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Alt 05.05.2011, 12:56   #1
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Hi, Faldi!

Sehr schön erläutert! Ich denke, wir diskutieren vielleicht ein wenig aneinander vorbei und MEINEN in vielem ohnehin dasselbe.

Es ist nur so, WIE du manche Sätze formulierst, dass es für mich einen eher anthroposophischen Eindruck erwecken: So als gäbe es die Erde, wie sie ist, WEGEN uns, als Konzept für die Erhaltung unserer Existenz - was wiederum einen "göttlichen" oder zumindest übergeordneten Willen vermuten ließe...

Natürlich gehe ich davon aus, dass es genau umgekehrt ist: Die "Bedingungen" waren zuerst da, und das zufällig entstandene Leben passte sich evolutionär so an, dass es überhaupt erst mal überleben KONNTE!
Wahrscheinlich ist die ursächliche Entstehung des Lebens weit unspektakulärer, als du mit deinen "Konzepten" unterstellst - ein simpler Zufallsprozess. Mutation und damit Evolution laufen ja seitdem ebenso ab: Als Zufallsprodukte, die sich durchsetzen - oder eben nicht.
Ebenso die Entwicklung von "Bewußtsein": Als "Ichsimulation", die es dem Zellhaufen ermöglichte, sein Umwelt abgegrenzt - und damit exakter - wahrzunehmen, somit rascher und adäquater darauf (und darin) zu reagieren und sich so einen evolutionären Vorteil zu verschaffen, siehe auch: Geburt der Räuber...

Du weißt übrigens sehr wohl, wie ich das gemeint hatte, als ich schrieb, dass keineswegs "auf der Hand liege", dass "da noch irgendetwas sein müsse", nicht wahr. Da unterstellst du MIR nun, was du eingangs für dich selbst in Beschlag nahmst: Die Voraussetzung, über den Level gewisser "Missverständnisse" eigentlich schon hinaus zu sein.
Natürlich gibt es noch viel zu erfahren, zu lernen, zu erforschen. Aber all dem, was wir "noch nicht wissen", nun gleich ein tieferes Wollen und Wirken zu unterstellen, finde ich nicht folgerichtig. Was wir herausfinden werden, kann alles Mögliche sein, auch Banales, und muss nicht zwangsläufig den Weg zur Existenzerkenntnis einer "höheren Ordnung oder Willenskraft" ebnen - die vielleicht nie existiert hat.
So gesehen tu ich mich mit deiner Argumentationkette schwer, oder ich missinterpretiere schon wieder.

LG, eKy

PS: Ich find's übrigens recht lustig, wie wir hier daherschreiben: Ich bezeichne mich als Gefühlsdichter, dein Beiname lautet "lyrische Emotion"! Also, dafür fachsimpeln wir hier eher wie furztrockene Wissenschaftstheoretiker, findest du nicht? Sehr unterhaltsam, das...(schmunzel, zwinker, extrabreitgrins)
__________________
Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen!
Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind.
Dummheit und Demut befreunden sich selten.

Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.
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Alt 05.05.2011, 23:19   #2
Falderwald
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Moin Erich,

ich fang erst mal hinten an...

Zitat:
PS: Ich find's übrigens recht lustig, wie wir hier daherschreiben: Ich bezeichne mich als Gefühlsdichter, dein Beiname lautet "lyrische Emotion"! Also, dafür fachsimpeln wir hier eher wie furztrockene Wissenschaftstheoretiker, findest du nicht? Sehr unterhaltsam, das...(schmunzel, zwinker, extrabreitgrins)
Das liegt wahrscheinlich an meiner derzeitigen Lektüre. Neben Kant und Schopenhauer, sowie Philosophen des Zen-Buddhismus' kommt mir höchstens noch Goethe ins Hirn (damit ich den Bezug zur Lyrik nicht ganz verliere). Nebenbei noch Mathe auffrischen, dazu Physik, Chemie, (Human)Biologie und Psychologie, dann weißt du wohl, daß dies durchaus trockener Stoff sein kann. Was willst du also erwarten?

Zitat:
Es ist nur so, WIE du manche Sätze formulierst, dass es für mich einen eher anthroposophischen Eindruck erwecken: So als gäbe es die Erde, wie sie ist, WEGEN uns, als Konzept für die Erhaltung unserer Existenz - was wiederum einen "göttlichen" oder zumindest übergeordneten Willen vermuten ließe...
Mit Anthroposophie habe ich mich bisher noch nicht näher auseinander gesetzt. Nur ganz am Rande habe ich von Rudolf Steiner gehört, dessen Philosophie Elemente des deutschen Idealismus, der Weltanschauung Goethes, der Gnosis, fernöstlicher Lehren sowie der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse verbindet.
Das kommt noch und deshalb kann ich zu deiner Aussage wenig beisteuern.
Eigentlich vertrete ich mehr die Schopenhauersche Philosophie und spätestens seit Kants Kritik der reinen Vernunft ist der theosophische "Beweis" für die Existenz eines höchsten notwendigen Wesens widerlegt.
Natürlich fließen eigene, subjektive Vorstellungen immer mit ein. "Vorgekaute" Philosophien kritiklos anzunehmen, führte nur zu neuen Dogmen und wäre deshalb nicht besser als irgendein Glaube.

Zitat:
Natürlich gehe ich davon aus, dass es genau umgekehrt ist: Die "Bedingungen" waren zuerst da, und das zufällig entstandene Leben passte sich evolutionär so an, dass es überhaupt erst mal überleben KONNTE!
Wahrscheinlich ist die ursächliche Entstehung des Lebens weit unspektakulärer, als du mit deinen "Konzepten" unterstellst - ein simpler Zufallsprozess. Mutation und damit Evolution laufen ja seitdem ebenso ab: Als Zufallsprodukte, die sich durchsetzen - oder eben nicht.
Das ist nur teilweise richtig.
Selbstverständlich mussten erst die "Bedingungen" gegeben sein, dann aber entstand das Leben als eine logische und konsequente Folge daraus.
Vielleicht waren die entstandenen Bedingungen (hier auf der Erde) zufällig, weil dafür wiederum bestimmte "Bedingungen" gegeben sein mussten usw., nicht aber das daraus resultierende Leben.
(Wir können ja noch nicht einmal davon ausgehen, daß hier der erste Versuch der Natur stattfand, belebte Materie zu erschaffen.)

Wir können das aber jetzt drehen und wenden, wie wir wollen, es geht kein Weg daran vorbei, daß alles einen Grund hat.
Jeder Veränderung geht ein Grund voraus. Kein Ding kommt in Bewegung, wenn keine Kraft darauf einwirkt.
Schopenhauer sagt: "Wenn ein neuer Zustand einer oder mehrerer realer Objekte eintritt; so muss ihm ein anderer vorhergegangen sein, auf welchen der neue regelmäßig, d.h. allemal, sooft der erstere da ist, folgt. Ein solches Folgen heißt ein Erfolgen und der erstere Zustand die Ursache, der zweite die Wirkung."
Da wir Menschen und alle anderen empirisch fassbaren "Dinge" vorhanden sind, ist von einem Bestreben der Natur auszugehen, diese erschaffen zu haben und, solange keine gegebener Grund eine Veränderung bewirkt, sie in ihrem Zustand erhalten zu wollen, was ich weiter oben schon als blinden und vernunftlosen Weltwillen dargestellt habe, der keinem höheren Bewusstsein entspringt.
Wenn ich noch einmal darüber nachdenke, sind der Mensch und alle anderen Lebewesen auf diesem Planeten wohl doch keine bloßen Zufallsprodukte, wie weiter oben von mir vorschnell bestätigt wurde, sondern vielmehr eine zwangsläufige Folge der gegebenen "Bedingungen" auf unserer Erde, also eine Wirkung, die auf eine Ursache erfolgt.
Zufall ist vielleicht, daß das Leben gerade diesen Planeten verseucht hat (s.o.).
Wenn es nicht so wäre, würden wir uns heute vielleicht auf einem anderen, ähnlichen Himmelskörper befinden und intellektuell auseinander setzen.

Zitat:
Ebenso die Entwicklung von "Bewußtsein": Als "Ichsimulation", die es dem Zellhaufen ermöglichte, sein Umwelt abgegrenzt - und damit exakter - wahrzunehmen, somit rascher und adäquater darauf (und darin) zu reagieren und sich so einen evolutionären Vorteil zu verschaffen, siehe auch: Geburt der Räuber...
Das ist mir schlicht zu simpel. Was soll denn eine "Ichsimulation" sein?
Wer will hier etwas simulieren und vor allem warum und für wen und welchen Nutzen erfüllt dies?

Doch nehmen wir einmal an, daß es sich so zugetragen hätte, dann fragt sich, was den Zellhaufen plötzlich bewog, seine Umwelt abzugrenzen, damit exakter wahrzunehmen und somit optimaler zu reagieren?
Welche Notwendigkeit bestand darin, sich plötzlich einen Vorteil verschaffen zu müssen?
Doch nicht etwa der Wille zum Überleben, also zur Existenz überhaupt?

Der Wille der Natur manifestiert sich in allen Dingen.
Will der Vogel etwa fliegen, weil er Flügel hat?
Nein, er hat Flügel, damit er fliegen kann.
Genau so verhält es sich mit dem Menschen.
Er besitzt ein hochentwickeltes Gehirn, damit er denken kann (oder dies zumindest glaubt ).
Schon Aristoteles sagte: "Die Natur schafft die Organe der Betätigung willen, aber nicht die Betätigung wegen der Organe."

Zitat:
Du weißt übrigens sehr wohl, wie ich das gemeint hatte, als ich schrieb, dass keineswegs "auf der Hand liege", dass "da noch irgendetwas sein müsse", nicht wahr. Da unterstellst du MIR nun, was du eingangs für dich selbst in Beschlag nahmst: Die Voraussetzung, über den Level gewisser "Missverständnisse" eigentlich schon hinaus zu sein.
Nun, du verwendest diese Aussage aber so missverständlich, daß sie impliziert, aus meinen Ausführungen Rückschlüsse auf ein höheres Bewusstsein entnehmen zu können.
Zumindest Grundkenntnisse der Kant'schen und Schopenhauer'schen Philosophien, sowie den platonischen Ideen hatte ich jetzt auf diesem Niveau der Diskussion schon unterstellt.
Und keines dieser drei Genies, sah sich im Stande, alles erklären zu können, denn es wird immer auch auf den metaphysischen Hintergrund verwiesen.


Zitat:
Natürlich gibt es noch viel zu erfahren, zu lernen, zu erforschen. Aber all dem, was wir "noch nicht wissen", nun gleich ein tieferes Wollen und Wirken zu unterstellen, finde ich nicht folgerichtig.
Das habe ich auch nicht getan, im Gegenteil sprach ich von einem blinden und vernunftlosen Willen, der hinter all dem Wirken steckt.

Zitat:
Was wir herausfinden werden, kann alles Mögliche sein, auch Banales, und muss nicht zwangsläufig den Weg zur Existenzerkenntnis einer "höheren Ordnung oder Willenskraft" ebnen - die vielleicht nie existiert hat.
Eine höhere Ordnung ist aber schon anzunehmen und ich betone, dies bitte nicht gleich zwangsläufig wieder als Vermutung für ein höheres Bewusstsein zu interpretieren.
Bei allem was wir bisher in Erfahrung gebracht haben, folgt alles Sein biotischer, wie abiotischer Art bestimmten Naturgesetzen (die wir sicherlich noch lange nicht alle kennen).

Da wir aber nicht einmal den Begriff "Natur" definieren können, außer mit der allgemeinen Aussage "alles nicht vom Menschen geschaffene", bleibt er eigentlich eine leere Phrase.
Weil aber nun alle Dinge entstanden sein müssen, die sich zum jetzigen Zeitpunkt im momentanen Zustand ihrer Existenz befinden und zwar genau so und nicht anders, kann man daraus schlussfolgern, daß dies einem logischen System zugrunde liegt, dem alles und jedes unterworfen bleibt.

Da dies aber noch längst nicht entschlüsselt ist, liegt es weiterhin auf der Hand, daß da noch "Irgendetwas" (wahrscheinlich sogar ganz vieles) sein muss, von dessen Existenz wir keinen blassen Schimmer haben.

Und der Mensch und sein Intellekt, wie überhaupt alle uns bekannten Lebewesen, sind Produkte dieses Systems und somit etwas ganz Natürliches, aus der Natur Hervorgegangenes, also keinesfalls etwas Zufälliges sondern real verwirklichte Möglichkeiten, die sich nicht allein auf elektrochemische (Selbsterhaltungs)Prozesse auf der Basis von Aminosäuren reduzieren lassen.

Die Natur hat also "erkannt", daß sowohl Wahrnehmungen, d.h. das in Kontakt treten individueller Wesen mit Hilfe ihrer Sinnesorgane mit der Welt, als auch die Fähigkeit der Verknüpfung abstrakter Vorstellungen, also das Denken, möglich sind und diese auch realisiert.

Somit gehört die Lebenskraft oder -energie zum absoluten Willen in der Natur und manifestiert sich in allen Lebewesen als der Wille zum Selbsterhalt und zur Fortpflanzung.

Sinn oder Zweck muss da nicht gegeben sein.


Liebe Grüße

Falderwald


PS:

Zitat:
Zitat von Immanuel Kant
„Die Ordnung und Regelmäßigkeit an den Erscheinungen, die wir Natur nennen, bringen wir selbst hinein, und würden sie auch nicht darin finden können, hätten wir sie nicht, oder die Natur unseres Gemüts ursprünglich hineingelegt.“
Zitat:
Zitat von Immanuel Kant
Die menschliche Vernunft hat das besondere Schicksal in einer Gattung ihrer Erkenntnisse: dass sie durch Fragen belästigt wird, die sie nicht abweisen kann, denn sie sind ihr durch die Natur der Vernunft selbst aufgegeben, die sie aber nicht beantworten kann; denn sie übersteigen alles Vermögen der menschlichen Vernunft.
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Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)



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Alt 12.05.2011, 17:32   #3
Erich Kykal
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Hi, Faldi!

Zum Thema Ichsimulation:

Nach neuesten Erkenntnissen der Gehirnforschung ist eine Selbstsicht, also ein sog. "Ich", bei höheren Lebensformen deshalb entstanden, damit sie besser, abgegrenzter und also tendentiell selbsterhaltender mit ihrer Umwelt (und also auch ihresgleichen) interagieren konnten.
Dieses "Ich" ist aber - so die neuesten Erkenntnisse - kein wirkliches Bewußtsein im Sinne dessen, was Philosophie oder Religion darunter verstehen (Seele, Geist, usw..), sondern eigentlich eine Art Simulation von "Selbst", die auf unterster Ebene gesteuert wird, zu 99% unbewußt und ohne sog. "logisches" Denken. Wir sind also offenbar bei weitem nicht so autark, wie wir gern hätten. Wir sind nach dieser Theorie eigentlich nicht einmal "wir".
Genaues bitte selber nachschlagen - ist eine Weile her, dass ich die entsprechende Doku gesehen hab.

Was diese Theorie impliziert, auch im Hinblick auf unseren Diskurs hier, kannst du wohl ohne mich nachvollziehen, und was er für die Philosophie im allgemeinen bedeuten wird, ist noch gar nicht absehbar. Unsere "Zellhaufen" leisten sich sozusagen den Luxus von übergeordneten Pseudochefs, die sie auch noch glauben lassen, sie allein hätten das Sagen. Aber mal ehrlich - wieviele Entscheidungen treffen wir aus rein logischen oder sinnvollen Überlegungen heraus? Sind nicht die meisten solcher Argumente eigentlich nur dazu da, unsere "Bauchentscheidungen" vor uns selbst (bzw. vor unserem Egosimulacrum) zu rechtfertigen, damit die Illusion des übergeordneten Willens aufrecht erhalten werden kann? Auf kurze Distanz und bei bloßem Gerede können "wir" was bewegen - bei wesentlichen Entscheidungen aber regieren die Primärbedürfnisse der Zellhaufen, die uns spazierenführen!

Das wollte ich zum Ausdruck bringen.

LG, eKy
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Alt 15.05.2011, 21:59   #4
Falderwald
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Moin Erich,

ich habe trotz ausdauernden Stöberns im Internet nichts über die Ichsimulation finden können.
Nicht mal bei Amazon konnte ich Literatur darüber entdecken, so daß ich mich größtenteils auf deine Aussagen beziehen muss.

Unter einer Simulation verstehe ich die Nachbildung oder Darstellung physikalischer, biologischer, chemischer, technischer oder ökonomischer Prozesse durch mathematische oder physikalische Modelle oder eben eine Vortäuschung "falscher Tatsachen".

Ich kann dies jetzt nicht mit dem sogenannten "Ich" in Verbindung bringen, weil dies m. E. wieder eine äußere Kraft voraussetzt, die simulierend tätig wird.

Zitat:
Nach neuesten Erkenntnissen der Gehirnforschung ist eine Selbstsicht, also ein sog. "Ich", bei höheren Lebensformen deshalb entstanden, damit sie besser, abgegrenzter und also tendentiell selbsterhaltender mit ihrer Umwelt (und also auch ihresgleichen) interagieren konnten.
Das ist also einfach so entstanden, quasi aus der Notwendigkeit zur Interaktion heraus?
Wer oder was aber hielt dies für notwendig?
Kam diese Veränderung nun durch äußere Einwirkung zustande oder aus den höheren Lebensformen selbst?

Zitat:
Dieses "Ich" ist aber - so die neuesten Erkenntnisse - kein wirkliches Bewußtsein im Sinne dessen, was Philosophie oder Religion darunter verstehen (Seele, Geist, usw..), sondern eigentlich eine Art Simulation von "Selbst", die auf unterster Ebene gesteuert wird, zu 99% unbewußt und ohne sog. "logisches" Denken. Wir sind also offenbar bei weitem nicht so autark, wie wir gern hätten. Wir sind nach dieser Theorie eigentlich nicht einmal "wir".
Für die Theologie ist die Dualität und damit die Trennung von Körper und Seele unverzichtbar, sonst verlöre sie ihren Sinn.
Nicht aber für die Philosophie, obwohl Platon darauf seine Weltanschauung gründete.
Ich muss jetzt auf Schopenhauer zurückgreifen, der durchaus die Meinung vertritt, daß der Intellekt in organischen Ursachen, nämlich dem Gehirn, zu finden ist und mit dem Tode aufhört zu existieren.
Daß das "Selbst" gesteuert wird, stellt er nicht in Abrede:

Der Wille bestimmt alle Vorgänge der organischen und anorganischen Natur. Er objektiviert sich in der Erscheinungswelt als Wille zum Leben und zur Fortpflanzung. Diese Lehre vom „Primat des Willens“ bildet die zentrale Idee seiner Philosophie. Sie hatte weitreichenden Einfluss und begründet die Aktualität von Schopenhauers Werk.

Seine berühmt gewordenen These lautet:

"Der Mensch kann zwar tun, was er will, aber er kann nicht wollen, was er will.“

Ich glaube, dazu bedarf es keiner "Ichsimulation".

Zitat:
Was diese Theorie impliziert, auch im Hinblick auf unseren Diskurs hier, kannst du wohl ohne mich nachvollziehen, und was er für die Philosophie im allgemeinen bedeuten wird, ist noch gar nicht absehbar.
Ja, die Wissenschaft müsste sich nur mal die Zeit nehmen, sich ausführlicher mit Schopenhauers Thesen auseinander zu setzen.
Sie würde dort vieles erfahren, was sie jetzt erst zu entdecken glaubt.

Zitat:
Unsere "Zellhaufen" leisten sich sozusagen den Luxus von übergeordneten Pseudochefs, die sie auch noch glauben lassen, sie allein hätten das Sagen.
Das kann ich nicht nachvollziehen, denn einer muss ja das Sagen haben und das bin eindeutig ich oder mein Wille, zumindest was meine Handlungen und Entscheidungen betrifft.
Selbst wenn diese mir selbst manchmal zweifelhaft erscheinen, so bleiben sie trotzdem meine Entscheidungen.
Ich kann mir kaum vorstellen, was mein "Zellhaufen" für ein Interese daran haben sollte, mit deinem "Zellhaufen" in dieser Form zu kommunizieren.
Es muss also der Intellekt sein, denn wir haben verschiedene Vorstellungen, Überzeugungen, Meinungen etc. Unsere bloßen "Zellhaufen" hingegen würden wohl in ihren Meinungen übereinstimmen, könnten sie denn eine haben.

Zitat:
Aber mal ehrlich - wieviele Entscheidungen treffen wir aus rein logischen oder sinnvollen Überlegungen heraus?
Also wenn ich an mich denke, und ich kann nur von mir ausgehen, dann sind dies eine ganze Menge.

Zitat:
Sind nicht die meisten solcher Argumente eigentlich nur dazu da, unsere "Bauchentscheidungen" vor uns selbst (bzw. vor unserem Egosimulacrum) zu rechtfertigen, damit die Illusion des übergeordneten Willens aufrecht erhalten werden kann?
Nein. Die meisten meiner täglichen Entscheidungen treffe ich bewusst und stets aufs Neue.
Ich will ein kleines Beispiel zur Verdeutlichung abgeben:
Wenn morgens früh um 5:00 Uhr mein Wecker geht, dann reißt es mich manchmal aus dem tiefsten Schlaf und ich verspüre den Wunsch, liegen zu bleiben und weiter zu schlafen.
Nun muss ich eine Entscheidung treffen und ich sage mir also, steh auf, das geht nicht, du musst deinen Job machen, es gibt Ärger, wenn du nicht (pünktlich) erscheinst.
Das nenne ich ein logisches Abwägen der aus meinem Verhalten resultierenden künftigen Konsequenzen.
Also stehe ich auf und handle gegen meinen Wunsch oder Willen, denn "glückseliger" wäre mein momentaner Zustand, könnte ich noch ein paar Stunden schlafen.
Manche Entscheidungen fallen auch unbewusst, weil sie sozusagen Routine sind und damit automatisch ablaufen.
Manchmal aber gebe ich auch meinem Willen einfach nach und tue das, was ihm für den Moment am besten erscheint.

Dann möche ich in diesem Zusammenhang noch die Frage stellen, was mit den Entscheidungen ist, die plötzlich getroffen werden müssen?
Wie kann es sein, daß wir auf bestimmte und veränderte Situationen sofort reagieren und uns entsprechend darauf einstellen und verhalten?

Ich will dafür wieder ein Beispiel anführen:

Als guter und sehr erfahrener Autofahrer fahre ich sowieso meistens mit der nötigen Voraussicht, d. h. ich versuche mich den äußeren Umständen und Bedingungen anzupassen, indem ich mir z. B. vorstelle, daß nasses Laub auf der Fahrbahn unweigerlich zu einem längeren Bremsweg für mein Fahrzeug führen wird, wenn ich gezwungen bin, die Geschwindigkeit plötzlich drastisch zu reduzieren. Mein Fahrzeug kann dabei sogar ins Schleudern geraten und die Gefahr eines Unfalls erhöht sich.
Ich denke also vorausschauend in die Zukunft und an die hypothetischen Möglichkeiten, die aus meinem Verhalten resultieren können.
Jetzt könnte man sagen, das sei ein erlerntes Verhalten, weil ich die Erfahrung vielleicht schon früher gemacht habe.
Das ist richtig, aber trotzdem muss ich erst einmal die Situation erkennen, sie richtig einschätzen, auf die Erfahrung in der Vergangenheit zurückgreifen, diese auf eine mögliche Zukunft übertragen und die richtige Entscheidung für die Gegenwart, also den Moment treffen.

Ich bezweifele, daß dies unser "Zellhaufen" alleine schafft.
Das vegetative Nervensystem hat alle Hände voll damit zu tun, unseren Lebenskreislauf aufrecht zu erhalten und wäre also somit vollkommen überfordert, müsste es noch abstrakte Entscheidungen treffen.
Das kann mir keiner erzählen...

Zitat:
Auf kurze Distanz und bei bloßem Gerede können "wir" was bewegen - bei wesentlichen Entscheidungen aber regieren die Primärbedürfnisse der Zellhaufen, die uns spazierenführen!
Dem muss ich entschieden widersprechen.
Ich habe sehr wohl und schon sehr oft wesentliche Entscheidungen getroffen.

Natürlich sind bestimmte Primärbedürfnisse ständig zu erfüllen, als da wären Luft-, Nahrungs- und Wasseraufnahme, die Entsorgung der Stoffwechselprodukte, Schlaf und meinetwegen auch die Befriedigung des Geschlechtstriebes etc.
Bis auf das Letztgenannte sind dies aber alles Bedürfnisse, die der Organismus, also der "Zellhaufen", unbedingt zum Überleben benötigt.

Das Wie, Wann und Wo aber bestimmt nicht er, das entscheide ich (meistens) ganz alleine und gebe es ihm dann, wenn es (mir) passt.
In der Psychologie spricht man nämlich bei sofortiger Bedürfnisbefriedigung von einem Zustand der Verwahrlosung.
Und da spielen auch äußere Faktoren eine ganz gewichtige Rolle.
Der Mensch hat gelernt, mit diesen Dingen umzugehen und das ist genau einer der wesentlichen Punkte, die ihn vom Tier unterscheidet (und selbst das Tier würde ich nicht auf einen bloßen Zellhaufen reduzieren wollen).

Wir Menschen besitzen die Fähigkeit der abstrakten Gedanken, wir können uns über Zeit, Raum, Sinn, Unsinn, Gott und die Welt unterhalten und wir verspüren das Verlangen dazu.

Welchen Sinn sollte dies aber für den "Zellhaufen" haben, dem es reichen würde, seine Bedürfnisse zu befriedigen, um zu existieren?
Wofür gibt es also die Neugier, wozu den Forscherdrang und warum überhaupt den Intellekt?

Den Menschen also auf einen elektrochemischen Selbsterhaltungsprozess auf der Basis von Aminosäuren und denkenden Zellhaufen zu reduzieren, der mit einer Ichsimulation ausgestattet ist, reicht mir nicht und bisher hat keine Wissenschaft auch nur annähernd erklären können, was das eigentliche Wesen der Dinge ausmacht (außer der bloßen Funktionsweise des Organismus').

Und deshalb möchte ich noch einmal einen der größten Denker aller Zeiten bemühen.
Immanuel Kant schrieb in der "Grundlegung zur Metaphysik der Sitten:

Zitat:
Zitat von Immanuel Kant
Es ist eine Bemerkung, welche anzustellen eben kein subtiles Nachdenken erfordern wird, sondern von der man annehmen kann, daß sie wohl der gemeinste Verstand, obzwar, nach seiner Art, durch eine dunkele Unterscheidung der Urteilskraft, die er Gefühl nennt, machen mag: daß alle Vorstellungen, die uns ohne unsere Willkür kommen (wie die der Sinne), uns die Gegenstände nicht anders zu erkennen geben, als sie uns affizieren, wobei, was sie an sich sein mögen, uns unbekannt bleibt, mithin daß, was diese Art Vorstellungen betrifft, wir dadurch, auch bei der angestrengtesten Aufmerksamkeit und Deutlichkeit, die der Verstand nur immer hinzufügen mag, doch bloß zur Erkenntnis der Erscheinungen, niemals der Dinge an sich selbst gelangen können. Sobald dieser Unterschied (allenfalls bloß durch die bemerkte Verschiedenheit zwischen den Vorstellungen, die uns anders woher gegeben werden, und dabei wir leidend sind, von denen, die wir lediglich aus uns selbst hervorbringen, und dabei wir unsere Tätigkeit beweisen) einmal gemacht ist, so folgt von selbst, daß man hinter den Erscheinungen doch noch etwas anderes, was nicht Erscheinung ist, nämlich die Dinge an sich, einräumen und annehmen müsse...
Tja, ich befürchte, da wird uns selbst eine Ichsimulation nicht wirklich weiter bringen...


Liebe Grüße

Falderwald
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Falderwald ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 15.05.2011, 23:24   #5
a.c.larin
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hallo falderwald,

ich mische auch noch meinen senf dazu.

bewusste entscheidungen - treffen wir sie immer?
manches entscheiden wir vielleicht aus einer vorahnung, einem instinkt heraus.
oder aus einer art "wissen" , die über unser spatzenhirn-beusstsein hinausgeht.

ein beispiel gefällig?

ein bekannter von mir fuhr entlang einer schmalen, schluchtartigen straße im gebirge. plötzlich überkam ihn das dringende gefühl, stehen zu bleiben und die landschaft zu betrachten. er tat es, obwohl er sich über seine entscheidung wunderte.
er stand nur kurze zeit, da hörte er, wie wenig vor ihm ein hangsturz auf die fahrbahn donnerte. wäre er weiter gefahren, es hätte ihn erwischt.....

anderes beispiel?
ebenso wahr: jemand saß auf der terasse seines hauses. es war ein sonniger tag. plötzlich spürte er einen kühlen luftzug und ein seltsames gefühl des unbehagens. er beschloss, sich aus dem haus eine jacke zu holen. fünf sekunden, nachdem er aufgestanden war, stürzte genau auf die stelle, wo er gesessen hatte, die über ihm hängende halterung der balkonblumen.
wäre er sitzen geblieben, es hätte ihn erschlagen....

woher kamen diese entscheidungen? es gab keinerlei äußeren anlass (außer vielleicht der kühle luftzug), die betroffenen wunderten sich selber über ihren plötzlichen entschluss.

worauf beruht intuition?
wie kann ein bloßer zellhaufen mehr wissen als er weiß ?

drittes beispiel (mir selber passiert)
wir suchten nach einer lösung, das vorzimmer neu zu gestalten.
wir wollten eine zusätzliche sitzbank haben, um dort die schuhe auszuziehen.
wegen der vielen winkel, ecken und türen schien aber nirgends platz dafür zu sein. wir verwarfen also diese idee als undurchführbar. monate vergingen. wir dachten nicht mehr an unseren plan, sprachen nicht mehr darüber.
eines nachts träumte ich die lösung!
ich sah ganz klar vor mir, wo es doch möglich war, diese sitzbank unterzubringen. ich erwachte - es war drei uhr früh - und wunderte mich über mein erwachen, erkannte aber sofort, dass irgendetwas ( in ?) mir wohl den traum zeigen wollte. ich zeichnete rasch eine skizze, um das gesehene nicht zu vergessen, drehte mich um und schlief unbekümmert weiter.
wohlgemerkt: ich hatte monatlang nicht mehr daran gedacht - diese lösung kann also kein "tagesrest" gewesen sein.
man kann auch nicht sagen , dass mein bewusstsein daran beteiligt gewesen wäre. welcher teil von mir war es aber dann?
mein bewusstsein konte sich lediglich dazu entschließen, den traum in die realität umzusetzen und die dafür notwendigen leute zu kontaktieren.

im volksmund gibt es ja den spruch: "dem seinen gibts der herr im schlaf"

sind wir im zustand der unbewusstheit näher an den "ewigen wahrheiten" -
und daher auch freier für "lösungen"?

oder sind wir dann manipulierbarer?

das bewusstsein lässt sich auch täuschen.
werbepsychologen wissen das.
kurze einblendungen einer bestimmten getränkemarke während eines kinofilms ( kurz heißt: unter der wahrnehmungsschwelle ) erhöhten den konsum des produktes danach signifikant.
niemand der solchermaßen getäuschten probanden hätte aber das gefühl gehabt, unbewusst gehandelt zu haben.......

hypnose funktioniert ja auch.
man kann sich sogar selbst hypnotisieren ( wenn mans gelernt hat)

was unsere "bewussten" entscheidungen auch noch mitbeeinflusst, sind sogenannte "aufträge aus dem famileinsystem" (gemeint ist damit die herkunftsfamilie). die können bewusst ( du musst auch arzt werden!) oder unbewusst sein. (wer mit fingern ist, ist ein ferkel, so etwas tut ein anständiger mensch auf gar keinen fall!)
geheimnisvollerweise überspringen solche ge-und verbote manchmal sogar eine generation, um bei er übernächsten wieder ihre wirksamkeit zu entfalten.

ist der mensch herr im eigenen haus?

manchmal denke ich, wir können froh sein, wenn wir dieses haus einigermaßen klaglos benützen dürfen....

so.
ich gehe jetzt (bewusst oder auch nicht) in die heia. es macht irgendwie sinn.

gute nacht!
larin
a.c.larin ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 16.05.2011, 23:23   #6
Falderwald
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Servus larin,

deinen Senf lese ich immer gerne, also nur zu...

Ich denke, wir treffen die meisten Entscheidungen durchaus bewusst und möchte das an deinen Beispielen kurz erläutern:

1. Dein Bekannter fuhr mit dem auto. Während des Fahrens überkam ihn das Gefühl stehen zu bleiben. Musste er in diesem Moment nicht eine Entscheidung treffen und zwar ganz bewusst? Denn das Anhalten eines fahrenden Fahrzeugs setzt bestimmte Handlungen voraus.
Er wunderte sich anschließend selbst, jedoch hat er sich aus freien Stücken dazu entschlossen, seinem Gefühl nachzugeben und nicht weiter zu fahren.
Das nenne ich eine bewusste Entscheidung treffen. Ob diese Entscheidung zu diesem Zeitpunkt sinnvoll war oder nicht, konnte er nicht wissen und dennoch tat er es, niemand hat ihn dazu gezwungen.

2. Im zweiten Beispiel verhält es sich ähnlich. Du schreibst nämlich, er beschloss, sich eine Jacke zu holen, weil ihm kühl wurde und er ein Gefühl des Unbehagens verspürte. Er traf also bewusst die Entscheidung seinen Platz zu verlassen, um etwas zu tun.

In beiden Beispielen wird eine bewusste Entscheidung getroffen und zwar nicht um Unfälle zu verhindern, sondern weil ein bestimmtes Gefühl dazu riet.
Aber immer war dies mit bewussten Handlungen verbunden, die freiwillig geschahen.

3. Auch im dritten Beispiel verhält sich das so. Du hast zwar nicht entschieden, eine Lösung für ein längst vergessenes Problem zu träumen, aber auf jeden Fall das Geträumte aufzuzeichnen, damit es nicht wieder verloren geht.
Das ist die einzige aktive Handlung, die du ausführtest, weil du dies beschlossen hast. Niemand hat dich dazu gezwungen, oder?

Solche Beispiele gibt es haufenweise. Wo die Gefühle oder die Träume herkommen, das bleibt unklar, aber die darauf folgenden Handlungen waren real und damit bewusst.

Anders verhält es sich nur, wenn ich vorher von etwas weiß.
Wenn sich mir z.B. irgendeine Bedrohung in den Weg stellt, von der ich Kenntnis besitze, dann werde ich zu einer Entscheidung gezwungen.
Für was ich mich letzendlich entscheide, bleibt wiederum bewusst, ob Angriff oder Flucht, jedoch wird es mir nicht möglich sein, meinen Weg einfach friedlich fortzusetzen, so daß meine Entscheidungsfreiheit hier einer erheblichen Beschränkung unterliegt.

Oder nicht?


Liebe Grüße

Falderwald
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Alt 17.05.2011, 04:07   #7
JimPfeffer
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Hallo ihr alle,

was für eine interessante Auseinandersetzung über das Leben. Ich glaube nicht wirklich an Götter, jedoch frage ich mich warum die Menschen an sie glauben. In der Disskusion wurde viel darüber gesprochen was den Menschen so ausmacht und wie sie funktionieren, doch nicht, warum sie seit Jahrtausenden an Götter glauben. Vielleicht aus Angst oder stammt ihr Wissen aus einer alten Weisheit? Woher wollt ihr denn wissen das der Mensch wirklich auf der Erde entstand, so wie er sich verhält hat er massive Probleme mit der Natur hier klar zu kommen. Er scheint an sich eher ein Gast zu sein, als ein Produkt dieser Erde. Er passt hier nicht rein und findet sich auch nicht zurecht! Mit Intelligenz, wie wir sie sie verstehen scheitern wir, warum????, weil wir nicht in der Lage sind mit der Natur im Einklang zu leben. Warum können wir das nicht? Wären wir wirklich Intelligent hätten wir das schon längst im Griff, aber nein die Menschen wollen lieber kopieren als sich auf das Echte und Wahre einzulassen. Damit schaffen sie es vielleicht noch ein paar hundert Jahre und dann ist die Erde so verdreckt, dass die Menschen aussterben und die Natur zu ihrem Rhytmus (auf ihre Art und die ist wesentlich Intelligenter ist als wir es jemals waren, zurückfindet) Wir werden es nicht mehr erleben und wir haben es auch nicht wirklich verdient , die ewige Neugeburt erleben zu dürfen! Das werden die Menschen nie verstehen! LG Jim
__________________
„Ich interessiere mich für alles was mit Revolte, Durcheinander und Chaos zu tun hat und insbesondere für jegliche Aktivitäten die scheinbar sinnlos sind“.
Jim Morrison
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Alt 17.05.2011, 14:40   #8
Justin
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Hallo Erich,

ellenlangen philosophischen Betrachtungen möchte ich mich nicht hingeben, sondern in erster Linie Dein Gedicht belobigen. Trotz der vielen Strophen hat es eine gute Merkfähigkeit, die mir sehr wichtig erscheint. Bei "Kerzen im Wind" ist es nicht viel anders. Auch oder gerade wegen einiger Unkenrufe habe ich diesem Gedicht eine gute Resonanz vorausgesagt, und sollte recht behalten. Doch das nur am Rande.

Es muß Dich nicht groß anfechten, wenn persönliche Empfindungen möglicherweise der Logik widersprechen könnten. Das aber hängt stark von der Sichtweise des Betrachters ab. Darüber hinaus sollten wir trotzdem nicht die Aussagen übergehen, deren Wahrheitsgehalt immerhin zutreffend ist. Die logische Ausgangsbasis bleibt somit größer als der kritische Einwand. Was übrigens die Logik betrifft, müßte sich der Klerus in Grund und Boden schämen, denn nichts ist ihm suspekter, als sich überhaupt mit solchen Ansichten zu beschäftigen. Wo doch allein nur der Glaube zählen soll. Die Verkündigungen der Geistlichen erscheinen immer so, als hätte man persönlich am Tische des Herrn gesessen, was ironisch nicht zu überbieten ist. Der Philosoph Bertrand Russel sagte mal: " I would never die for my beliefs, because I might be wrong" - "Ich würde nie für meinen Glauben sterben, weil ich falsch liegen könnte". Diese Aussage halte ich für sehr viel angemessener, weil sie schon die Fragwürdigkeit des Glaubens mit einschließt.

Die kritiklose Bibelauslegung ist mit gesunder Logik nur schwer vereinbar. Es heißt da z. B., daß Judas Schicksal schon längst vor dessen Geburt vorausbestimmt war. Davon ausgehend müssen wir uns doch die Frage stellen, worin nun überhaupt seine Schuld bestanden hat. Können wir so noch die Anklage ihm gegenüber aufrecht erhalten? Ich glaube, in keiner Weise, sonst würden wir nämlich unser Gewissen belügen. Das nur als Beispiel.

Du hast dich in Deinem Gedicht mit vernünftigen Gedanken auseinandergesetzt, zu denen Du ehrlichen Gewissens stehen kannst.

Liebe Grüße

Justin
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Alt 18.05.2011, 08:41   #9
Erich Kykal
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Hi, larin, Jim und Justin!

Vielen Dank für eure Ansichten zu diesem Thema - es ist offenbar recht vielschichtig.

Hi, Faldi!

"I beg to differ!" - Ich wage zu widersprechen.

Es ist eine erwiesene Tatsache, dass wir weit über 90% unserer Entscheidungen eben nicht aufgrund logischer - also geistiger - Überlegungen treffen! Das Beispiel mit dem Autofahrer und dem Felssturz ist diesbezüglich schlüssig:

Das Anhalten selbst war ein bewußter Akt, aber die Entscheidung dazu fiel davor, und zwar aus un- oder unterbewußten Erwägungen heraus. Gerade deshalb konnte sich der Mann seine Entscheidung ja nicht erklären und musste geradezu mumaßen, es könnte eine "höhere Eingebung" gewesen sein, weil die Entscheidung auf einer ihm nicht direkt zugänglichen Ebene seines Wesens fiel - eben nicht "logisch oder bewußt" erklärbar WAR!!!
Seine "Ichsimulation", wenn ich das immer noch so formulieren darf, folgte nur diesem starken Impuls, anzuhalten, konnte ihn sich - gerade weil er im Zusammenhang mit dem Felssturz solches Gewicht erhielt - hinterher aber nicht erklären und griff somit auf bewährte Interpretationmuster zurück, die Menschen seit der Steinzeit für Unerklärbares pflegen: Göttliche Fügung, Schicksal, höhere Ordnung usw...
Betrachten wir die Tatsachen: Das Zusammentreffen der Entscheidung, anzuhalten, und dem Steinschlag kann - und war letztlich auch - rein zufällig. Nur unser Geist will bei Ereignissen, die solch großen Einfluss auf uns haben, einfach nicht daran glauben. Er verbindet diese Ereignisse zu einer - für ihn logischen und folgerichtig erscheinenden - Kette, die einander in seinen Augen bedingen MUSS, weil er sonst ja tot wäre usw...
Wir projizieren die EIGENE Sicht von Wichtigkeit auf die Ereignisse (weil sie dank ihres direkten Aufeinanderfolgens für unser eigenes Dasein so bedeutend wurden) und verleihen ihnen damit ein Gewicht, das sie - jedes für sich - so nie gehabt hätten. Man sagt dann gern: Das KANN kein Zufall geswesen sein!
Denkfehler! Es KANN sehr wohl!!!
Zurück zur Hirnforschung: Wie gesagt, seine Entscheidung war bauchgesteuert. Sein bewußtes Ich reagierte und setze sein Wollen in die Tat um. Die Ursachen können vielfältig sein: Er wollte - unbewußt - eine schöne Landschaft genießen, musste vielleicht pinkeln. Oder das Ereignis überwältigte ihn so sehr, dass er sich hinterher nicht mehr an den ursprünglichen Grund seines Anhaltens erinnern konnte (oder wollte!), weil es nicht in die so wunderbar sich fügende "Legende" gepasst hätte. Eine gute Geschichte ist eben immer besser als eine nüchterne Wahrheit. Da biegt man sich oft was zurecht und glaubt nach einiger Zeit vielleicht sogar selbst daran.

Man muss sich nur mal vor Augen halten, wie sehr sich schon einfachste Beobachtungen in Zeugenaussagen unterscheiden oder gar widersprechen. Wir funktionieren eben extrem subjektiv, bilden uns aber gern ein, wir würden alle die Umwelt relativ objektiv wahrnehmen. Pustekuchen!
BEWUSST funktionieren wir eben nur bei solchen Gelegenheiten wie dieser hier: Wenn es um "geistige" Inhalte geht. Aber schon der "Gusto" auf was anderes (Tasse Kaffee, Hunger, Durst, ungeklärte Probleme, soziale Mechanismen, ...) lenkt uns ab, und schon wieder folgen wir einem unbewußten Impuls, der uns - ohne dass wir an Manipulation auch denken würden, da wir nicht bewusst zwischen geistigen und unterbewussten Befehlen unterscheiden - woanders hindrängt, obwohl wir diesbezüglich nie eine fundierte geistige Entscheidung getroffen hatten.
Das Bewusstsein baut diese Entscheidungen wie selbstverständlich hinterher in sein Selbstbild ein, sodass der Eindruck entsteht, wir hätten uns - also als Ganzes, MIT Hirn eben - dafür entschieden, aber dem ist eben nicht so!
Deshalb auch sprechen die Hirnforscher von Ichsimulation - nicht zuletzt, weil wir tatsächlich nur sehr wenige Entscheidungen MIT Hirn treffen. Wir denken bloss, es wären mehr, weil sich unser "Geist" eben meist nur an ebendiese Entscheidungen auch "bewusst" erinnert! (So wie in verblassender Erinnerung die "guten alten Zeiten" immer "schöner", immer verklärter werden - man erinnert sich eben nur an das Gute.)

Nach reiflicher Erprobung dieser Erkenntnisse am eigenen Dasein konnte ich diesen Aussagen nur beipflichten. Du - als vom Wert und der Bedeutung des Geistigen Überzeugter - möchtest es natürlich gern anders sehen, weil eine solche Sicht der Dinge den "Wert" des eigenen Selbst zu schmälern scheint.
Da kommt dann wieder die anthroprozentrische Selbstüberschätzung ins Spiel,
die den Menschen gern als "Krone der Schöpfung", als "Herrn der Erde" - oder, wenn schon das nicht, so doch wenigstens als "Herr seiner selbst" sehen möchte. Nun, nicht einmal DAS sind wir offenbar. Schade. Soviel Philosophie für nix und wieder nix! Ein Pech aber auch....

LG, eKy
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Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen!
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Dummheit und Demut befreunden sich selten.

Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
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Alt 23.05.2011, 00:15   #10
Falderwald
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Moin Erich,

ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll, aber du kannst dir sicher sein, daß ich teilweise entschieden anderer Meinung bin...

Zitat:
Es ist eine erwiesene Tatsache, dass wir weit über 90% unserer Entscheidungen eben nicht aufgrund logischer - also geistiger - Überlegungen treffen!
Zunächst einmal müssen wir klären, was unter dem Begriff "Entscheidung" überhaupt zu verstehen ist:

Es gibt Alternativen und es gibt Varianten, zwischen denen eine Wahl zu treffen ist.
Diese Wahl zu treffen, nenne ich Entscheidung.

Alles andere sind Handlungen, die hier auf gar keinen Fall mit der Entscheidung verwechselt werden dürfen.

Die meisten meiner Handlungen, wahrscheinlich mehr als 90 %, und da stimme ich vorbehaltlos zu, geschehen unbewusst und sind gesteuert durch das Zentrale- und das periphere Nervensystem (Reize) oder durch erlerntes Verhalten (Reiz - Reflex), welches keiner Überlegung mehr bedarf oder aber werden durch ein Gefühl ausgelöst.

Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig, der Berliner Charité sowie des Berliner Bernstein Zentrums für Computational Neuroscience (um John-Dylan Haynes) untersuchten mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomographie die Gehirne von Probanden.
Das Ergebnis dieser Untersuchung verleitete sie zu der Aussage, sie hätten den neuronalen Prozess der Entscheidungsfindung entschlüsselt: "Unser Gehirn weiß schon sieben Sekunden vor einer bewusst getroffenen Entscheidung, wie sie ausfallen wird."

Die Probanden hatten die Aufgabe, die rechte oder die linke Hand zu bewegen.
Sie hatten also die Wahl zwischen zwei Alternativen.
Bei diesem Versuch konnte also festgestellt werden, daß frühestens sieben Sekunden vor Ausführung der zu erwartenden Handlung in verschiedenen Hirnregionen eine Aktivität zu erkennen war, die eine mehr als "zufällige" Voraussage erlaubte, welche Hand er bewegen würde.

Und was sagt das jetzt aus?
Im Grunde genommen gar nichts.
Denn der Proband hatte nichts anderes zu tun, als sich zu überlegen, welche Hand er denn jetzt als nächstes bewegen wolle und zudem mindestens sieben Sekunden Zeit für seine Entscheidung.
Womit hat er sich also in dieser Zeit wohl vornehmlich beschäftigt?
Und er wusste um seine einzigen Alternativen.

So mussten sie auch letztlich zugeben, daß dies kein endgültiger Beweis gegen die Existenz eines freien Willens sei: "Nach unseren Erkenntnissen werden Entscheidungen im Gehirn zwar unbewusst vorbereitet. Wir wissen aber noch nicht, wo sie endgültig getroffen werden. Vor allem wissen wir noch nicht, ob man sich entgegen einer vorgebahnten Entscheidung des Gehirns auch anders entscheiden kann."

Und ich behaupte, daß ich über 90 % aller meiner willensrelevanten Entscheidungen sehr wohl durch logische und geistige Überlegungen treffe.
Den Rest der Entscheidungen und Handlungen überlasse ich gerne meinem sehr komfortablen Körper, der sicherlich besser weiß, was für ihn gut ist. Somit brauche ich mich damit nicht mehr zu belasten.

Zitat:
Das Beispiel mit dem Autofahrer und dem Felssturz ist diesbezüglich schlüssig.
Dieser Meinung bin ich nicht.

Zitat:
Das Anhalten selbst war ein bewusster Akt, aber die Entscheidung dazu fiel davor, und zwar aus un- oder unterbewussten Erwägungen heraus. Gerade deshalb konnte sich der Mann seine Entscheidung ja nicht erklären und musste geradezu mutmaßen, es könnte eine "höhere Eingebung" gewesen sein, weil die Entscheidung auf einer ihm nicht direkt zugänglichen Ebene seines Wesens fiel - eben nicht "logisch oder bewusst" erklärbar WAR!!!
Das Anhalten war ein bewusster Akt, wann aber die Entscheidung dazu gefallen war, können wir nur mutmaßen.
Auf jeden Fall muss es einen Grund dafür gegeben haben. Hier ist das also das plötzliche Gefühl stehen zu bleiben und die Landschaft zu betrachten.
Der Mann aber war mit seinem Fahrzeug von A nach B unterwegs und hatte ein Motiv für seine Fahrt.
Wenn er unter Zeitdruck gestanden hätte, das Wetter schlecht gewesen wäre oder sich auf der engen schluchtartigen Straße keine geeignete Haltemöglichkeit geboten hätte und oder andere behindernde Faktoren gegen einen Halt gesprochen hätten, wäre seine Entscheidung vielleicht anders ausgefallen. Und solche rationellen Dinge sind somit in seine Überlegungen eingeflossen und haben seine Entscheidung bewusst beeinflusst.
Nach diesem Ereignis wird er sich sicherlich gesagt haben, da habe ich aber unverschämtes Glück gehabt, gut daß ich auf meinen Bauch gehört habe und ist sich in Wirklichkeit gar nicht darüber bewusst, daß dieses Gefühl, das ihm zum Anhalten riet, erst einmal zur Realisierung überprüft werden musste und ob dies in jener Situation überhaupt möglich war.
Auf der Autobahn halte ich schließlich auch nicht an, weil ich das dringende Bedürfnis verspüre, mir die Landschaft anzuschauen, mag sie noch so schön sein.

Zitat:
Seine "Ichsimulation", wenn ich das immer noch so formulieren darf, folgte nur diesem starken Impuls, anzuhalten, konnte ihn sich - gerade weil er im Zusammenhang mit dem Felssturz solches Gewicht erhielt - hinterher aber nicht erklären und griff somit auf bewährte Interpretationsmuster zurück, die Menschen seit der Steinzeit für Unerklärbares pflegen: Göttliche Fügung, Schicksal, höhere Ordnung usw...
Der starke Impuls war, wie ich gerade erläuterte, nur der Auslöser, der nach einer Entscheidung verlangte, die nach den vorgegebenen Bedingungen getroffen wurde und werden musste.
Wie lange der Prozess der Entscheidungsfindung benötigte, ist hierbei überhaupt nicht relevant, das kann in Sekundenbruchteilen ablaufen.
Das Unerklärliche überlassen wir an dieser Stelle zunächst der Spekulation des Betroffenen.

Zitat:
Betrachten wir die Tatsachen: Das Zusammentreffen der Entscheidung, anzuhalten, und dem Steinschlag kann - und war letztlich auch - rein zufällig. Nur unser Geist will bei Ereignissen, die solch großen Einfluss auf uns haben, einfach nicht daran glauben. Er verbindet diese Ereignisse zu einer - für ihn logischen und folgerichtig erscheinenden - Kette, die einander in seinen Augen bedingen MUSS, weil er sonst ja tot wäre usw...
Wir projizieren die EIGENE Sicht von Wichtigkeit auf die Ereignisse (weil sie dank ihres direkten Aufeinanderfolgens für unser eigenes Dasein so bedeutend wurden) und verleihen ihnen damit ein Gewicht, das sie - jedes für sich - so nie gehabt hätten. Man sagt dann gern: Das KANN kein Zufall gewesen sein!
Denkfehler! Es KANN sehr wohl!!!
Lösen wir uns einmal vom Zusammenhang der beiden Ereignisse und betrachten diese aus der Perspektive eines außenstehenden Beobachters, der außerhalb von Zeit und Raum steht und die Einsicht in alle Ereignisse hat.
Zum einen haben wir also das Anhalten des Mannes auf seiner Fahrt, zum anderen den Hangsturz.
Beiden Ereignissen aber wohnt, zunächst unabhängig voneinander, die Verkettung einer Vielzahl von Gründen inne, ohne die sie gar nicht hätten stattfinden können.

Der Hang ist seit unendlichen Zeiten Wetter und tektonischen Einflüssen ausgesetzt. Zudem hat der Mensch dort eine Straße gebaut und somit auch noch seinen Einfluss darauf genommen.
Schließlich wurde seine ganze Existenzlage so instabil, daß es nur noch eines letzten auslösenden Grundes bedurfte, um ihn genau zu dem Zeitpunkt zum Einsturz zu bringen, als unser Protagonist in der Nähe war.
Da die Bedingungen so und nicht anders waren, musste der Hang also zu diesem Zeitpunkt unweigerlich einbrechen, er konnte gar nicht anders.

Der Mann aber hatte ein Motiv für seine Fahrt, welches wiederum durch andere Dinge begründet war. Er traf dadurch bedingt eine Entscheidung, die ihn zwangsläufig im fraglichen Zeitraum auf eine Strecke von A nach B führte, auf der dieser Hangsturz geschehen würde, von dem er freilich nichts wissen konnte.

Als außenstehender Beobachter, der Einblick in die Dinge hat, sehe ich nun, wie der Mann losfährt, seine Strecke wählt und sich mit einer bestimmten Geschwindigkeit fortbewegt.
Und ich sehe die Entwicklung des Hangs und die Dinge, die auf diesen zukommen werden, so daß es einer simplen mathematischen Rechnung bedarf, um zu sagen, wann dieser einbricht und wo jener sich zu diesem Zeitpunkt befinden wird, wenn die Bedingungen stabil bleiben.

Wäre er also weiter gefahren, wäre er jetzt vielleicht tot und unter den Steinmassen begraben. Das ist jedoch nicht geschehen, weil er nach rationellen Überlegungen einem plötzlichen Impuls nachgab und die Bedingungen sich dementsprechend änderten.
Dies findet aber auch seinen Grund in dem Mann selbst, denn wäre nur seine momentane Gemütslage anders gewesen, hätte er den Wunsch nach der Landschaftsbetrachtung gar nicht erst verspürt und der Impuls wäre ausgeblieben. So war es also unvermeidlich, daß er anhält und nicht von den Ereignissen "überrollt" wurde.

Zufälle gibt es also gar nicht, sondern lediglich eine Menge unbestimmter Faktoren die wir weder beeinflussen können noch wollen.
An Zufälle zu glauben, hieße an Wunder zu glauben.

Ganz spekulativ könnten sogar die Schallwellen des Motors als letzter auslösender Grund in der engen Schlucht den Hang zum Einsturz gebracht haben.

Zitat:
Zurück zur Hirnforschung: Wie gesagt, seine Entscheidung war bauchgesteuert. Sein bewusstes Ich reagierte und setze sein Wollen in die Tat um. Die Ursachen können vielfältig sein: Er wollte - unbewusst - eine schöne Landschaft genießen, musste vielleicht pinkeln. Oder das Ereignis überwältigte ihn so sehr, dass er sich hinterher nicht mehr an den ursprünglichen Grund seines Anhaltens erinnern konnte (oder wollte!), weil es nicht in die so wunderbar sich fügende "Legende" gepasst hätte. Eine gute Geschichte ist eben immer besser als eine nüchterne Wahrheit. Da biegt man sich oft was zurecht und glaubt nach einiger Zeit vielleicht sogar selbst daran.
Nein, lediglich der Impuls, also der auslösende Reiz war bauchgesteuert, nicht aber die Entscheidung als solche, die in einer solchen Situation, nämlich als der Führer einer Maschine, abgewogen werden musste.
Egal ob er schauen wollte oder pinkeln musste, das sind beides keine stichhaltigen Gründe um einem solchen Impuls sofort und ohne Überlegung nachzugeben. Wie schon gesagt, das mache ich auch nicht auf der Autobahn.
Wenn ich merke, daß ich starken Harndrang habe, ist es mir klar, daß ich anhalten muss, damit mir nicht die Blase platzt, dafür ist dieser Reiz ja da, jedoch bestimme ich die Gelegenheit selbst nach vernünftigen und rationellen Überlegungen.
Letztendlich ist wohl ein Fakt, daß wenn ich eine weitere Strecke fahre, irgendwann einmal anhalten muss, um mich zu erleichtern, das ist jedoch keine relevante Entscheidung, weil der Zeitpunkt sowieso schon feststeht, wann dieses spätestens passieren muss, denn es ist davon abhängig, wie viel und welche Flüssigkeit ich zu mir genommen habe und wie gut momentan meine Nieren funktionieren, wobei wir wieder beim Satz vom zureichenden Grunde wären, der sämtliche Zufälle ausschließt.

Zitat:
Man muss sich nur mal vor Augen halten, wie sehr sich schon einfachste Beobachtungen in Zeugenaussagen unterscheiden oder gar widersprechen. Wir funktionieren eben extrem subjektiv, bilden uns aber gern ein, wir würden alle die Umwelt relativ objektiv wahrnehmen. Pustekuchen!
Das mag vielleicht für einfache Gemüter und damit den großen Teil der Menschheit gelten, jedoch nicht für diejenigen, die sich dieser Tatsache durchaus bewusst sind.
Die Welt ist meine Vorstellung, wie Schopenhauer schon sagte.
Alle Sinneseindrücke sind bloße Reize und jene kann ich nur nach den mir gegebenen Fähigkeiten verarbeiten und verstehen.
Hier stimme ich uneingeschränkt zu.

Zitat:
BEWUSST funktionieren wir eben nur bei solchen Gelegenheiten wie dieser hier: Wenn es um "geistige" Inhalte geht. Aber schon der "Gusto" auf was anderes (Tasse Kaffee, Hunger, Durst, ungeklärte Probleme, soziale Mechanismen, ...) lenkt uns ab, und schon wieder folgen wir einem unbewussten Impuls, der uns - ohne dass wir an Manipulation auch denken würden, da wir nicht bewusst zwischen geistigen und unterbewussten Befehlen unterscheiden - woanders hindrängt, obwohl wir diesbezüglich nie eine fundierte geistige Entscheidung getroffen hatten.
Das wäre nur dann richtig, wenn jeder von uns nur ein bestimmtes Ziel verfolgen würde.
Es ist durchaus möglich, daß ich eine Tätigkeit unterbreche, um zu Essen, weil ich Hunger oder Durst habe, um auszutreten, wenn ich Harndrang verspüre oder sonstige körperliche Bedürfnisse erfüllen will/muss, jedoch nicht zwangsläufig notwendig und gegeben, weil mir die Entscheidung immer noch selbst obliegt, ob ich damit warten kann oder will. Daß ich es irgendwann tun muss, ist hingegen keine Frage. Aber auch dieses kann ich bewusst tun.
Die Tasse Kaffe ist dafür ein gutes Beispiel.
Immer wenn ich Kaffe rieche, läuft mir das Wasser im Munde zusammen und ich könnte vor Sehnsucht fast vergehen, weil ich ihn wirklich gerne mag.
Jedoch werde ich mich jedes Mal bewusst dagegen entscheiden, weil ich weiß, daß er mir nicht bekommt und bei mir Gallenkoliken auslösen kann.
Das ist also wiederum eine bewusste Entscheidung zwischen zwei Alternativen, die ich gegeneinander abwägen muss.
Entweder dem Wunsch nachgeben und in Kauf zu nehmen dabei krank zu werden, oder verzichten, weil mir mein Wohlbefinden mehr bedeutet.
So geht es mir übrigens auch mit dem Alkohol, auf den ich bewusst seit vielen Jahren verzichte. Und zwar nicht, weil er mich krank macht, sondern aus rationellen Entscheidungsgründen heraus, die ich für mich getroffen habe.
Ungelöste Probleme und soziale Mechanismen hingegen setzen schon wieder ein bewusstes Denken an Konsequenzen oder Folgen voraus.
Ob solche Entscheidungen immer vernünftig sind, mag dahingestellt sein, aber sie werden dementsprechend trotzdem bewusst gefällt.

Zitat:
Das Bewusstsein baut diese Entscheidungen wie selbstverständlich hinterher in sein Selbstbild ein, sodass der Eindruck entsteht, wir hätten uns - also als Ganzes, MIT Hirn eben - dafür entschieden, aber dem ist eben nicht so!
Entschuldige bitte, wenn ich an dieser Stelle die vielleicht naive Frage stelle, wer dann für uns entscheidet?
Unser Bauch, bestimmte Reize oder irgendeine abstruse äußere Kraft?
Wer bitte entscheidet für mich, wenn nicht ich als Ganzes und zwar mit und durch mein Hirn?
Von wem werde ich also fremdgesteuert?
Selbst wenn es nur Gefühle, Instinkte, Triebe, Mechanismen sein sollten, so sind diese aber immer noch meine eigenen, die in mir sind, die mich ausmachen und damit meine Persönlichkeit.
Niemand kann mich zwingen etwas zu tun oder zu entscheiden, wenn ich es als Ganzes nicht will. Das Schlimmste, was man mir androhen könnte, wären körperliche und seelische Schmerzen oder meine Vernichtung.
Wenn ich es aber schaffe, die Ängste davor zu überwinden, dann kannst du tun und lassen, was du willst, dann wirst du keinen Einfluss auf meine Entscheidungen nehmen können.

Zitat:
Deshalb auch sprechen die Hirnforscher von Ichsimulation - nicht zuletzt, weil wir tatsächlich nur sehr wenige Entscheidungen MIT Hirn treffen. Wir denken bloß, es wären mehr, weil sich unser "Geist" eben meist nur an ebendiese Entscheidungen auch "bewusst" erinnert! (So wie in verblassender Erinnerung die "guten alten Zeiten" immer "schöner", immer verklärter werden - man erinnert sich eben nur an das Gute.)
Die Hirnforscher können das Ding meinetwegen nennen, wie sie wollen, wir treffen alle Entscheidungen mit Hirn, dafür ist dieses Organ nämlich da.
Daß dabei viele Prozesse unbewusst, ja automatisch ablaufen, will ich gar nicht in Abrede stellen, wahrscheinlich wären wir sonst auch überfordert, doch ich bleibe dabei, daß alle relevanten Entscheidungen nach den Fähigkeiten meines abstrakten Denkapparates getroffen werden.
Das nämlich unterscheidet uns von den anderen Lebewesen auf unserer Erde.

Zitat:
Nach reiflicher Erprobung dieser Erkenntnisse am eigenen Dasein konnte ich diesen Aussagen nur beipflichten. Du - als vom Wert und der Bedeutung des Geistigen Überzeugter - möchtest es natürlich gern anders sehen, weil eine solche Sicht der Dinge den "Wert" des eigenen Selbst zu schmälern scheint.
Das möchte ich nicht nur gerne anders sehen, das ist auch anders, was schon dein Satz beweist: "Nach reiflicher Erprobung dieser Erkenntnisse am eigenen Dasein konnte ich diesen Aussagen nur beipflichten."
Das ist nämlich nur auf rein geistiger Ebene möglich, wie so viele Dinge, die nur auf dieser Ebene ablaufen können.
Nehmen wir nur einmal die Mathematik, eine Wissenschaft die rein a priori existiert, weil sie nur analytische Urteile enthält und die Grundlage für alle uns bekannten Wissenschaften darstellt, ja ohne die wir wahrscheinlich gar keine Wissenschaften hätten.
Eine rein geistige Wissenschaft also, auf deren Basis erst alle Erkenntnisse möglich werden, sogar die der Hirnforscher.
Da geht es gar nicht mehr darum, den Wert des eigenen Selbst zu überschätzen oder zu schmälern, sondern nur noch um das Erkennen.

Zitat:
Da kommt dann wieder die anthroprozentrische Selbstüberschätzung ins Spiel,
die den Menschen gern als "Krone der Schöpfung", als "Herrn der Erde" - oder, wenn schon das nicht, so doch wenigstens als "Herr seiner selbst" sehen möchte. Nun, nicht einmal DAS sind wir offenbar. Schade. Soviel Philosophie für nix und wieder nix! Ein Pech aber auch....
Nun, ich ziehe den Anthropozentrismus auf jeden Fall dem Theozentrismus vor.
Hier, wo ich bin, ist der Mittelpunkt meines Universums, denn alles andere existiert außerhalb von mir.
Ich gehe nicht so weit zu behaupten, daß es nur für mich existiert, denn ich sehe mich lediglich als einen Teil der Natur, auf die ich in meiner Existenz angewiesen bin, die es deshalb zu schützen gilt, da sie einzigartig und damit für den Menschen unverzichtbar ist, weil wir sie, von materiellen Belangen abgesehen, brauchen, um gut und glücklich leben zu können und die deshalb respektvoll zu behandeln ist, nicht zuletzt auch darum, um zu lernen auch friedvoller und besser untereinander und miteinander umzugehen.
Darin sehe ich nichts Verwerfliches.

Und jetzt mal ganz ehrlich: Was hat die Natur Perfekteres als den Menschen hervorgebracht, dieses hochkomplexe Lebewesen, das in der Lage ist, abstrakte Gedanken zu entwickeln und sich überhaupt um die eigene und die Existenz aller anderen Dinge, einschließlich der Natur selbst, bewusst zu werden?

Und daran wird auch alle Wissenschaft nichts ändern können, weil diese eben auch nur ein Menschwerk ist, also erst durch den Menschen ihre Daseinsberechtigung gefunden hat und seine eigene Schöpfung ist.

Und die will mir nun einreden, ich sei nur eine Ichsimulation und ein funktionierender und denkender Zellhaufen?

Fragt sich also letztlich, wer sich da selbst überschätzt, der Schöpfer oder seine Schöpfung, nicht wahr?


Liebe Grüße

Falderwald


PS: Ich habe den ganzen Faden jetzt mal in das neue Forum kopiert.
__________________


Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)



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