02.02.2013, 21:45 | #11 |
Slawische Seele
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Beiträge: 5.637
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Mit meinem alten Onkel, der inzwischen verstorben ist, habe ich oft über die Definition Lyrik gesprochen.
Ich erinnere noch seine Begeisterung über die Wortableitung von Dichtung; das Verdichten der Sprache. Das kann man aber nicht in jeder Sprache ableiten. Mit "Poesie" kommt man schon weiter - "Erschaffen". Gesprochene Worte zur Lyra ist eine annähernde Definition - es ist kein Lied. Mit Liedern geht man eindeutiger um. Lyrik könnte ein ganz eigenes Gefühl sein und so unterschiedlich verstanden werden, wie sich eben Menschen verstehen und nicht verstehen. Gerade darum ist Lyrik etwas ganz Besonderes. Sie wird vom Einzelnen "erschaffen" und sucht die Berührung. Die großen und berühmten Dichter haben den "Nerv" getroffen, sie haben mit Aussage und Sprachschaffung berührt, angesprochen. An ihnen orientiert, hat man sich um eine Defintion bemüht. Sie blieb aber an Werke gebunden. Unsere Sprache verändert sich auch, also wird auch die Definition für Lyrik wahrscheinlich immer "dehnbar" bleiben. Letztendlich, von "Erbsenzählerei" abgesehen (Silben, Metrik, Kadenzen usw.), kommen einem klangvolle Verse doch wie ein Gedicht (Lied) an. Ist Lyrik Melodie, Lied, Musik? Man spielt mit Worten. Ich weiß es nicht, aber ein paar Gedanken zum interessanten Thema wollte ich doch lassen. Liebe Grüße Dana
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Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen,
ich schulde ihnen noch mein Leben. (Frederike Frei) |
03.02.2013, 08:51 | #12 |
Gast
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Guten Morgen,
die vorgetragenen Kommentare sind persönliche Meinungen und haben so eine zureichende Berechtigung. Der Literaturwissenschaft halten sie nicht stand. Der Begriff Lyrik ist - wie jede andere Richtung auch - einer steten Veränderung unterworfen; sie ist ein Teil der Kultur und des Zeitgeistes. Betrachten wir sie im historischen Kontext, enden die bisherigen Einschätzungen in der klassischen bzw. romantischen Phase, der nun das Computerzeitalter gegenüber gestellt wird. Ähnlich wird ja auch mit moderner bildender Kunst verfahren. Solche Vergleiche greifen jedoch zu kurz. Ich möchte folgende Thesen in den Raum stellen: Was ist eigentlich Lyrik? Jeder glaubt es zu wissen, fast niemand weiß es wirklich. Handelt es sich um eine "gefürchtete Textsorte" (Enzensberger)? Ist sie deshalb gefürchtet, weil sie so schwierig ist? Was unterscheidet eigentlich ein Gedicht von einem Prosatext? Es gibt zahlreiche unterschiedliche Definitionen, die in Sachbüchern der Literaturwissenschaft oder in Handbüchern für werdende Schriftsteller zu finden sind. Vielleicht können wir uns auf drei allgemeingültige Antworten einigen: - Das Gedicht ist ein Verstext - Es ist ein lyrisches Gebilde - und es zeigt poetische Sprache In diesen Punkten liegen gleichzeitig die Unterscheidungsmerkmale gegenüber der Prosa. Sie umfassen die traditionelle gereimte Dichtung bis hin zu Schrägsten des Schrägen. Denn es gibt nun einmal zeitgenössische Dichtung. Und es gibt Bemerkenswertes darunter. Auch jenseits des Reims und jenseits tradierter Formen. Wir alle sollten uns dem gegenüber mehr öffnen, denn sonst haben wir von dem, was Lyrik ist und sein könnte, zu wenig verstanden. Im Sinne der Wissenschaft lassen sich literarische Strömungen ziemlich genau umreißen; in echt - spätestens seit Anfang des 19. Jahrhunderts - greifen sie ineinander, verwandeln sie sich in ein konkurrierendes Miteinander. Zum Teil hat das mit den technischen Veränderungen im Vertrieb von Büchern zu tun. Es gibt ein Leben nach Goethe! Es gibt: - Impressionismus - Symbolismus, - Jugendstil - Neuromantik - Futurismus - Dadaismus um nur einige zu nennen. Neben die traditionellen formalen Koventionen treten solche, dies aus anderen Kunstrichtungen übernommen werden. Die Sprache selber tritt in den Vordergrund, freie Verse verdrängen die metrisch regulierten. Der Bezugsrahmen der Lyrik wird international. Experimentelle Lyrikartisten stehlen exentrischen Rappern die Show, gelehrte Poeten werfen ihre Philosophie in die Manege, Computerfetischisten ihren Kram und gemäßigte Traditionalisten machen weiter wie bisher. Das alles ist Lyrik. Und d e s h a l b liebe ich sie. |
03.02.2013, 14:23 | #13 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Beiträge: 3.375
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Hallo Dana,
ich kenne dich ja nur durch deine Gedichte (was heißt "nur") und Kommentare, aber ich glaube du bist einer der glücklichen Menschen, die sich bei der Beurteilung von Lyrik ganz auf ihr Gefühl verlassen können, und dann schärfer urteilen können, als andere mithilfe eines wissenschaftlichen Apparates. Deine Behauptung: "Lyrik wird vom Einzelnen 'erschaffen' und sucht die Berührung." (des Andern) unterstreiche ich voll und ganz. Das ist wichtig und muss bei allem Suchen nach begrifflicher Klärung Grundlagen sein. Liebe Grüße Thomas Hallo marzipania, natürlich gibt es "ein Leben nach Goethe", warum ich mich in dieser Frage auf Goethe beziehe, werde ich dir später noch genauer erklären, ich dachte halt es sei klar. Auch wenn ich die These etwas leichtfertig als Ergänzung zu einem anderen Kommentar eingestellt habe, so ist der Text schon Resultat einigen Nachdenkens. Und diese bräuchte ich nicht zu tun, wenn es mir darum ging Neues auszugrenzen. Aber leider ist Neues, nur weil es Neues ist, nicht automatisch gut und richtig. Vor allem lässt sich wirklich Neue und Gutes ohne klare Begriffe und Definitionen gar nicht als solches erkennen. Es lohnt sich also schon, Gedanken zu machen, wenn man Neuem offen gegenübertreten will, oder sogar etwas beitragen will. Deinen Glauben an die Literaturwissenschaft möchte ich dir nicht rauben, aber ich bin sicher, dass ich einen Großteil der vielen Definitionen, von denen du sprichst kenne, nicht nur kenne, sondern auch darüber nachgedacht haben. Leider ist da (für die Beurteilung von Neuem) kaum etwas brauchbares dabei. Die letzte in sich kohärente und brauchbare Definition, die einen positiven Begriff von Lyrik liefert stammt (meines Wissens) die von Bernhard Asmuth. Viele der gängigen Definitionen sind von der Art, auf die ich im Kommentar an Falderwald mit der Bemerkung anspielte: "Gesundheit wird als Abwesenheit von Krankheit definiert", d.h. sie sind nicht in der Lage einen Begriff von Lyrik zu geben. Aber das sind noch die besseren, viele der literaturwissenschaftlich veröffentlichten Definitionen von Lyrik sind inkohärent und in sich widersprüchlich. Nur deshalb sah ich mich als denkender Mensch seit einiger Zeit überhaupt veranlasst, selbst eine Definition zu versuchen. Die Diskussion darüber, ob die brauchbar ist, und wie sie verbessert werden kann, ist für mich sehr interessant. Leider gehst du darauf gar nicht ein. Dafür lieferst du selbst einen Vorschlag, auf den ich gerne eingehe, auch, weil ich hoffen, dass du dich dann ein wenig mehr mit meinen Gedanken auseinandersetzt. Deine drei Aussagen sind: "- Das Gedicht ist ein Verstext" "- Es ist ein lyrisches Gebilde" "- und es zeigt poetische Sprache" Du hast Recht, darauf können wir uns einigen. Und was dann? Die erste Aussage hängt davon ab, was du unter den Begriff "Vers" verstehst. Meinst du es wirklich im ursprünglichen Sinne des Wortes als Kehre? Dann wären nur sehr wenige der neueren Text Lyrik. Meinst du es im übertragen Sinn, dass man z.B. auch Aufgesang und Abgesang darunter verstehen kann? Oder was müsste man unter Vers verstehen, damit z.B. Goethes (schon wieder der) Prometheus unter Lyrik fällt (was er wohl sollte)? Oder entstehen Verse einfach dadurch, dass jemand Text umbrochen schreibt? Da würde ich widersprechen, das hieße "Lyrik ist, wenn einer sagt: Das ist Lyrik!" So etwas ist eine Null-Definition. Um derartige Probleme zu vermeiden, habe ich es in meinem Definitionsversuch vermieden Begriffe wie Vers, Reim, Metrum etc. zu verwenden, sondern die besondere Verwendung von Sprachelementen hervorgehoben, Sprachelemente, die es auch in der Prosa gibt, deren besondere Verwendung sich aber unterschiedet. Auf dieser Basis kann man dann Vers, Reim, Metrum etc. genauer definieren und immer wieder kontrollieren, ob die Begriffe stimmig und passend bleiben. Die zweite Aussage ist eine Tautologie: Lyrik ist eine lyrisches Gebilde. Kein Widerspruch ist möglich, aber als Aussage ist leider nutzlos. Die dritte Aussage ist garantiert auch wahr, da Poesie der zu Lyrik gehörende Oberbegriff ist, ist alles lyrische poetisch. Kein Widerspruch ist möglich, aber als Aussage ist leider nutzlos. Nochmals zu Goethe. Warum beziehe ich mich auf seine Definition? Nicht weil ich in die alte Zeit zurück möchte, sondern weil er, soweit ich erkennen kann, die letzte kohärente Definition gegeben hat (das habe ich hier und im LyrikChat versucht, nach bestem Wissen und Gewissen darzustellen). Ich habe ja erwähnt, dass sich der Begriff Lyrik in der Geschichte verändert hat. Die jeweiligen Definitionen waren eingebrette in ein in der jeweiligen Zeit stimmiges Konzept der Poesie. Mir ist es egal, ob man die Poesie in 3 Hauptgruppen unterteilt oder zufällig, wie den Regenbogen, in sieben, aber die Begriffe müssen eine zusammenstimmende Gesamtheit ergeben. Wenn du mir so etwas nach Goethe zeigts, bin ich der erste, der es übernimmt. Mir selbst ist bisher übrigens auch noch nichts Besseres eingefallen. Deine Schlussbemerkung, warum du Lyrik liebst, finde ich nett und erfreulich. Vielleicht würde ich sagen, ich liebe gute Lyrik in ihrer Vielseitigkeit. Vielleicht verrate ich dir auch noch, dass ich einige Schlagertexte, wie z.B. "Spidersweb" für sehr gut Lyrik halte (um mich nicht ganz unmöglich zu machen, erwähne ich jetzt keinen Titel von Bläckföös, aber da sind auch sehr gute darunter). Jedenfalls würde es mich freuen, wenn du versuchen würdest etwas genauer herauszufinden, was den Spinner Thomas da so umtreibt. Liebe Grüße Thomas
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© Ralf Schauerhammer Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität. Diese seine Individualität so sehr als möglich zu veredeln, ist sein erstes und wichtigstes Geschäft. Friedrich Schiller Geändert von Thomas (03.02.2013 um 15:34 Uhr) |
03.02.2013, 17:37 | #14 |
Gast
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Hallo Thomas,
warum sollte ich dich für einen Spinner halten? Weil du dich mit Fragen beschäftigst, die mich selber umtreiben? Wohl kaum. - Ich begrüße deinen Faden, behalte mir aber eine eigene Meinung vor. Bezogen auf die Liebe zur guten Lyrik sind wir uns eh einig. Wenn du von Literaturwissenschaft auch nicht allzuviel zu halten scheinst, möchte ich dir doch das Arbeitsbuch Lyrik ans Herz legen, Akademie Verlag, 2012, mit dem sich - wie der Name sagt - sehr gut arbeiten lässt. Hier wird auf vorbildliche Weise das Wesentliche der Lyrik aufgezeigt, mit Querverweisen, historischem Kontext etc. und dient als Unterrichtsmaterial an Hochschulen. Ich selber werde ab SS 2013 dieses Fach belegen; Zeit genug habe ich jetzt. LG, marzipania P.S. Weiter vorn wünscht du dir ein Rechtschreibprogramm mit Lektoratsfunktion. Das gibt es bereits, musst halt mal nachgoogeln - billig wird das aber wahrscheinlich nicht sein ... Nachtrag: Am leichtsten findest du zu den Programmen Zugang, wenn du lektorat software googelst. Geändert von marzipania (03.02.2013 um 17:49 Uhr) |
03.02.2013, 21:15 | #15 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Hallo marzipania,
so ein bisschen tust du es schon, auch wenn du es nicht merkst. Mir ging es, als ich in deinem Alter war, auch so, das ist normal. Deinen Buchvorschlag habe ich mir als Vorschau angesehen. Da ich schon einiges in sehr ähnlicher Form besitze, werde ich es wahrscheinlich nicht kaufen, aber dir wünsche ich viel Freude damit und viel Erfolg beim Studium. Vielleicht regt es dich ja an, bald auch inhaltlich mehr zu der Frage zu sagen. Das würde mich freuen. Liebe Grüße Thomas P.S.: Ich befürchte, bei mir hilft da auch kein Lektorats-Programm mehr.
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© Ralf Schauerhammer Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität. Diese seine Individualität so sehr als möglich zu veredeln, ist sein erstes und wichtigstes Geschäft. Friedrich Schiller |
04.02.2013, 11:54 | #16 | |
Gast
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Zitat:
Vielleicht beruhigt es dich, lieber Thomas, wenn ich dir versichere, dass ich mich schon viele Jahre mit Lyrik beschäftige und zwar auf eine sehr intensive Weise. Zudem hatte ich Zeit meines Lebens mit Sprache zu tun. - Bin auch schon über 21. Länger sogar. --- Vermutlich gehe ich anders an Theoretisches heran als du. Liegt darin ein Problem? Lieben Dank jedenfalls für deinen freundlichen Zuspruch. Inhaltlich äußerte ich mich bereits. - Mein Statement entstammt einem großen Literaturforum, das ich seinerzeit (u. a.) mit Theorie bestückte. Dir einen freundlichen Gruß marzipania P.S.: Auf Revierstreitigkeiten habe ich keine Lust und überlasse dir deshalb gern das Feld. Ich selber muss mir nix mehr beweisen. |
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04.02.2013, 20:28 | #17 |
Lyrische Emotion
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Hallo Thomas und alle anderen Diskutanten und -onkels
Erst einmal möchte ich euch gratulieren, denn ihr habt es geschafft, einen wirklich tollen, interessanten und lesenswerten Faden hier zu schaffen. Ich habe das alles sehr aufmerksam gelesen und einen ganz neuen Einblick in diese Materie erhalten, denn letztendlich habe ich mir selbst nie die Frage gestellt, ob meine Texte nun Lyrik sind oder nicht. Es bleibt, so glaube ich, wahrscheinlich sehr schwer, eine allgemeine Definition für Lyrik zu finden, wenn nicht sogar unmöglich. Ich möchte es einmal so sagen, der Begriff "Dichter" ist nicht geschützt. Jeder kann sich diesen "Titel" zulegen und schreiben. Und wenn er seine "Werke" als Lyrik bezeichnet, so hat niemand das Recht, ihm dies zu bestreiten. Anders sieht es natürlich mit der Qualität des abgelieferten "Werkes" aus, denn der Leser ist dabei der Richter, er kann sagen, ob ihm das nun zusagt oder nicht. Davon hängt dann auch der Erfolg oder der Misserfolg eines "Werkes" ab. Letztendlich kann nur der Dichter selbst für sich Standards setzen. Bei mir ist das ganz einfach: Sonette Nein, Spaß, damit experimentiere ich gerade, meine Grundstandards für meine Lyrik sind:
Das sind die Grundbausteine, die meine Lyrik ausmachen sollen. Aber wie gesagt, dies gilt nur für mich, denn ich finde auch immer wieder an der sogenannten freien Lyrik Gefallen, könnte aber bei beim bestem Willen nicht sagen, woran ich das festmachen sollte. Manchmal sind es die Bilder, manchmal die Leichtigkeit, manchmal einfach die Idee oder die Story usw... Ich bemühe mich, meinen Horizont zu erweitern, möchte aber selbst keine freie Lyrik verfassen. Auf jeden Fall aber bin ich bereit, mich mit dementsprechenden Künstler/innen auseinanderzusetzen und über ihre Texte zu diskutieren oder ihnen meine Eindrücke von diesen zu schildern. Ich bin halt ein Hardliner der konservativen Fraktion, zumindest was meine eigene Dichtung angeht. Und deshalb stimme ich mit Thomas' Thesen größtenteils überein, aber wie gesagt, eben immer auf mich selbst bezogen. Liebe Grüße Falderwald
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Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine) Für alle meine Texte gilt: © Falderwald --> --> --> --> --> Wichtig: Tipps zur Software |
11.02.2013, 11:48 | #18 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Hallo marzipania,
da habe ich ja in internetbedingter Ahnungslosigkeit ein Kompliment gemacht, passiert mir eigentlich selten. Vielleicht hast du dir ja in deiner Argumentationsweise etwas sehr jugendliches erhalten. Vor dem, was in Literaturforen oder –abhandlungen steht habe ich nur dann Respekt, wenn es die Kriterien erfüllt, die ich für logisches Denken voraussetze. Diese "Arroganz" gönne ich mir. Definitionen sind, wie ich sie verstehe, "Messinstrumente", die zum exakten Denken einfach notwendig sind und keine "ausgrenzenden" Schubladen. Auch liegen mir "Revierkämpfe" völlig fern. Es geht mir um die Sache, und da uns beiden gute Lyrik sehr am Herzen liegt, werden wir uns sicher verstehen und gut unterhalten, bzw. bisweilen auch gut streiten. Aus einem Kommentar zu einem Gedicht an Erich glaube ich zu entnehmen, dass du dich schon viel mit reimloser Lyrik beschäftigt hast, vielleicht kann ich da ja einiges von dir lernen, das würde ich gerne tun. Liebe Grüße Thomas Hallo Falderwald, dein Kommentar enthält so viele Aspekte und Punkte, dass ich nicht in meiner Antwort auf alles eingehen kann. Als Hardliner einer konservativen, oder sonstigen Fraktion würde ich mich schon deshalb nicht bezeichnen, weil mein Kopf recht einzelgängerisch ist. Wenn man unter "konservativ" versteht, dass man zur Vergangenheit zurück will, dann bin ich garantiert nicht dabei. Wenn man unter "konservativ" versteht, dass man der Überzeugung ist, wertvolles Neues nur auf dem grundlegenden Verständnis des von unseren Vorgänger-Generationen Geschaffenen entstehen kann, dann bin ich konservativ. Ja, ich habe eine große Abneigung gegen die Geistesaltung (meist mit einer klugscheißerischen und dummen Art gepaart), die sich vor den herrlichen klassischen Werken verschießt oder sich sogar von ihnen eingeschränkt und belästigt fühlt. Wenn ich etwas derartiges in einem Text finde, dann mache ich einfach dicht. Andererseits geht es mir genau wie dir: "Ich finde auch immer wieder an der sogenannten freien Lyrik Gefallen, könnte aber bei beim bestem Willen nicht sagen, woran ich das festmachen sollte." Und da ich ja gutes Neues verstehen und auch machen möchte, interessiert mich das besonders. Das ist auch der Grund, warum ich versuche, meine Begriffe zu schärfen. Da ich sowieso nicht auf alle Punkte eingehen kann, die du für dich selbst als Maßstab setzt, möchte ich mich im restlichen Kommentar auf den ersten Punkt "Reim" beschränken. Ja, ich halte den Reim für eine geniale Erfindung, die wir von den Arabern vor über tausend Jahren übernommen haben. Er ist ein großes Hilfsmittel für die Lyrik, aber er ist nur bedingt ein Kriterium für gute Lyrik, denn es geht auch ohne! Ein ganz wesentliches Argument dafür sind die Werke, die vor der Erfindung des Reimes geschaffen wurden. Z.B. das Buch "Die Erfindung der Poesie" von Raoul Schrott enthält viele schöne Beispiele. Aber darauf könntest du sagen: Seitdem es Reim gibt, gehört er einfach zur Lyrik und kann nicht abgeschafft werden. Vielleicht ist das mit dem Reim nicht ganz so einfach. Oft wird der Reim gar nicht entdeckt, und zwar nicht nur von Ungebildeten, sondern sogar von Menschen, die selbst viele Gedichte (auch gereimte) schreiben. Mir ist z.B. vor einiger Zeit auf einer Internetseite, die eine Sammlung von Prosagedichten enthält aufgefallen, dass dort als Prosagedicht Rainer Maria Rilkes Liebes-Lied aufgeführt ist (welches ich seiner Schönheit wegen zitieren möchte): Wie soll ich meine Seele halten, dass sie nicht an deine rührt? Wie soll ich sie hinheben über dich zu andern Dingen? Ach gerne möcht ich sie bei irgendwas Verlorenem im Dunkeln unterbringen an einer fremden stillen Stelle, die nicht weiterschwingt, wenn deine Tiefen schwingen. Doch alles, was uns anrührt, dich und mich nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich, der aus zwei Saiten eine Stimme zieht. Auf welches Instrument sind wir gespannt? Und welcher Geiger hat uns in der Hand? O süsses Lied! Hoffentlich ist Ehrich Kykal jetzt nicht in Ohnmacht gefallen, weil er feststellt, dass er Prosagedichte schreibt. Gereimte Prosagedichte halt! Ich möchte ein zweites Beispiel anführen, was die Frage genau umkehrt. Folgender Prosatext aus "Der Tod in Venedig" von Thomas Mann ist recht bekannt: "Noch lagen Himmel, Erde und Meer in geisterhaft glasiger Dämmerblässe; noch schwamm ein vergehender Stern im Wesenlosen. Aber ein Wehen kam, eine beschwingte Kunde von unnahbaren Wohnplätzen, dass Eos sich von der Seite des Gatten erhebe, und jenes erste, süße Erröten der fernsten Himmels- und Meeresstriche geschah, durch welches das Sinnlichwerden der Schöpfung sich anzeigt." Der Autor bezeichnet das als eindeutig als Prosa. Ich finde ihn sehr schön und würde es als lyrische Prosa bezeichnen, welche mein Computer jetzt in moderne Lyrik verwandeln wird. Zuerst entfernt er Satzzeichen und Großschreibung und reduziert dann die Spaltenlänge auf ein Viertel. als Verzierung gebe ich dem Ganzen noch eine Überschrift. Viola! Mein Computer hat aus der Prosa ein Gedicht gemacht. EOS noch lagen himmel erde und meer in geisterhaft glasiger dämmerblässe noch schwamm ein vergehender stern im wesenlosen aber ein wehen kam eine beschwingte kunde von unnahbaren wohnplätzen dass eos sich von der Seite des Gatten erhebe und jenes erste süße erröten der fernsten himmels- und meeresstriche geschah durch welches das sinnlich werden der schöpfung sich anzeigt ein rosenstreuen am rande der welt. Mit dem Spaß möchte ausdrücken, dass die Bedeutung des Reimes, ja sogar die Bedeutung der sichtbaren Form für die Qualität der Lyrik nicht überschätzt werden sollte. Und da komme ich wieder auf den (zugegebenermaßen unpräzisen) Begriff des "singbaren Charakters"… Aber ich will nicht langweilen und schließe vorerst meine Quatschbude. Liebe Grüße Thomas
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© Ralf Schauerhammer Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität. Diese seine Individualität so sehr als möglich zu veredeln, ist sein erstes und wichtigstes Geschäft. Friedrich Schiller Geändert von Thomas (11.02.2013 um 11:51 Uhr) |
29.11.2013, 11:35 | #19 |
TENEBRAE
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Hi, Leute!
Ich habe mich an diesem Disput nicht beteiligt, da ich bei dieser Thematik immer relativ schnell "unelastisch" werde! Meinen Standpunkt kennt ihr: Wenn es sich nicht reimt, ist es für die Tonne - zumindest, soweit es mein Interesse daran betrifft! Für mich ist neben der Singbarkeit, also der Rhythmik und der Melodie der Sprache, der Reim eben das grundsätzlichste Kriterium für das, was ich als Lyrik bezeichnet wissen möchte. Ein sehr rigider Standpunkt zweifelsohne, fusst er zudem noch nicht auf logischen Kriterien, sondern auf solchen persönlichen Geschmacks. Ich sehe es so: Soll ein jeder ungereimte "Verse" interessant und wertig finden, wie er dazu lustig ist - meine Baustelle ist es nun mal nicht...und wird es auch niemals sein oder werden! Mehr ist von meiner Seite dazu wohl auch nicht zu vermelden. LG, eKy
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen. Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen! Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind. Dummheit und Demut befreunden sich selten. Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt. Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit. |
29.11.2013, 16:21 | #20 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Hallo Erich,
natürlich kannst du Lyrik so definieren. Dann löst du das in Beitrag #10 dargestellte Problem, indem du dich nicht an die Dreiteilung (Drama, Epos und Lyrik) hältst. Das ist möglich. Für mich stellt sich dann nur noch die Frage, wie du Texte, die weder Drama noch Epos noch Lyrik im Sinne deiner Definition sind, bezeichnen willst. Man könnte "Lyrische Prosa" oder Lyrische Texte" sagen. Im Grund ist das auch mein Ansatz. Aber so eng wie du würde ich die Grenze der Lyrik nicht ziehen. Der Reim ist zwar ein sehr klares und recht einfach zu bestimmendes Merkmal, mir aber ist er (im Gegensatz zu dir) nicht so entscheident, weshalb ich auch Ungereimtes zur Lyrik rechnen möchte, solange es die von mir oben beschriebenen Qualitäten hat. Überzeugen will und kann ich dich wohl nicht, und beide Standpunkte können nebeneinander bestehen. Liebe Grüße Thomas
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© Ralf Schauerhammer Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität. Diese seine Individualität so sehr als möglich zu veredeln, ist sein erstes und wichtigstes Geschäft. Friedrich Schiller |
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