28.08.2010, 11:06 | #1 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Seitensprung
Seitensprung
Kaum war er eingeschlafen, als ihn seine Frau wach rüttelte. „Die ganze Zeit habe ich wach gelegen, konnte nicht einschlafen, habe auf dich gewartet. Jetzt brauchst du auch nicht zu pennen.“ „Lass mich in Ruhe.“ „Dich in Ruhe lassen? Das könnte dir so passen, ich hatte auch keine Ruhe. Immer diese Sauferei...“ „Ach hör doch auf, lass mich jetzt schlafen.“ Sie rüttelte ihn wieder wach, diesmal gelang es ihr nicht gleich. „ Jetzt will ich mit dir reden...“ Er wusste, dass sie so weitermachen würde. Ablenken musste er sie. Er richtete sich im Bett auf, zeigte mit dem Finger in eine Ecke des Zimmers. „Was macht der Mann da?“ „Was für ein Mann, bist du jetzt völlig wahnsinnig geworden?“ „Na ja, der Mann, der da in der Ecke steht.“ Sie machte das Licht an. „Wo ist hier ein Mann?“ „Na da, schau doch hin, jetzt geht er in die Küche.“ „Ach hör doch mit dem Quatsch auf. Immer wieder hockst du die ganze Nacht irgendwo rum und lässt dich volllaufen..“ Recht hat sie eigentlich, dachte er. Er trank zu viel, sagte aber: „An deiner Stelle würde ich mal ganz ruhig sein, was du so treibst!“ „Was?“ „ Du weißt schon was ich meine, ich bin doch nicht blöd!" Sie schwieg plötzlich, er war überrascht, hatte an nichts Bestimmtes gedacht. Wusste er etwas nicht, was er hätte wissen müssen? Ihm war bisher nichts aufgefallen. Hatte seine Frau einen Freund, betrog sie ihn? Unmöglich dachte er, fragte sie aber dann: „Wer ist der Kerl? Kenne ich ihn?“ „Welcher Kerl?“ „Na, der Kerl, mit dem du dich triffst, mit dem du ein Verhältnis hast?“ „Von wem redest du? Was für ein Verhältnis?“ „Für wie blöd hältst du mich eigentlich? Glaubst du, ich bin ein Vollidiot? Deine häufigen Besuche beim Ohrenarzt! Ich habe ihn angerufen“, log er, „er kennt dich überhaupt nicht, ich hab dann gesagt, dass ich wohl eine falsche Nummer gewählt hätte!“ Sie antwortete nicht, bohrte mit ihrer Zunge in einer Backe herum, wie sie es immer machte, wenn sie über etwas angestrengt nachdachte. Ihre langen schwarzen Haare fielen ihr über die Schultern. Attraktiv sah sie aus, begehrenswert. „Wie lange geht das schon?“ Sie schaute ihn nicht an, flüsterte dann: „Drei Monate.“ „Wer ist er, kenne ich den Kerl? Mit wem hast du mich betrogen?“ „ Du kennst ihn sowieso nicht.“ „Wie ist es dazu gekommen?“ Sie zögerte längere Zeit, sagte dann: „Mit achtzehn habe ich dich geheiratet, jetzt bin ich dreißig. Du kennst nur deine Arbeit, interessierst dich kaum für mich. Wir machen fast nie etwas zusammen. Eine Ehe habe ich mir anders vorgestellt. Ich habe mich manchmal bei dir sehr einsam gefühlt, wollte mit dir reden, aber du warst nicht dazu bereit. Dann kam ein Mann, der mich beachtete, mir zuhörte, mich in den Arm nahm und zärtlich zu mir war. Du hast nie um mich gekämpft, mir nie gezeigt, dass ich wichtig für dich bin.“ Sie hatte sich im Bett auf die Seite gedreht, schaute an die Wand. „Wie soll das jetzt weitergehen? Was stellt du dir vor, was willst du?“ Sie fing an zu weinen. „Ich weiß auch nicht.“ Werner saß im Garten, schien überrascht zu sein, ihn zu sehen. „Schön, dass du gekommen bist, wir könnten zusammen eine Flasche Sekt trinken und überlegen, wohin wir das nächste Mal angeln gehen.“ Er brachte in einem Eiskühler den Sekt, goss beiden ein. „Prost dann“, sagte Werner. „Ich muss mit dir reden, brauche deinen Rat, Eva betrügt mich, hat eine Beziehung mit einem anderen Mann.“ Werner sprang auf, setzte sich dann wieder, trank in einem Zug sein Glas aus, schenkte sich gleich wieder ein. „Was? Mit wem?“ „Weiß ich nicht.“ „Verdächtigst du jemanden?“ „Durch Zufall habe ich es endlich gemerkt, wohl als Letzter. Wer es ist, weiß ich nicht, interessiert mich im Augenblick auch nicht. Ich brauche deinen Rat, was soll ich jetzt machen?“ „Wie bist du denn dahinter gekommen? Wann?“ „Gestern, als ich von deiner Geburtstagsfeier nach Hause kam, sie hat sich selber verraten.“ „Was hat sie dir denn erzählt?“ „Mir hat sie die Schuld gegeben, ich hätte mich zu wenig um sie gekümmert. Sie hätte deswegen eine Beziehung mit einem anderen begonnen. Mit wem wollte sie nicht sagen.“ Werner stand auf, sagte, er müsse noch schnell einen dringenden Anruf erledigen. Als er zurück kam, goss er noch einmal die Gläser voll. „Wir haben oft über Evolution diskutiert. Ich glaube, dass sie auch auf Seitensprünge anwendbar ist. Wenn der Schwanz steht, schaltet das Gehirn ab. Wir werden in unserem Verhalten durch hormonale Schlüsselreize gesteuert, unsere Kulturzeit ist erst kurz. Lustbetont, sind wir alle, Männer und Frauen, programmiert, viele Nachkommen zu zeugen. Ein Seitensprung ist so wenig auszuschließen wie ein Verkehrsunfall.“ Sie hörten ein Auto, Werners Frau war zurückgekommen. Er merkte, dass ihm ein Gespräch mit seinem Freund nicht weiter helfen würde. Werner stand auf und sagte: „Schmeiß sie raus!“ Vor dem Haus stand ein Taxi, Eva kam ihm mit einem Koffer entgegen. „Rausschmeißen soll ich dich, hat Werner gesagt.“ Sie schaute ihn erstaunt an. „Das hat dein bester Freund gesagt? Du hast mich gefragt, wer der Kerl sei, ich wollte es dir eigentlich nicht sagen. Es ist Werner.“ Sie stieg ins Taxi ein und drehte sich nicht noch einmal um. Bleich lag sie mit geschlossenen Augen da. Kabel und Schläuche waren mit ihr verbunden. Als der Anruf vom Krankenhaus gekommen war, war er sofort hingefahren. Ihr Taxi sei mit einem Lastwagen zusammengestoßen, sagte man ihm. Das musste passiert sein, nachdem sie von ihm weggefahren war. Sie lag im Koma. Seit zwei Tagen saß er an ihrem Bett. Er schaute sie immer wieder an und streichelte ihr über das Gesicht. Er dachte an alles, was sie vor langer Zeit gemeinsam gemacht hatten, an Wanderungen, Reisen und lange, intensive Gespräche. Er hatte nicht gemerkt, dass etwas langsam verloren ging. Aus dem Miteinander war ein Nebeneinander geworden. Manchmal werden Wege eng, man kann nicht mehr nebeneinander gehen. Sie war zu weit voraus gegangen, er konnte jetzt nicht mehr nachkommen. „Dreh dich um, dreh dich um“, rief er laut. Sie öffnete plötzlich die Augen und an ihrem Blick merkte er, dass sie ihn nicht erkannte.
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>Die Kritiker nehmen eine Kartoffel, schneiden sie zurecht, bis sie die Form einer Birne hat, dann beißen sie hinein und sagen: „Schmeckt gar nicht wie Birne.“< (Max Frisch) |
07.12.2010, 21:13 | #2 |
Lyrische Emotion
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Hallo Pedro,
das ist dumm gelaufen, würde ich mal so sagen. Die beiden hatten sich wahrscheinlich sowieso nicht mehr viel zu sagen. Daß seine dreiste These dann ein Volltreffer sein würde, hätte er sich sicherlich auch nicht gedacht. Noch ein guter Schlag obendrauf war dann wohl, daß sein bester Freund daran beteiligt gewesen ist. So musste dann wohl erst dieser schreckliche Unfall geschehen, um sich auf die schönen gemeinsamen Zeiten zu besinnen. Doch das war dann schließlich zu spät. Obwohl Evas Überleben in dieser Geschichte offen bleibt, fällt mir spontan ein alter Spruch dazu ein: "Die Menschen ehren ihre Toten, weil sie es bei den Lebendigen vergessen haben." Wie so oft bei deinen Geschichten bleibt auch hier ein bitterer Nachgeschmack hängen. So ein Schicksal kann man dann letztlich nur noch resignierend hinnehmen. In diesem Sinne gerne gelesen und kommentiert... Liebe Grüße Bis bald Falderwald
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Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine) Für alle meine Texte gilt: © Falderwald --> --> --> --> --> Wichtig: Tipps zur Software |
08.12.2010, 03:28 | #3 | |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Moregn Falderwald,
Zitat:
Danke für deine Rückmeldung. Gruß Pedro
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>Die Kritiker nehmen eine Kartoffel, schneiden sie zurecht, bis sie die Form einer Birne hat, dann beißen sie hinein und sagen: „Schmeckt gar nicht wie Birne.“< (Max Frisch) |
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