14.04.2009, 21:21 | #1 |
asphaltwaldwesen
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Grund genug
Milchige Sonnenstrahlen drangen wie schmale Klingen langer schlanker Dolche zu ihm auf den Grund durch.
Heute, wo es an der Oberfläche windstill war, tanzten sie nur sachte hin und her und zauberten einen Wald aus dünnen Lichtstämmen ohne Kronen in das dumpfe Blaugrün der Umgebung. Nur für ihn. Von seinem Platz zwischen dem Schilf aus, beobachtete er wie immer im Verborgenen das erregende Schauspiel. An Tagen mit stärkerem Wind oder wenn viele Badegäste die Oberfläche des Sees aufwirbelten, gaukelten die schlanken Strahlen ihm die Kurven ihres milchigweißen Körpers vor. Als würde sie vor ihm tanzen, ihn necken, meinte er einmal den anmutigen Schwung ihrer Hüften vor sich zu sehen, ein anderes Mal ihre atemberaubende Silhouette im Halbprofil. Eingebrannt in sein visuelles Gedächtnis. Niemals greifbar und stets flüchtig – so, wie sie damals vor ihm geflüchtet war. In seinen mit der Zeit hier unten milchigtrüb gewordenen Augen spiegelten sich diese schwebenden, sich drehenden Lichtkonturen. Doch niemals auch nur die leisteste Regung von Gefühl oder Erkennen. Wie hatte sie ihn damals vom ersten Moment an, in dem er ihrer ansichtig wurde, gefesselt, sich all seiner Sinne bemächtigt! Der blasse, helle Teint ihrer zarten, weichen Haut unter dem hauchdünnen Stoff ihres Sommerkleides, ihre unschuldig mädchenhafte Anmut, als sie an jenem lauen Sommerabend allein, sich unbeobachtet fühlend ihr Kleid über den Kopf gezogen hatte und ins Wasser gewatet war. Die erfrischende Kühle hatte ihr eine Gänsehaut von den Schenkeln über ihre Hüften und das Gesäß bis hin zu ihren perfekten Brüsten geschickt, deren Knospen sofort fest wurden und sich keck aufrichteten. Das Mondlicht hatte damals ähnlich milchiges Licht über sie gegossen, wie es nun die Sonnenstrahlen unter der Wasseroberfläche mit seinem Körper taten, wenn sie über seine vor sich ausgestreckten, sacht in der Strömung hin und herwiegenden Arme glitten. So, wie sie es vermutlich auch mit dem Rest von ihm taten. Doch er hätte den Kopf wenden müssen, um darüber Gewissheit zu erlangen. Das hatte er nicht ein einziges Mal getan, seit er hier war. Er war kein Mensch, der jemals zurückblickte. Regungslos musste er mit den Anblicken vorlieb nehmen, die sein Blickfeld kreuzten – ganz wie es ihnen gefiel. Oft starrte er tage- und nächtelang in die gleiche leere, undurchdringliche, so beengende Weite vor ihm. Ohne mit einer Wimper zu zucken. Lediglich die Finsternis wechselte von semitransparentem Dunkelblaugrün bis hin zu tiefstem Schwarz. Wären nicht die großen Flusskiesel in seiner Kleidung gewesen, die ihn am Grund hielten, hätte er sich in solchen Momenten vorgaukeln können, zu schweben. Doch sie hatte ihn zurück auf den Boden der Realität geholt – und noch ein Stück tiefer. Wie damals. Auch da meinte er, zu schweben. Er erinnerte sich nur zu gut an jedes Detail. Das Geräusch der brechenden Äste, auf der Jagd durch das Gestrüpp, fort vom Teich in den vermeintlich schützenden Wald. Ihre panischen Hilferufe, die in hysterisches Schreien und schließlich flehendes Wimmern übergegangen waren, als er sie letztendlich überwältigt und zu Boden gerungen hatte. Die beinah unbändige Kraft ihres verzweifelten Widerstands, der in diesen so göttlich zarten Gliedern wohnte, mobilisiert einzig vom Überlebenswillen. Ihr heftiges Keuchen und ihr Angstschweiß. Dazu das unregelmäßige Aufblitzen ihrer kreidebleichen, makellosen Haut, wenn auf ihrer beider Verfolgungsjagd durch die Baumkronen das weiße Mondlicht auf sie fiel. All diese Eindrücke hatten ihn wie eine Woge, die im Begriff stand sich hoch aufzutürmen, um mit all ihrer Gewalt über ihn hereinzubrechen und sie beide in einer gewaltigen Welle an Gefühl mitzureißen, an einen Punkt der Erregung gebracht, der mit absolut nichts vergleichbar schien und ihn die Welt um sich, so wie sie war, vergessen ließ. Niemals zuvor hatte er in sich eine solche Lebendigkeit verspürt! Er hatte die Macht, sich zu nehmen, was auch immer er wollte. Sie war nur noch eine Armeslänge von ihm entfernt. Zu Boden gegangen. Vermutlich gestolpert. Das Schicksal hatte sie also für ihn bestimmt! Sich zu nehmen, was sein war, würde der absolute Höhepunkt seines bisherigen Lebens sein. Er war dicht davor! Und scheinbar hatte sie ihr Schicksal akzeptiert und sich gefügt. Sie leistete keinen weiteren Widerstand mehr. Er war beinah ein wenig enttäuscht. Andererseits ließ ihre Gefügigkeit das Allmachtsgefühl in ihm nur noch mehr anschwellen. Beinah dankbar war er zwischen ihren Schenkeln auf die Knie gefallen. Er dankte dieser himmlischen Fügung und würde ihr immer dankbar sein. Sie war ein Geschenk Gottes! Seine Hosen waren bereits auf Halbmast, als der schwere Stein ihn an der Schläfe traf. Plötzlich war nichts mehr erhebend. Sein erster und einziger Gedanke, bereits im Hinübergleiten, war, dass sie ihn hinterhältig in eine Falle gelockt haben musste. Er war von ihr zutiefst enttäuscht. Der Fußtritt, mit dem sie ihm sein Nasenbein in sein verworrenes Gehirn schob, ersparte ihm weitere Enttäuschungen und hüllte ihn in friedvolle Stille. Mittlerweile hatte er sich an diese Stille gewohnt. So ganz ihr Freund war er jedoch nie geworden. Nur wenn sich Kinder beim Baden in die Nähe seines Schilfgürtels verirrten, drangen manchesmal Geräusche bis zu ihm auf den düsteren, schlammigen Boden. Dumpf, wie von weit her, und dennoch viel zu lebendig für sein Gefühl. Dann suchten auch ab und zu verschreckte junge Fische Zuflucht in seinem immer noch fassungslos offentstehenden Mund. Ergriffen Besitz von seinem Körper. Drangen in ihn ein, ohne zu fragen. Respektlos, wie er fand. So wie sie damals. Sein Hinterkopf war eine einzige Fundgrube an Ästchen, zerbrochenen Schneckenhäusern und kleinen spitzen Steinen, die sich ins Fleisch gegraben hatten, als sie ihn den ganzen Weg zurück aus dem Wald durch das Dickicht bis ans Seeufer gezerrt hatte. Sie war ein raffiniertes Luder gewesen, das musste er neidlos anerkennen. Die großen Steine in seine Kleidung zu packen, um ihn danach im Schilf zu versenken, ließ ihn vermuten, dass sie nicht zu den allerdümmsten gehörte. Vermutlich hatte sie zu viele Krimis im Fernsehen gesehen. Zu dumm nur, dass er nun hier ungewollt der Hauptdarsteller im falschen Drehbuch war. Er hatte sie unterschätzt – das würde ihm nie wieder passieren. Ob sie noch an ihn dachte? Er wäre gekränkt gewesen, wenn nicht. Er tröstete sich mit dem Gedanken, für immer und ewig der Mann ihrer Träume zu sein. Milchige Sonnenstrahlen trafen auf milchigtrübe Augen und milchigbleiche Haut. Die Wasser waren heute besonders still. Wie im Jahr zuvor und dem davor stand sie auch heute wieder am Ufer und feierte ihren Geburtstag. Ohne ihn. .fee '08
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"Gedichte sind Geschenke an die Aufmerksamen" Paul Celan |
14.04.2009, 23:08 | #2 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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hallo liebe fee..
dies ist die zweite geschichte die mehr sehr zusagt in der KG sparte und ebenfalls, wie bei "sean penns lippen" ist es hier die Art des schreibens, die mich überzeugte..es ist aus einer anderen Welt heraufgeholt, aus die des Toten Geistes o.ä der selbst im Tode keine Ruhe mehr findet (so habe ich jetzt diese Geschichte nach dem ersten durchlesen verstanden)..interessant wird dieses Gedicht in meinen Augen durch die Tatsache, das die Geschichte zu Gunsten des Opfers oder der Gejagten getragen wird...weiterhin finde ich sehr interessant das es gerade dieses Jagen dies ist was dem Täter selbst im Tode nicht abhanden kommt...was will man dazu sagen, er nimmt das mit was er am meisten liebte oder das was ihn obsessiv machte...sein handeln eben nur auf ein Ziel ausgerichtet...wie gesagt ich finde es als lösung sehr gut geschrieben und bin froh, das es sich in diesem falle zum guten geht..doch geht es das wirklich, denn wie dort steht geht selbst der täter davon aus oder wünscht sich am meisten, das das opfer ihn nie vergisst (so weit ich es rausgelesen habe) das finde ich ziemlich schräg und krank...dennoch sehr gut geschriebenes werk LG basse
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© Bilder by ginton Ich fühle, also bin ich! Alles, was einmal war, ist immer noch, nur in einer anderen Form. (Hopi) nichts bleibt, nichts ist abgeschlossen und nichts ist perfekt... (Wabi-Sabi)
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15.04.2009, 14:42 | #3 |
Neuer Eiland-Dichter
Registriert seit: 10.04.2009
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Beiträge: 19
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Liebe fee,
"Er hatte sie unterschätzt – das würde ihm nie wieder passieren."... Was wahr ist, ist wohl wahr... Eine wirklich starke Leidenschaft erlischt nicht mit dem Tode, etwas bleibt, auch wenn es kein fortexistierendes Bewußtsein im herkömmlichen Sinne ist. vielen Dank für diese eindringliche Geschichte. Liebe Grüße w_n |
15.04.2009, 15:11 | #4 |
asphaltwaldwesen
Registriert seit: 31.03.2009
Ort: österreich
Beiträge: 961
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servus basse und wrath_nase,
und herzlichen dank für euer mitgeteiltes gefallen-finden an meiner schrägen geschichte über obsession, die blind macht für die wahren zusammenhänge im leben. für mich war die herausforderung, eine geschichte aus zwei perspektiven zu schreiben und dabei gleichzeitig dem leser immer nur soviel pro zeile preiszugeben, dass sich das große ganze erst am schluss komplett enthüllt und darstellt. insofern hat mir das schreiben selbst auch großen spaß und spannung bereitet. wie schön, dass diese dann auch beim leser rüberkommt, weils mir gelungen zu sein scheint! danke für eure lobenden zeilen! das freut mich sehr! lieber gruß, fee
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"Gedichte sind Geschenke an die Aufmerksamen" Paul Celan |
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