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Alt 28.09.2015, 15:08   #1
wolo von thurland
Gast
 
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Standard Wer zeigt mir "metrisch sauber"?

Hallo, Leute.
Es ist mir gelungen, ein nicht ganz ernst gemeintes Podiumsgespräch dreier erfahrener Forenmitglieder zu provozieren, in welchem sie sich mit Goethes Gedicht "Rezensent" auseinandersetzen, aber so tun, als wollten sie einem lebenden Autor mit der Metrok helfen. Dieses Gedicht wurde von Reich Ranicki übrigens als "Goethes dümmstes Gedicht" bezeichnet. Lest und jurteilt selbst.
viel vergnügen
wolo von thurland

Da hatt ich einen Kerl zu Gast,
Er war mir eben nicht zur Last;
ich hatt just mein gewöhnlich Essen,
Hat sich der Kerl pumpsatt gefressen,
Zum Nachtisch, was ich gespeichert hatt.
Und kaum ist mir der Kerl so satt,
Tut ihn der Teufel zum Nachbar führen,
Über mein Essen zu räsonieren:
„Die Supp hätt können gewürzter sein,
Der Braten brauner, firner der Wein.“
Der Tausendsackerment!
Schlagt ihn tot, den Hund! Es ist ein Rezensent.


(J.W. von Goethe)

Geändert von wolo von thurland (29.09.2015 um 12:42 Uhr)
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Alt 28.09.2015, 18:53   #2
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Registriert seit: 18.02.2009
Ort: Österreich
Beiträge: 8.570
Standard

Da hatt ich einen Kerl zu Gast,
Er war mir eben nicht zur Last;
ich hatte just mein gewöhnlich Essen,
Hat sich der Kerl pumpsatt gefressen,
Zum Nachtisch, was ich gespeichert hatt.
Und kaum ist mir der Kerl so satt,
Tut ihn der Teufel zum Nachbar führen,
Über mein Essen zu räsonieren:
„Die Supp hätt können gewürzter sein,
Der Braten brauner, firner der Wein.“
Der Tausendsackerment!
Schlagt ihn tot, den Hund! Es ist ein Rezensent.



Version mit 10 Silben und vier Hebern pro Zeile, bzw. 6 Silben und drei Hebern in den drei letzten Zeilen, die ich hier abgesetzt habe, um sie und die Veränderung hervorzuheben:


Ich hatte just einen Burschen zu Gast,
er war mir nicht eben zu großer Last -
ich hatte just mein gewohntes Essen.
Der Bursche, er hat sich sattgefressen
an Speisen, und was ich so übrig hatt.
Und kaum ist mir dieser Bursche pappsatt,
die Schritte ihn hin zum Nachbar führen,
um über das Mahl zu räsonieren:
„Die Suppe, sie könnte gewürzter sein,
der Braten brauner und firner der Wein.“

Der Tausendsackerment!
So schlagt ihn tot, den Hund!
Es ist ein Rezensent.


Ich hoffe, es ist das, was du im Sinn hattest. eKy
__________________
Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen!
Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind.
Dummheit und Demut befreunden sich selten.

Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.

Geändert von Erich Kykal (28.09.2015 um 18:55 Uhr)
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Alt 28.09.2015, 19:51   #3
Falderwald
Lyrische Emotion
 
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Beiträge: 9.912
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Moin wolo,

ich weiß nicht, ob alternierende Metren wissenschaftlich eindeutig erklärbar und begründbar sind.
Es handelt sich dabei doch eigentlich nur um spezielle Rhythmen aus betonten und unbetonten Silben. Daraus ergeben sich mehrere theoretische Metrikkonstrukte, u. a. der hier angesprochene Jambus.
Je nach Region und Mundart können die Silbenbetonungen unterschiedlich ausfallen und schon ist die ganze schöne Theorie dahin.
(Ich persönlich habe mir angewöhnt, den Duden im Zweifelsfall als Referenz heranzuziehen.)
Darüber hinaus habe ich mich vor einigen Jahren sehr intensiv mit der theoretischen Technik beschäftigt und einige Dinge dabei für mich gelernt, mit denen ich bisher relativ gut gefahren bin.
In allen regelmäßigen Metrikkonstrukten kommen weder drei unbetonte Silben noch zwei gleichmäßig stark betonte hintereinander vor.
Geschieht dies eindeutig doch, dann ist die Metrik nicht mehr regelmäßig und das ist eine Abweichung.
Nur ist es im natürlichen Sprachgebrauch so, dass bei drei hintereinander stehenden unbetonten Silben die in der Mitte liegende leicht angehoben wird, so dass man sich diesen Trick, diese kleine Schlamperei, durchaus einmal in einem ansonst regelmäßigen Jambus zunutze machen darf.
Das las ich so oft, denn das haben die Alten auch gemacht.
Und so geht es auch mit zwei betonten Silben. Die zweite davon ist meist schwächer zu betonen.
Bei einem eindeutigen "Hebungsprall" ist wieder eine Abweichung gegeben und die Regelmäßigkeit dahin.

Nehmen wir uns mal den Beispieltext nach dem obigen Schema vor, so wie ich ihn metrisch interpretieren würde:

Da hatt ich einen Kerl zu Gast,
xXxXxXxX
Der war mir eben nicht zur Last;
xXxXxXxX
Ich hatt just mein gewöhnlich Essen,
xXxXxXxXx (mit viel Augenzudrücken)
Hat sich der Kerl plumpsatt gefressen,
XxxXxXxXx
Zum Nachttisch, was ich gespeichert hatt.
xXx,xXxXxX
Und kaum ist mir der Kerl so satt,
xXxXxXxX
Tut ihn der Teufel zum Nachbar führen,
XxxXxxXxXx
Über mein Essen zu räsonieren:
XxxXxxXxXx
»Die Supp hätt können gewürzter sein,
xXxXxxXxX
Der Braten brauner, firner der Wein.«
xXxXx,XxxX
Der Tausendsackerment!
xXxXxX
Schlagt ihn tot, den Hund! Es ist ein Rezensent.
XxXxX! xXxXxX

Prinzipiell liest es sich wunderbar, wenn man das Schema einmal raushat.
Aber wie man sieht, ist dies eindeutig kein regelmäßig jambischer Text.

Und das ist eben oft die strittige Frage.
Wenn der Autor ein metrisch einheitliches Gewand wählt, dann wird er darauf achten müssen, das so etwas wie in diesem Text nicht vorkommt.
Legt er darauf keinen Wert und "redet", wie ihm der Schnabel gewachsen ist, kommt so etwas dabei heraus und das kann seinen ganz eigenen Charme besitzen, wie man an diesem Beispiel gut erkennen kann.

Zitat:
Zitat von wolo
Nun frage ich euch: Ist das folgende Werk noch zu retten? Was soll ich tun,...
Tja, was kannst du da machen?
Wahrscheinlich hilft da nur intensives Beten und auf ein Wunder zu hoffen, dass der olle JWG ein "posthumanes" Einsehen mit deinem strapazierten Jambusgefühl hat und dir per Geistesblitz eine diesbezüglich überarbeitete Version zukommen lässt.

Lassen wir es so, wie es ist. Es ist gut so.


Liebe Grüße

Falderwald


Servus Erich,

du hast das zwar vollkommen korrekt umgesetzt, aber glaube mir, das besitzt in dieser Version den Charme eines erdrosselten Eichhörnchens. Da würden JWG und wohl auch RMR sich im Grabe rumdrehen.


Liebe Grüße

Falderwald


__________________


Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)



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Alt 28.09.2015, 21:53   #4
Erich Kykal
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Hi, Faldi!

Ich wollte an der Substanz nicht zuviel verändern - wenn ich das tue, beschweren sich die Autoren oft, dass das von mir Bearbeitete nicht mehr "Ihres" wäre, also versuche ich derlei nur soweit zu "frisieren", dass es dem gewünschten metrischen Ergebnis entspricht.
Über die lyrische Qualität erlaube ich mir in solchen Fällen kein Urteil, da geht es mir rein ums Handwerkliche.

Das mit dem "erdrosselten Eichhörnchen" musst du dir also mit dem ursprünglichen Autor ausmachen ...

LG, eKy
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Geändert von Erich Kykal (29.09.2015 um 14:35 Uhr)
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Alt 29.09.2015, 10:21   #5
Claudi
Senf-Ei
 
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Hi Wolo,

Du Schelm! Was hier beginnt wie ein jambisches Gedicht, ist keins und soll es auch nicht sein, sondern feinster Knittel. Da darf man auf keinen Fall mit alternierender Auf- und Ab-Gewohnheit rangehen, sonst fällt man böse rein.

Das Maß für den Knittelvers ist sehr frei: Vier Hebungen pro Vers mit Endreim nach beliebigem Reimschema. Die Anzahl der Senkungen dazwischen kann von null bis vier variieren. Das wäre doch der ideale Vers für Dich! Da passen sogar Lastwagengespanne und Samtpfoten rein, ohne dass irgendjemand Dir dafür die Ohren langziehen dürfte.


Hi Faldi,

Zitat:
Legt er darauf keinen Wert und "redet", wie ihm der Schnabel gewachsen ist, kommt so etwas dabei heraus und das kann seinen ganz eigenen Charme besitzen, wie man an diesem Beispiel gut erkennen kann.
Stimmt, der Knittel hat besonderen Charme. Aber ganz so leicht ist er nicht, dass man einfach reden könnte, wie einem der Schnabel gewachsen ist. Da brauchts mehr Fingerspitzengefühl als für einen alternierenden Vers, wenn man nicht bei Prosa landen will.


Hi Erich,

Abstreiten nützt nichts! Das tote Eichhörnchen hast Du auf dem Gewissen, wir haben es genau gesehen!


LG Claudi
__________________
.
Rasple die Süßholzwurzel so fein, dass es staubt, in den reichlich
Abgestandenen Quark; darüber verträufele Wermut,
Bis aus dem Rührwerk, Burps! endlich das Bäuerchen kommt.
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Alt 29.09.2015, 12:27   #6
Erich Kykal
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Ihr könnt mir den Buckel des besagten Eichhörnchens runterrutschen!
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Alt 29.09.2015, 12:38   #7
wolo von thurland
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Liebe EKy, Falderwald und Claudi

Es hat mir grossen Spass gemacht und war sehr lehrreich (ist es noch), eure so humorigen wie fachkundigen Auseinandersetzingen mit dem geknittelten Eichhörnchen zu studieren.
Eigentlich kann ich mich jetzt rausnehmen und das Feld euch und dem "ursprünglichen Autor" überlassen, den ihr bestimmt herausgefunden habt, wenn ihn auch keiner beim Namen nennt, so viel ich sehe.
Deshalb mache ich oben noch ein korrektes Zitat draus. Denn ich hoffe, dass noch viele Möchtegerndichter euer kleines Podiumsgespräch zu ihrem Nutzen durchlesen.

Herzlichen Dank fürs Mitmachen
wolo
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Alt 29.09.2015, 14:39   #8
Erich Kykal
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Ach, von Goethe höchstselbst?

Nun, auch er hatte so manche "schwache Stunde", und wie hier ersichtlich offenbar nicht immer nur beim schönen Geschlecht!

Oder um einen unsäglichen Filmtitel der letzten Jahre zu strapazieren: "Fack ju Göhte"!

Beinahe erschüttert, eKy
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Alt 29.09.2015, 21:18   #9
Falderwald
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Zitat:
Zitat von wolo
...wenn ihn auch keiner beim Namen nennt...
Zitat:
Zitat von Erich
Ach, von Goethe höchstselbst?

Moin ihr Schnellmerker,

also noch deutlicher konnte man ja wohl kaum mit dem Zaunpfahl winken:

Zitat:
Zitat von Falderwald an wolo s. o.
Tja, was kannst du da machen?
Wahrscheinlich hilft da nur intensives Beten und auf ein Wunder zu hoffen, dass der olle JWG ein "posthumanes" Einsehen mit deinem strapazierten Jambusgefühl hat und dir per Geistesblitz eine diesbezüglich überarbeitete Version zukommen lässt.

Ziemlich erschüttert, Falderwald


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Alt 30.09.2015, 18:52   #10
wolo von thurland
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Wenn einer mit dem Knittel winkt, ist der Zaunpfahl im Auge des andern schwer zu erkennen.
Es sind wenige, welche JWG vetraulich "den Ollen" nennen dürfen.
Nun wollen wir uns aber vertragen und ich werde auch nicht (gleich morgen) solche Plagiatsscherzchen wiederholen.
Eionen spassigen Abend wünscht
wolo
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