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28.05.2011, 01:04 | #39 | ||||||||
Lyrische Emotion
Registriert seit: 07.02.2009
Ort: Inselstadt Ratzeburg
Beiträge: 9.909
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Hey Erich,
kein Grund sich zu schämen, ganz im Gegenteil, ich finde, hier ist eine wirklich tolle Diskussion im Gange, die auf gleicher Augenhöhe geführt wird. Und das kann nur gelingen, wenn alle ihren Teil dazu beitragen. Alle Argumente unserer Sichtweisen sind eine Bereicherung für jeden von uns, weil wir auch andere Betrachtungsweisen kennen gelernt haben. Ich für meinen Teil habe erheblich davon profitiert, denn es brachte mir sowohl eine Wissenserweiterung, sowie neue Erkenntnisse, die ohne unseren Austausch niemals hätten stattfinden können. Und das auf einem ordentlichen Niveau, wie ich finde. Dafür möchte ich dir an dieser Stelle herzlich danken und dich bitten, hier unbesorgt weiter zu machen, wenn du Lust hast, denn es geht gar nicht darum, wer am Ende Recht hat, sondern nur die Sache zu beleuchten und sich darüber auszutauschen. Außerdem bin ich mir darüber im Klaren, daß es auch die Zeit und der momentane Zustand nicht immer zulassen, sich einem solch komplexen Thema mit aller Kraft zu widmen. Das ist schließlich hier nicht das Reallife, sondern nur eine schöne Nebensache, bei der man ganz nebenbei auch noch viel lernen kann. Mir hat's jedenfalls Spaß gemacht und das wird es bei Interesse auch weiterhin tun. So what? Liebe Grüße Falderwald Hi Stimme, ok *händereib*, dann wollen wir mal loslegen. Am besten fangen wir direkt von vorne an : Zitat:
Nicht immer ist exakt zwischen Handlung und Entscheidung zu trennen. Im Allgemeinen müsste man annehmen, daß jeder Handlung eine Entscheidung vorausgehe. Denn aktiv zu werden, heißt ja nichts anderes, als etwas zu verändern. Jeder Veränderung aber geht ein Grund voraus, hier Motiv genannt und dieses darf nicht mit der bewussten Entscheidung gleichgesetzt werden. Ich will das an einem kurzen Beispiel erläutern: Ich stehe morgens früh auf, laufe mit halb geschlossenen Augen ins Bad, erleichtere meine Blase, spüle ab, lasse warmes Wasser laufen und greife zur Zahnbürste um die Zähne zu putzen. Das sind alles Handlungen, die schon längst vorher bestimmt sind und somit nicht bewusst als Entscheidung getroffen werden. Nehmen wir nur das letzte, das Zähneputzen. Irgendwann einmal habe ich bewusst und nach logischen und rationellen Gesichtspunkten entschieden, daß es ratsam sei, die Zähne regelmäßig zu putzen. Das wurde also zu einem Automatismus und wird immer wieder ausgeführt, denn das ist längst entschieden und bedarf keiner neuen Entscheidung mehr. Dasselbe gilt für meine neue Mundspülung, für die ich mich auch vor noch gar nicht allzu langer Zeit nach rationellen Gesichtspunkten bewusst entschieden habe. Diese Automatismen zu nutzen, heißt Zeit und Mühe sparen, denn schon beim Zähneputzen kann ich anfangen zu dichten oder so... Wenn wir diese Handlungen, von denen wir täglich hunderte (?) ausführen, mit in die Entscheidungen einbezögen, dann stimmte es, dann würden wir über 90 % aller Entscheidungen nicht bewusst und nach logischen Überlegungen treffen. Doch es geht hier keineswegs um die, schon erwähnten, Automatismen, die sind ja längst entschieden, sondern um die wesentlichen Willensentscheidungen, die tagtäglich neu anfallen. Diese werden selbstverständlich wieder durch eine Menge äußere und innere Anlässe beeinflusst, jedoch kann ich mich kraft meines Willens immer gegen diese durchsetzen. Es kommt auf meinen Willen an. Beispiel: Ich schnappe mir gerne meinen mp3-player und gehe stramm wandern, ja das kann man schon Powerwalking nennen. Angenommen ich komme von der Arbeit nach Hause, bin müde und verspannt, mir tun die Knochen weh und zudem ist draußen noch ein Mistwetter, so daß meine Laune eigentlich schon auf dem Nullpunkt ist und ich überhaupt keine Lust auf eine 8,5 km Runde um den See mehr habe. Niemand ist da, der mir sagt, ich müsse aber jetzt rennen und alle Faktoren sprechen dagegen und trotzdem entscheide ich mich bewusst gegen alle diese und mache meine Runde, weil ich mir sage (denke), daß ich mir das vorgenommen habe und mich jetzt von nichts davon abhalten lasse, denn nur ein regelmäßiges Training bringt mir wieder die alte Kondition. Diese Entscheidung ist also bewusst, gegen den "inneren Schweinehund" gefallen, der mir sagte, bleib da, du bist müde, es regnet und überhaupt ist es lästig und mühsam. Ich mache täglich so viele Dinge, die vorher einer bewussten Entscheidung bedürfen und damit mein Leben beeinflussen, ja von denen meine künftigen Lebensumstände sogar teilweise abhängen. Natürlich fließen oft Beeinflussungen in diese mit ein, jedoch würde ich diese eher als Grundlage des eigentlichen bewussten Entscheidungsprozesses bezeichnen, denn diese Faktoren sind ja genau jene Dinge, die es rationell gegeneinander abzuwägen gilt, es muss ein Urteil her, welches die Entscheidung bringt. Auch das kann ich an meinem Beispiel verdeutlichen. Hier das schlechte, müde körperliche Empfinden vs. Kondition, die dazu beitragen soll, dieses Empfinden künftig zu verbessern, dort das Regenwetter vs. meine Prinzipien, denen ich treu bleiben und mich nicht von ein paar Tropfen von meiner geplanten Handlung abhalten lassen will. Und alles gegen meine eigentliche Stimmung und dazu noch völlig freiwillig. So etwas verstehe ich unter einer bewussten Entscheidung und vor solche sehe ich mich Tag für Tag mehre Male gestellt. Das andere überlasse ich der Routine, sonst komme ich ja zu gar nichts mehr. Also noch mal: Entscheidung nicht mit Handlung verwechseln. Erst kommt das Motiv, dann die Entscheidung, dann die Handlung. Bei allen unbewussten Handlungen sind Motiv und Entscheidung schon längst gegeben und diesen Service meines Organismus' nutze ich gerne und dankbar. Zitat:
Zitat:
Steuerung, angeborene und vererbte Instinkte, Emotionen und das Denken machen aber nur einen Teil aus, denn da kommt noch der Charakter und vor allem der Wille dazu, welche die Motive liefern. Jetzt kommt es darauf an, wie wir den Begriff "Denken" definieren. Ich verstehe darunter im allgemeinen Sinne die höheren Erkenntnisfunktionen, welche da sind die Akte des Urteilens, des Schließens und des Meinens (auch Glaubens), die auf Bedeutungen zielen. Sogenannte Denkakte funktionieren meist als "inneres Sprechen", jedoch auch als sprachloses, ohne wortbegriffliche Bestimmtheit verlaufendes Denken, z.B. in Bildern, d. h. es wird durch Vorstellungen und kleinste motorische Sprachhilfen getragen. Ich glaube nicht, daß der allergrößte Teil davon auf unbewusster Ebene stattfinden kann. Dort laufen lediglich die animalischen Funktionen ab, die durchaus das Denken beeinflussen, doch in dem Augenblick, wo Moral, Ethik und Ästhetik mit ins Spiel kommen, ist es vorbei mit dem Unterbewussten. Wir sollten uns an dieser Stelle einmal klarmachen, was überhaupt die Begriffe "Bewusstsein" und "Selbstbewusstsein" bedeuten. Ersteres ist ein sehr schwer zu erklärender Begriff, denn jedes Bewusstsein ist anders, individuell und einzigartig, weshalb sogar die Philosophie um das Rätsel des eigentlichen Begriffes weiß. Vielleicht könnte man es allgemein so definieren: Das Bewusstsein ist das Wissen um die seelisch-geistigen Vorgänge im eigenen Ich und befähigt uns zum zielgerechten Denken und Handeln. Beim Menschen spricht man auch oft vom Selbstbewusstsein, was Schopenhauer folgendermaßen definiert: "Selbstbewusstsein heißt das Bewusstsein des eigenen Selbst im Gegensatz des Bewusstseins anderer Dinge, welche letztere das Erkenntnisvermögen ist." Eigentliches Denken kann nicht auf der unterbewussten Ebene ablaufen, höchstens Erkenntnisprozesse, auf die bei Bedarf, nämlich durch das Erinnerungsvermögen, zurückgegriffenen werden kann. Wir denken stunden-, tage-, ja manchmal jahrelang nicht an bestimmte Dinge, obwohl sie auf der Festplatte des Supercomputers gespeichert sind und dann - zack sind sie wieder da. Und wenn man sich einmal vorstellt, wie viele Ereignisse einem Menschen im Laufe seines Lebens widerfahren, jedes Bild, jeder Ton, jeder Geschmack, Geruch, jedes Getaste, jedes Erkenntnis-Erlebnis, dann muss man sich ja fragen, was geschieht mit diesen ganzen Dati. Daß die sich irgendwo "austoben", liegt auf der Hand, aber eben im Unterbewusstsein, denn wenn wir die ständig im Bewusstsein hätten, wären wir restlos überfordert für neue Situationen. Bestes Beispiel: Man verbindet mir die Augen und lässt mich nur an bestimmten, markanten Dingen riechen. Nur am Geruch erkenne ich wieder, was das ist. Habe ich einmal ein Lied gehört, vergesse ich das nie wieder. Auch wenn ich es nach Jahren erst wieder höre, erkenne ich es. Das ist schon fantastisch... Das hast du ja selbst schon sehr schön dargelegt in deinem Beispiel mit den Treppenstufen. Zitat:
Wenn es so wäre, wie du es beschrieben hast, dann könnte keine Koordination stattfinden, die aber wegen der Synchronisation unbedingt erforderlich ist, weil wir sonst nicht funktionieren könnten. Natürlich arbeiten bestimmte Stellen im Gehirn unabhängig ihrer Aufgaben voneinander, jedoch muss der direkte Zugang zueinander gegeben sein. Mit einer Ausnahme: Die Bewusstseinsebene hat keinen direkten Zugang zu den anderen Ebenen, weil diese nämlich alles durcheinander bringen würde. Sie schafft das nur indirekt, nämlich über die Außenwelt. Beispiel: Du gehst auf eine Achterbahnfahrt. Dann kannst du dir sicher sein, daß dein Adrenalinausstoß erheblich angekurbelt wird, weil du dem nicht denkenden Unbewussten nämlich die Illusion einer Gefahr für Leib und Leben vorgaukelst. Du weißt zwar, daß das relativ sicher ist, sonst würdest du das Risiko gar nicht erst eingehen, die andere Seite weiß das aber eben nicht und "belohnt" dich mit dem Ausstoß von Hormonen. Genau das wolltest du ja, denn du hast es zwar indirekt, aber dennoch mit deiner bewussten Entscheidung für die Achterbahnfahrt herbeigeführt. Und so entstehen Gefühle... Zitat:
Der Wahrscheinlichkeitsrechnung kann ich folgen, ebenfalls der Sendung dieser Dati an das Bewusstsein, was aber keinesfalls in jedem Falle das Endergebnis darstellt. Das geschieht höchstens in Extremsituationen und äußert sich in Reflexen und sogenannten instinktiven Handlungen. Warum? Nun, in extremen Situationen würde es zu lange dauern, die Daten ins Bewusstsein zu senden, um dort eine Entscheidung herbeizuführen, was auch wieder Zeit in Anspruch nimmt. Da kommt es auf nicht mehr messbare Bruchteile von Sekunden an, so daß der Notfallplan in Kraft tritt und das Bewusstsein und den Willen, die nämlich nicht gleichzusetzen sind, einfach übergeht. Da wird quasi die Notbremse gezogen. Das funktioniert am Besten mit einem gesunden und funktionsfähigen Körper und einem schon guten Erfahrungsschatz. Es gibt immer wieder Situationen, wo Kinder oder alte Leute auf eine nahende Gefahr nicht rechtzeitig reagieren und Schaden davon tragen, obwohl objektiv Zeit genug da war, dieser auszuweichen. Warum? Kinder besitzen die Erfahrung noch nicht, die Gefahr wird nicht als solche erkannt oder deren Bedeutung nicht richtig bewertet. (Kleinkind läuft auf die Fahrbahn) Bei alten Menschen hingegen ist der benutzte Körper einfach nicht mehr so schnell und sie können z. B. nicht rechtzeitig ausweichen. Ich selbst konnte mich vor zwei Jahren nur durch einen beherzten Sprung in den Vorgarten eines Hauses retten, als ein mir entgegenkommendes Fahrzeug durch Fahrbahnglätte in einer Kurve von der Fahrbahn auf den Gehweg rutschte. Der hätte mich voll getroffen, wäre ich nicht ausgewichen. Rekonstruieren wir einmal die Situation: Ich ging eine Straße auf der linken Seite rauf und kam zu einer Kurve. Auf meinem Weg hatte ich schon erfahren, daß es glatt war und da ich die Fahrbahn vorher überqueren musste, wusste ich auch um die Verhältnisse auf dem Straßenbelag. Da kam mir ein großer BMW entgegen und ich spürte förmlich, der ist zu schnell, ja, ich wusste es sogar und tatsächlich brach in dem Moment das Fahrzeug über die Vorderachse aus und schob sich auf den Gehweg. Da war ich schon durch einen Sprung im Vorgarten und damit gerettet. Durch meine Erfahrung mit Autos, das Wissen um den Straßenzustand und das blitzschnelle Erfassen der Situation war mein Körper schon auf den Sprung vorbereitet. Ein Kind hätte das, trotz des besseren körperlichen Zustandes, nicht geschafft, weil es nicht das Wissen besitzt und sich auf dem Gehweg in Sicherheit gewogen hätte. Einem alten Menschen wäre es ähnlich ergangen. Der hätte zwar gewusst, aber aufgrund seiner langsameren körperlichen Reaktionen zu viel Zeit gebraucht, um auszuweichen. Alle anderen Entscheidungen bedürfen aber nicht eines solchen Notfallplanes, so daß die Sendungen der Dati an das Bewusstsein lediglich Empfehlungen bleiben und zur eigentlichen Entscheidung an die letzte Instanz, das Bewusstsein eben, weiter gegeben werden. Und hier erst kommt der Wille ins Spiel, auf den ich aber an dieser Stelle (noch) nicht weiter eingehen möchte, weil das jetzt das Thema sprengen würde. Nur soviel vorab: So frei ist er nicht... Zitat:
Deine weiteren Ausführungen zu dem Beispiel mit dem Autofahrer sind sehr interesant und müssten noch einmal gesondert untersucht werden. Sie scheinen mir stringente und nachvollziehbare Möglichkeiten zu sein, auch wenn dort einige Dinge sehr hypothetisch sind und damit diskussionswürdig. Sprengt aber hier den Rahmen, unser Thema lautet Entscheidung. Zitat:
Charakter, Motiv und vor allem der Wille. Zitat:
Liebe Grüße Falderwald
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Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine) Für alle meine Texte gilt: © Falderwald --> --> --> --> --> Wichtig: Tipps zur Software |
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