02.11.2017, 00:13 | #101 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Also ich hätte drei Lieblingsgedichte beizusteuern und wenn ich
mich nicht vertan habe sind sie auch noch nicht gekommen. Das ist zum ersten von Rilke, der ja durchaus gut vertreten ist: Nachthimmel und Sternenfall Der Himmel, groß, voll herrlicher Verhaltung, ein Vorrat Raum, ein Übermaß von Welt. Und wir, zu ferne für die Angestaltung, zu nahe für die Abkehr hingestellt. Da fällt ein Stern! Und unser Wunsch an ihn, bestürzten Aufblicks, dringend angeschlossen: Was ist begonnen, und was ist verflossen? Was ist verschuldet? Und was ist verziehn? Dann etwas ganz Gegensätzliches von meinem "Freund" Trakl: Untergang Über den weißen Weiher Sind die wilden Vögel fortgezogen. Am Abend weht von unseren Sternen ein eisiger Wind. Über unsere Gräber Beugt sich die zerbrochene Stirne der Nacht. Unter Eichen schaukeln wir auf einem silbernen Kahn. Immer klingen die weißen Mauern der Stadt. Unter Dornenbogen O mein Bruder klimmen wir blinde Zeiger gen Mitternacht. Und zum Schluss eine neue Entdeckung für mich und ganz begeisternd, hatte es auch schon mal in anderem Zusammenhang erwähnt, ein Gedicht von Wolfenstein: Städter Dicht wie Löcher eines Siebes stehn Fenster beieinander, drängend fassen Häuser sich so dicht an, daß die Straßen Grau geschwollen wie Gewürgte stehn. Ineinander dicht hineingehakt Sitzen in den Trams die zwei Fassaden Leute, wo die Blicke eng ausladen Und Begierde ineinander ragt. Unsre Wände sind so dünn wie Haut, Daß ein jeder teilnimmt, wenn ich weine. Flüstern dringt hinüber wie Gegröhle: Und wie stumm in abgeschlossner Höhle Unberührt und ungeschaut Steht doch jeder fern und fühlt: alleine. Gibt natürlich noch mehr Texte die mich begeistern, aber das sind schon ganz wichtige die mich immer wieder begleiten. |
12.12.2017, 12:48 | #102 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Wie rafft ich mich auf in der Nacht, in der Nacht,
Und fühlte mich fürder gezogen, Die Gassen verließ ich, vom Wächter bewacht, Durchwandelte sacht In der Nacht, in der Nacht, Das Tor mit dem gotischen Bogen. Der Mühlbach rauschte durch felsigen Schacht, Ich lehnte mich über die Brücke, Tief unter mir nahm ich der Wogen in Acht, Die wallten so sacht In der Nacht, in der Nacht, Doch wallte nicht Eine zurücke. Es drehte sich oben, unzählig entfacht, Melodischer Wandel der Sterne, Mit ihnen der Mond in beruhigter Pracht, Sie funkelten sacht In der Nacht, in der Nacht, Durch täuschend entlegene Ferne. Ich blickte hinauf in der Nacht, in der Nacht, Ich blickte hinunter aufs neue: O wehe, wie hast du die Tage verbracht! Nun stille du sacht In der Nacht, in der Nacht, Im pochenden Herzen die Reue! August Graf von Platen Tolles Gedicht.
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Das Leben ist eines der schwierigsten. |
20.02.2018, 14:33 | #103 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Drei meiner Lieblingsgedichte:
Ernst Goll (1887-1912) Heimweg Die Sonne schied – ein letztes Leuchten blieb noch hängen in den herbstgoldroten Zweigen. Ein dunkler Knabe führt sein blondes Lieb den Waldpfad heim. Die dunklen Lippen schweigen. Doch wo der Weg in Vorstadtgärten mündet, reicht er dem Mädchen seine kühle Hand und fühlt erschreckend, wie die Liebe schwindet, die ihre Seelen aneinanderband. Unter eines Tages Summe Unter eines Tages Summe ist der schwarze Strich gemacht, und wir reichen uns die stumme Hand zum Abschied: "Gute Nacht!" Schien die Sonne uns vergebens? Oh, wir sagen lächelnd: "Nein!" Und ins goldne Buch des Lebens schreiben wir: Beisammensein. Abschied Meine armen Wege gehen wieder ferne von den deinen, vor dem dunklen Fenster stehen wir, und unsre Seelen weinen. Jahr und Tag und Stunden schwinden, meine Gärten stehn verlassen – weiß nur, dass ich Liebe finden wollte auf den dunklen Straßen. |
21.02.2018, 01:08 | #104 |
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Lieblingsgedichte
An die Parzen (Hölderlin)
Nur Einen Sommer gönnt, ihr Gewaltigen! Und einen Herbst zu reifem Gesange mir, Daß williger mein Herz, vom süßen Spiele gesättiget, dann mir sterbe. Die Seele, der im Leben ihr göttlich Recht Nicht ward, sie ruht auch drunten im Orkus nicht; Doch ist mir einst das Heilge, das am Herzen mir liegt, das Gedicht, gelungen, Willkommen dann, o Stille der Schattenwelt! Zufrieden bin ich, wenn auch mein Saitenspiel Mich nicht hinab geleitet; Einmal Lebt ich, wie Götter, und mehr bedarfs nicht. |
28.02.2018, 23:05 | #105 |
ADäquat
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Mondnacht
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02.03.2018, 22:33 | #106 |
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Selige Sehnsucht
Goethe Johann Wolfgang von
Westöstlicher Divan Moganni Nameh - Buch des Sängers Selige Sehnsucht Sagt es niemand, nur den Weisen, Weil die Menge gleich verhöhnet, Das Lebend'ge will ich preisen, Das nach Flammentod sich sehnet. In der Liebesnächte Kühlung, Die dich zeugte, wo du zeugtest, Überfällt dich fremde Fühlung, Wenn die stille Kerze leuchtet. Nicht mehr bleibest du umfangen In der Finsternis Beschattung, Und dich reißet neu Verlangen Auf zu höherer Begattung. Keine Ferne macht dich schwierig, Kommst geflogen und gebannt, Und zuletzt, des Lichts begierig, Bist du, Schmetterling, verbrannt. Und solang du das nicht hast, Dieses: Stirb und werde! Bist du nur ein trüber Gast Auf der dunklen Erde. Tut ein Schilf sich doch hervor, Welten zu versüßen! Möge meinem Schreibe-Rohr Liebliches entfließen! |
04.03.2018, 18:40 | #107 |
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Schillers Nänie
Nänie
Auch das Schöne muß sterben! Das Menschen und Götter bezwinget, Nicht die eherne Brust rührt es des stygischen Zeus. Einmal nur erweichte die Liebe den Schattenbeherrscher, Und an der Schwelle noch, streng, rief er zurück sein Geschenk. Nicht stillt Aphrodite dem schönen Knaben die Wunde, Die in den zierlichen Leib grausam der Eber geritzt. Nicht errettet den göttlichen Held die unsterbliche Mutter, Wann er, am skäischen Tor fallend, sein Schicksal erfüllt. Aber sie steigt aus dem Meer mit allen Töchtern des Nereus, Und die Klage hebt an um den verherrlichten Sohn. Siehe! Da weinen die Götter, es weinen die Göttinnen alle, Daß das Schöne vergeht, daß das Vollkommene stirbt. Auch ein Klaglied zu sein im Mund der Geliebten ist herrlich; Denn das Gemeine geht klanglos zum Orkus hinab. |
09.03.2018, 02:03 | #108 |
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[B]Der Gott und die Bajadere[/B]
Johann Wolfgang von Goethe
Indische Legende Mahadöh, der Herr der Erde, Kommt herab zum sechsten Mal, Dass er unsersgleichen werde, Mitzufühlen Freud und Qual. Er bequemt sich, hier zu wohnen, Lässt sich alles selbst geschehn. Soll er strafen oder schonen, Muss er Menschen menschlich sehn. Und hat er die Stadt sich als Wandrer betrachtet, Die Großen belauert, auf Kleine geachtet, Verlässt er sie abends, um weiter zu gehn. Als er nun hinausgegangen, Wo die letzten Häuser sind, Sieht er, mit gemalten Wangen, Ein verlornes schönes Kind. "Grüß' dich, Jungfrau!" - "Dank der Ehre! Wart, ich komme gleich hinaus." "Und wer bist du?" - "Bajadere, Und dies ist der Liebe Haus." Sie rührt sich, die Cymbeln zum Tanze zu schlagen; Sie weiß sich so lieblich im Kreise zu tragen, Sie neigt sich und biegt sich und reicht ihm den Strauß. Schmeichelnd zieht sie ihn zur Schwelle, Lebhaft ihn ins Haus hinein. "Schöner Fremdling, lampenhelle Soll sogleich die Hütte sein. Bist du müd, ich will dich laben, Lindern deiner Füße Schmerz. Was du willst, das sollst du haben, Ruhe, Freuden oder Scherz." Sie lindert geschäftig geheuchelte Leiden. Der Göttliche lächelt; er siehet mit Freuden Durch tiefes Verderben ein menschliches Herz. Und er fordert Sklavendienste; Immer heitrer wird sie nur, Und des Mädchens frühe Künste Werden nach und nach Natur. Und so stellet auf die Blüte Bald und bald die Frucht sich ein; Ist Gehorsam im Gemüte, Wird nicht fern die Liebe sein. Aber sie schärfer und schärfer zu prüfen, Wählet der Kenner der Höhen und Tiefen Lust und Entsetzen und grimmige Pein. Und er küsst die bunten Wangen, Und sie fühlt der Liebe Qual, Und das Mädchen steht gefangen, Und sie weint zum erstenmal; Sinkt zu seinen Füßen nieder, Nicht um Wollust noch Gewinst, Ach! und die gelenken Glieder, Sie versagen allen Dienst. Und so zu des Lagers vergnüglicher Feier Bereiten den dunklen, behaglichen Schleier Die nächtlichen Stunden, das schöne Gespinst. Spät entschlummert unter Scherzen, Früh erwacht nach kurzer Rast, Findet sie an ihrem Herzen Tot den vielgeliebten Gast. Schreiend stürzt sie auf ihn nieder; Aber nicht erweckt sie ihn, Und man trägt die starren Glieder Bald zur Flammengrube hin. Sie höret die Priester, die Totengesänge, Sie raset und rennet und teilet die Menge: "Wer bist du? was drängt zu der Grube dich hin?" Bei der Bahre stürzt sie nieder, Ihr Geschrei durchdringt die Luft: "Meinen Gatten will ich wieder! Und ich such ihn in der Gruft. Soll zu Asche mir zerfallen Dieser Glieder Götterpracht? Mein! er war es, mein vor allen! Ach, nur eine süße Nacht" Es singen die Priester: "Wir tragen die Alten, Nach langem Ermatten und spätem Erkalten, Wir tragen die Jugend, noch eh sie's gedacht. "Höre deiner Priester Lehre: Dieser war dein Gatte nicht. Lebst du doch als Bajadere, Und so hast du keine Pflicht. Nur dem Körper folgt der Schatten In das stille Totenreich; Nur die Gattin folgt dem Gatten: Das ist Pflicht und Ruhm zugleich. Ertöne, Drommete, zu heiliger Klage! O nehmet, ihr Götter! die Zierde der Tage, O nehmet den Jüngling in Flammen zu euch!" So das Chor, das ohn Erbarmen Mehret ihres Herzens Not; Und mit ausgestreckten Armen Springt sie in den heißen Tod. Doch der Götterjüngling hebet Aus der Flamme sich empor, Und in seinen Armen schwebet Die Geliebte mit hervor. Es freut sich die Gottheit der reuigen Sünder; Unsterbliche heben verlorene Kinder Mit feurigen Armen zum Himmel empor. |
11.03.2018, 23:53 | #109 |
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Vor Gericht
Von wem ich es habe, das sag ich euch nicht,
das Kind in meinem Leib. „Pfui!“ speit ihr aus: „die Hure da!“ Bin doch ein ehrlich Weib. Mit wem ich mich traute, das sag ich euch nicht. Mein Schatz ist lieb und gut, trägt er eine goldene Kett am Hals, trägt er einen strohernen Hut. Soll Spott und Hohn getragen sein, trag’ ich allein den Hohn. Ich kenn ihn wohl, er kennt mich wohl, und Gott weiß auch davon. Herr Pfarrer und Herr Amtmann ihr, Ich bitte, lasst mich in Ruh! Es ist mein Kind, es bleibt mein Kind; ihr gebt mir ja nichts dazu. Goethe schrieb dieses Gedicht als 26-jähriger während seiner Sturm-und-Drang-Zeit. Es war in dem Jahr, in dem er erstmals nach Weimar kam (im November 1775), aber auch noch in Frankfurt eine Anwaltskanzlei führte. |
14.03.2018, 09:36 | #110 |
Gast
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H. Hesse
Gestutzte Eiche, Juli 1919 Wie haben sie dich, Baum, verschnitten Wie stehst du fremd und sonderbar! Wie hast du hundertmal gelitten, Bis nichts in dir als Trotz und Wille war! Ich bin wie du, mit dem verschnittnen, Gequälten Leben brach ich nicht Und tauche täglich aus durchlittnen Roheiten neu die Stirn ins Licht. Was in mir weich und zart gewesen, Hat mir die Welt zu Tod gehöhnt, Doch unzerstörbar ist mein Wesen, Ich bin zufrieden, bin versöhnt, Geduldig neue Blätter treib ich Aus Ästen hundertmal zerspellt, Und allem Weh zu Trotze bleib ich Verliebt in die verrückte Welt. |
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