Gedichte-Eiland  

Zurück   Gedichte-Eiland > Verschiedenes > Eiland Leben > Eiland-Schule und Eiland-Bibliothek > Eiland-Bibliothek > Eiland - Bibliothek

Antwort
 
Themen-Optionen Ansicht
Alt 05.12.2014, 20:35   #1
Terrapin
Erfahrener Eiland-Dichter
 
Registriert seit: 27.08.2014
Beiträge: 470
Standard

Dies ist wohl eines der schönsten deutschen Gedichte. Ein Meisterwerk, das der junge Kalckreuth schon in solch zartem Alter schrieb.
Man staune wie er diese sehr sehr fordernde Form beherrschte und trotz der vielen gleichen Reime nie die Aussage vernachlässigte. Grandios und unübertroffen.



Der Abendhorizont vergangner Stunden,
der zitternd mein ermüdet Auge bannt,
rankt seine weißen Blüten, zartgewunden,
aufhellend, um das traumbetaute Land.
Und liliengleich sprießt alles, was entschwand,
als ob ein fremder Hauch es aufwärts triebe -
und zitternd flimmern durch die Nebelwand
der Stern der Sehnsucht und der blassen Liebe.

Wie Weihrauchduft durch fern Gewölb empfunden
hat sich ein Schleier über ihn gespannt,
das fast dem weiten Äther er entschwunden,
in dem er leise knisternd aufgebrannt.
Es ist, als ob auf lieblichem Gewand
gestreifter Blumen Goldstaub haften bliebe.
So hingeweht perlt er am Himmelsrand,
der Stern der Sehnsucht und der blassen Liebe.

Ein Dunkel ohne Morgen deckt die Wunden,
die ich betastet mit entweihter Hand,
und deren Schmerz so köstlich ich erfunden,
so oft die Sterne scheidend sich gewandt.
Doch wie ein silbern, windentwehtes Band
hält mich der Strahl, ob alles auch zerstiebe,
und zaubert über Flut und weißen Strand
den Stern der Sehnsucht und der blassen Liebe.

Du, Liebste, hast allein mein Herz gekannt;
und wann der Zukunft Machtwort es zerriebe,
stets strahlt mir, ein entwichner Diamant,
der Stern der Sehnsucht und der blassen Liebe.

Wolf von Kalckreuth
Terrapin ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 07.12.2014, 08:21   #2
Lailany
Kiwifrüchtchen
 
Benutzerbild von Lailany
 
Registriert seit: 23.05.2009
Ort: nördlich von Auckland/Neuseeland
Beiträge: 945
Standard

Das ist wirklich atemberaubend schön! Terrapin, DANKE fürs Einstellen, ich kannte Kalckreuth bisher nur dem Namen nach. Jetzt aber will ich mehr von ihm lesen, seine Poesie begeistert mich.
HG von Lai
__________________
.................................................. ...........................................
"Manchmal ist es so demütigend, ein Mensch sein zu müssen..." Erich Kykal
Lailany ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 09.12.2014, 21:50   #3
Terrapin
Erfahrener Eiland-Dichter
 
Registriert seit: 27.08.2014
Beiträge: 470
Standard

Hallo Lailany!

Klackreuth ist in der Tat ein beeindruckender und ergreifender Dichter. Ein Ausnahmetalent wie Arthur Rimbaud. Als ich vor Jahren durch Zufall eines seiner Sonette gelesen habe erlag ich sofort seinem Zauber und verschlang alles von ihm. Es war diese schwingende Leichtigkeit in seinen Versen vereint mit köstlich treffender Aussage. Die Silben und Worte fließen so vorbestimmt und erhaben.
Leider ist es mitunter recht mühsam an seine Werke zu gelangen. Doch wiegt der Klang der Lieder die Anstrengungen weitüber auf.

Um ehrlich zu sein sind viele seiner Gedichte meine Lieblinge. In jedem einzelnen liegt der flammende Hauch eines hehren Geistes und die gewaltige Sehnsucht nach dem Tod.

Ach, ich könnte schon wieder unnütz in aller Leidenschaft gefangen, haltlos Schwärmen.


Hier ein Link, wo ich einen Teil seines Werkes für die interessierte Öffentlichkeit zugänglich gemacht habe, das er mir nicht irgendwann gänzlich vergessen wird. (Ich hoffe das das gestattet ist.)

link entfernt - siehe nutzungsbedingungen
chavali/mod


Ich will auch gleich das erste Sonett, das ich von ihm las, beilegen.


Die Lüfte werden seltsam kalt und leicht,
denn alle Hoffnung ist im Sand bestattet,
und selbst die Macht der Schwermut ist ermattet,
die ich geliebt, wie alles, was entweicht.

Nun ist der Pfad der blassen Nacht erreicht,
den ihr im Leben längst vergessen hattet.
Er ist so zart, so wundersam beschattet,
das kein Gefilde ihm an Wehmut gleicht.

Der Pfad auf weißem, schleierhaftem Moose,
der Pfad ins Niebetretne, Wesenlose. -
Und wenig nehme ich dahin von hier.

Doch eh die Sinne sich in Nacht versenken,
schenkt mir ein leises, zitterndes Gedenken,
schenkt die Erinnrung toter Sehnsucht mir.

Um Weihnachten 1905


Liebe Grüße, Terrapin.

Geändert von Chavali (10.12.2014 um 08:34 Uhr)
Terrapin ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 06.03.2016, 04:28   #4
Lailany
Kiwifrüchtchen
 
Benutzerbild von Lailany
 
Registriert seit: 23.05.2009
Ort: nördlich von Auckland/Neuseeland
Beiträge: 945
Standard

Der schöne Faden liegt schon viel zu lange brach, drum möchte ich ihn wieder aufleben lassen mit einem Werk von R.M.Rilke.

Der Panther

Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, daß er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf - dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille -
und hört im Herzen auf zu sein.

Wer bei einem Gedicht noch nie geweint hat, der lasse die letzte Zeile ins Gemüt einsinken.
So schlicht, so banal die Wortführung und dennoch beinhaltet sie die stumme Trauer und das Leid aller gequälten Kreaturen dieser Welt.
Dieses Werk von Rilke kannte ich noch nicht, hab es eben erst entdeckt und gleich bei meinen Lieblingsgedichten eingereiht.
__________________
.................................................. ...........................................
"Manchmal ist es so demütigend, ein Mensch sein zu müssen..." Erich Kykal

Geändert von Lailany (06.03.2016 um 11:48 Uhr)
Lailany ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 06.03.2016, 19:31   #5
Chavali
ADäquat
 
Benutzerbild von Chavali
 
Registriert seit: 07.02.2009
Ort: Mitteldeutschland
Beiträge: 13.012
Standard

Ja, Lai, *Der Panther* ist auch eines meiner Lieblingsgedichte


Wie findet ihr das:

Orphische Hymnos

„An Nemesis“ deutlich:


Ich rufe Dich, Nemesis!
Höchste!
Göttlich waltende Königin!
Allsehende, Du überschaust
Der vielstämmigen Sterblichen Leben.
Ewige, Heilige, Deine Freude
Sind allein die Gerechten.
Aber Du hassest der Rede Glast,
Den bunt schillernden, immer wankenden,
Den die Menschen scheuen,
die dem drückenden Joch
Ihren Nacken gebeugt.
Aller Menschen Meinung kennst Du,
Und nimmer entzieht sich Dir die Seele
Hochmütig und stolz
Auf den verschwommenen Schwall der Worte.
In alles schaust Du hinein,
Allem lauschend, alles entscheidend.
Dein ist der Menschen Gericht.
__________________
.
© auf alle meine Texte
Die Zeit heilt keine Wunden, man gewöhnt sich nur an den Schmerz

*
Chavali ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 07.03.2016, 13:44   #6
Agneta
Gast
 
Beiträge: n/a
Standard

ein schöner Faden, in dem ich gerne mal wieder schnuppern werde.
Der Panther ist auch mein Lieblingsgedicht, ich hätte ihn auch eingestellt.
Sehr schön finde ich auch die Gedichte von Kalkreuth. da muss ich noch mal stöbern! und natürlich alles von Rilke, was Erich eingestellt hat.
LG von Agneta
  Mit Zitat antworten
Alt 07.03.2016, 16:23   #7
Falderwald
Lyrische Emotion
 
Benutzerbild von Falderwald
 
Registriert seit: 07.02.2009
Ort: Inselstadt Ratzeburg
Beiträge: 9.947
Standard

Fresko Sonett an Christian S. von Heinrich Heine

II.

Gib her die Larv', ich will mich jetzt maskieren
In einen Lumpenkerl, damit Halunken,
Die prächtig in Charaktermasken prunken,
Nicht wähnen, ich sei einer von den Ihren.

Gib her gemeine Worte und Manieren,
Ich zeige mich in Pöbelart versunken,
Verleugne all die schönen Geistesfunken,
Womit jetzt fade Schlingel kokettieren.

So tanz ich auf dem großen Maskenballe,
Umschwärme von deutschen Rittern, Mönchen, Kön'gen,
Von Harlekin gegrüßt, erkannt von wen'gen.

Mit ihrem Holzschwert prügeln sie mich alle.
Das ist der Spaß. Denn wollt ich mich entmummen,
So müßte all das Galgenpack verstummen.


__________________


Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)



Falderwald ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 07.03.2016, 23:20   #8
Agneta
Gast
 
Beiträge: n/a
Standard

Da ich neben Rilke immer auch schon eine Schwäche für satirische Humoristen hatte, mochte ich immer auch Eugen Roth .
Hier eines meiner Lieblinge von ihm:

"Immer höflich - von Eugen Roth

Ein Mensch grüßt, als ein Mann von Welt,
wenn man ihm einmal vorgestellt.
Er trifft denselben äußerst spärlich,
wenn´s hochkommt, drei- bis viermal jährlich

und man begrinst sich, hohl und heiter,
und geht dann seines Weges weiter.
Doch einmal kommt ein schlechter Tag,
wo just der Mensch nicht grinsen mag.

Und er geht stumm und starr vorbei,
als ob er ganz wer andrer sei.
Doch solche Unart rächt sich kläglich:
Von Stund an trifft er jenen täglich!
-------


  Mit Zitat antworten
Alt 13.04.2016, 08:45   #9
Terrapin
Erfahrener Eiland-Dichter
 
Registriert seit: 27.08.2014
Beiträge: 470
Standard

Caspar Hauser singt

Als schlichter Waise, reich genug
an meiner Augen stillem Scheine,
kam ich zur Stadt, fremd und alleine,
die Männer fanden mich nicht klug.

Mit zwanzig Jahren wurde ich
im Feuer der verliebten Sinne
der Weiber süßer Schönheit inne:
doch freilich schön fand keine mich.

Wenn auch in keines Königs Sold,
ich Heimatloser Ruhm erworben,
wär' gern ich doch im Krieg gestorben,
doch hat der Tod mich nicht gewollt.

Kam ich zu früh, kam ich zu spät
in diese Welt voll herber Trauer?
Was soll mir, ach, des Lebens Dauer?
Denkt an mich Armen im Gebet!

Paul Verlaine

Übertragung von Wolf von Kalckreuth



La Chanson de Gaspard Hauser

Je suis venu, calme orphelin,
Riche de mes seuls yeux tranquilles,
Vers les hommes des grandes villes :
Ils ne m’ont pas trouvé malin.

À vingt ans un trouble nouveau
Sous le nom d’amoureuses flammes
M’a fait trouver belles les femmes :
Elles ne m’ont pas trouvé beau.

Bien que sans patrie et sans roi
Et très brave ne l’étant guère,
J’ai voulu mourir à la guerre :
La mort n’a pas voulu de moi.

Suis-je né trop tôt ou trop tard ?
Qu’est-ce que je fais en ce monde ?
Ô vous tous, ma peine est profonde :
Priez pour le pauvre Gaspard !
__________________
Das Leben ist eines der schwierigsten.

Geändert von Terrapin (13.04.2016 um 11:54 Uhr)
Terrapin ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 13.04.2016, 10:47   #10
vedena
Erfahrener Eiland-Dichter
 
Benutzerbild von vedena
 
Registriert seit: 30.08.2010
Beiträge: 181
Standard

Danke @Lailany - Der Panther ist auch mein großer Favorit.

Falls jemandem gerade romantisch zumute ist, mir gefällt auch das hier:

Der Asra

Täglich ging die wunderschöne
Sultanstocher auf und nieder
Um die Abendzeit am Springbrunn,
Wo die weißen Wasser plätschern.

Täglich stand der junge Sklave
Um die Abendzeit am Springbrunn,
Wo die weißen Wasser plätschern;
Täglich ward er bleich und bleicher.

Eines Abends trat die Fürstin
Auf ihn zu mit raschen Worten:
Deinen Namen will ich wissen,
Deine Heimat, deine Sippschaft!

Und der Sklave sprach: Ich heiße
Mohamet, ich bin aus Yemmen,
Und mein Stamm sind jene Asra,
Welche sterben, wenn sie lieben.

Heinrich Heine


__________________
Mein Buch "Leitersprossen"

ISBN-10: 3853060501
ISBN-13: 978-3853060506 - oder per PN !
vedena ist offline   Mit Zitat antworten
Antwort

Lesezeichen


Aktive Benutzer in diesem Thema: 6 (Registrierte Benutzer: 0, Gäste: 6)
 

Forumregeln
Es ist Ihnen nicht erlaubt, neue Themen zu verfassen.
Es ist Ihnen nicht erlaubt, auf Beiträge zu antworten.
Es ist Ihnen nicht erlaubt, Anhänge hochzuladen.
Es ist Ihnen nicht erlaubt, Ihre Beiträge zu bearbeiten.

BB-Code ist an.
Smileys sind an.
[IMG] Code ist an.
HTML-Code ist aus.

Gehe zu


Alle Zeitangaben in WEZ +1. Es ist jetzt 20:15 Uhr.


Powered by vBulletin® (Deutsch)
Copyright ©2000 - 2025, Jelsoft Enterprises Ltd.

http://www.gedichte-eiland.de

Dana und Falderwald

Impressum: Ralf Dewald, Möllner Str. 14, 23909 Ratzeburg