28.01.2010, 12:57 | #1 |
asphaltwaldwesen
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letzte handlung
wie oft schon hab ich laut mein herz verflucht
ob seiner kraft in leidenschaft so fest zu schlagen für menschen, lieben, taten, die es wert zu wagen, wissend, dass mein gefühl dort heimat sucht. nicht oft noch bin dabei ich schon gefallen, doch wenn ich fiel, dann immer bodenlos und hart. ganz einfach loszulassen ist nun mal nicht meine art, viel eher die, im sturz mich weiter festzukrallen an allem, was fels, baum, herz, hand zum greifen bieten, an jedem – sei's auch noch so winzgen - anhaltspunkt, den man, mein SOS empfangend, mir zurückgefunkt. ich kann und konnt nur so, egal, was andre rieten. du warst mir baum, so dacht ich, fest und grünend, rindenweich. zu gerne lehnte ich an deinem stamm im schatten. glaubte zu spürn, dass wir viel aneinander hatten. nun gähnt ein schwarzes loch, dort, wo kein wurzelreich. im fallen offenbart sich mir noch deine wandlung: es sind nicht äste, die du mir nicht reichst, ´s ist deine hand, die du mit kaltem blick nun vor mir birgst tief im gewand. mein herz schelt ich „so dumm!“ – ´s ist meine letzte handlung. .fee ´ 10
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"Gedichte sind Geschenke an die Aufmerksamen" Paul Celan Geändert von fee (28.01.2010 um 21:01 Uhr) Grund: kleine metrik-kosmetik dank feiner vorschläge von falderwald |
28.01.2010, 20:12 | #2 |
Lyrische Emotion
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Liebe fee,
das ist ein wahrhaft trauriger Text, der kein Happy End findet. In Strophe 1 bedauert das LI, daß es ein zu großes Herz besitzt und sich immer voll für eine Sache, einen Menschen oder die Liebe eingesetzt hat. Es war immer frohen Mutes, die Erfüllung in seinem Tun zu finden. Strophe 2 deutet an, daß LI auch noch nicht so oft dabei auf die Nase gefallen ist. Wenn es aber dann doch einmal passierte, geschah dies ziemlich unsanft, denn es kämpfte immer bis zum bitteren Ende und hielt sich daran fest, so wie es in Strophe 3 beschrieben wird, wenn es auch nur das kleinste Fünkchen Hoffnung noch gab. Ganz egal, was andere auch davon hielten. LI dachte nun in Strophe 4, einen starken Partner gefunden zu haben, der zu ihm steht, an den es sich lehnen kann, wie an einen Baum. Es hatte seine ganzen Gefühle investiert und glaubte wirklich daran, etwas Reales zu haben. Doch dieser Baum ist nun fort und entwurzelt und wo er noch einst stand, klafft nun ein schwarzes Loch. (Schönes Bild) In welches LI dann unweigerlich in Strophe 5 hineinfällt und währenddessen gar noch die Verwandlung seines "Baumes" erfahren muss, der es eiskalt fallen lässt, indem er seine Hand zur Hilfe verweigert. LI schimpft sein eigenes Herz dumm, was seine letzte Handlung in diesem Gedicht darstellt. Ich interpretiere das so, daß mit der letzten Handlung nicht der Tod des LI's gemeint ist, sondern der Tod der Liebe oder der Freundschaft. Ja, so kann es gehen. Die, die man einst ehrlich geliebt hat, können sich durch andere Umstände verwandeln und wenden sich komplett ab. Die Frage ist nur, war man dann wirklich dumm, wenn man geliebt hat? Wenn es ehrlich und aus Überzeugung war, dann war es doch richtig. Zumindest für diese Zeit, bis man eines Besseren belehrt wird. Ich erlaube mir mal, dir eine kleine metrische Überarbeitung anzubieten, weil es an den markierten Stellen nicht ganz so fluppte, wie es eigentlich sollte: wie oft schon hab ich laut mein herz verflucht ob seiner kraft in leidenschaft so fest zu schlagen. (Punkt) für menschen, lieben, taten, wollte ich es wagen, bewusst, weil mein gefühl dort heimat sucht. dabei bin ich noch nicht so oft gefallen, doch wenn ich fiel, dann immer bodenlos und hart. ganz einfach loszulassen ist nun mal nicht meine art, viel eher die, im sturz mich weiter festzukrallen an allem, was fels, baum, herz, hand zum greifen bieten, an jedem, selbst am allerkleinsten, anhaltspunkt, den man, mein SOS empfangend, mir zurückgefunkt. ich kann und konnt nur so, egal, was andre rieten. du warst mir baum, so dacht ich, fest und grünend, rindenweich. zu gerne lehnte ich an deinem stamm im schatten. ich glaubte gar, wie viel wir aneinander hatten. nun gähnt ein schwarzes loch, dort, wo kein wurzelreich. im fallen offenbart sich mir noch deine wandlung: es sind nicht äste, die du mir nicht reichst, nein, deine hand, die du mit kaltem blick nun vor mir birgst tief im gewand. mein herz schelt ich „so dumm!“ – ´s ist meine letzte handlung. Ich weiß jetzt nicht, ob dir das so gefällt, aber der Jambus wäre so wieder stimmig. Gerne gelesen und kommentiert... Liebe Grüße Bis bald Falderwald
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Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine) Für alle meine Texte gilt: © Falderwald --> --> --> --> --> Wichtig: Tipps zur Software |
28.01.2010, 20:57 | #3 | ||
asphaltwaldwesen
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Zitat:
das herz sucht sich nun mal ganz allein aus, wem es seine liebe schenken möchte. der verstand kommt da nur zum teil mit. mit dummheit hat es also nicht wirklich etwas zu tun, jemanden geliebt zu haben, in dem man sich vl. zum teil getäuscht hat (auch, weil man herz-sehend diesen so sehen wollte). dennoch schilt man sich in solchen momenten dafür, seinem herz gefolgt zu sein. auch, wenn ein anderer teil im selben moment weiß, dass es richtig war - einfach, weil es sich bis zum moment der ent-täuschung richtig angefühlt hat. danke für deine text-arbeit. die vorschläge Zitat:
bei den anderen vorschlägen bin ich noch am abwägen. nicht alle meiner etwas verdreht wirkenden wortwendungen sind aus der not geboren nichts eleganteres zu finden, sondern transportieren für mich persönlich noch etwas mit, das ich allerdings jetzt auf die schnelle nicht besonders gut erklären kann und das auch schwer zu fassen ist. sie stehen jedenfalls dann nicht umsonst so da und ich brauche dann ein wenig distanz und zeit, um zu sehen, ob ich mich von ihnen trennen und sie ersetzen möchte durch "flüssigeres" oder weniger geschraubtes, wie deine vorschläge es ja allesamt sind. aber nicht alles ist dann noch so teil von mir. darum denke ich, du verstehst, wenn ich einiges erst mal sickern lasse und ein wenig in meinem bauchgefühl drehe und wende, um zu sehen, ob es auch so zu mir passt. auf jeden fall freue ich mich sehr über deine intensive auseinandersetzung und dein einfühlen in meinen text. lieber gruß, fee
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28.01.2010, 21:21 | #4 |
Lyrische Emotion
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Ich noch einmal...
Hi fee, es ging mir weniger um verdreht wirkende Wortwendungen, als um die Metrik. Natürlich sind das nur Vorschläge, wie es sein könnte. Ich wollte dir auch nur zeigen, in welchen Zeilen der Jambus verrutscht war. Als Anregung sind solche Vorschläge dann eigentlich stets gut zu gebrauchen. Aber es ist natürlich immer besser, wenn der Autor seine Korrekturen selbst vornimmt, bevor etwas von der ürsprünglichen Aussage oder den zu transportierenden Emotionen verloren geht. Deshalb verstehe ich das nur zu gut... Liebe Grüße Bis bald Falderwald
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28.01.2010, 22:38 | #5 | ||
Slawische Seele
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Liebe fee,
den Austausch über Metrik überlasse ich nach dem sichtbaren konstruktiven Austausch weiterhin euch beiden und anderen. Nur einen klitzekleinen Rat lasse ich da: Zitat:
Weit aus mehr klebe ich am Inhalt. Vielleicht, weil ich Teile meiner selbst darin finde und/oder Menschen, die mir mit diesen Eigenschaften sehr vertraut sind. Bis zu einem bestimmten Zeitpunkt gab es für mich eine einzige Unterscheidung: Die Guten und die Schlechten - so einfach war es. Auf einem Seminar wurde das Enneagramm erklärt, besprochen und für jeden der Teilnehmer erstellt. Nicht, dass es meine Gedankenwelt umgekrempelt hat, aber es hat mir interessante und durchaus nachvollziehbare Anhaltspunkte zur eigenen Person gegeben. Unter diesem Einfluß lese ich dein spannendes Gedicht. Vor dem Seminar hätte ich "leichtfüßig" die Güte gelobt und das "kalte Herz" abgelehnt. Überdenkt man die Gesamtlage und fügt das Enneagramm hinzu, öffnen sich andere Welten. Mit unseren Eigenschaften agieren wir, unsere Stärken leben wir. Dein lyr.Ich lebte seine Stärken bis zum tiefsten Fall aus und wurde enttäuscht. Enttäuscht mit einer bisher ungelebten Konsequenz: Zitat:
Nein, das Herz ist nie dumm. Es schaut nur anders und erkennt, dass pure Güte nicht beständig angebracht ist. Man läßt dabei den eigenen Schutz oder eigene Bedürfnisse zu schnell außer acht. Im Ganzen eine wertvolle Erfahrung, mag sie anfangs auch weh tun. Ich könnte stundenlang darüber reden. Dein Gedicht hinterlässt viel. Liebe Grüße Dana
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Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen,
ich schulde ihnen noch mein Leben. (Frederike Frei) |
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29.01.2010, 09:34 | #6 | |
asphaltwaldwesen
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liebe dana,
sehr freu ich mich über deinen ausführlichen und intensiven kommentar und hab ihn mit großem interesse gelesen. danke! was die metrik angeht - da rätsel ich noch immer (und immer wieder einmal), inwieweit ich als österreicherin hier anders betone oder ob es daran liegt, dass ich meine gedichte schon beim schreiben laut intoniere und sich daher das metrum dann "nur" im vortrag "ausgeht". für mich ist es jedenfalls stimmig, dort, wo ihr es anders lest. so oft ich es auch versuche "anders" zu lesen. wie gesagt: die distanz zum text muss erst wachsen, um mit den vorschlägen objektiv umgehen zu können. das dauert bei mir immer etwas. sehr gefunden hat mich deine anmerkung Zitat:
das rechte maß an distanz und nähe, das thema der gesunden abgrenzung - ist eins der schwierigsten, finde ich. daher hab ich mir diese zeilen von dir eingerahmt. danke. gruß, fee
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29.01.2010, 10:06 | #7 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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hallo fee,
da hast du ja eine ganz bittere lehre in verse gesetzt! das muss ziemlich weh tun.... zwei anmerkungen hätte ich: strophe eins und zwei beginnen mir zu ähnlich: wie oft schon - nicht oft noch.... ich würde strophe zwei so abwandeln: nur selten bin dabei ich schon gefallen.....(nicht oft noch klingt mir auch ein bissl zu umständlich) in der letzten strophe ist es diese zeile: es sind nicht äste , die du mir nicht reichst, ( zweimal verneinung in einer zeile!) mein vorschlag: es sind nicht äste, die du mir entziehst, 's ist deine hand.... im übrigen gerne gelesen (wenn auch mit bedauern, was das Lyrich betrifft) larin |
29.01.2010, 10:14 | #8 |
asphaltwaldwesen
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servus larin,
grade diese ähnlichkeit "wie oft schon" und "nicht oft noch" war eigentlich absicht. um diesen bezug deutlicher zu machen. als gegensatz. kommt nicht so an? hm. grübel. "nur selten" klingt für mich ok. ich weiß nur noch nicht, ob ich die ursprungsintention aufgeben mag, oder nicht. ich hoffe, du verstehst, wenn ich auch das noch etwas sickern lasse, bevor ich entscheide. auf jeden fall danke für die anregungen. die doppelte verneinung allerdings war und bleibt pure absicht. auf der besteh ich. auch, wenn´s nur eine feen-schrulle ist, die sich für manche wie ein hakler anfühlt. (was es auch soll) liebe grüße, fee
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10.01.2012, 10:21 | #9 |
ADäquat
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Liebe fee,
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Geändert von Chavali (10.01.2012 um 13:31 Uhr) Grund: Tippfehler |
10.01.2012, 13:28 | #10 |
asphaltwaldwesen
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liebe chavali,
da hast du ja was älteres ausgegraben! danke! du hast schon recht: es gibt tatsächlich immer einen weg weiter. nur manchmal sieht man ihn nicht - gefangen im aktuellen momentan-schmerz der enttäuschung. ich sehe lyrIchs äußerung der "letzten handlung" als die letzte handlung vor dem aufprall. es muss also nicht unbedingt eine lebensbeendende handlung sein, die hier gemeint ist. das aber so offen zu lassen, drückt zugleich die tiefe der verletzung und den kleinen "weltuntergang" aus, der da passiert. freut mich, dass es dir gefällt! liebe grüße, fee |
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