28.10.2009, 13:13 | #1 |
Eiland-Dichter
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Die Roggenmuhme
Flimmernd und hitzeschwer lag die Luft über dem Land. Seit Stunden schon streifte ich durch die Landschaft. Flüsternde Alleen hatte ich hinter mir gelassen und harzduftende Kiefernhaine durchquert.
Nun lastete der späte Mittag auf allem Leben und lähmte es. Kein Insekt sirrte umher. Kein Vogel war zu hören. Ich weiß nicht, wie lange ich keinem anderen Menschen mehr begegnet war. Alles war wie ausgestorben und die Hitze schluckte jeden Laut. Rapsfelder lagen wie gelb leuchtende Seen neben Wiesen, auf denen das Heu auf den Schober wartete. Daneben flossen Getreidefelder träge, wie wallendes blondes Haar, rot und blau durchflochten. Schon lange war ich nicht mehr durch ein Waldstück gekommen, dessen kühle Luft mich hätte erfrischen können. Die Schwüle drückte mir auf Stirn und Wangen und machte mir das Atmen schwer. Die Wärme war ein Meer, in dem die Farben schwammen. Keine Konturen, an denen sie sich stießen, sanft verschmolzen sie an ihren Rändern. Aus diesen Wogen ragte die alte Linde scharf gezeichnet, durch den Wind geneigt, schon ewig standhaltend. Meine Erschöpfung sagte mir, dies wäre der richtige Ort für eine Rast, und der süße Geruch zog mich an. Endlich tauchte ich ein in ihren Schatten, der mich kühl umschloss. Ganz leise wisperte ihre Blätterkrone und ließ das Sonnenlicht nur als einige glitzernde Punkte hindurch. Dankbar setzte ich mich auf den kühlen Boden. Ich lehnte mich an den Stamm und fühlte knorrige Rinde im Rücken. Tief sog ich die Luft ein. Sie roch grün und frisch und blumig, auch ein bisschen erdig. Prickelnd trocknete der Schatten mir den Schweiß von Körper und Gesicht. Das gleißende Gold, Purpur und Türkis, das meine Insel umfloss und mich hier angetrieben hatte, blendete mich. So schloss ich für einen Moment die Augen und lauschte der völligen Stille, bis sie mich ganz durchdrang. Wie lange dieser Moment gedauert hatte, ich weiß es nicht. Ich schwamm in dieser wunderbar schwerelosen Trägheit mit den Momenten dahin. Die Augen halbgeöffnet oder halbgeschlossen, machte ich in der Ferne eine Gestalt aus, schemenhaft und unwirklich. Meinen Augen fiel es schwer daran haften zu bleiben. Dann erkannte ich einen Mann, der auf meinen Lindenhort zukam. Auch er wird den Schatten suchen, dachte ich bei mir und blickte ihm entgegen, verhaftet in meiner Regungslosigkeit. Eben noch so weit entfernt, stand er plötzlich vor mir. Ich wusste, ich kannte ihn. Mir war, als hätte ich schon lange auf ihn gewartet. Endlich war er da und ich versank in den grünen Seen seiner Augen. Doch dann war sein Haar deutlich grauer, wenn auch noch dunkel durchsträhnt, seine Gestalt eine andere. Ich glaubte nicht, dass er derselbe war. Und als ich nochmals hinsah, blickte ich in ein bärtiges Gesicht, andere Augen blickten daraus zurück und ich wusste, er war ein anderer. Älter, aber wie alt? Er mochte achtzig Jahre alt sein, vielleicht sechzig. Vielleicht auch viel älter oder viel jünger. Es spielte keine Rolle. Gesehen hatte ich ihn noch nie und wusste doch, ich kannte auch ihn. Er hatte mir mal von seinem Sohn erzählt. „Im Hochsommer sind die Getreidefelder besonders schön“, begann er unvermittelt und seine Stimme lächelte sanft. „Als ich noch ein Kind war, erzählte mir meine Großmutter von einer Hexe, die in den Feldern wohnt. In meiner kindlichen Phantasie sah ich sie mit langen, staubigen Haaren und einem nebelhaften Kleid. Ich weiß noch gut, als ich mit meiner Großmutter an solchen Sommertagen, wie es heute einer ist, unterwegs war. Dann flüsterte sie: ‹‹Horch, die Roggenmuhme!›› und ich lauschte, wie das Getreidefeld geheimnisvoll knisterte und raschelte.“ Da erinnerte ich mich wieder an die Geschichte. „Sagte sie nicht auch, dass der Wind die Muhme zu Stein werden lassen würde, wenn sie sich einem Menschen zeigen würde?“ Auch andere kamen mir in den Sinn, die erzählten, sie würde die Kinder mit krähender Stimme ins Feld locken und mit ihren spinnenartigen Armen festhalten. Keines der Kinder ward je wieder gesehen, nur so mancher Schnitter soll auf bleiche Knochen gestoßen sein. Ich blickte über das Weizenmeer und sann, ob man der Roggenmuhme wirklich begegnen könnte. „Wahrscheinlich musst du nur weit genug ins Feld gehen“, erwiderte der alte Mann. Ich wunderte mich nicht, dass er meine Gedanken hat lesen können. Er blickte mich erwartungsvoll an, fast herausfordernd, wie ich fand. So erhob sich etwas von mir und trat aus dem Schatten hinaus ins grelle Sonnenlicht, geradewegs in das nächstgelegene Weizenfeld. Ein anderer Teil von mir blieb zurück und schaute mir nach und ich sah mich im Getreide verschwinden. |
01.03.2010, 09:31 | #2 | ||||||||||
Erfahrener Eiland-Dichter
Registriert seit: 31.10.2009
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Beiträge: 151
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Hallo Elly,
bin zum ersten Mal im Forum "Fortsetzungsgeschichten", dein Text fiel mir auf, weil er bisher noch keinen Kommentar erhalten hat. Du schreibst flüssig, verstehst es, bildlich darzustellen, ich konnte mir die Landschaft und die Umstände gut vorstellen. Es gelingt dir einen Spannungsbogen aufzubauen. Zum Text: Zitat:
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Gerne gelesen. Gruß Pedro |
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