20.10.2022, 21:33 | #1 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Abendbrötlich
Abendbrötlich
Wie immer zur gläsernen Stunde des versinkenden Lichtvaters, treiben die nagende Unruhe meiner Seelenratten und die wächsernen Gesichter der Verzweiflung mich gnadenlos aus dem hochgiebeligen Holzhaus. Hastend - dennoch schwerfüßern - durchpflüge ich wartende Halme, die sich mir gräsern unterwerfen. Bald werden sie volltrunken sein, von den absinkenden Liquiden einer kühlenden Nacht und werden sich mir morgen um die gleiche Zeit wieder, wie rituell entgegensträuben. Von windigem Ufer weit vorgewagt, brettkrumm hölzerne Haut vernarbt, wartet er: Ein lower Trampolin, wegweisend in die Tiefen eines halbdunklen Pooles. An seinem Randende lasse ich mich nieder und stelle den kleinen Weidenkorb behutsam neben mich. Das Brettwerk ist feucht, teichwärts sogar ein wenig moosig. Momentan gedankenfrei, lasse ich meine Füße schlaksig über der Wasseroberfläche baumeln. Der winzige Teich wellt windgeküsst und glänzt unter mir, glatt wie dunkles Kürbiskernöl. Ein lauer Frühlingshaucher streichelt die auftauchenden Mäuler der Koi, die neugierig und erfolglos beginnen, nach meinen ködernden Fußfingern zu schnappen. Eine mir immer wieder rätselhafte Flut hat das Wasser empor gehoben und der versinkende Lichtvater aquarelliert ein ineinander fließendes Bild aus Quitten und Himbeerkonfitüre - wie ich sie fast jeden Morgen auf meinem Teller mische, um damit meine knusprigen Toaste zu bestreichen - an den Horizont. Ein fruchtiger Anblick, der mich pupillensüßt. Klebrig, meine Seele im porzellanen Ichtopf. Mein Vater hatte die ersten Koi vor vielen Zyklen im Weiher unterhalb des Chalets ausgesetzt. Im Moment bilden sie ein Gemisch aus roten, orangen und weißen metallisch glitzernden Suppeneinlagen. Belustigt - so scheint es mir - flitzen sie neben und unter einander mit atemberaubendem Tempo ohne sich zu berühren. Als glitten sie zum Takt einer unhörbaren derhythmisierten Musik. Und wieder verlassen die Gedanken mein Kopfhaus, torkeln aus meinem Ich wie Hühner, an welche man Brot - in Wodka getränkt - verfüttert hat. Das Nichts kribbelt, macht einer tintigen Trauer Platz: Nie wieder wird sie zurückkehren und sich neben mir hier am Steg drängeln; ihre weiche, warme Schulter samtig an meiner raspeln. Ich sinne zurück an jene gänsehäutigen Momente erregender Zweitracht. Meine Seele erschrickt momentan vom Tosen ohnmächtiger Wut. Lautlos brülle ich ihren Namen. Immer und immer wieder. Ich weiß, wer mein größter Feind war und ist, er versteckt sich dumpf brütend in mir. Ohne sie bin ich dem eisigen Antagonisten und seinem wahnigen Lauern schutzloser denn je ausgeliefert. Abwesend greife ich in den Korb an meiner Seite: Es ist an der Zeit, meine blinkenden Freunde zu füttern. Sie ziehen ihre Kreise immer enger und erwartungsvoll um meinen Platz am Steg. Ich werfe ihnen zuerst nur ein kleines Stück zu. Beobachte, wie unter meinen Füßen ein atemberaubendes Gehetze entbrennt, das aus der dunklen Oberfläche ein Schlachtfeld funkelnder Dolche macht. Ich hieve den Korb auf meinen Schoß und nehme - was ist es? – ja, es muss ihr Zeigefinger sein. Entweder der rechte oder der linke; in der Dämmerung kann ich es nicht mehr wahrnehmen. Es ist der letzte Teil ihres Körpers, an dem sich die Koi nun delektieren. Meine Gedanken sind wieder zurück; ernüchterte Hühner federnd im knöchernen Verschlag. |
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