|
Diverse Was in keine Kategorie passt |
|
Themen-Optionen | Ansicht |
18.10.2011, 21:53 | #1 |
Erfahrener Eiland-Dichter
Registriert seit: 15.03.2011
Ort: Stuttgart
Beiträge: 1.836
|
Gesellschafts(ge)schichten (Prosagedicht)
Gesellschafts(ge)schichten
Eine junge Frau mit Stöckelschuhen, sie trägt ein Kleid. Es wirkt aufreizend, und doch erweckt ihre unsichere Gangart Gedanken an verborgene Scheu, vielleicht sogar Angst. Eine ältere Frau, grell geschminkt. Sie blinzelt kurzsichtig. Ihre Haare sind wasserstoffblond gefärbt und modisch geschnitten. Leugnet sie das Alter, die Vergänglichkeit der Jugend? Ein junger Mann in provozierender Haltung lehnt an der Wand. Er trägt bunte Turnschuhe, aber auch Minirock und Damen-Top. Verbergen sich hinter seinem Lächeln nicht doch Zorn und Hass? Ein alter Mann, er zieht einen schäbigen Trolli hinter sich her, durchwühlt die Mülleimer auf der Suche nach versteckten Werten. Er faltet die gefundene Zeitung sorgfältig zusammen. Ein Mann in einem gut geschnittenen Anzug mit Krawatte. Tabellen füllen den Bildschirm des Notebooks auf seinem Schoß. Sein verächtlicher Blick verkündet den Irrtum seines Hierseins. Ein Teenager, Kaugummi kauend, mit geschlossenen Augen und ausgefranster Jeans. Laute Musik dringt aus Kopfhörern. Hat er sich zurückgezogen, um die äußere Welt fernzuhalten? Ein Kind an der Hand der Mutter, lachend und unbeschwert. Unermüdlich zeigt es auf Alles, fragt, gibt sich selbst Antworten. Sein Blick ist offen, arglos, voller Neugier und Unschuld. Alle diese Leben, sie ziehen an mir vorüber; innerhalb der kurzen Zeit, den wenigen Minuten, während ich sitze und auf meine S-Bahn warte.
__________________
.
|
19.10.2011, 00:03 | #2 |
Slawische Seele
Registriert seit: 07.02.2009
Ort: Inselstadt Ratzeburg
Beiträge: 5.637
|
Liebe Stimme,
diese Gesellschafts(ge)schichten nehme ich als "Geschenk" an. Viele, sehr viele solcher Geschichten geschehen ungeschrieben und unausgesprochen einfach irgendwo. Dafür braucht man nur zu sitzen, zu stehen und zu schauen. Sie ergeben sich von selbst. (Ich liebe Aufenthalte auf Flughäfen als Zuschauer ohne Ticket in Nähe des Einlasses zur Startbahn. Dort laufen in meinem Hirn ganze Romane ab. ) Diese "Romane" hast du meinem Ansinnen entsprechend im Prosagedicht umgesetzt: Die Wirkung der zufälligen Protagonisten auf uns. Spannend wäre es, ein und dieselbe Person aus der Sicht von zwei oder mehr Beobachtern beschrieben zu bekommen. Darin würde der Bobachter selbst eine Geschichte ergeben. Ich habe bereits nach der zweiten Strophe auf ein offenes, unbeschwertes Kind gehofft - es kam. Gefällt mir ausgesprochen gut und ergibt tatsächlich bereits eine Geschichte über den sinnenden Beobachter. Liebe Grüße Dana
__________________
Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen,
ich schulde ihnen noch mein Leben. (Frederike Frei) |
19.10.2011, 07:38 | #3 | ||||
Erfahrener Eiland-Dichter
Registriert seit: 15.03.2011
Ort: Stuttgart
Beiträge: 1.836
|
Guten Morgen, liebe Dana,
das ist mein erster Versuch, ein Prosagedicht zu schreiben. Ich las einiges darüber, und kam zu dem Schluss, dass es über die "Beschaffenheit" eines solchen "unterschiedliche Meinungen" gibt. (Alleine auf Wikipedia verlasse ich mich schon eine Weile nicht mehr.) Also überlegte ich, und suchte nach Übereinstimmungen in den verschiedenen Definitionen. Offenbar herrscht eine Art "Einigkeit" darin, dass der Inhalt (gattungstheoretisch) prosaisch ist, also eine Erzählung, trotz der von mir eingebauten Gedanken und Fragen eher "nüchtern", die "Struktur" bzw. "Einteilung" (wie hier z. B. in Strophen) aber die Form eines Gedichts aufweist. Zusätzlich zu dieser Form wählte ich "Eine, Ein" und in der letzten "Strophe" dann "Alle" als Beginn der einzelnen Abschnitte, was eher die Eigenschaft eines Gedichts ist. Ich würde mich freuen, wenn jemand, der/die bereits Prosagedichte geschrieben hat (oder Prosa schreibt) und sich evtl. damit "auskennt" mir eine Rückmeldung geben würde, ob ich "richtig liege". Zitat:
So ist es aber auch an der S-Bahn-Haltestelle und in der Bahn. Fast alle setzen sich, falls möglich, "einzeln" hin und schauen auf den Boden, in die Luft und aus dem Fenster. Die "andere Seite": Ich kann (oder besser: darf!) auch nur "Schnappschüsse" machen, denn wehe, mein Blick "streift" nur jemanden. Selbst ein kurzer Blick reicht ab und zu, damit jemand sofort in eine Art "Abwehrhaltung" geht. Ich denke, er oder sie "denkt": Was glotzt die so? Dabei ist es nur so, dass ich mein Sehvermögen nicht einfach "ausknipsen" bzw. mir die Augen ja nicht "herausnehmen" kann, nur um sicher zu gehen, dass ich nicht versehentlich jemanden "anschaue". Herrjemineh, wirklich. Mich stört es nicht, wenn mich jemand ansieht, mich würde nur echtes "Starren" stören - und das ist ganz etwas anderes. Jedem der "Protagonisten" bin ich tatsächlich begegnet, allerdings nicht allen "auf einmal". Es ist eine Art "Querschnitt" aus meiner Erinnerung. Unsere Gesellschaft ist "vielschichtiger" als gemeinhin angenommen wird. Manche "Beobachtung" macht den "Beobachter" traurig, manche nachdenklich, manche wirken belustigend und andere ärgern oder erfreuen ihn. Auch ein Beobachter ist "nur ein Mensch", und seine innere Gedankenwelt "steuert", wie er das "identifiziert und einordnet", was er sieht. Zitat:
Zitat:
Bei allem Negativem, Traurigem, Ärgerlichem, Gewöhnlichem und Ungewöhnlichem, dem wir ständig begegnen - wenn wir bereit sind, andere Menschen wahrzunehmen - auch die Freude, die Unbeschwertheit und die Offenheit existieren, im Gedicht manifestieren sie sich in Gestalt des Kindes. Sollte die "ganze Geschichte" hier im Papierkorb landen, da man, so erwünscht, sich ärgern, den Kopf schütteln, (sowohl sich wundernd als auch ablehnend), traurig werden kann oder sollte sie nicht gerade aufgrund des einen "kleinen" Protagonisten "aufgeschrieben" werden? Wenn man "hinsieht" ist die Welt eben auch positiv. Ist denn die "Masse" alles, oder zählt nicht auch das "Einzelne"? Eine kleine "Geschichte" als Beispiel: Nehmen wir an, 10 Menschen wären in einen Fluss gefallen und drohten, zu ertrinken. Am Ufer steht ein Mensch, der Zugang zu einem Rettungsboot hat. Nehmen wir weiter an, der Beobachter am Ufer wüsste aus irgendeinem unerfindlichen Grund, dass 9 davon sehr "böse, schlechte" Menschen sind, er weiß aber nicht, welcher davon der "eine gute Mensch" ist. Soll er dann sagen: "Mir egal, der eine zählt nicht, weil die anderen 9 schlecht sind. Die haben es nicht anders verdient. Soll er mit ersaufen!" Also entscheidet er sich aufgrund der "Mehrheit", keinen "Rettungsversuch" zu unternehmen. Das ist völlig verkehrt. Ich "rette" lieber ggf. alle 9 "Mistkerle" mit, als den einen ertrinken zu lassen! Zitat:
Danke für deinen einfühlsamen Kommentar und ja, eine Geschichte erzählt immer auch etwas von der "Geschichte" des Beobachters. Liebe Grüße Stimme
__________________
.
Geändert von Stimme der Zeit (19.10.2011 um 08:42 Uhr) Grund: Kleine Änderungen und Ergänzungen. |
||||
19.10.2011, 13:35 | #4 |
ADäquat
Registriert seit: 07.02.2009
Ort: Mitteldeutschland
Beiträge: 13.004
|
Liebe Stimme,
__________________
. © auf alle meine Texte
|
19.10.2011, 20:29 | #5 | ||||
Erfahrener Eiland-Dichter
Registriert seit: 15.03.2011
Ort: Stuttgart
Beiträge: 1.836
|
Liebe Chavi,
Zitat:
Aber wenn du es schön findest, dass ich hier bin, dann freut mich das natürlich sehr! Zitat:
Wobei ich selbstverständlich nicht „werten“ möchte, denn ob diese Art Gedicht gefällt oder nicht, ist reine „Geschmackssache“, und der ist nun mal verschieden. Ich persönlich denke nicht, dass ich es zu einem „Liebling“ erklären werde, denn ich habe ja schon eine „Lieblingsform“: Das Sonett, in allen denkbaren „Varianten“. Zitat:
Zitat:
Danke für dein interessiertes Lesen. Liebe Grüße Stimme
__________________
.
|
||||
Lesezeichen |
Aktive Benutzer in diesem Thema: 1 (Registrierte Benutzer: 0, Gäste: 1) | |
|
|