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Alt 10.12.2011, 10:18   #1
wolo von thurland
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Beiträge: n/a
Standard schockschwerenötig

umarmend legt sich weihnachtsfreude auf die stadt,
die sich das licht der sterne einverleibt.
in hohlen kinderhänden flackern kerzen matt,
ein leichtes opfer für den wind der zeit.

doch ein laternchen leuchtet sichtbar hell und stetig.
ein wunder? nein, es brennt mit batterien.
so mit der zeit zu gehen ist schockschwerenötig.
wer hat da eben: „fasst den dieb!“ geschrien?

Geändert von wolo von thurland (10.12.2011 um 10:26 Uhr)
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Alt 04.01.2012, 11:44   #2
Stimme der Zeit
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Benutzerbild von Stimme der Zeit
 
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Beiträge: 1.836
Standard

Hallo, wolo,

das ist eines deiner ernsthaften, tiefsinnigen Gedichte. Ich beginne zuerst mit den formalen Aspekten, da sie hier (wie ich finde) durch ihre "Wirkung" besonders "eng" mit dem Inhalt verbunden sind.

Strophe 1 weist ausschließlich männliche Kadenzen auf, Strophe 2 dagegen weibliche. In beiden jedoch alternieren im Kreuzreim sechs- und fünfhebig jambische Verse. Der "Rhythmus" funktioniert, wenn ich konsequent "ohne Zäsuren" lese, also innerhalb der Verse keine "Pausen" mache. Das ist keine Kritik, nur eine Anmerkung.

Es ist wirklich so, dass ich immer wieder bei einem deiner Gedichte "lande", ich muss auch einmal sagen, warum. Ich sitze da, lese, und dann staune ich immer wieder: Unglaublich, was wolo immer für Ideen hat! Mal ganz im Ernst: Du besitzt ein wirklich hohes Maß an Kreativität. Kerzen, ein Laternchen mit Batterien und ein Neologismus wie "schockschwerenötig". Aus diesem einen Wort kann ich mehrere Bedeutungen herauslesen:

Schock - schwer - nötig, Schock - Schwerenot: Schwerenot war eine alte Bezeichnung für Fallsucht (Epilepsie), sehr tiefsinnig. Schwerer Schock - nötig, Schock - schwerenötig (sehr interessant, dass auch "Schwerenöter" enthalten ist). Verbinde ich Letzeres mit "fasst den dieb!", dann ergibt sich für mich wieder eine Bedeutung. Stahl also der "metaphorisch-reale Bruder Leichtfuß" (ich würde das so sehen), der "Jetztzeit" das "Licht"? Übertragen auf die "Gesellschaft", für eine Geisteshaltung? Darin lese ich auch eine "Leichtfertigkeit". Das ist natürlich nur meine Interpretation. Und nicht zuletzt, ist "Schockschwerenot" ein bekannter "Ausruf des Schreckens".

Um näher auf den Inhalt einzugehen:

Zitat:
umarmend legt sich weihnachtsfreude auf die stadt,
die sich das licht der sterne einverleibt.
in hohlen kinderhänden flackern kerzen matt,
ein leichtes opfer für den wind der zeit.
Ich bringe auch dieser "Umarmung" keine sonderlich "positiven Gefühle" entgegen. Eine Weihnachtsfreude, die sich "das Licht der Sterne einverleibt", spricht für mich deutlich davon, dass die vielen, bunten Weihnachtslichter mit ihrem "unechten" Licht dafür sorgen, dass das "Licht der Sterne" (Positives, Hoffnung, echte "Umarmung") davon "verschlungen" wird - der Glanz der "Festbeleuchtungen" - Blendwerk. In den Kindern (wunderbar dargestellt: die Symbolik der Kinderhände) "leuchtet" das Licht der Sterne noch, aber ja, sie sind "kleine Kerzen", die, wenn sie heranwachsen, zu einem "leichten Opfer für den Wind der Zeit" werden ...

Zitat:
doch ein laternchen leuchtet sichtbar hell und stetig.
ein wunder? nein, es brennt mit batterien.
so mit der zeit zu gehen ist schockschwerenötig.
wer hat da eben: „fasst den dieb!“ geschrien?
Offenbar brennt da doch ein Licht, sichtbar, hell und stetig. Sehr gut, die Frage: ein wunder? Doch dann die "Desillusionierung": Nur eine "Täuschung", es ist nur ein Laternchen, das lediglich mit "Batterien brennt". Auf die möglichen Bedeutungen von "schockschwerenötig" bin ich ja oben bereits separat eingegangen. "fasst den dieb!" - Ja, wer hat da geschrien? Einzelne "Rufer" gibt es noch. Einige merken, dass hier im Zuge der Zeit etwas Wertvolles "gestohlen" wurde. Und das hat, meines Erachtens nach, in erster Linie, unabhängig von Glaubensrichtungen, vor allem mit einer traurigen Tatsache zu tun: Es wurde etwas Wichtiges gestohlen. Und fast niemand merkt es.

Sehr gerne gelesen und kommentiert.

Liebe Grüße

Stimme
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Dieser Salon entstammt einer Idee von unserem Forenmitglied Thomas, der sich über jeden Beitrag sehr freuen würde.


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Alt 04.01.2012, 21:38   #3
wolo von thurland
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hallo sdz
danke für deinen kommentar.
bin froh, dass das sehr seltsame adjektiv in den augen der leserin farbe(n) bekam.
die themen cäsuren und kadenzen werde ich vielleicht in zukunft ein bisschen bewusster angehen. mal kucken, ob was dabei rauskommt.
lg wolo
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Alt 05.01.2012, 01:44   #4
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Ort: Österreich
Beiträge: 8.570
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Hi, Wolo!

Gefällt mir sehr gut, dein kurzes, aber dichtes Werk zur Weihe der Weihnacht.
Wortmagie, Tiefe, Sprachkreativität und ein kleines, etwas trauriges Augenzwinkern sintern diese Zeilen zu Prägnanz und Volumen!

Sehr gern gelesen!

Nebenbei: Ich bleibe beim Dichten lieber intuitiv, denn wenn ich dabei schon mit Hebungszählerei u. a. anfange, wird die Sprache zum entseelten Legobaukasten für den bewußten Konstrukteur in mir, und das möchte ich tunlichst vermeiden! Ein Gefühl, ein Bild dazu, das muss der dominante Motor meiner Lyrik sein, damit sie Tiefe und Angang hat.
Ich lasse dieses Empfinden und die Sprachmelodie mich leiten, der Rest fügt sich dann wie von selbst. Wie machst du das?

LG, eKy
__________________
Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen!
Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind.
Dummheit und Demut befreunden sich selten.

Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.
Erich Kykal ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 05.01.2012, 17:13   #5
wolo von thurland
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hallo erich kykal
danke für deinen freundlichen kommentar und deine ausführungen zur intuition.
du fragst, wovon ich mich leiten lasse.
eigentlich ist da meist nur ein erstes wort, ein erster reim, eine erste zeile, ein erster satz, und erst beim spielen damit ergibt sich eine fortsetzung, die einigermassen auch sinn ergibt. mir fehlt allein schon das wissen über gedichte, um anders vorzugehen. wenn mir etwas gefällt, versuche ich es nachzuahmen.
am konkreten beispiel: mir ging durch den kopf "die stadt, die sich das licht der sterne einverleibt". das gefiel mir und ich versuchte es in einen satz einzukleiden usw.
so ist es natürlich kein wunder, wenn ich oft nach acht zeilen nicht mehr weiter weiss.
aber es freut mich, dass der achtzeiler hier dir gefallen hat.
gruss wolo
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