14.11.2017, 22:54 | #1 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Beiträge: 3.375
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Torso
Torso
Ein Rätsel bist du, das mich bannt; ich kann den Blick nicht von dir wenden. Was einst des Künstlers sichre Hand erschuf, ward von Barbarenhänden zerstört, und die zerstreuten Trümmer scheinen des Kunstwerks ganze Schönheit zu verneinen. Und doch entsteht in meinem Geist, wenn ich, was scheinbar Rest ist, sehe; ein Bild, um das der Kosmos kreist, das ich betrachtend nicht verstehe. Wie kann Vollkommenheit in Teilen liegen und selbst zerstört Zerstörungswut besiegen?
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© Ralf Schauerhammer Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität. Diese seine Individualität so sehr als möglich zu veredeln, ist sein erstes und wichtigstes Geschäft. Friedrich Schiller Geändert von Thomas (16.11.2017 um 21:07 Uhr) |
15.11.2017, 15:09 | #2 |
TENEBRAE
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Ort: Österreich
Beiträge: 8.570
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Hi Thomas!
Wunderbar beschrieben, durchdrungen und vermittelt! Rilke's Torso- und Statuengedichten ebenbürtig! Ineressant der Heberwechsel in den beiden letzten Zeilen. Der geänderte Duktus beruhigt zum Strophenende hin, setzt ein Statement. Die Conclusio der beiden letzten Zeilen subsummiert in ihrer Frage alle Zeilen zuvor auf wundervolle Weise. Eins deiner besonders Gelungenen, wie ich finde! S2Z3 - Komma nach "Bild"? Allergernst gelesen! LG, eKy
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen. Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen! Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind. Dummheit und Demut befreunden sich selten. Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt. Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit. Geändert von Erich Kykal (15.11.2017 um 15:50 Uhr) |
16.11.2017, 08:47 | #3 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Beiträge: 3.375
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Lieber Erich,
herzlichen Dank für das Lob, der Vergleich mit Rilke lässt mich fast erröten. Es freut mich auch, dass du die metrischen Feinheiten, um die ich mich bemühe, heraushörst - es ist also doch nicht nur mein persönlicher Spleen. Liebe Grüße Thomas
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© Ralf Schauerhammer Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität. Diese seine Individualität so sehr als möglich zu veredeln, ist sein erstes und wichtigstes Geschäft. Friedrich Schiller |
16.11.2017, 11:15 | #4 |
heimkehrerin
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Beiträge: 389
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Einfach großartig, lieber Thomas!
Da sitzt jedes Wort und Melodie und Rhythmus bilden mit dem schönen Thema ein beeindruckendes, rundes Ganzes. Auch ich finde den Hebungswechsel gekonnt eingesetzt! Hach, wär nur mir sowas Schönes eingefallen! Sehr, sehr gerne gelesen! Da ist dir wirklich etwas Besonderes gelungen. Das seh ich auch so. Lieber Gruß, fee
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x x x x x x x x "Du musst, wenn du unser Glück beschreiben willst, ganz viele kleine Punkte machen wie Seurat. Und dass es Glück war, wird man erst aus der Distanz sehen.” ― Peter Stamm, Agnes |
16.11.2017, 16:28 | #5 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Beiträge: 251
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Lieber Thomas,
dem Lob meiner Vorredner schließe ich mich an. Sehr gut gedichtet. Es kann einem wirklich die Tränen in die Augen treiben, wie durch sinnlose Gewalt immer wieder großartige Kunst zerstört wird. Als wäre der der "normale Zerfall" nicht schon schlimm genug. Du hast diesen Schrecken durch deine Verse in etwas positives umgewandelt. Das gefällt mir. Liebe Grüße Ophelia |
16.11.2017, 21:39 | #6 |
Gast
Beiträge: n/a
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Ja, ich schließe mich ebenfalls an, lieber Thomas. Des Menschen Fantasie schafft es, den Torso anders zu sehen, so, wie er möglicherweise mal war. So würde ich die Schlußfrage beantworten.
LG von Koko |
17.11.2017, 11:15 | #7 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Beiträge: 3.375
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Liebe Fee, Ophelia und Koko,
herzlichen Dank für eure Kommentare und das Lob. Das freut mich sehr. Vielleicht noch eine Bemerkung, das "sehen können, wie es möglicherweise mal war" ist wahrscheinlich nur möglich, wenn es ursprünglich ein geschlossenes (oder anders ausgedrückt, ein vollkommenes) Kunstwerk war, denn unsere Phantasie ist ja ein sehr freier und flüchtiger Vogel. Liebe Grüße Thomas
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© Ralf Schauerhammer Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität. Diese seine Individualität so sehr als möglich zu veredeln, ist sein erstes und wichtigstes Geschäft. Friedrich Schiller |
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