01.02.2017, 11:00 | #1 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Geburtsmomente
Geburtsmomente
Seit Ewigkeiten kreist der Himmel seine Bahnen, plötzlich erscheint herrlich und klar der neue Stern. Wie lange herrschte Aug um Auge, Zahn um Zahn? Plötzlich erscheint göttlich und mild das Liebekind. Seit Menschen aufwärts blickten, ruhte fest die Erde, plötzlich erscheint denkendem Geist die neue Welt. Wie lange treiben melancholische Gefühle? Plötzlich entspringt tränendem Stift das Lobgedicht.
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© Ralf Schauerhammer Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität. Diese seine Individualität so sehr als möglich zu veredeln, ist sein erstes und wichtigstes Geschäft. Friedrich Schiller Geändert von Thomas (01.02.2017 um 19:01 Uhr) |
01.02.2017, 13:44 | #2 |
TENEBRAE
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Hi Thomas!
Du weißt, weder Ungereimtes noch Epiphanisch-Religiöses ist meine Wohlfühlzone, daher nur kurz: S1/2-Z2/3 - Die Kommata an den Zeilenenden sind nicht wirklich nötig, man könnte sie auch weglassen, da hier die Einschübe auch als normale Adverbien gelten können. S3-Z2/3 - Keine Kommata an den Zeilenenden - das ist nun wirklich ein durchgehender Satz: "denkendem Geist" ist ein Objekt im Dativ und kann nicht als Einschub verstanden werden wie die entsprechenden Satzteile in S1 und S2. S4-Z2 - Dem "entspringt" fehlt das Hinterteilchen! LG, eKy
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen. Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen! Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind. Dummheit und Demut befreunden sich selten. Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt. Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit. |
01.02.2017, 13:56 | #3 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Lieber Erich,
vielen Dank für die Korrekturen. Der Text ist vielleicht gar nicht so religiös, wie er erscheinen mag, wenn man ihn von der letzten Strophe ausgehend ließt. Liebe Grüße Thomas
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© Ralf Schauerhammer Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität. Diese seine Individualität so sehr als möglich zu veredeln, ist sein erstes und wichtigstes Geschäft. Friedrich Schiller |
01.02.2017, 17:59 | #4 |
TENEBRAE
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Hi Thomas!
Solange man nicht weiß, was in besagtem Gedicht gelobt wird, muss der Inhalt der Vorstrophen den Leser zu dem auch durch die inhaltlichen Bezüge nahegelegten wahrscheinlichsten und folgelogischen Schlusse führen, dass es sich um einen Heiland handelt, wie er in den jeweils letzten Zeilen der Vorstrophen gleichgesetzt wird: "der neue Stern/ das Kind der Liebe/ die neue Welt", was die Gedanken zur Geburt eines neuen - wenn auch gnädigernen - Glaubens lenkt, als das alte Testament lehrte. Ergo: Jesus. Noch einen Fehler gefunden, sorry: S1Z1 - Der Himmel kreiste "seine Bahnen"! Für "seinen" müsste davor ein "auf" stehen! LG, eKy
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen. Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen! Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind. Dummheit und Demut befreunden sich selten. Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt. Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit. |
01.02.2017, 19:11 | #5 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Lieber Erich,
nochmals Dank. Ich habe es nicht so gesehen, weil ich z.B. das heliozentrische System ganz und gar nicht mit dem Christentum verbinde. Die erste Strophe könnte man als Stern von Bethlehem auffassen, mir geht es jedoch um ein Naturphänomen. Es geht mir insgesamt um die Geburt von Neuem, welches die Welt (zumindest in bestimmten Bereichen ) verändert. Auch als Atheist kann man das, bezogen auf Strophe 2, nicht abstreiten, selbst wenn man es nicht positiv wertet. Wie bereits gesagt, das Ganze hat seinen Ursprung in der mehr oder weniger schöpferischen Erfahrung des Dichtens. Liebe Grüße Thomas
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© Ralf Schauerhammer Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität. Diese seine Individualität so sehr als möglich zu veredeln, ist sein erstes und wichtigstes Geschäft. Friedrich Schiller Geändert von Thomas (01.02.2017 um 19:58 Uhr) |
03.02.2017, 13:20 | #6 |
Gast
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ich lese es auch so wie Erich, lieber Thomas. Das Liebekind, der Blick zum Himmel. - irgendwie klingt es mir unfertig...
LG von Koko |
05.02.2017, 12:54 | #7 |
Lyrische Emotion
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Moin Thomas,
ich habe auch Verständnisprobleme mit diesem Text und das bewirkt einzig und allein die zweite Strophe. Wie Erich schon anmerkte, liegt dieser eine Aussage aus dem AT zugrunde, hier die Moral Auge um Auge, Zahn um Zahn, der dann mit der Moral der Nächstenliebe aus dem NT gekontert wird. Lassen wir diese Strophe einmal weg und betrachten den restlichen Text. Die erste und dritte Strophe könnten den Wandel vom geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild beschreiben. Erst dachte der Mensch sich auf einem festen Grund und sah am Himmel alles um sich und diesen festen Grund herum kreisen. Wer nicht weiß, dass er auf einer um sich selbst drehenden Kugel steht, die zudem noch die Sonne umkreist, dem sind nur diese Sinneseindrücke möglich. Durch intensive Beobachtungen, Berechnungen und logische Schlussfolgerungen erkennt der Mensch aber nun, dass es eben nicht so ist und so entsteht das neue Weltbild. Die vierte Strophe hingegen könnte beinhalten, dass ein neues Weltbild nicht zwangsläufig eine neue Umwelt zur Folge hat, denn diese stellt nach wie vor ihre Bedingungen an das Überleben, was auf jeden Fall auch mit Leid(en) verbunden ist, das fordern die "objektiven Relationen", was also eher melancholische Gefühle verursacht, wie man ja auch an den vielen verfassten Dramen und Tragödien der Weltliteratur erkennen kann. Doch dann entspringt dem traurigen Dichter ein Lobgedicht. Das ist zwar eine schöne und lyrische Aussage, jedoch stellt sich jetzt die Frage nach dem Warum? Und da komme ich unweigerlich auf die zweite Strophe zurück, in der sich die "subjektive Moral" des Christentums widerspiegelt. Also mir fällt es da jetzt auch schwer, im gesamten Kontext nicht doch ein zumindest indirektes Loblied auf die Entstehung des Christentums zu erkennen. Das ist jetzt keine negative Kritik sondern lediglich mein Eindruck. An der moralischen Auslegung müssen wir nicht deuteln, die kann auch ein Atheist anerkennen. Lediglich über die Motive könnte man diskutieren, vielleicht darf ich das an dieser Stelle einmal... Wenn der Mensch sich selbst und nicht irgend einen imaginären Gott ins Zentrum seines Weltbildes stellen würde, dann wäre schon viel gewonnen. Alle positiven Eigenschaften wie Weisheit, Kraft, Gerechtigkeit und Liebe sind menschliche Eigenschaften, die müssen keinem Gott zugeordnet werden. Alle negativen Eigenschaften wie Sterblichkeit und Fehlbarkeit müssten nicht umgekehrter Bedeutung auch auf dieses Gottwesen übertragen werden. Wenn die menschliche Eigenschaft des Mitleids für fühlende und denkende Wesen, die ihm durch sein Bewusstsein gegeben ist, als alleinige moralische Institution etabliert werden könnte, dann entfiele das religiöse Kastendenken, weil mein Glaube richtig ist, muss deiner falsch sein, und in jeder Kultur sind damit soziale Unterschiede oder Klassenunterschiede verbunden. Aber das ehrliche Mitleid mit einem anderen Wesen darf keine solchen Unterschiede machen. Zwar propagiert das Christentum eine solche Moral, hat aber in den letzten zweitausend Jahren nicht wirklich zu einer friedlicheren Welt geführt. Die Kriegsschauplätze und Verelendungen haben sich nur verlagert, und zwar an die Orte, zu denen die kantische Ethik noch nicht vorgedrungen ist. Auch unser Weltbild wäre ohne die Aufklärung nicht möglich gewesen. Deshalb suche ich nach etwas "Fassbarerem" im Diesseits, denn hier muss es doch verdammt nochmal irgendetwas geben, an dem man sich orientieren kann, ohne sich in bloße Spekulationen um ein imaginäres Jenseits, von dem wir wegen fehlender Erfahrung gar nichts wissen können, zu verlieren. In diesem Sinne ist ein Lobgedicht ganz sicherlich nicht falsch, man sollte es nur auch richtig interpretieren können... Gern gelesen und kommentiert... Liebe Grüße Bis bald Falderwald
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Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine) Für alle meine Texte gilt: © Falderwald --> --> --> --> --> Wichtig: Tipps zur Software |
05.02.2017, 16:25 | #8 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Lieber Falderwald,
vielen Dank für deinen sehr interessanten und ausführlichen Kommentar, dem ich nur einen Gedanken hinzufügen möchte. Du sagst: "Wenn der Mensch sich selbst und nicht irgend einen imaginären Gott ins Zentrum seines Weltbildes stellen würde, dann wäre schon viel gewonnen." Genau das ist es, was meiner Meinung nach am Kern und Wesen des Christentums so entscheidend ist. Es ist, soweit ich weiß, die einzige Religion, in der (durch die Menschwerdung Gottes) die Göttlichkeit des Menschen gefeiert wird. Und genau das ist die historische Grundlage unseres Begriffs der Menschenwürde, welcher die Basis der Menschenrechte und unserer Grundwerte ist. Das Problem ist nur, dass sich dieses in der Geschichte zum großen Teil trotz (und nicht wegen) der offiziellen kirchlichen Institutionen verwirklicht hat, darauf verweist du zu Recht. In diesem Zusammenhang scheint mir auch ein Gedanke Schillers wichtig, der ja zu Lebzeiten auch als schlimmer Atheist galt. Meiner Meinung nach hat er jedoch das wesentliche positive Element des Christentums besser verstanden, als dessen offizielle Vertreter. Ein Zitat aus einem Brief, den Schiller eine Woche nach Vollendung des Gedichtes "Das Ideal und das Leben" am 17.8.1795 an Goethe schrieb: "Hält man sich an den eigentlichen Charakterzug des Christentums, der es von allen monotheistischen Religionen unterschiedet, so liegt er in nichts anderem, als in der AUFHEBUNG DES GESETZES, 'des Kantischen Imperatives', an dessen Stelle das Christentum eine freie Neigung gesetzt haben will. Es ist also, in seiner reinen Form, Darstellung schöner Sittlichkeit oder der Menschwerdung des Heiligen, und in diesem Sinne die einzige ÄSTHETISCHE Religion;.." Den Punkt, in dem Schiller über Kant hinausgeht, erscheint an anderer Stelle auf lustige Weise in zwei Xenien. Gewissensskrupel "Gern dient ich den Freunden, doch tu' ich's leider mit Neigung. Und so wurmt es mich oft, dass ich nicht tugendhaft bin". Entscheidung "Da ist kein anderer Rat. Du musst suchen, sie zu verachten, Und mit Abscheu alsdann tun, was die Pflicht dir gebeut" Ich habe im Zusammenhang mit dem Beitrag "Das ewige Nun" noch genauer erklärt, wie ich auf dieses Gedicht gekommen bin. Subjektiv dachte ich nicht an ein Loblied auf Christus, da die letzte Strophe vor der ersten und zweiten entstand. Wenn man es so interpretieren kann, ist es jedoch auch kein Problem, denke ich. Nochmals vielen Dank für deinen anregenden Kommentar. Liebe Grüße Thomas Liebe Koko, ich merke gerade, dass ich deinen Kommentar übersehen hatte. Vielen Dank dafür. Der obige Text an Falderwald enthält eine Antwort, die ich nicht wiederholen möchte. Liebe Grüße Thomas
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© Ralf Schauerhammer Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität. Diese seine Individualität so sehr als möglich zu veredeln, ist sein erstes und wichtigstes Geschäft. Friedrich Schiller Geändert von Thomas (05.02.2017 um 16:41 Uhr) |
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