06.04.2018, 23:09 | #111 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Hakodate
Leb wohl denn, Murasaki! Dein Blick ist tränenschwer, nun teilen Bett und Saki wir zwei nicht mehr. Der Kaiser läßt marschieren, die Sonnen leuchten klar: nun gilt es zu verlieren, was lieb uns war. Mach's kurz, das ist am besten - es bleibt des Glücks Beschluß, daß ich im fernen Westen mich schlagen muß. Und jede, die sich frei sah, die freute es wie dich... du kriegst 'nen tapfren Taisa als Tausch für mich. Ihr reizenden Geschöpfe, uns allen Schmuck und Zier, wir schneiden Russenköpfe und Rosen ihr. Drum schaut nicht nach der See aus und nicht den Strand hinab, die Geisha kommt ins Teehaus - der Mann ins Grab. Stuttgart, März 1905. [Die Gedichte sind aus der Zeit des Russisch-Japanischen Krieges, den Kalckreuth sehr interessiert über die damaligen Medien verfolgte und in etlichen lyrischen Stücken habhaft wurde.] Abschied Der Fuji glimmt im ganzen Kreis vom roten Abendstrahle, im Dämmerwinde wogt der Reis im grüngestuften Tale. Des Tages letzte Feuer fliehn, rings hüllen graue Schleier ihn, ein fernes Rauschen hör ich im Röhricht. Da ist im Wehn des kühlen Winds ein Funkeln aufgeglommen. Es sind die Truppen der Provinz, die dort vom Berghang kommen. - Sie ziehen durch den Abendtau, Gamaschen weiß und Röcke blau, zu finstren Heerkolossen geschlossen. In weitem Bogen rollt das Meer um Yamatos Gefilde. Vom Höhenkamme staunt das Heer vor dem gewalt'gen Bilde. Vom abenddunklen Flutenschwall hebt sich der rote Sonnenball, und Feuergluten weht er zum Äther. Die weite Fläche liegt besonnt, und Well und Eiland blinken, bis in den düstren Horizont die Flammen jäh versinken. Und über der verglommnen Pracht hebt sacht sich die Azurne Nacht, und deckt in blauem Bogen die Wogen. Da ringt ein Stahlgeklirr sich los aus der Kolonnen Tiefe, als ob die Seele Yamatos zu seinen Kriegern riefe: Mein Flammengruß ist im Verglühn, die Schwerter fest – und tretet kühn den Weg zu Tod und Grab an für Japan! Stuttgart, 5. April 1905.
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21.04.2018, 12:53 | #112 |
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„Misanthropologie" von Erich Kästner:
Schöne Dinge gibt es dutzendfach. Aber keines ist so schön wie diese: eine ausgesprochen grüne Wiese und ein paar Meter veilchenblauer Bach. Und man kneift sich. Doch das ist kein Traum. Mit der edlen Absicht, sich zu läutern, kniet man zwischen Blumen, Gras und Kräutern. Und der Bach schlägt einen Purzelbaum. Also das, denkt man, ist die Natur? Man beschließt, in Anbetracht des Schönen, mit der Welt sich endlich zu versöhnen. Und ist froh, dass man ins Grüne fuhr. Doch man bleibt nicht lange so naiv. Plötzlich tauchen Menschen auf und schreien. Und schon wieder ist die Welt zum Speien. Und das Gras legt sich vor Abscheu schief. Eben war die Landschaft noch so stumm. Und der Wiesenteppich war so samten. Und schon trampeln diese gottverdammten Menschen wie in Sauerkraut herum. Und man kommt, geschult durch das Erlebnis, wieder mal zu folgendem Ergebnis: Diese Menschheit ist nichts weiter als eine Hautkrankheit das Erdenballs. |
21.04.2018, 15:49 | #113 |
ADäquat
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...was für eine geniale Menschenstudie, lieber EV
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21.04.2018, 22:34 | #114 |
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Hi Chav,
ja - es ist absolut genial! Jede Zeilen hat ihre Berechtigung! Gern, gern. vlg EV |
22.04.2018, 09:18 | #115 |
Gast
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Liebe Chavali,
Beides von Christian Morgenstern »Lachen und Lächeln sind Tor und Pforte, durch die viel Gutes in den Menschen hineinhuschen kann.« »Jede Landschaft hat ihre eigene besondere Seele, wie ein Mensch, dem du gegenüberlebst.« |
16.06.2018, 23:51 | #116 |
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Einsamer nie −
Einsamer nie als im August: Erfüllungsstunde – im Gelände die roten und die goldenen Brände, doch wo ist deiner Gärten Lust? Die Seen hell, die Himmel weich, die Äcker rein und glänzen leise, doch wo sind Sieg und Siegsbeweise aus dem von dir vertretenen Reich? Wo alles sich durch Glück beweist und tauscht den Blick und tauscht die Ringe im Weingeruch, im Rausch der Dinge −: dienst du dem Gegenglück, dem Geist. Gottfried Benn
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24.06.2018, 00:31 | #117 |
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Charles Baudelaire
Der freudige Tote Schwer soll der Grund und reich an Schnecken sein, Wo meine Gruft zu schaufeln ich begehre, Dass dort zum Schlaf sich streckt mein alterndes Gebein Und im Vergessen ruht gleich wie der Hai im Meere. Ich hasse Testamente, Grab und Stein, Und von der Welt erbettl ich keine Zähre; Nein, lieber lüde ich den Schwarm der Raben ein, Damit er stückweis mein verwesend Aas verzehre. O Würmer! Schwarz Geleit ohn Auge, ohne Ohr! Ein Abgeschiedner kommt, der froh den Tod erkor. Ihr Söhne des Zerfalls, die dem Genusse leben, Durch meine Trümmer kriecht mit reuelosem Mut Und sagt mir: kann es wohl noch eine Folter geben Für den entseelten Leib, der tot bei Toten ruht? (aus dem Französischen von Wolf von Kalckreuth)
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01.07.2018, 00:29 | #118 |
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Das Bißchen Ruhm
Was ähnelt wohl dem bißchen Ruhme So sehr wie eine Treibhausblume? Soll dir das arme Pflänzchen sprießen, Mußt du es täglich brav begießen. Und Dünger streun. Und Unkraut jäten. Aufs Wetter sehn. Und leise treten. Doch pfeifst du drauf, so wirst du nie Gekrönt von der A-ka-de-mie. Mascha Kaleko
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01.07.2018, 00:32 | #119 |
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Keiner wartet
Alle müssen sie heim. Nur ich muß nicht müssen. Keiner wartet, daß ich ihm das Essen richte. Keiner sagt, komm, setz dich her. Wie bist du müde! Schneidet mir keiner das Brot. Keiner weiß, wie ich war mit achtzehn, damals. Keiner stellt mir den ersten Flieder hin, Holt mich vom Zug mit dem Schirm. Ist keiner, dem ich beim Lampenlicht lese, Was der Chinese vom Witwentum sagt: „Die Gott liebhat, nimmt er zu sich, Ehe er ihr den Geliebten nimmt.“ Mascha Kaleko
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01.07.2018, 00:35 | #120 |
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Eines der Besten überhaupt!
Memento Vor meinem eignen Tod ist mir nicht bang, Nur vor dem Tode derer, die mir nah sind. Wie soll ich leben, wenn sie nicht mehr da sind? Allein im Nebel tast ich todentlang Und laß mich willig in das Dunkel treiben. Das Gehen schmerzt nicht halb so wie das Bleiben. Der weiß es wohl, dem gleiches widerfuhr; – Und die es trugen, mögen mir vergeben. Bedenkt: den eignen Tod, den stirbt man nur, Doch mit dem Tod der andern muß man leben. Mascha Kaleko
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