28.09.2019, 22:19 | #1 |
TENEBRAE
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Göttliche Bedürftigkeit
Warum ist der Mensch gläubig? Warum bedarf er eines Herrn und Gottes, und warum ist ihm diese Bedürftigkeit nicht selbst peinlich und seltsam?
Liegt es daran, dass es glaubenden Menschen an der Fähigkeit oder am Willen zu wissenschaftlichem Denken mangelt? Ist einmal ein Glaube gefunden, darf scheinbar kein weiterer Gedanke in das so errichtete Geistesgebäude eindringen, wird jede weitere Überlegung abgeschmettert, egal ob sie von anderen oder einem selbst kommt. Logik, Wahrscheinlichkeitsgewichtung, Beweisfähigkeit - all das zählt nicht für den Gläubigen, denn beim Glauben geht es nicht darum. Beim Glauben geht es um Angst, Unsicherheit, Einsamkeit, Gruppendynamik, Zugehörigkeit, Sicherheit, Angepasstheit, Geborgenheit. All das ist es, was Religion ausmacht. Die jeweiligen Götter und Welterklärungsmodelle sind austauschbar - und genau das geschieht ja auch seit Jahrtausenden mit ihnen! Zeus oder Odin, Cernunnos oder Osiris können etwas darüber erzählen ... Glaube definiert sich in diesen simplen Bedürfnissen: Schutz und Hilfe, Gemeinschaft, Gewissheit, Vergebung. Glaube ist auch seit jeher ein Instrument der Mächtigen, um sicher herrschen und erobern zu können: Gott mit dem Kaiser! Für Gott und Vaterland! Mit Gottes Hilfe! Verbrennt die Hexe! Tötet die Ungläubigen! Usw ... Wirklich amüsant, wenn man die Bilder aus dem ersten Weltkrieg sieht, wo die Soldaten verfeindeter Länder sich von den Priestern der GLEICHEN Religion die Waffen segnen lassen, um mit diesem Segen eines Glaubens, der von der Seligkeit der Friedfertigen erzählt, einander begeistert abschlachten zu gehen. Nein, mit Logik und Vernunft hat das Glauben nichts zu tun. Vergessen wir auch nicht die stetige Indoktrination neuer Generationen: Erzchristliche Eltern, Religionsunterricht an Schulen (den es, wollte man wirklich politisch korrekt agieren, gar nicht mehr geben dürfte), christliche Internate, Vereine und Parteien. Eine ganze Phalanx an "Orientierungsmöglichkeiten" für junge Geister. Und dabei geht es hierzulande ja schon realativ liberal zu, was das angeht! In manchen islamischen Ländern werden heute noch Kinder wie Sklaven gehalten und müssen von morgens bis abends den ganzen Koran auswendig lernen, Sure für Sure, vor und zurück wippend wie Zombies, beim geringsten Verhaspeln verprügelt von wütenden Geistlichen, für die das "eherne Wort Gottes" strikt wortwörtlich zu nehmen ist - immer und grundsätzlich. Für solche Menschen ist Denken eine Gefahr! (So etwas tut man aber nur kleinen Jungen an - Frauen dürfen gar nicht erst Lesen lernen, die existieren nur, um zu dienen und Knaben zu zeugen ...) Ja, der Glaube - für den fleißig gemordet und gestorben wird, für den aztekische Priester Gefangene zu Hunderten bei lebendigem Leibe entherzen oder Kindern den Schädel einschlagen, um sie als Boten zu den Göttern zu schicken, für den ein Vater seinen Erstgeborenen schechtet und auf dem Altar bei Kerzenlicht ausbluten lässt, um gottgefällig zu sein. Der Glaube, für den unzählige Kinder geschunden und gebrochen werden, um lebenslang brave Diener des angesagten Gottes zu sein, kritik- und denkunfähig, gesteuert von bodenloser Angst vor diesseitiger wie jenseitiger Strafe. Angst - das Schmiermittel der geheiligten Institutionen! Wie anders konnten Priester generationenlang ungestraft Kinder sexuell missbrauchen? Man schwieg, weil es undenkbar war, weil man die Gemeinschaft schützte - und sie verriet, denn eine Gemeinschaft, der ihr Zusammenhalt wichtiger ist als das Wohl der ihr hilflos Ausgelieferten, ist Schande und Grauen unter dem Deckmäntelchen biederer Bigotterie! Was bedeutet ein Gott, der - ganz nach augenblicklichem Bedarf und Gestaltung der verkündenen Seelenlandschaft - gnädig segnend oder zornig stafend sein kann? Was ist ein Gott, der - nach Behauptung seiner Oberbeauftragten - divenhaft und eitel Verehrung und Anbetung fordert, damit er sich überhaupt herablässt, dem einen oder anderen beizustehen? Uns seien wir ehrlich - was ist die Beichte anderes als ein Mittel der Priester, sich über alle und alles in ihrer Gemeinde informiert zu halten? Eine mafiöse Geheimdienstmethode, die mit dem schlechten Gewissen Beladener arbeitet und Vergebung verspricht, wenn man sich "erleichtert": "Sage mir, wo sich die evangelischen Ketzer treffen, und Gott wird dich segnen!" Und keiner hat's gerochen? Tja eben - wo das Denken verboten ist, ist leicht manipulieren! Aber verzetteln wir uns nicht. Bleiben wir beim Wesentlichen: Welche Mechanismen des Menschenwesens bedingen dieses Bedürfnis nach Anbetbarem, Übermächtigem, das man sich dienstbar zu machen glaubt durch Opfer, Beichte, Gebet und Gehorsam? Die Trägheit des Denkens, die Schubladen zusperren will, um nicht mehr über alles nachgrübeln und nicht mehr alles hinterfragen zu müssen? Die innere Ordnungsliebe, die genau wissen will, wo im Universum oben und unten ist? Die Angst in Angst Erzogener, die nie mehr aufzubegehren wagt wider die Dogmen der Altvorderen? Die Feigheit derer, die sich davor fürchten, was die Nachbarn denken könnten? Die Berechnung, die erkennt, dass man als Kirchengegner weniger Ausbildungs-, Berufs- und Anstellungschancen hat? Die Dummheit, die einfache Weltmodelle bevorzugt, weil sie mit allem, was nicht schwarz oder weiß, Himmel oder Hölle ist, "heillos" überfordert wäre? Ach, der Gründe sind viele, und werden es noch lange sein. Zu stark die Gewissheit derer, die sich im Glanz göttlicher Gnade sehen, und denen das, was sie sich einreden, jederzeit mehr bedeutet als das, was sie wirklich umgibt. Denn der Mensch träumt und wünscht, und dem, der glaubt und dient, werden Wünsche wahr - im Jenseits. Ja, das Jenseits - dieser Gedanke an das Weiterbestehen nach dem Tode, und - vielen sogar wichtiger - die Gewissheit, alle ihre Verstorbenen "drüben" wiedersehen zu können! Dafür lonht es sich doch, Kirchensteuer zu zahlen, nicht wahr? Auf die Idee, genau mit dieser Vorstellung angelockt, eingefangen und unterworfen worden zu sein, will man nicht kommen, denn kaum jemand wagt es offenbar, sich der Wahrscheinlichkeit zu stellen, dass der Tod tatsächlich das Ende von ALLEM ist. Interessant hier, dass man sich selbst eine "Seele" zugesteht (was immer das genau sein mag ...), sie allem anderen existierenden Leben aber abspricht - zu schwierig scheinbar die Vorstellung, sich im Jenseits bei jedem geschlachteten und verspeisten Schwein, bei jedem geschossenen Hirsch oder bei jedem im Joch geschundenen Ochsen entschuldigen zu müssen! Wie gesagt, Logik und Vernunft haben mit Religion nichts zu tun - zumindest aus der Sicht derer, die mutig genug sind, ihr Gehirn korrekt zu benutzen. Oder wie was das nochmal mit dem Fegefeuer? - Jahrhunderelang hat man den Leuten damit Angst gemacht und Alpträume bereitet, den Willen unzähliger Generationen gebrochen: Die endlosen Qualen für geringste Vergehen wider das behauptete göttliche Diktat, um die Seele doch noch gereinigt und paradieswürdig zu bekommen! Da blühte der Ablasshandel! Da erzog man seine Kinder mit der Peitsche, weil man sicher war, ihnen so Gutes zu tun und ein paar Jahrhunderte im Feuer zu ersparen! Was für ein Schwachsinn! Und doch geglaubt, einfach so, bloß weil der Verkünder gut gekleidet war und als Respektsperson, als Sprachrohr des Heiligen galt. Praktisch. Und plötzlich kam man drauf: Passt nicht mehr, das kauft uns keiner mehr ab! Also weg damit. Einfach so. Und die Gläubigen waren dankbar, anstatt nachzudenken ... Eine Geschichte: Ein Vater sperrt sein Dutzend Kinder nackt in den Keller, gibt Regeln durch die geschlossene Tür, ohne das sie ihn jemals sehen, und sagt, kaum dass sie sprechen gelernt haben, zu ihnen: "Da unten liegen Messer herum. Macht damit, was ihr wollt. Ihr werdet für immer in diesem Keller leben, findet euch damit ab. Nur jene, die täglich zur Kellertür kriechen und unterwürfig daran kratzen und dabei meine Größe preisen und um meine Liebe und Gnade flehen, haben überhaupt eine Chance, nach ihrem Tod zu mir heraufkommen zu dürfen. Glaubt das mal. Wem kommt die Geschichte bekannt vor? Was ist von so einem Vater zu halten? Warum glaubt der Mensch so gerne? So viele Gründe, und noch tausende mehr! Krone der Schöpfung - echt? Eher der faust'sche "hilflos weggekrümmte Wurm", wenn man mich fragt. Aber wer tut das schon ... KOMMT ENDLICH AUS DEM KELLER!
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen. Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen! Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind. Dummheit und Demut befreunden sich selten. Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt. Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit. Geändert von Erich Kykal (28.09.2019 um 22:48 Uhr) |
28.09.2019, 23:32 | #2 |
ADäquat
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Hi Erich,
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29.09.2019, 02:43 | #3 |
TENEBRAE
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Hi Chavi!
Ich rege mich hier nicht auf, sondern versuche zu ergründen, was die Motivation für das Glaubensbedürfnis der Menschen darstellt. Simple psychologische Mechanismen, seit der Steinzeit nicht überwunden. Natürlich schimmern mein Unverständnis und mein Widerwille immer wieder durch, da kann man wohl nichts machen. Was ich eigentlich will, ist Denkanstöße zu geben - wenn ich nur einen einzigen Kirchkriecher damit erreichen und zum Grübeln bringen kann, war der Aufwand nicht vergebens. Die grundsätzliche Frage ist nämlich gar nicht, ob es überhaupt Götter (oder den einen Gott) gibt oder ob sie wirklich Anbetung einfordern, sondern jene, warum der Mensch selbst sich so gern unterordnet, anbetet, gehorcht. Reines Schutzbedürfnis? Und selbst wenn - ist das eines modernen gebildeten Individuums nicht unwürdig? Und welchem Gott könnte tatsächlich an all dem unterwürfigen, kriecherischen Geschleime gelegen sein? Was kann so schlecht daran sein, stolz und unabhängig im Geiste zu sein? - Es sei denn, es schadet den Mächtigen, die Religion benutzen: Kritisches, hinterfragendes Denken ist Gift für jene, die Nutzen aus der kulturellen Übereinkunft ziehen, sich einem gemeinsamen Glauben zu unterwerfen, so als könnte der Mensch ohne diesen Hokuspokus nicht glücklich werden! Aus Kinderängsten wird pathetisches Wunschdenken mit Anspruch auf Ausschließlichkeit - je nach Kultur und Zeitgeist anders, aber immer exklusiv und elitär, damit sich der Gläubige besser fühlen darf als der die Verdammten, die was anderes sagen. Dafür muss er sich lebenseinengenden und demütigenden Ritualen unterwerfen, damit ihm auch nur ja immer klar ist, was für ein wertloses Wesen er (als Ebenbild seines Gottes!) ohne den rechten Glauben, ohne die freiwillige Unterwerfung ist (und natürlich auch mit ...)! Das Militär geht ähnlich vor: Das Individuum wird gebrochen, um es als Teil der Gruppe, als willige und stolze Ameise neu aufzubauen, die alles für die Idee tut, der sie sich verpflichtet hat. Der Einzelne zählt nicht - das Ziel der Gruppe ist alles! Wirf dich auf die nächste Handgranate! Naja - wenn ich das jetzt so lese, hast du wohl recht: Ich rege mich tatsächlich auf! Werd ich wohl immer - sogar noch auf dem Scheiterhaufen! LG, eKy
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen. Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen! Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind. Dummheit und Demut befreunden sich selten. Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt. Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit. Geändert von Erich Kykal (20.10.2019 um 21:34 Uhr) |
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