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Alt 06.03.2016, 06:28   #91
Lailany
Kiwifrüchtchen
 
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Der schöne Faden liegt schon viel zu lange brach, drum möchte ich ihn wieder aufleben lassen mit einem Werk von R.M.Rilke.

Der Panther

Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, daß er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf - dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille -
und hört im Herzen auf zu sein.

Wer bei einem Gedicht noch nie geweint hat, der lasse die letzte Zeile ins Gemüt einsinken.
So schlicht, so banal die Wortführung und dennoch beinhaltet sie die stumme Trauer und das Leid aller gequälten Kreaturen dieser Welt.
Dieses Werk von Rilke kannte ich noch nicht, hab es eben erst entdeckt und gleich bei meinen Lieblingsgedichten eingereiht.
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"Manchmal ist es so demütigend, ein Mensch sein zu müssen..." Erich Kykal

Geändert von Lailany (06.03.2016 um 13:48 Uhr)
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Alt 06.03.2016, 21:31   #92
Chavali
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Ja, Lai, *Der Panther* ist auch eines meiner Lieblingsgedichte


Wie findet ihr das:

Orphische Hymnos

„An Nemesis“ deutlich:


Ich rufe Dich, Nemesis!
Höchste!
Göttlich waltende Königin!
Allsehende, Du überschaust
Der vielstämmigen Sterblichen Leben.
Ewige, Heilige, Deine Freude
Sind allein die Gerechten.
Aber Du hassest der Rede Glast,
Den bunt schillernden, immer wankenden,
Den die Menschen scheuen,
die dem drückenden Joch
Ihren Nacken gebeugt.
Aller Menschen Meinung kennst Du,
Und nimmer entzieht sich Dir die Seele
Hochmütig und stolz
Auf den verschwommenen Schwall der Worte.
In alles schaust Du hinein,
Allem lauschend, alles entscheidend.
Dein ist der Menschen Gericht.
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Alt 07.03.2016, 15:44   #93
Agneta
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ein schöner Faden, in dem ich gerne mal wieder schnuppern werde.
Der Panther ist auch mein Lieblingsgedicht, ich hätte ihn auch eingestellt.
Sehr schön finde ich auch die Gedichte von Kalkreuth. da muss ich noch mal stöbern! und natürlich alles von Rilke, was Erich eingestellt hat.
LG von Agneta
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Alt 07.03.2016, 18:23   #94
Falderwald
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Fresko Sonett an Christian S. von Heinrich Heine

II.

Gib her die Larv', ich will mich jetzt maskieren
In einen Lumpenkerl, damit Halunken,
Die prächtig in Charaktermasken prunken,
Nicht wähnen, ich sei einer von den Ihren.

Gib her gemeine Worte und Manieren,
Ich zeige mich in Pöbelart versunken,
Verleugne all die schönen Geistesfunken,
Womit jetzt fade Schlingel kokettieren.

So tanz ich auf dem großen Maskenballe,
Umschwärme von deutschen Rittern, Mönchen, Kön'gen,
Von Harlekin gegrüßt, erkannt von wen'gen.

Mit ihrem Holzschwert prügeln sie mich alle.
Das ist der Spaß. Denn wollt ich mich entmummen,
So müßte all das Galgenpack verstummen.


__________________


Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)



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Alt 08.03.2016, 01:20   #95
Agneta
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Da ich neben Rilke immer auch schon eine Schwäche für satirische Humoristen hatte, mochte ich immer auch Eugen Roth .
Hier eines meiner Lieblinge von ihm:

"Immer höflich - von Eugen Roth

Ein Mensch grüßt, als ein Mann von Welt,
wenn man ihm einmal vorgestellt.
Er trifft denselben äußerst spärlich,
wenn´s hochkommt, drei- bis viermal jährlich

und man begrinst sich, hohl und heiter,
und geht dann seines Weges weiter.
Doch einmal kommt ein schlechter Tag,
wo just der Mensch nicht grinsen mag.

Und er geht stumm und starr vorbei,
als ob er ganz wer andrer sei.
Doch solche Unart rächt sich kläglich:
Von Stund an trifft er jenen täglich!
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Alt 13.04.2016, 10:45   #96
Terrapin
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Caspar Hauser singt

Als schlichter Waise, reich genug
an meiner Augen stillem Scheine,
kam ich zur Stadt, fremd und alleine,
die Männer fanden mich nicht klug.

Mit zwanzig Jahren wurde ich
im Feuer der verliebten Sinne
der Weiber süßer Schönheit inne:
doch freilich schön fand keine mich.

Wenn auch in keines Königs Sold,
ich Heimatloser Ruhm erworben,
wär' gern ich doch im Krieg gestorben,
doch hat der Tod mich nicht gewollt.

Kam ich zu früh, kam ich zu spät
in diese Welt voll herber Trauer?
Was soll mir, ach, des Lebens Dauer?
Denkt an mich Armen im Gebet!

Paul Verlaine

Übertragung von Wolf von Kalckreuth



La Chanson de Gaspard Hauser

Je suis venu, calme orphelin,
Riche de mes seuls yeux tranquilles,
Vers les hommes des grandes villes :
Ils ne m’ont pas trouvé malin.

À vingt ans un trouble nouveau
Sous le nom d’amoureuses flammes
M’a fait trouver belles les femmes :
Elles ne m’ont pas trouvé beau.

Bien que sans patrie et sans roi
Et très brave ne l’étant guère,
J’ai voulu mourir à la guerre :
La mort n’a pas voulu de moi.

Suis-je né trop tôt ou trop tard ?
Qu’est-ce que je fais en ce monde ?
Ô vous tous, ma peine est profonde :
Priez pour le pauvre Gaspard !
__________________
Das Leben ist eines der schwierigsten.

Geändert von Terrapin (13.04.2016 um 13:54 Uhr)
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Alt 13.04.2016, 12:47   #97
vedena
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Danke @Lailany - Der Panther ist auch mein großer Favorit.

Falls jemandem gerade romantisch zumute ist, mir gefällt auch das hier:

Der Asra

Täglich ging die wunderschöne
Sultanstocher auf und nieder
Um die Abendzeit am Springbrunn,
Wo die weißen Wasser plätschern.

Täglich stand der junge Sklave
Um die Abendzeit am Springbrunn,
Wo die weißen Wasser plätschern;
Täglich ward er bleich und bleicher.

Eines Abends trat die Fürstin
Auf ihn zu mit raschen Worten:
Deinen Namen will ich wissen,
Deine Heimat, deine Sippschaft!

Und der Sklave sprach: Ich heiße
Mohamet, ich bin aus Yemmen,
Und mein Stamm sind jene Asra,
Welche sterben, wenn sie lieben.

Heinrich Heine


__________________
Mein Buch "Leitersprossen"

ISBN-10: 3853060501
ISBN-13: 978-3853060506 - oder per PN !
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Alt 18.02.2017, 18:02   #98
Chavali
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Standard Emmanuel Geibel

Hier etwas Passendes zur Jahreszeit:



(Emmanuel Geibel 1815-1884)

Und dräut der Winter noch so sehr
Mit trotzigen Gebärden,
Und streut er Eis und Schnee umher,
Es muß doch Frühling werden.

Und drängen Nebel noch so dicht
Sich vor den Blick der Sonne,
Sie wecket doch mit ihrem Licht
Einmal die Welt zur Wonne.

Blast nur ihr Stürme, blast mit Macht,
Mir soll darob nicht bangen,
Auf leisen Sohlen über Nacht,
Kommt doch der Lenz gegangen.

Da wacht die Erde grünend auf,
Weiß nicht, wie ihr geschehen,
Und lacht in den sonnigen Himmel hinauf,
Und möcht vor Lust vergehen.

Sie flicht sich blühende Kränze ins Haar
Und schmückt sich mit Rosen und Ähren,
Und läßt die Brünnlein rieseln klar,
Als wären es Freudenzähren!

Drum still, und wie es frieren mag,
O Herz, gib dich zufrieden,
Es ist ein großer Maientag
Der ganzen Welt beschieden.

Und wenn dir oft auch bangt und graut,
Als sei die Höll' auf Erden:
Nur unverzagt auf Gott gebaut,
Es muß doch Frühling werden.




Schaut mal genau hin:

Lesen wir diese Gedichte-Schreibart nicht auch
desöfteren auch heutzutage und hier?
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Alt 01.08.2017, 17:57   #99
Chavali
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DAS kam mir heute zufällig unter die Augen, in denen ich am Ende Tränen hatte:

Weihnachtabend 1852


(Theodor Storm)



Die fremde Stadt durchschritt ich sorgenvoll,
der Kinder denkend, die ich ließ zu Haus.
Weihnachten war's; durch alle Gassen schwoll
der Kinder Jubel und des Markts Gebraus.

Und wie der Menschenstrom mich fortgespült,
drang mir ein heiser Stimmlein in das Ohr
"Kauft, lieber Herr!" Ein magres Händchen hielt
feilbietend mir ein ärmlich Spielzeug vor.

Ich schrak empor, und beim Laternenschein
sah ich ein bleiches Kinderangesicht;
wes Alters und Geschlechts es mochte sein,
erkannt ich im Vorübertreiben nicht.

Nur von dem Treppenstein, darauf es saß,
noch immer hört ich, mühsam, wie es schien,
"Kauft, lieber Herr!" den Ruf ohn Unterlaß;
doch hat wohl keiner ihm Gehör verliehn.

Und ich? - War's Ungeschick, war es die Scham,
am Weg zu handeln mit dem Bettelkind?
Eh meine Hand zu meiner Börse kam,
verscholl das Stimmlein hinter mir im Wind.

Doch als ich endlich war mit mir allein,
erfaßte mich die Angst im Herzen so,
als säß mein eigen Kind auf jenem Stein
und schrie' nach Brot, indessen ich entfloh.










__________________
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Alt 30.10.2017, 15:47   #100
Terrapin
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Paul Verlaine

Übersetzungen: Wolf von Kalckreuth


Wundersame Dämmerung

Erinnerung in Dämmerlicht verglühend
Zittert und loht am fernen Himmelsrand
Der Hoffnung, die geheimnisvoll bald fliehend
Bald wachsend flammt, wie eine Scheidewand.
Wie mancher Blume farbenbunt Gewand,
Wie Dalie, Tulpe, Lilie erblühend,
Ein Gitter rings umrankend und umziehend
Mit gift'gem Hauch, der all mein Wesen bannt;
Voll schweren Wohlgeruchs, der zu mir fand,
Aus Dalie, Tulpe, Lilie erblühend,
Ertränkend Seele, Sinne und Verstand,
Bis mich mit schwerer Ohnmacht übermannt
Erinnerung in Dämmerlicht verglühend.



Abendsonnen

Blass giesst im Verrinnen
Auf Felder und Rain
Schwermütiges Sinnen
Der scheidende Schein.
Schwermütiges Sinnen
Wiegt flüsternd mich ein,
Mein Herz zu umspinnen
Im scheidenden Schein.

Und fremde Träume
Ziehn sonnengleich
Über Heiden und Bäume,
Rotflimmernd und weich,
Endlos durch die Räume
Ziehn sonnengleich
Sie über das Reich
Der Heiden und Bäume.



Herbstlied

Den Herbst durchzieht
Das Sehnsuchtslied
Der Geigen
Und zwingt mein Herz
In bangem Schmerz
Zu schweigen.

Bleich und voll Leid,
Dass die letzte Zeit
Erscheine,
Gedenk' ich zurück
An fernes Glück,
Und ich weine.

Und so muss ich gehn
Im Herbsteswehn
Und Wetter,
Bald hier, bald dort,
Verweht und verdorrt
Wie die Blätter.





Vom Mondenschein ist
Der Wald so blass.
Im ganzen Hain ist
Ein Flüstern, das
Vom Laubdach tönte:

O Vielersehnte!

Im tiefen Teiche
Bespiegeln lind
Sich schwarze Sträuche,
Es weint der Wind
In Weidenbäumen ...

Zeit ist zu träumen.

Ein zartes Schweigen
Scheint sanft und rein
Herabzusteigen
Vom Dämmerschein
Der Sternenrunde ...

Das ist die Stunde.



Weinlese

Die Dinge, die in uns singen,
Wann unser Bewusstsein ruhte,
Sie tönen in unserem Blute,
O fernes, verschwiegenes Klingen!

Horcht! Unser Blut ist's, das leidet,
Wann unsere Seele entflohn ist,
Wie so fremd und seltsam sein Ton ist,
Der bald im Schweigen verscheidet.

O Blut der rosigen Traube,
O Wein der schwärzlichen Venen,
Wein und Blut, verklärender Glaube.

Singt! Löst unsre Seele in Tränen,
Und bis in die Tiefen hernieder
Durchbebt unsre armen Glieder.


Dies sind wirklich die besten Verlaineübersetzungen in Versform
und kommen dem musikalischen Ton des Original am nächsten.
__________________
Das Leben ist eines der schwierigsten.
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