10.04.2009, 10:33 | #1 |
Bernhardverdreher
|
Jörgi
Ich weiß...es handelt sich strenggenommen nicht um eine Kurzgeschichte.
Feirefiz Jörgi Jörg Telchow, den alle nur „Jörgi“ nennen, ist achtunddreißig Jahre alt, und er isst nicht sauber. Darum trägt er ein Lätzchen. Jörgi kann nur von Löffeln essen, seine Brote werden ihm zugeschnitten. Verletzungs- und auch Erstickungsgefahr sind zu groß. Jörgi ist oft maßlos beim Essen. Jörgi hat eine Vorliebe für starken Kaffee mit und manchmal auch ohne Milch. Weil er aber oft bis in die späten Nachtstunden aktiv ist, wird der Kaffee für ihn rationiert. Jörgi ist sehr geschickt darin, sich außer der Reihe Kaffee zu besorgen. Jörgi schaut dir nie in die Augen, immer an dir vorbei. Es ist nicht möglich, Blickkontakt mit ihm aufzubauen. Trotzdem erkennt er mich immer, wenn ich komme. Jörgi kann nicht sprechen. Manchmal rätseln wir, was seine Laute wohl zu bedeuten haben. Ein monotones Lallen findet sich darunter, ein sympathisches Kichern, oder auch ein undefinierbares Brummen, ein versonnenes Schnalzen. Jörgi kann singen. Am liebsten Weihnachtslieder und Beatles. Natürlich ohne Text, aber durchaus richtig intoniert, summt er dann lächelnd morgen Kinder wird’s was geben. Auch an Musikinstrumenten zeigt er großes Interesse. Du musst ihm dann immer etwas vorspielen. Jörgi liebt es geduscht zu werden. Wenn ich ihm das Shampoo aus den Haaren spüle, legt er sich die rechte Hand vor die Augen. Sein rechter Arm scheint vor Kraft aus den Nähten zu platzen. Beinahe gestählt, denkt man. Daran eine Hand, groß wie ein Rad. Mit dieser Hand greift er nach dem Löffel, nach seinem Kaffeebecher, nach der Gitarre, um sie dir hinzuhalten, nach seinem Kopf, um die Augen vor brennender Seife zu schützen. Mit dieser Hand packt er dich beim Arm und führt dich überall hin. Jörgis Wünsche liegen in dieser riesenhaften Hand. Jörgis Träume hängen an diesem starken Arm. Jörgis linker Arm, Jörgis linke Hand hängt nach einer Infektion in seiner Jugend schlaff am Körper herunter. Am faltigen Arm die schmale Hand, die nicht mehr zum Greifen taugt. Als Opfer von Jörgis wütenden Beißattacken gegen sich selbst fördert diese Hand immer wieder Rötungen und nach den Rötungen Blut und nach dem Bluten Schorf zutage. Jörgi geht gerne spazieren, auch wenn er wegen seines Spitzfußes nur humpeln kann. Zu jeder Jahreszeit tollt er dann herum, begrüßt Frühling, Sommer, Herbst, Winter, Frühling, Sommer, lacht, singt, tanzt, dreht sich, lacht, springt, lacht… Jörgi kann stundenlang auf dem Sessel im Gruppenraum sitzen und mit dem Oberkörper vor und zurück wippen. Dann steht er plötzlich auf und beginnt damit, sich so stark um die eigene Achse zu drehen, dass sein linker Arm, der Fliehkraft folgend, in Kreisen um seinen Körper herumgezerrt wird. Guck mal, Jörgi tanzt wieder, sagen wir dann lächelnd zueinander. Manchmal, wenn du sitzt, kommt Jörgi von hinten auf dich zu, legt seine Lippen an deinen Kopf und stöhnt ein warmes, weiches Stöhnen. Das ist ein bisschen eklig, weil Jörgi sabbert. Aber Angst zu haben brauchst du keine, das heißt, dass er dich gern hat. Von Zeit zu Zeit liegt Jörgi im Flur am Boden und onaniert, wirft dabei den Kopf, immer schneller werdend, von links nach rechts und von rechts nach links. Keine Ahnung, wer ihm das beigebracht hat, aber jetzt ist es wohl zu spät, um es ihm wieder abzugewöhnen. Jörgi bittet manchmal wortlos darum, angebunden zu werden. Dann humpelt er in die Isolationskammer, wo das Fixierbett steht, legt sich darauf und windet sich die speckigen Ledergurte mit der rechten Hand um den linken Arm. Meistens erfüllen wir ihm dann seinen Wunsch nach Halt. Jörgi hat häufig Schmerzen in den wenigen Zähnen, die ihm geblieben sind, aber er kann nicht sagen wo. Meist äußert er sich über Angespanntsein, wildes Herumhüpfen und –schreien. Dann erhält er 1 Paracetamol 1000, Zahnarztbesuche nur unter Vollnarkose. Jörgi knirscht viel mit den Zähnen. Jörgi leidet an einer schweren Intelligenzminderung nach frühkindlicher Hirnschädigung, unter starken Stimmungsschwankungen, zeigt autistische Verhaltensweisen. Morgens, mittags und abends bekommt er jeweils 5ml Atosil und 2 Clozapin verabreicht, damit sein Bewegungsdrang auf einem erträglichen Level bleibt, dazu 1 Akiniton gegen den Speichelfluss. Wenn Jörgi ein arousal hat, besteht akute Gefahr für Leib und Leben, auch und vor allem für das der Mitbewohner. Zu zweit, immer zu zweit, gehen wir auf ihn zu, ich fange seine Faust ab, nagel ihn mit den Knien am Boden fest und drücke ihm 1 Rohypnol zwischen die Kiefer. Dann zerren wir ihn in die Isolationskammer. Jörgi wehrt sich, aber Jörgi hat keine Chance gegen mich. Jörgi muss ans Bett fixiert werden, weil er sonst, alleingelassen, selbstverletzendes Verhalten zeigen würde. Als wir ihn angebunden haben, entfernen wir uns langsam aus dem Raum, schlaf schön, Jörgi, schließen hinter uns die Tür, lassen aber das Licht an, sonst kann man durch den Spion nichts sehen: Jörgi liegt da, Hände und Füße an der Bettkante fixiert, wirft seinen Kopf, immer schneller werdend, von links nach rechts und von rechts nach links und schreit. Etwa eine Stunde später ist Jörgi eingeschlafen, die rohypnolblaue Zunge hängt ihm halb aus dem Mund, wir defixieren ihn und tragen ihn in sein Zimmer und auf sein Bett. Ich decke ihn zu, streichele ihm flüchtig über die Wange und schließe leise die Tür, als ich das Zimmer verlasse. Jörgi ist eigentlich der Liebling aller Pfleger im Heim. Aber wenn er zuschlägt, müssen wir handeln
__________________
Hören Sie, bleiben Sie stehen und hören Sie: dieses Gekläff! (Th.B.) Alle meine Texte unterliegen der freien Verfüg- und Kommentierbarkeit
Geändert von Feirefiz (10.04.2009 um 15:56 Uhr) |
10.04.2009, 11:15 | #2 |
MohnArt
Registriert seit: 07.02.2009
Ort: RLP
Beiträge: 1.949
|
Hallo Feirefiz,
ein passender Karfreitagstext. Wenn man das so hört, hat man das Gefühl, dass für Jörgi an vielen Tagen ein Leidenstag ist. Seine Selbstverletzungstendenzen sprechen für sich. Gleichzeitig hat er eine unbändige Lebensfreude, die er auch auszudrücken vermag. Was soll ich sonst zu diesem mitreißendem Text zu sagen? Packend gut und realistisch beschrieben. Man hat das Gefühl, als habe man selbst, wie ein Spion zugeschaut. Nachdenkliche Grüße, Klatschmohn |
10.04.2009, 13:43 | #3 |
Neuer Eiland-Dichter
Registriert seit: 10.04.2009
Ort: Süden von Berlin
Beiträge: 19
|
Hallo, Feirefiz!
Ich finde den Text wunderbar, weil er eine von uns, soz. Pflegern und Besuchern, abweichende Seinsform beschreibt, jemanden, der uns zwingt, uns die Definition Mensch noch einmal vor Augen zu führen - ein Mensch ist nun mal mehr als ein täglich ins Büro dackelnder Steuerzahler. Auf den ersten Blick finden wir wenig Gemeinsamkeiten, aber je weiter man liest, desto mehr erkennt man sie - es ist eben nicht das Vorhandensein der Sozialversicherungsnummer, was die Menschen eint, sondern die Sehnsüchte und der Schmerz, und dazwischen das "sympatische Kiechern". Ich glaube, das Befremdliche an Behinderten, was viele empfinden, ist nicht so sehr ihr Anderssein, sondern vielmehr, daß sie so sind wie wir, nur, im Gegensatz zu uns, die Notwendigkeit, daraus ein Hehl zu machen, einfach nicht erkennen. Danke für diesen einfühlsamen Einblick! Liebe Grüße wrath_nase |
10.04.2009, 14:20 | #4 |
Bernhardverdreher
|
Liebe Klatschmohn!
Deine Kommentare sind Rohopium für meine Seele. "mitreißend", "packend", "realistisch", danke, danke ,danke. Liebe wrath_nase! Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen: Gerade WEIL Menschen mit geistigen Behinderungen nicht die Notwendigkeit erkennen, einen Hehl aus ihrem Charakter zu machen, erkennen wir uns in ihnen wieder. Darf ich noch etwas zur Geschichte anmerken? Das wichtigste habt ihr beide nicht erkannt (, oder nicht kommentiert) Hauptperson ist hier nämlich eigentlich der Ich-Erzähler, Jörgis Pfleger oder Betreuer. Dieser Mann schickt sich offensichtlich an, Jörgis bester Freund zu sein und ist doch nichts weiter als sein Scharfrichter. Er nutzt Jörgis "Schamlosigkeit" , um seine eigene Distanzlosigkeit auszuleben. Besonders soll sich das zeigen an der Szene mit dem Sabbern. "Das heißt, dass er dich gern hat"-------"Keine Angst, der will nur spielen" fällt mir dazu ein! Und ständig wird diese würdelose Verniedlichungsform, "Jörgi", gebraucht. Wichtig ist, dass es bei der Geschichte offensichtlich einen Zuhörer, "du" nämlich, gibt. Jörgis gesamte Persönlichkeit wird hier bis ins letzte abstoßende Detail einem offensichtlich Unbeteiligten, einem Frischling, dargeboten! Dass der Text so warmherzig klingt, hat einen Grund: ich habe die Erfahrung gemacht, dass in solchen Einrichtungen häufig der rüdeste Umgang mit den allerchristlichsten Ansprüchen einhergeht. Ganz abgesehen davon, dass es eben diese Einrichtungen waren, die Jörgi zu dem machten, was er ist. "Jörgi ist eigentlich der Liebling aller Pfleger im Heim. Aber wenn er zuschlägt, müssen wir handeln." Am Schluss eine solch lakonische Moral, von einem, der es eigentlich besser wissen müsste! War es euch nicht aufgefallen? Feirefiz
__________________
Hören Sie, bleiben Sie stehen und hören Sie: dieses Gekläff! (Th.B.) Alle meine Texte unterliegen der freien Verfüg- und Kommentierbarkeit
|
10.04.2009, 15:03 | #5 |
MohnArt
Registriert seit: 07.02.2009
Ort: RLP
Beiträge: 1.949
|
Doch, Feirefiz,
ich habe so etwas empfunden, etwas Widersprüchliches, deshalb konnte ich auch nicht näher auf den Inhalt eingehen. Aber es ist so alltäglich, so furchtbar alltäglich - und wie sollen die Pfleger auch sonst in diesen durchstrukturierten Einrichtungen damit umgehen. Man kommt früher oder später dahin, oder wird aus dem System ausgeschieden. Manchmal freiwillig, manchmal unfreiwillig. Aber so etwas gibt es wohl nicht nur im Umgang mit Behinderten, schau in Pflegeeinrichtungen ( ... wie geht es uns denn heute?) in die Krankenhäuser, wo die Ärzte und Pfleger oft so tödlich recht haben, schau überall hin, wo Abhängigkeiten praktiziert werden. Ich habe es empfunden und ich weiß, ich hätte es ausdrücken sollen. Liebe Grüße, Klatschmohn |
10.04.2009, 15:18 | #6 |
Gesperrt
Registriert seit: 08.02.2009
Ort: Berlin
Beiträge: 2.213
|
Lieber Feirefiz,
auch wenn "Jörgi" (diese Verniedlichung erinnert Anreden wie "Ach, Omi, willst Du? Hast Du? Kannst Du? Dieser Umgang scheint in Altenheimen bzw. Krankenhäusern Gang und Gäbe zu sein und von Verantwortlichen geduldet) seine Umwelt vielleicht (?) nicht versteht, so hält er uns einen Spiegel vor. Sehr eindringlich schilderst Du den Abstand, den der Erzähler zum Patienten einhalten muss, um nicht selbst zum Opfer zu werden. Dass er, völlig gefühllos, den "Liebling" fest bindet, um ihn "ruhig zu stellen" und das stundenlange Schreien erträgt. Das Lesen war für mich keine reine Freude, aber das war sicher auch nicht Deine Absicht. Ich habe ein paar kleine Tippfehler entdeckt: Jörgi Jörg Telchow, den alle nur „Jörgi“ nennen, ist achtunddreißig Jahre alt, und er isst nicht sauber. Darum trägt er ein Lätzchen. Jörgi kann nur von Löffeln essen, seine Brote werden ihm zugeschnitten. Verletzungs- und auch Erstickungsgefahr sind zu groß. Jörgi ist oft maßlos beim Essen. Jörgi hat eine Vorliebe für starken Kaffee mit und manchmal auch ohne Milch. Weil er aber oft bis in die späten Nachtstunden aktiv ist, wird der Kaffee für ihn rationiert. Jörgi ist sehr geschickt darin, sich außer der Reihe Kaffee zu besorgen. Jörgi schaut dir nie in die Augen, immer an dir vorbei. Es ist nicht möglich, Blickkontakt mit ihm aufzubauen. Trotzdem erkennt er mich immer, wenn ich komme. Jörgi kann nicht sprechen. Manchmal rätseln wir, was seine Laute wohl zu bedeuten haben. Ein monotones Lallen findet sich darunter, ein sympathisches Kichern, oder auch ein undefinierbares Brummen, ein versonnenes Schnalzen. Jörgi kann singen. Am liebsten Weihnachtslieder und Beatles. Natürlich ohne text (Text), aber durchaus richtig intoniert, summt er dann lächelnd morgen ("Morgen .....) Kinder wird’s was geben("). Auch an Musikinstrumenten zeigt er großes Interesse. Du musst ihm dann immer etwas vorspielen. Jörgi liebt es geduscht zu werden. Wenn ich ihm das Shampoo aus den Haaren spüle, legt er sich die rechte Hand vor die Augen. Sein rechter Arm scheint vor Kraft aus den Nähten zu platzen. Beinahe gestählt, denkt man. Daran eine Hand, groß wie ein Rad. Mit dieser Hand greift er nach dem Löffel, nach seinem Kaffeebecher, nach der Gitarre (Komma) um sie dir hinzuhalten, nach seinem Kopf, um die Augen vor brennender Seife zu schützen. Mit dieser Hand packt er dich beim Arm und führt dich überall hin. Jörgis Wünsche liegen in dieser riesenhaften Hand. Jörgis Träume hängen an diesem starken Arm. Jörgis linker Arm, (und?) Jörgis linke Handhängt (hängen?) nach einer Infektion in seiner Jugend schlaff am Körper herunter. Am faltigen Arm die schmale Hand, die nicht mehr zum Greifen taugt. Als Opfer von Jörgis wütenden Beißattacken gegen sich selbst fördert diese Hand immer wieder Rötungen und nach den Rötungen Blut und nach dem Bluten Schorf zutage. Jörgi geht gerne spazieren, auch wenn er wegen seines Spitzfußes nur humpeln kann. Zu jeder Jahreszeit tollt er dann herum, begrüßt Frühling, Sommer, Herbst, Winter, Frühling, Sommer (ein paar Pünktchen vielleicht?), lacht, singt, tanzt, dreht sich, lacht, springt, lacht… Jörgi kann stundenlang auf dem Sessel im Gruppenraum sitzen und mit dem Oberkörper vor und zurück wippen. Dann steht er plötzlich auf und beginnt damit, sich so stark um die eigene Achse zu drehen, dass sein linker Arm, der Fliehkraft folgend, in Kreisen um seinen Körper herumgezerrt wird. Guck mal, Jörgi tanzt wieder, sagen wir dann lächelnd zueinander.a (?) Manchmal, wenn du sitzt, kommt Jörgi von hinten auf dich zu, legt seine Lippen an deinen Kopf und stöhnt ein warmes, weiches Stöhnen. Das ist ein bisschen eklig, weil Jörgi sabbert. Aber Angst zu haben brauchst du keine, das heißt, dass er dich gern hat. Von Zeit zu Zeit liegt Jörgi im Flur am Boden und onaniert, wirft dabei den Kopf, immer schneller werdend, von links nach rechts und von rechts nach links. Keine Ahnung, wer ihm das beigebracht hat, aber jetzt ist es wohl zu spät, um es ihm wieder abzugewöhnen. Jörgi bittet manchmal wortlos darum, angebunden zu werden. Dann humpelt er in die Isolationskammer, wo das Fixierbett steht, legt sich darauf und windet sich die speckigen Ledergurte mit der rechten Hand um den linken Arm. Meistens erfüllen wir ihm dann seinen Wunsch nach Halt. Jörgi hat häufig Schmerzen in den wenigen Zähnen, die ihm geblieben sind, aber er kann nicht sagen wo. Meist äußert er (es?) sich über Angespanntsein, wildes Herumhüpfen und –schreien. Dann erhält er 1 (eine?) Paracetamol 1000 (-tablette ?), Zahnarztbesuche (gelingen? klappen? oder Ähnliches) nur unter Vollnarkose. Jörgi knirscht viel mit den Zähnen. Jörgi leidet an einer schweren Intelligenzminderung nach frühkindlicher Hirnschädigung, (und?) unter starken Stimmungsschwankungen, zeigt autistische Verhaltensweisen. Morgens, mittags und abends bekommt er jeweils 5ml Atosil und 2 Clozapin (-tabletten?) verabreicht, damit sein Bewegungsdrang auf einem erträglichen Level bleibt, dazu 1 Akiniton (dragee?) gegen den Speichelfluss. Wenn Jörgi ein arousal (Arousal) hat, besteht akute Gefahr für Leib und Leben, auch und vor allem für das der Mitbewohner. Zu zweit, immer zu zweit, gehen wir auf ihn zu, ich fange seine Faust ab, nagel ihn mit den Knien am Boden fest und drücke ihm 1 Rohypnol (eine ... -tablette?) zwischen die Kiefer. Dann zerren wir ihn in die Isolationskammer. Jörgi wehrt sich, aber Jörgi hat keine Chance gegen mich. Jörgi muss ans Bett fixiert werden, weil er sonst, alleingelassen, selbstverletzendes Verhalten zeigen würde. Als (wenn?) wir ihn angebunden haben, entfernen wir uns langsam aus dem Raum, schlaf schön, Jörgi, schließen hinter uns die Tür, lassen aber das Licht an, sonst kann man (können wir?) durch den Spion nichts sehen: Jörgi liegt da, Hände und Füße an der Bettkante fixiert, wirft seinen Kopf, immer schneller werdend, von links nach rechts und von rechts nach links und schreit. Etwa eine Stunde später ist Jörgi eingeschlafen, die rohypnolblaue Zunge hängt ihm halb aus dem Mund, wir defixieren ihn und tragen ihn in sein Zimmer und auf sein Bett. Ich decke ihn zu, streichele ihm flüchtig über die Wange und schließe leise die Tür, als (bevor?) ich das Zimmer verlasse. Jörgi ist eigentlich der Liebling aller Pfleger im Heim. Aber wenn er zuschlägt, müssen wir handeln Schrecklich! In welch einer Gesellschaft leben wir nur? Viele liebe Grüße, Medusa. Geändert von Medusa (10.04.2009 um 15:20 Uhr) |
10.04.2009, 15:48 | #7 |
Erfahrener Eiland-Dichter
Registriert seit: 17.02.2009
Ort: am Mittelrhein
Beiträge: 224
|
Hallo Feirefiz,
ich hab's beim ersten Durchlesen nicht gemerkt und bin dir dankbar für deine Hinweise im Kommentar zu den ersten Kommentaren. Ich gestehe, dass ich in der onkelhaften, gönnerhaften Sichtweise erstmal mitgegangen bin, tätschel-tätschel, braves Hündchen, und erst beim zweiten Durchlesen - nach deinem Hinweis - gesehen habe, was los ist. Gut gemacht von dir! Anfangs noch wohlwollend. Die Falle "ach welch liebevoller Umgang mit dem Armen!" schnappt orentlich zu, dann sachlicher, ab und zu sehr distanziert und schließlich knüppeldick im letzten Absatz: zerren ihn - nagel ihn - keine Chance gegen mich - selbstverletztendes Verhalten zeigen würde - eigentlich - aber... Du hast einen teuflisch klaren Blick und beherrschst die Kunst, das, was du siehst, mit Worten sehr deutlich anderen vor Augen zu führen. Großes Lob! Aber wir sollten uns hüten, den Pflegern anzuhängen, dass sie dieser hier gegeißelten Haltung verhaftet seien. Deine Mahnung geht mehr an die ganze menschliche Gesellschaft, nicht an die Menschen, die mit Herrn Georg, genannt Jörgi, hautnah zu tun haben. Ich hab mal Mordfantasien bekommen wegen des süßlich säuselnden Tonfalls einer Krankenschwester, die mich auch ein bisschen zum "Jörgi" machte, aber ich weiß, dass die Berufssituation sehr hohe Anforderungen stellt hinsichtlich "Seelengröße", Toleranz, Wertschätzung, Nächstenliebe und ich weiß nicht was noch. Hut ab vor denen, die solche Berufe ausüben. Wer da mal zur Kaltschnäuzigkeit Zuflucht sucht, um weiter existieren zu können, gehört nicht zu den schlechtesten Menschen. Ich grüße dich und wünsch mir noch mehr so gute Texte von dir. Ibiado |
10.04.2009, 15:50 | #8 |
Bernhardverdreher
|
Liebe Klatschmohn,
Jörgi ist ein Opfer seines Pflegers, der Pfleger ein Opfer des Systems. Liebe Medusa, also dass du dir noch die Arbeit machst zu korrigieren finde ich wirklich nett von dir! Mal gucken: Natürlich ohne text (Text), aber durchaus richtig intoniert, summt er dann lächelnd morgen ("Morgen .....) Kinder wird’s was geben("). Natürlich ohne Text!!! Die fehlenden Gänsefüßchen zeigen an, dass es beiläufig passiert - es findet keine Beachtung. Jörgis linker Arm, (und?) Jörgis linke Handhängt (hängen?) nach einer Infektion in seiner Jugend schlaff am Körper herunter Nein, der Arm und die Hand sind eins. Zu jeder Jahreszeit tollt er dann herum, begrüßt Frühling, Sommer, Herbst, Winter, Frühling, Sommer (ein paar Pünktchen vielleicht?), lacht, singt, tanzt, dreht sich, lacht, springt, lacht… Pünktchen?????Niemals!!!!! Dann erhält er 1 (eine?) Paracetamol 1000 (-tablette ?), Zahnarztbesuche (gelingen? klappen? oder Ähnliches) nur unter Vollnarkose. Jörgi knirscht viel mit den Zähnen. Alle Mengenangaben: So tauchen sie eben in der "Krankenakte" auf. Klatschmohn und du haben beide auf das unmenschliche System hingewiesen. Hier habt ihr den Menschen als Zahl schwarz auf weiß! Zum fehlenden Verb: Ich habe mir erlaubt, an einigen Stellen den BILD-Stil zu kopieren (denn was liegt im Pausenraum auf dem Tisch?). Die arbeiten häufig mit ausgelassenen Verben und daraus entstehendem Idioten-Deutsch und sprachlichen Wurmfortsätzen. Als (wenn?) wir ihn angebunden haben, entfernen wir uns langsam aus dem Raum, Mit dieser Korrektur triffst du genau ins Schwarze, obwohl du falsch liegst. Denn genau an diesem einen Wort liegt der Wendepunkt der Geschichte: Denn vorher sind Dauer und Zeit nicht klar ("schaut dir NIE in die Augen";"Jörgi LIEBT ES geduscht zu werden";"Sitzt MANCHMAL auf dem Sofa";"Erkennt mich IMMER";"WENN Jörgi ein arousal hat") Aber genau mit diesem "ALS" befindet sich der Leser urplötzlich mitten in der Situation. Ein Zeitsprung der vielleicht grammatikalisch gewagt ist, aber durchaus beabsichtigt. Danke nochmal Feirefiz
__________________
Hören Sie, bleiben Sie stehen und hören Sie: dieses Gekläff! (Th.B.) Alle meine Texte unterliegen der freien Verfüg- und Kommentierbarkeit
|
10.04.2009, 23:07 | #9 |
Bernhardverdreher
|
Lieber Ibiado!
und schließlich knüppeldick im letzten Absatz: zerren ihn - nagel ihn - keine Chance gegen mich - selbstverletztendes Verhalten zeigen würde - eigentlich - aber... Wenn du wüsstest... Das macht mich jetzt wirklich ein bisschen Stolz, denn du hast genau das heraus gelesen worum es mir ging, woran ich, mit verlaub, lange feilte. Plötzlich bricht diese brutale Situation ein ins allgemeine Kopftätscheln und Belächeln, ganz schnell wird der Schalter umgelegt: auf "kalter Erfüllungsgehilfe". Und "nageln", "zerren"(auch "Kiefer" und "zu zweit") sind tatsächlich die ausschlaggebenden Wörter! Zum Inhaltlichen: Du hast völlig recht: Der Pfleger ist auch nur ein kleines Rädchen, ein An-Getriebener. Es stellt sich mir jedoch die Frage, ob diese extreme Machtasymmetrie in solchen Einrichtungen nicht korrumpiert? Denn der Betreute ist dem Betreuer auf Gedeih und Verderb ausgeliefert und man kann meiner Ansicht nach eben nicht von einer Art "Schicksalsgemeinschaft" zwischen diesen beiden ausgehen, als wären sie verschworene Zeugen einer gemeinsamen, düsteren Realität. Um DAS zu Verhindern gibt es nämlich die "professionelle Distanz", die sogenannte "Linie" und natürlich den Druck von oben. Man geht ja auch immer zu zweit auf Jörgi zu! Das sagt ja nichts über den Pfleger im Privaten aus. Ruppige Kaltschnäuzigkeit ist sogar ein Charakterzug, den ich bei vielen Menschen zu schätzen weiß. Ich möchte an dieser Stelle noch offtopic bemerken, dass ihr ja wirklich ein ausnehmend freundliches Forum seid! Liebe Klatschmohn, vielen Dank für deine PN! Gruß euch allen! Feirefiz
__________________
Hören Sie, bleiben Sie stehen und hören Sie: dieses Gekläff! (Th.B.) Alle meine Texte unterliegen der freien Verfüg- und Kommentierbarkeit
|
11.04.2009, 15:37 | #10 |
Neuer Eiland-Dichter
Registriert seit: 10.04.2009
Ort: Süden von Berlin
Beiträge: 19
|
Lieber Feirefiz1
Diesen Schlußsatz habe ich einfach als Kontrapunkt zu dem fürsorglichen Verhalten des Pflegers empfunden, so nach dem Motto: das ist alles schön und gut, aber auch der Realität muß man mal kurz Rechnung tragen. Aber mein Freund, der die Geschichte mit las, empfand diesen Satz sofort als etwas sehr unangenehmes, nachdem ich Eure Meinungen durchgelesen habe, verstehe ich auch warum; von der Realität möchte man sich gerne fernhalten, unterbewußt geht es fast jedem so, nur das Bewußtsein fordert meistens doch sein Tribut. Es gibt nichts, was einen so an seine Grenzen treibt wie der Umgang mit Menschen, die nach unseren Regeln einfach nicht funktionieren. Wo weder bitten noch drohen, noch ins Gewissen reden eine Wirkung zeigen kann. Nicht alles kann man mit Liebe bezwingen, auch wenn es stets das Bestreben sein sollte. Jörgi hat leider die "Gesäßkarte" gezogen, daran kann auch das beste System nicht viel ausrichten. Dem Pfleger möchte man anheimlegen, daß auch für ihn grundsätzlich das Risiko besteht, eine geistige Krankheit zu erwerben, die seine Selbstbestimmung einschränken oder ihn sogar seine ganze Intimsphäre kosten würde, z. B. durch einen Unfall, dieses Bewußtsein würde vielen gut tun, nciht nur Pflegern in solchen Einrichtungen, sondern wie schon richtig gesagt wurde, allen Mitgliedern der Gesellschaft. Liebe Grüße wrath_nase Geändert von wrath_nase (11.04.2009 um 15:40 Uhr) |
Lesezeichen |
Aktive Benutzer in diesem Thema: 1 (Registrierte Benutzer: 0, Gäste: 1) | |
|
|