pack den vor Rührung Flennenden in seinen ausufernden Mantel, lade ihn auf den Rücken des breitbeinig wankenden Elches und wir stapfen los ins unübersichtlich eintönige Weiß der singenden Wälder. Um meinen Orientierungssinn auf das Wesentliche konzentrieren zu können, folge ich einfach der Spur, die der wuchtige Sumpfhirsch durch den Schnee vor mir her zieht vielmehr schiebt, wobei die Schlangenlinien der Schneise meiner Trittfestigkeit hilfreich entgegenkommen, man befindet sich sozusagen auf der selben Wellenlänge. Unterwegs stoßen wir auf einen umgestürzten Baumstrunk, das heißt, Mooswa stößt dagegen mit seinen mächtigen Schaufeln aus vollem Lauf und mit voller Wucht in der vermeintlichen Annahme, es handle sich bei dem Wurzelgebilde um einen rotzfrechen Herausforderer, was wiederum Niklas dazu bewegt, mit wehenden Gewändern durch die Luft zu segeln, geradezu erhaben schwebend und in hohem Bogen. Es dauert eine Weile, bis ich den tief in den Schnee Gebohrten ausgegraben habe, zumal er sich mit allen Kräften dagegen wehrt und mich voller Empörung recht unflätig beschimpft, wer ich denn sei, der es da wage, ihn gewaltsam zu nachtschlafender Zeit aus den wohlig warmen Federn zu zerren, und ich solle gefälligst meine schmutzigen Pfoten von ihm lassen. Ein Stück weiter des mühsamen Stapfens sehen wir uns unvermutet vor das Hindernis einer dicht verzweigten Nusshecke gestellt. Als undurchdringliche Wand ragen die ineinander verflochtenen Stangen der eingeschneiten Stauden vor uns auf, Mooswa indessen ist der unerschütterlichen Überzeugung, dass das Ding in der Zeit seiner Abwesenheit hier gewachsen sein müsse und auf anmaßende Weise den vertrauten Heimweg versperre, folglich mit Entschlossenheit und dem nötigen Kraftaufwand aus demselben geräumt werden müsse, sprich unerbittlich mittendurch durchdrungen, wobei sich der Riese sowohl mit seinen Schaufeln als auch seinen staksigen Läufen derart rettungslos in dem Gestrüpp verheddert und verfilzt - während sein Reiter, der sich mit dem Bart im Geäst verstrickt hat, enthusiastisch die goldene Gottesgabe der Nuss als solcher lobpreist mit anhaltend durchdringender Lautstärke und ich ihm am liebsten eine Kopfnuss verpassen möchte - dass ich den Elchbullen nur mittels schweißtreibender Holzfällerarbeiten aus den Fesseln seiner armdicken hölzernen Gitterstäbe befreien kann. Um mich für die erfolgreich getätigten Mühen zu entlohnen und meinen erheblichen Kräfteverschleiß auszugleichen, gönne ich mir ein paar kräftige Schlucke aus der immer noch nicht gänzlich geleerten Bottle, worauf mein kleiner Kumpan sich gedrängt fühlt, mir unersättlichem Gierschlund dieses unkameradschaftliche Verhalten als pure Selbstsucht vorzuwerfen, ein Missverständnis, dem schnell Abhilfe geleistet werden kann, was den trotzigen Niklas allerdings dazu veranlasst, die an die Brust gedrückte Glocke sicherheitshalber nicht mehr aus Händen zu geben. Mir hingegen ist es, als würde ich den hellen Klang himmlischer Glocken vernehmen, ich gebe mich schicksalsergeben geschlagen und klettere ebenso auf Mooswa’s geduldigen Rücken, stecke den Zwerg kurzerhand unter seinen Mantel, den ich mir meinerseits übergestülpt habe und lasse den schwankenden Mooswa seines Weges ziehen. Das Bimmeln wird lauter und nähert sich in Gestalt eines zweispännigen Pferdeschlittens, der uns unaufhaltsam entgegenkommt, alsbald erreicht hat und blöderweise bei uns Halt macht. Wie durch wallende Nebelschwaden kann ich einen grinsenden Kutscher ausmachen mit einer Lady neben sich auf dem Bock, die mit dickem Handschuh einem Kind auf ihrem Schoß die Augen zuhält und uns fassungslos anstarrt, hinter den beiden tauchen zwei - oder waren es drei - staunende Augenpaare weiterer etwas älterer Kinder auf. Mit einem Mal wird mir bewusst, dass es mir angesichts der Kinderhorde und infolge meiner ungewöhnlichen Tracht und der Gegebenheit meiner Erscheinung abverlangt ist, den Weihnachtsmann zu mimen, ich hebe also meine Hand zum freundlichen Gruß und bemühe mich mit besten Kräften um ein angemessenes Verslein. „Hallo Kinners, vondraußom Wallekommiher, ich musson sang esweihnachsär, feuchtfröhlich Weinnach übelall, dröhnener Gelichter voller Schwall...“ kommt mir mein Hang zu dichterischer Freiheit ein wenig in die Quere, was die Kinderaugen nicht kleiner werden lässt und den Vater in einen schallenden Lachanfall verfallen, etwas in Erklärungsnot geraten und um die Situation ein wenig zu entschärfen, füge ich eifrig beflissen beschwichtigend hinzu: „Keine Bange, Kinelein, esgiminich, gibmich garnich, müssirwissn“, worauf sich etwa in Höhe meines Bauches mit wilder Entschlossenheit ein kleiner Kopf mit Segelohren, wirren Haaren und weißem Spitzbart aus dem Mantelsaum schiebt und voller Entrüstung kläfft: „Glaubem Spitsbum kei Wort, Kinne, hörsihr, es gimmich unwirmich immergem!“ Die Kleinen kreischen los in hellem Entsetzen, die Mutter reißt voller Empörung die Hände abwehrend in die Höhe, bevor sie ihrem Kleinsten erneut die Augen damit zuzuhalten versucht, was dem überhaupt nicht zu gefallen scheint, der Vater krümmt sich inzwischen brüllend vor Lachen, fühlt sich aber zum Glück und wohl in Besinnung auf das Seelenheil seiner Kleinen bewogen, die Peitsche über den Gäulen knallen zu lassen, worauf diese ihre Hufe in Bewegung setzen und die brodelnde Volksmenge sich gnädig schneestäubend entfernt. Wir haben die Hütte im Laufe der Nacht irgendwie erreicht, zwischendrin hat Niklas noch ausgiebig seine Reiherküken gefüttert, Mooswa liegt am bleiernen Morgen mitten in der Hütte und rüsselt vor sich hin, ich finde mich ebenso in eine Decke gehüllt mit gehörigem Brummschädel und schmerzenden Gelenken auf dem Boden wieder, von Niklas ist auf seiner Pritsche nichts zu sehen unter seinem Mantelhaufen, nur sein Sägen ist nicht zu überhören und ich mache dass ich fortkomme. Zum Schluss bin wieder mal ich schuld an der schönen Bescherung. Buchauszug: Ga'an Desperado - Der Federhut |
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