21.07.2011, 22:31 | #1 |
Gelegenheitsdichter
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Beiträge: 3.210
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Ich gebe Laut
Ich gebe Laut vom großen Wunderwort,
Wo doch am Straßenrand der Schnitter wartet. Der Bux ist schon zu Wildgestrüpp entartet. Der Rote Milan übt den Hasenmord. Mein Atem streicht die leere Stundentafel, Der letzte Hoffnungstraum kommt aufs Schafott. Vom Blasorchester bleibt noch das Fagott. Die große Absicht war nichts als Geschwafel. Du zeigst mir wenigstens ein kleines Lächeln, Das diesen Übergang mit Glanz versieht. Da will ein leiser Hauch mich zart umfächeln, Will kühlen, was alsbald ins Licht entflieht. Ich wollte jetzt die rechte Saite schlagen, Die eine Antwort hat auf alle Fragen.
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Dichtung zu vielen Gelegenheiten -
mit einem leichtem Anflug von melancholischer Ironie gewürzt Alle Beiträge (c) Walther Abdruck von Werken ist erwünscht, bedarf jedoch der vorherigen Zustimmung und der Nennung von Autor und Urheberrechtsvorbehalt Geändert von Walther (23.07.2011 um 08:40 Uhr) |
25.09.2011, 22:43 | #2 | |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Guten Abend, Walther,
ich habe dieses Gedicht jetzt mindestens ein Dutzend Mal gelesen, und bislang bin ich vor einem Kommentar "zurückgewichen", da sich mir der Inhalt nicht erschließen wollte. Warum es heute plötzlich "klingeling" machte und ich verstanden habe, wovon es handelt (zumindest vermute ich das optimistisch einfach mal) - also, da bin ich, ehrlich gesagt, selbst überfragt. Wie dem auch sei, hoffentlich liege ich nicht völlig "daneben": Als ich dieses Sonett nun erneut las, kam mir der Gedanke, es handele vom Tod. Bis zu Vers 4 im 2. Quartett. Dann ergab sich nämlich eine ganz andere Richtung, und dann "zündete" es bei mir! Zitat:
Das ergibt natürlich ein ganz anderes Bild, und endlich hatte ich etwas, woran ich mich interpretativ "festhalten" konnte. "Das große Wunderwort", das steht für das, war man ja in Gedichten auf keinen Fall schreiben sollte, nämlich "Ich liebe dich". Das LI gibt Laut, also verkündet es das laut. Vers 2 sagt mir, dass es das aber erst dann tut, als es schon zu spät ist, auch die "Lautstärke" hilft nichts mehr. Der "Schnitter", der "Tod der Gefühle" wartet schon am Rand der Straße, auf der LI und LD wohl noch gemeinsam "unterwegs" sind. Der *räusper* "Buchs(baum)", lateinisch Buxus, eine Pflanze, die immer recht hübsch und dekorativ zurechtgeschnitten wird, meist als Kugel. Schön "rund". Offenbar hat das LI es versäumt, ihn (als "kleiner Schnitter") zu pflegen und deshalb wuchert er zum "Wildgestrüpp" aus. Chaotisch, unordentlich, nicht mehr schön anzusehen. Jetzt kommt die einzige Zeile, mit der ich nach wie vor Schwierigkeiten habe. Ist der "rote Milan" ein "Nebenbuhler", ein "Rivale"? Steht der Hase allgemein für "Beute", also die geplante Eroberung (Erbeutung) des LD? Hier bin ich mir nicht sicher. Die Stundentafel dient der Planung. Sie ist leer, kein gemeinsames Pläneschmieden mehr, keine gemeinsamen Unternehmungen. Der letzte Hoffnungstraum verliert seinen "Kopf" unter dem "Schafott" des "großen Schnitters", der vielleicht, fällt mir gerade ein, auch einfach nur die Zeit sein kann. Das "Blasorchester" - die "großen Töne", die großartigen Versprechen? Da bleibt nur das Fagott, und das klingt ein wenig "dünn", wenn es allein gespielt wird, es ist nur ein Holzinstrument, das weder klanglich noch in der Lautstärke mit "Posaunen und Trompeten" standhalten kann ... Ja, die große Absicht war nichts als Geschwafel. War da auch das seit endlosen Zeiten berühmte Versprechen des LI, das LD sein "Leben lang auf Händen zu tragen" dabei? (Natürlich nur in der Fantasie, ich weiß: Autor und LI sind nie identisch bei dir, es ist nur so ein Gedankengang.) In Vers 1 des ersten Terzetts dann ein kleiner "Lichtschimmer": Wenigstens ein kleines Lächeln zum Abschied. Wenigstens geht das LD nicht mit Hass. Das tröstet mit ein klein wenig "Glanz" über den "Übergang" der Trennung hinweg. Ein leiser, tröstlicher "Lufthauch", der im zweiten Terzett dann von "Kühlung" der zuvor vielleicht sehr "erhitzten" Gefühle des LI berichtet. "Ins Licht entflieht", darunter verstehe ich, dass das LD sich zuvor im "Dunkeln" glaubte, und nun ein "neues, helleres" Leben beginnen möchte. Dann, in Vers 2, eine "Saite", also ein "Saiteninstrument". Das ergäbe natürlich einen ganz anderen Klang als ein Blasorchester oder ein Fagott. Eher lässt mich das an "sanftere", vielleicht sogar "lyrisch-poetische" Töne denken. Das LI wünscht sich, es könnte, noch im letzten Moment, die "richtigen Töne" (die richtigen Worte?) finden, um die Antwort auf alle Fragen zu finden, die ihm das LD je stellte - und auch auf die Fragen, die das LI sich wohl selbst stellt. Sie treffen sich aber im Grunde immer in einer Frage, die selten einer der Betroffenen beantworten kann: Warum? Ein beeindruckendes Sonett, Walther. Vor allem, weil ich es wie eine Nuss erst mal "knacken" musste. (Was für mich eine beinahe unwiderstehliche Herausforderung ist!) Metrisch einwandfrei, bei "Milan" war ich überfragt, aber laut Duden (ich habe nachgesehen) ist die Betonung auf der ersten Silbe in Ordnung. Sehr gerne gelesen und kommentiert. Liebe Grüße Stimme
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06.10.2011, 11:22 | #3 |
Gelegenheitsdichter
Registriert seit: 09.11.2009
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Beiträge: 3.210
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Lb. Stimme der Zeit,
vielen Dank für Deine sehr ausführliche Besprechung. Der Titel selbst verweist bereits auf den Roten Milan, der seit einiger Zeit wieder häufiger in unseren Breiten anzutreffen ist. Sein charakteristischer Schrei (= Laut) war die Initialzündung für die 14 Verse, die Du hier vor Dir siehst. Der Rote Milan ist einer der schönsten Greifvögel und nach dem Adler auch der größte in unserem Teil der Welt. Er jagt Mäuse, Ratten, Kleinwild und frißt Aas. Wenn Du dieses Bild auf Dich wirken läßt, dann ist das Leben als etwas schrecklich Schönes in ihm versinnbildlicht. Die Stundentafel hat viele Bedeutungsfacetten erfahren. Einerseits verweist sie auf die Schule, aber auch auf den Friedhof und das Standesamt. Sie ist ein Medium, das Leben, das Lernen, das Ableben in Zeiteinheiten einzuteilen und diese anzuzeigen und zu dokumentieren. Letztlich sind meine Gedichte immer ein Spiel mit der Sprache und ihre Bedeutungsebenen. Man muß dem Dichter zutrauen, daß jedes Wort mit Bedacht gesetzt ist, auch wenn es zuerst nicht so erscheint. LG W.
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