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Alt 28.10.2010, 08:20   #1
Pedro
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Standard Wahre Geschichte (1993)

Wahre Geschichte (1993)

Singh Bular will jetzt nur noch nach Hause. „Nach Hause“, wie das klingt, sein Zuhause ist seit 20 Jahren in Deutschland.

Am Taxistand ist gerade ein Taxi angekommen. Er geht schnell hin, nicht dass irgendjemand es ihm wegschnappt. Heute würde er sich einmal ein Taxi leisten, sonst fährt er immer mit dem Bus.

„Sie kann ich nicht fahren“, sagt der Taxifahrer, als er einsteigen will.
„Warum nicht?“, fragt er.
„Sie sehen so ausländisch aus und ich darf so was nicht fahren. Haben Sie Papiere dabei?“

„Was soll denn das?“
„Sie sind Ausländer, ich sehe ja, was ausländisch aussieht, und das fahre ich nicht, wenn keine Papiere da sind. Wenn mich ein Polizist anhält, und Sie sind illegal hier, dann sagt der: „Wie sieht denn der aus, der sieht doch ausländisch aus.“
Einen von meinen Kollegen haben sie schon mal angehalten, weil er jemanden transportiert hat wie Sie, und dann hatte er ein Verfahren am Hals, ein Jahr und zehn Monate ohne Bewährung. „Beihilfe zur Einschleusung von Ausländern“, hat der Richter gesagt.
Er hatte vorher nie was mit der Polizei zu tun gehabt., er hat praktisch nur seine Arbeit gemacht.“

„Sie sollen mich nicht über die Grenze fahren, wir sind hier nicht in irgendeinem Waldstück sondern mitten in der Stadt. Ich lebe seit zwanzig Jahren hier und habe einen deutschen Pass.“
„Zeigen Sie ihn!“
„Ich trage nicht immer meinen Pass mit mir. Haben Sie ihren dabei?“
„Nein, brauche ich nicht, ich sehe nicht ausländisch aus. Ich hab’ mal einen vom Flughafen abgeholt, der sah auch ausländisch aus. Ein Polizist hat zu mir gesagt, dass es mir völlig klar sein müsste, dass ich nicht illegale Eingereiste befördern könnte. Der hatte dann aber Papiere dabei.“

„Hören Sie, ich möchte in die Glümerstraße, Glümerstraße 22, da wohne ich.“
„Ja, das können Sie mir erzählen, das können Sie mir erzählen, so oft Sie wollen, ich befördere Sie trotzdem nicht.“
„Ich habe den ganzen Tag gearbeitet, bin müde, und ich möchte, dass Sie mich zu der angegebenen Adresse fahren.“
„Ja, und ich sage, ich kann Sie nicht befördern, ich weiß nicht, ob Sie legal in Deutschland sind oder illegal.“
„Aber das geht Sie doch gar nichts an.“
„Nein, aber ich habe dann Probleme mit der Polizei.“
„Ich möchte, dass Sie mich nach Hause fahren!“
„Wir können noch eins machen, die Polizei anrufen. Die soll kontrollieren, ob Sie zum Aufenthalt hier berechtigt sind. Und wenn die sagen, okay, dann können wir fahren.“

Eine Frau kommt. Sie sieht nicht ausländisch aus. Sie nennt eine Adresse, zu der sie gefahren werden will, steigt ein. Das Taxi fährt davon.

Kopfschüttelnd steigt er in einen Bus. Seit 20 Jahren lebt er in Deutschland in der Nähe der polnischen Grenze, ist Deutscher und doch nicht Deutscher.

Aus der Zeitung weiß er, dass jüdische Friedhöfe verwüstet wurden. Ausländer wurden als Parasiten und Asylbetrüger beschimpft.
Er hatte gelesen, dass Brandanschläge auf Ausländerwohnheime stattfanden, Ausländer wurden von Skinheads mit Messern, Knüppeln, Schlagringen, Eisenstangen, Baseballschlägern und Brandflaschen angegriffen. Männer, Frauen und Kinder wurden verbrannt. Menschen hatten sich in ihrer Angst und Verzweiflung selbst umgebracht, hatten sich vor Züge geworfen, waren aus Fenstern brennender Häuser und von Dächern gesprungen.
Neo–Nazis brachten über 150 Menschen auf offener Straße um, über 80 Tote gab es beim Grenz-Schutz–Einsatz des Bundesgrenzschutzes an der Grenze nach Polen.
Bei vielen Zwischenfällen hatten Deutsche nur zugeschaut, nicht eingegriffen, teilweise Beifall geklatscht.
Die Polizei griff bei Zwischenfällen teilweise nur sehr zögernd ein, Gerichtsurteile waren äußerst milde gewesen.
Deutsche, die sich für Belange von Ausländern eingesetzt hatten, es waren wenige, wurden beschimpft, beleidigt und bedroht.
Sie erhielten Briefe:
„Für Vertreter nichtdeutscher Interessen müssen Lager geschaffen werden, in denen sie wieder lernen, sich primär für das Wohl ihres eigenen Volkes einzusetzen.“
Ihm war bisher nichts passiert.
__________________
>Die Kritiker nehmen eine Kartoffel, schneiden sie zurecht, bis sie die Form einer Birne hat, dann beißen sie hinein und sagen: „Schmeckt gar nicht wie Birne.“< (Max Frisch)
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Alt 17.12.2010, 09:38   #2
LyTau
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Hallo Pedro,

Hallo Pedro,
ich finde, deine Geschichte ist dir nicht so ganz gelungen. Nicht überzeugend, skurill unrealistisch... Warum?
Es versucht einen Eindruck zu vermitteln, der mich irgendwie an propagandistische Parolen erinnert. Die darüber hinaus in schwarzweiß-Tönen nur grob skizziert wurden. An ähnlich gefärbte Parolen kann ich mich noch sehr gut erinnern. Ich habe sie in meinem Heimatland mal live erlebt.
Aus dem Land, wo man solche Parolen im Großen praktizierte, musste ich fliehen. Ich denke, dass jedes Gastland die eigene kulturelle und religiöse Zugehörigkeit
gut pflegen und schätzen soll. Und ein Gast in einem Land soll immer die Kultur des betreffendes Gastlandes unbedingt respektieren und achten.
Denn, wenn Respekt auf beiden Seiten vorhanden wäre, käme es nie zu ernsteren Problemen im Zusammenleben der verschiedensten Kulturen.
Zu Problemen kommt es immer dann, wenn eine Seite aufhört, diese unbeschrieben Regeln zu respektieren, und versucht sie außer Kraft zu setzen, um eigene Regeln einzuführen. Und wenn ein Deutscher dabei seine Stimme erhebt, greift man zum Rassistenvorwurf... Nee, nee. So einfach ist es nicht...

LG LyTau
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Alt 17.12.2010, 14:15   #3
Pedro
Erfahrener Eiland-Dichter
 
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Hallo LyTau,


Zitat:
ich finde, deine Geschichte ist dir nicht so ganz gelungen. Nicht überzeugend, skurill unrealistisch...
-Unrealistisch? Die Geschichte ist tatsächlich fast genauso passiert!

Zitat:
Ich denke, dass jedes Gastland die eigene kulturelle und religiöse Zugehörigkeit
gut pflegen und schätzen soll. Und ein Gast in einem Land soll immer die Kultur des betreffendes Gastlandes unbedingt respektieren und achten.
- Die Kultur des Gastlandes unbedingt respektieren? Da kann man wohl auch anderer Meinung sein.
Davon ist in dieser Geschichte auch nicht die Rede.

Zitat:
Und wenn ein Deutscher dabei seine Stimme erhebt, greift man zum Rassistenvorwurf... Nee, nee. So einfach ist es nicht...
-Nee, es ist viel komplizierter, passiert ja in unserem Land auch nicht, dass jemand ausländerfeindlich ist!

Gruß

Pedro
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>Die Kritiker nehmen eine Kartoffel, schneiden sie zurecht, bis sie die Form einer Birne hat, dann beißen sie hinein und sagen: „Schmeckt gar nicht wie Birne.“< (Max Frisch)
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Alt 17.12.2010, 16:38   #4
LyTau
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Hi Pedro,
Zitat:
Die Kultur des Gastlandes unbedingt respektieren? Da kann man wohl auch anderer Meinung sein.
...ähm...


Zitat:
Davon ist in dieser Geschichte auch nicht die Rede.
das habe ich leider auch gemerkt... Gerade deswegen betrachte ich deine Geschichte als befangen, schwarz-weiss orientiert und einseitig formuliert...
Übrigens, bei uns habe ich meistens nur sehr freundliche ausländische Taxifahrer erlebt...


Zitat:
Nee, es ist viel komplizierter, passiert ja in unserem Land auch nicht, dass jemand ausländerfeindlich ist!
welches Land meinst du mit unserem Land?
Natürlich ist alles viel komplizierter, als es deine Geschichte suggerieren möchte... Ein Auswanderer kann seine Wurzeln nicht wirklich leugnen.
Er kann nur versuchen aus der Situation das beste zu machen. Oder die Konsequenzen ziehen...
Immerhin haben wir uns frei dazu entschieden, wo wir leben möchten.

liebe Grüße
LyTau
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Alt 18.12.2010, 00:13   #5
Falderwald
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Hallo Pedro,

was dein Protagonist Singh Bular hier erlebt hat, empfinde ich ebenfalls als eine Frechheit.
Allerdings hätte er besser einmal die Polizei kommen lassen, dann hätte der beschriebene Taxifahrer ganz schnell ein übles Verfahren am Hals gehabt, was ihn als Fahrer den P-Schein bzw. als Unternehmer sogar die Konzession hätte kosten können.
Denn das Personenbeförderungsgesetz schreibt eindeutig eine Beförderungspflicht des Taxis innerhalb seines Pflichtfahrgebietes vor.
Das weiß ich so genau, weil ich selbst lange Jahre Taxiunternehmer gewesen bin.
Es gibt nur ganz wenige Gründe, die es einem Taxifahrer erlauben, die Beförderung eines Fahrgastes abzulehnen und dazu gehört ganz bestimmt nicht ein fremdländisches Aussehen.
Deshalb kann ich die nicht zu verhehlende Empörung in dieser Geschichte auch gut nachvollziehen, denn ein "ordentlicher" Taxifahrer tut so etwas nicht.

Allerdings kann ich LyTaus Kritik an dieser Geschichte zum Teil ebenfalls gut nachvollziehen.
Und das liegt bestimmt nicht am ersten Teil, sondern mehr am letzten, in dem Taten geschildert werden, die mit dem eigentlichen Geschehen überhaupt nichts zu tun haben.

Wir haben hier auf der einen Seite einen äußerst stupiden Taxifahrer, der gar nicht wusste, was für einen Scheiß er da laberte und auf der anderen neofaschistische Gewalttäter, denen es sehr wohl bewusst ist, was sie anrichten. Und diese beiden Typen haben nichts, aber auch gar nichts miteinander gemeinsam.

Dem Taxifahrer kann keine der geschilderten Taten vorgeworfen werden.
Er hat lediglich aus Unwissenheit und Dummheit gehandelt, weil er glaubte, dies zu seinem eigenen Schutze tun zu müssen.

Die weiter unten geschilderten Vorfälle mit dem oben erzählten Erlebnis zu verknüpfen, schießt m. E. weit über das Ziel hinaus.

Und wenn das wirklich die Gedanken des Protagonisten bezüglich eines einmaligen persönlichen, durchaus sehr ärgerlichen Erlebnisses waren, denn ihm war ja bisher nichts dergleichen passiert, dann reicht sein geistiger Horizont keinen Deut weiter, wie der des Taxifahrers.
Was hat er denn in den 20 Jahren, die er hier lebt, erfahren müssen, was ihn jetzt so auf das ganze Land schließen lässt?

Das ist die Frage, die deine Geschichte in der vorliegenden Form unbeantwortet lässt.

Ich bin auch der Meinung, daß die Botschaft in dieser Erzählung einiges zu wünschen übrig lässt, denn sie bedient sich hier eines ziemlich üblen Klischees.

Persönlich denke ich, daß es der Preis für eine relativ freie Demokratie ist, auch mit den negativen Elementen und Bestrebungen der Gesellschaft leben zu müssen, die zwar nicht wünschenswert, aber dennoch vorhanden sind.
Und weil wir hier in Deutschland leben, fällt dies, durch die Umstände unserer jüngeren Geschichte, viel schwerer ins Gewicht als in jedem anderen Staat dieser Welt, wo es Tag für Tag genau die gleichen Probleme gibt.

Und ich weiß nicht, was an einem deutschen, gewaltbereiten Nationalisten schlimmer sein sollte, als an einem amerikanischen, französischen oder jenen anderer Nationalitäten.
Im Gegenteil ist Deutschland eines der liberalsten Länder in Bezug auf Ausländerpolitik überhaupt.
Keine Frage, das Fehler gemacht wurden, aber solche Taten, wie die hier beschriebenen, sind allesamt Taten von Einzelnen, die kein normaler Mensch gutheißen kann und damit auch kein Spiegelbild unserer Gesellschaft darstellen.
Ich kann mich als gebürtiger Remscheider noch genau an den Brandanschlag auf ein Asylbewerberheim in der Nachbarstadt Solingen erinnern, der genau in dem Jahr stattfand, in der deine Geschichte angesiedelt ist.
Und wir sind damals alle auf die Straße gegangen, um unsere Solidarität mit den Opfern zu bekunden und ich kenne niemanden, der nicht echte Trauer, Wut und Empörung über dieses feige Tätergesindel empfunden hätte.
Noch heute erinnert ein Mahmal an diese schreckliche Tat.

Gerade in der heutigen Zeit, wo die Integrationsdebatte, allerdings aus einem ganz anderen Hintergrund, wieder in den Mittelpunkt rückt, braucht es versöhnliche Stimmen und nicht jene, die wieder Wasser auf die Mühlen gießt.


Trotz aller Kritik gerne gelesen, kommentiert und mitdiskutiert...


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald
__________________


Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)



Falderwald ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 18.12.2010, 04:22   #6
Pedro
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Morgen Falderwald,

im Grunde genommen teile ich deine Ansichten. Ich wollte mit meinem kleinen Text nur zum Nachdenken anregen, will gewisse "Auswüchse" nicht verallgemeinern, sehe Aversionen gegen Ausländer in Deutschland nicht schlimer als in vielen anderen Ländern.

Gruß

Pedro
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>Die Kritiker nehmen eine Kartoffel, schneiden sie zurecht, bis sie die Form einer Birne hat, dann beißen sie hinein und sagen: „Schmeckt gar nicht wie Birne.“< (Max Frisch)
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