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07.09.2023, 11:01 | #1 |
Erfahrener Eiland-Dichter
Registriert seit: 05.10.2009
Ort: Bratislava-Wien
Beiträge: 616
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Der Beichter (Aus: ATROCIDAT)
Der Beichter
(Aus: ATROCIDAT die Stadt des Tormentors) Die Glasmalereien auf den hohen Fenstern links und rechts des Opfersteines erinnern mich ein wenig an die exquisiten gläsernen Lampenschirme des Künstlers Fernando Sepultura. Sie werfen schemenhaft zarte Farbflecke auf die mächtigen weißen Säulen links und rechts der schweren Holztüren, die zu den Räumen der Peccatorien führen. Der Dom erhebt sich im vordersten Bereich bis in eine Höhe von gewiss nicht weniger als fünfzig Metern. Die erdrückende Luftigkeit über mir lässt mich an die Architekten und Baumeister des 14. Jahrhunderts denken, die sich hier mit ihren - für die damalige Zeit - beispiellosen statischen Glanzleistungen verewigt haben. Bis auf ein leises Wimmern, das aus dem linken Peccatorium ertönt, ist es still im Haus des finsteren Verführers. Ich gehe davon aus, dass es eine Engelin ist, die man hinter den, mit grauenvollen, allegorischen Schnitzereien verzierten, schwarzen Türen gerade foltert. Der Gedanke und die damit verbundene Vorstellung fleuchen mit fiebriger Wärme hirnabwärts in meine Lenden. Die Imagination der von Gertenhieben geröteten, teilweise aufgeplatzten, zarten Haut eines dieser feinen Wesen sendet heiße Hungerfinger durch mein kaltes Befinden. Ich verharre und lausche dem fernen Jammern. Es ist verklungen. Mag sein, die Peiniger bereiten sich nun auf die Vergewaltigung vor. Ich setze mich auf die eiskalte Steinbank der ersten Reihe nächst dem Peccatorium und schließe die Augen. Die Stille verrät mir den Beginn der Vorbereitung von Vagina und Rektum des Engels zur simultanen Penetration. Dabei reinigen die Violonteure erst die Scheide von den Blutungen, welche die scharfen Stahlbürsten im Rahmen der preliminären Folterungen in der Scheide auslösen. Danach werden das Rektum und der Mastdarm von den Fäkalresten befreit, die diese - hervorgerufen durch die Schmerzen stundenlanger Folterungen - gefüllt haben. Eine Emulsion aus feinem Lindenblüten-Öl und saurem Limon sorgt für ein schnelles Verengen der Scheide und bereitet beide Körperöffnungen für die brutale Penetration vor. Die Engelin wird für diese Prozedur auf dem Kreuzigungsstuhl festgeschnallt. Ihre zarten Handflächen werden mit spitzen und scharf geschnittenen Edelstahlgewinden an den beiden Enden des sandelhölzernen Querstrebers fixiert, mit Stahlscheiben versehen und Kopfvätern verschraubt. Dass das in diesem Moment geschieht, verkünden mir die lang gezogenen schrillen Schreie des Engels. Die wenige Minuten später eintretende Stille ist die Folge der Administration schmerzstillender Injektionen in die Unterarme der gepeinigten Schönen. Die Betäubung hält für die Dauer der Perforation an und wird nach Belieben verlängert. Die Violonteure verwenden bei diesem Akt starke erektionsverlängernde Drogen. Wissende und Akteure berichten von dutzenden, spermalosen Ejakulationen während der - sich manchmal über Stunden erstreckenden – Perforation der Opfer. Ein hohes Stöhnen zeugt vom Eindringen der Violonteure in die Körperöffnungen der Engelin. Das Stöhnen wird rhythmischer mit den harten Stößen der Quäler. Bald darauf ist der gurgelnde Schrei einer Männerstimme zu vernehmen. Der erste Orgasmus von einem der beiden Violonteure. Sie werden erst dann von ihrem Opfer lassen, wenn ihre Erschöpfung die synthetische Energie der Drogen übersteigt. Mag sein, dass die Engelin noch heute ihr fragiles Leben aushaucht. Ich erhebe mich und versuche die in mir brodelnde Erregung zu verscheuchen. Meine Schritte straucheln mit meinem Körper über den schwarzen Metallboden, vorbei am Opferstein. Vor den drei Kabinen der Seelen-Voyeure komme ich schwankend zum Stillstand. Ich kann mein Sinnen noch nicht vom Akt der finstersten Gewalt tödlicher Erotik lösen, die wenige Meter von mir in einem der beiden grausigen Peccatorien stattfindet. Vieles von meinem Materiellen würde ich der Custodia übereignen, um für 360 Tage in den unsagbaren Genuss einer der begehrten Lizenzas de Tortura zu kommen. Auf den Wartelisten stehen tausende von Namen der reichsten Bürger und Bürgerinnen dieser Stadt. Die männlichen Engel werden sadistischen Lizensörinnen und Urningen zu gleichen Teilen überlassen. Man munkelt, dass die Grausamkeiten der Frauen jene der Männer bei weitem übertreffen. Am hölzernen Giebel-Kapitell der mittleren Kabine leuchten ein oranges und ein violettes Licht. Der Seelen-Voyeur ist bereit. Die beiden anderen Kabinen sind in schwarze Finsterheit gehüllt. Sie sind demnach unbesetzt. Der Knauf an der Türe schimmert mir mit winziger böser Fratze metallen entgegen. Ich habe einen wesentlichen Teil meiner Balance wieder und öffne die getäfelte schwarze Türe. Beim Eintreten muss ich mich bücken, denn die Türe ist derart nieder, dass jeder – auch Beichter von kleinerem Wuchs - den winzigen Raum in gebückter Haltung betreten müssen. Unzucht und Böses muss sich hier gezwungenermaßen verbeugen. Atrocitat ist nicht nur eine Metropole der Lizenseure. Es gibt Monopole, Duopole, Oligopole und staatliche Exclusivas. Lizenzen gibt es jedoch für alles und jedes, das mit den persönlichen Bedürfnissen des Adels und der Bürger dieser Stadt zu tun hat. Um ein Seelen-Voyeur zu werden genügt es allerdings, einen der vielen Fernkurse der Custodia de Atroc zu buchen. Die initialen Kosten sind erträglich und die schriftliche Prüfung schwindelerregend einfach. Eben ein reiner Schwindel. Ist man jedoch von der einmal jährlich stattfindenden Lotterie als einer der Wenigen gezogen, muss man eine nicht unbeträchtliche Lizenzgebühr bezahlen. Sie entspricht etwa dem gesamten Unterhalt einer Lebensperiode für eine vierköpfige Familie von Unwesentlichen. Trotz der niederen Bürger-Kaste eine beträchtliche Summe. Ein Ablehnen der Lizenz wäre mit einer fünfjährigen Verbannung aus der Stadt geahndet. Mir ist bis heute keine bekannt. Die zusätzliche Lizenz eines Ablassers, des so genannten Remisiónares, ist dagegen nur für wenige erschwinglich. Sünden zu vergeben ist ein interessanter und sehr einträglicher Beruf. Eine Stadt wie Atrocitat, in der es von Mördern, Vergewaltigern und jeglicher Art von Kriminellen nur so wimmelt, ist ein goldenes Pflaster für jene großherzigen und giermütigen Notare des „Finsteren Verführers“, wie man sie in gehobenen Kreisen unserer Stadt ironisch nennt. Zurzeit gibt es nur einen in Atrocitat. Er sitzt – schemenhaft verdeckt durch eine fein ziselierte Jalousie – 20 Zentimeter von mir entfernt. Es ist ein Mord, den ich zu gestehen habe, und ich erwarte Verzeihung und schnelle Absolution. Er wird einen Wechsel – gezogen auf die Banco Central de Atrocitat - dafür verlangen und annehmen. Jedoch erst nach der momentanen Löschung meiner Sünde aus dem Kataster des „Dunklen Verführers“. Dies ist die Regel und damit das Ironische am Beruf des Remisiónares. Es ist sein Risiko, einem Mörder - ohne dessen Gesicht zu kennen - zu verzeihen und vielleicht mit einem ungedeckten Wechsel am Bankschalter zu erscheinen. In diesem Falle ist der Remisiónare gezwungen, den gleichen Betrag innerhalb einer Frist von 30 Tagen an der Kasse der Custodia zu hinterlegen. Danach beginnt die Jagd auf den Betrüger, der nun nicht mehr wegen Mordes verfolgt werden kann. Dieser wurde ihm verziehen und vergeben. Der Remisiónare engagiert zu diesem Zwecke mindestens drei Jäger, so genannte Cazadores, die selbst wegen vergebener Morde und offener Ablasszahlungen in seiner Schuld stehen. Der Remisiónare hat seinen Kopf ganz nahe an die Sandelholz-Jalousie gelehnt und lauscht den wenigen Worten, mit welchen ich das Geständnis in sein Ohr flüstere. „Du hast Entsetzliches verübt, Sohn des Finsteren. In Seinem Eogzentro sei dir hiermit jedoch vergeben.“ Noch während dieser beinahe gekeuchten Worte versucht er sich zu erheben und die Kabine zu verlassen. Die schnelle und präzise Stoßbewegung meiner Hand, die das erste lange Stiletto zwischen den Jalousien durch seinen Hals treibt, hindert ihn jedoch daran. Ich vernehme sein gurgelndes Grunzen während ich das zweite Stiletto kraftvoll und gezielt mit einem Faustschlag durch den Schläfenknochen in sein saftiges Zerebrum stoße. Nur das zarte Knirschen der Schläfenwand war zu hören. Ich verlasse den Gestorbenen mit einem lautlosen Betfluch auf den Lippen. Wie ironisch, es gibt nun keinen Remisiónare mehr in Atrocitat, der mir diesen Mord vergeben könnte. Jeder der 665 Vorherigen hatte mir den Mord des Vorherigen vergeben. Mein Gewissen stundet meiner wunden Seele keine unvergeben Sünde. |
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