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Alt 17.11.2011, 10:07   #51
Friedhelm Götz
Schüttelgreis
 
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Christian Morgenstern gehört schon seit meiner Jugendzeit zu meinen Lieblingsautoren, und ich habe schon damals mit grotesken Gedichten versucht, auf Morgensterns Pfaden zu wandeln. Daraus entstand dann auch mal eine Rundfunksendung im damaligen Süddeutschen Rundfunk mit dem Titel "Flöhezimt und Morgenstern", gesprochen von Hanns Dieter Hüsch.

Hier nun als besonderes Schmankerl die wenig bekannte Legende "Das Vermächtnis" von Christian Morgenstern, gesprochen von Hanns Dieter Hüsch:

Das Vermächtnis - eine Legende von Christian Morgenstern

Wer nur oder auch lesen will:

Das Vermächtnis
eine Legende von Christian Morgenstern

Es war um die Zeit, da der Affe zum Menschen wurde. Und am Vorabend seiner Menschwerdung versammelte der Affe noch einmal alle Tiere der Erde um sich, um von ihnen Abschied zu nehmen. "Morgen will ich Mensch werden, sprach er wehmütig zu ihnen, und ihr werdet mich alle verlassen und meiden, und ein Kampf wird entstehen zwischen meinem Samen und eurem Samen."

"Jawoll, ein Kampf!" brüllte der Löwe.
"Du willst mehr werden als wir!" brummte das Nashorn.
"Das wirst du büßen müssen!" wiederholte giftig der Floh.
"Lassen wir das!" sagte mit einem Anflug unbeschreiblicher Müdigkeit der Affe,
und feiern wir heute noch ein Fest des Friedens und der Freude miteinander.
"So sei es!" riefen die Tiere und drängten sich gutmütig und wohlwollend um den scheidenden Bruder und fragten ihn, ob sie ihm nicht noch etwas Liebes tun oder mitgeben könnten.
Da ward dem Affen noch trübseliger zumute, und er setzte sich unter eine Palme und fing jämmerlich an zu schluchzen. Ein tiefes Mitleid ging durch die weichen Tierherzen.
"Wir wollen den Armen trösten", begann endlich das Schaf und schritt allen voran auf den Weinenden zu.
Lange sah das Schaf dem Affen in die Augen, und dann sprach es: "Trage mein Bild stets in deinem Herzen, so wird es sein, als ob ich mit und in dir weiterlebte."
Dem Schaf folgte das Kamel, sah dem Affen tief in die Augen und sagte das gleiche zu ihm.
Und herzu traten der Ochs, der Esel, das Schwein, der Pfau, die Gans, der Tiger, der Wolf, die Hyäne und viele andere Tiere, und jedes sah dem Affen tief in die Augen und sprach feierlich zu ihm: "Trage mein Bild stets in deiner Seele, so wird es sein, als ob ich mit dir weiterlebte."
Die letzen, die herantraten, waren der Löwe, der Adler und die Schlange.

Der Affe konnte vor Abgespanntheit kaum mehr aus den Augen schauen, und als die Schlange sich verabschiedet hatte, sank er sofort in tiefen Schlaf. Aber wirre und schreckliche Träume ängstigten ihn, und gegen Morgengrauen erhob er sich im Halbschlummer von seinem Lager und tastete sich zur nahen Quelle.
Mit Augen, deren Schleier klares Bewusstsein noch nicht zu zerreißen vermochte, blickte er in den Wasserspiegel, der, leicht bewegt, sein Bild wiedergab.
Wie sah er aus! Da schwamm auf zitternden Wellen das Bild des einfältigen Schafes - oder - nein! Es war das hässliche Kamel, das mit arroganten Zügen aus den Wogen ihn anstarrte. Mit einem Male schien es der blutrünstige Tiger, als den er sich in den Fluten sah, und kaum, dass er genauer hingespäht, war es ein Pfau, der ihm sein eitles Rad entgegenschlug.
Endlich brach ein Sonnenstrahl durch die Bäume, und der Affe erwachte aus seinem traumhaften Zustande. Verwundert rieb er sich die Augen und wollte sogleich den nächsten Baumriesen empor, als sein Blick von ungefähr in die Quelle fiel. Da erkannte er, dass er über Nacht Mensch geworden war. Und Adam zog aus, bis dass er Eva fand und verbreitete sein Geschlecht über die ganze Erde.
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Alt 21.11.2011, 10:42   #52
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NAIVE ROMANTIK?




Ich und Du




Wir träumten voneinander
und sind davon erwacht.
Wir leben, um uns zu lieben,
und sinken in die Nacht.
Du tratst aus meinem Traume,
aus deinem trat ich hervor.
Wir sterben, wenn sich eines
im anderen ganz verlor.
Auf einer Lilie zittern
zwei Tropfen, rein und rund.
Zerfließen in eins und rollen
hinab in des Kelches Grund





- Friedrich Hebbel-




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Alt 23.11.2011, 21:12   #53
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Kurt Tucholsky (1919)


Einkäufe

Was schenke ich dem kleinen Michel
zu diesem kalten Weihnachtsfest?
Den Kullerball? Den Sabberpichel?
Ein Gummikissen, das nicht näßt?
...............Ein kleines Seifensiederlicht?
...............Das hat er noch nicht. Das hat er noch nicht!

Wähl ich den Wiederaufbaukasten?
Schenk ich ihm noch mehr Schreibpapier?
Ein Ding mit schwarzweißroten Tasten;
ein patriotisches Klavier?
...............Ein objektives Kriegsgericht?
...............Das hat er noch nicht. Das hat er noch nicht!

Schenk ich den Nachttopf ihm auf Rollen?
Schenk ich ein Moratorium?
Ein Sparschwein, kugelig geschwollen?
Ein Puppenkrematorium?
...............Ein neues gescheites Reichsgericht?
...............Das hat er noch nicht. Das hat er noch nicht!

Ach, liebe Basen, Onkels, Tanten –
Schenkt ihr ihm was. Ich find es kaum.
Ihr seid die Fixen und Gewandten,
hängt ihrs ihm untern Tannenbaum.
...............Doch schenkt ihm keine Reaktion!
...............Die hat er schon. Die hat er schon!
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Alt 29.12.2011, 14:13   #54
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Zum 85. Todestag von Rainer Maria Rilke:

Der Tod des Dichters


Er lag. Sein aufgestelltes Antlitz war
bleich und verweigernd in den steilen Kissen,
seitdem die Welt und dieses von ihr Wissen,
von seinen Sinnen abgerissen,
zurückfiel an das teilnahmslose Jahr.

Die, so ihn leben sahen, wußten nicht,
wie sehr er eines war mit allem diesen,
denn dieses: diese Tiefen, diese Wiesen
und diese Wasser waren sein Gesicht.

O sein Gesicht war diese ganze Weite,
die jetzt noch zu ihm will und um ihn wirbt;
und seine Maske, die nun bang verstirbt,
ist zart und offen wie die Innenseite
von einer Frucht, die an der Luft verdirbt.
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Alt 30.12.2011, 10:05   #55
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Theodor Fontane
(1819 - 1898)

192. Geburtstag am 30.12.





Alles still!



Alles still! Es tanzt den Reigen
Mondenstrahl in Wald und Flur,
Und darüber thront das Schweigen
Und der Winterhimmel nur.


Alles still! Vergeblich lauschet
Man der Krähe heisrem Schrei.
Keiner Fichte Wipfel rauschet,
Und kein Bächlein summt vorbei.


Alles still! Die Dorfeshütten
Sind wie Gräber anzusehn,
Die, von Schnee bedeckt, inmitten
Eines weiten Friedhofs stehn.


Alles still! Nichts hör ich klopfen
Als mein Herze durch die Nacht
Heiße Tränen niedertropfen
Auf die kalte Winterpracht.





************************************************** *****************

Ein neues Buch, ein neues Jahr
was werden die Tage bringen?

Wirds werden, wie es immer war,
halb scheitern, halb gelingen?

Ich möchte leben, bis all dies Glühn
rücklässt einen leuchtenden Funken.

Und nicht vergeht, wie die Flamm im Kamin,
die eben zu Asche gesunken.



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Geändert von Chavali (30.12.2011 um 15:43 Uhr)
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Alt 03.01.2012, 11:33   #56
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Theodor Storm

Weihnachtabend 1852

Die fremde Stadt durchschritt ich sorgenvoll,
Der Kinder denkend, die ich ließ zu Haus.
Weihnachten war's; durch alle Gassen scholl
Der Kinderjubel und des Markts Gebraus.

Und wie der Menschenstrom mich fortgespült,
Drang mir ein heiser Stimmlein in das Ohr:
»Kauft, lieber Herr!« Ein magres Händchen hielt
Feilbietend mir ein ärmlich Spielzeug vor.


Ich schrak empor, und beim Laternenschein
Sah ich ein bleiches Kinderangesicht;
Wes Alters und Geschlechts es mochte sein,
Erkannt ich im Vorübertreiben nicht.


Nur von dem Treppenstein, darauf es saß,
Noch immer hört ich, mühsam, wie es schien:
»Kauft, lieber Herr!« den Ruf ohn Unterlaß;
Doch hat wohl keiner ihm Gehör verliehn.


Und ich? - War's Ungeschick, war es die Scham,
Am Weg zu handeln mit dem Bettelkind?
Eh meine Hand zu meiner Börse kam,
Verscholl das Stimmlein hinter mir im Wind.


Doch als ich endlich war mit mir allein,
Erfaßte mich die Angst im Herzen so,
Als säß mein eigen Kind auf jenem Stein
Und schrie nach Brot, indessen ich entfloh.






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Bei diesem Gedicht habe ich schon als Kind bittere Tränen vergossen


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Alt 21.01.2012, 23:40   #57
Stimme der Zeit
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Heute hatte ich ein wenig "Balsam" nötig, daher ein Gedicht von Eduard Mörike, das mich immer wieder zum Schmunzeln bringt:


Lose Ware

»Tinte! Tinte, wer braucht? Schön schwarze Tinte verkauf ich!«
Rief ein Büblein gar hell Straßen hinauf und hinab.
Lachend traf sein feuriger Blick mich oben im Fenster,
Eh ich michs irgend versah, huscht er ins Zimmer herein.
Knabe, dich rief niemand! – »Herr, meine Ware versucht nur!«
Und sein Fäßchen behend schwang er vom Rücken herum.
Da verschob sich das halbzerissene Jäckchen ein wenig
An der Schulter und hell schimmert ein Flügel hervor.
Ei, laß sehen, mein Sohn, du führst auch Federn im Handel?
Amor, verkleideter Schelm! soll ich dich rupfen sogleich?
Und er lächelt, entlarvt, und legt auf die Lippen den Finger:
»Stille! Sie sind nicht verzollt – stört die Geschäfte mir nicht!
Gebt das Gefäß, ich füll es umsonst, und bleiben wir Freunde!«
Dies gesagt und getan, schlüpft er zur Türe hinaus. –
Angeführt hat er mich doch: denn will ich was Nützliches schreiben,
Gleich wird ein Liebesbrief, gleich ein Erotikon draus.

(1837)
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Alt 02.02.2012, 20:56   #58
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Der Bau der Marienkirche zu Lübeck



Theodor Storm 1817 - 1888

Eine Sage

Im alten heiligen Lübeck
Ward eine Kirche gebaut
Zu Ehren der Jungfrau Maria,
Der hohen Himmelsbraut.

Doch als man den Bau begonnen,
Da hatt es der Teufel gesehn;
Der glaubte, an selbiger Stelle
Ein Weinhaus würde erstehn.

Draus hat er manch arme Seele
Sich abzuholen gedacht
Und drum das Werk gefördert
Ohn Rasten Tag und Nacht.

Die Maurer und der Teufel,
Die haben zusammen gebaut;
Doch hat ihn bei der Arbeit
Kein menschlich Aug geschaut.

Drum, wie sich die Kellen rührten,
Es mochte keiner verstehn,
Daß in so kurzen Tagen
So großes Werk geschehn.

Und als sich die Fenster wölben,
Der Teufel grinset und lacht,
Daß man in einer Schenke
So Tausende Scheiben macht.

Doch als sich die Bogen wölben,
Da hat es der Teufel durchschaut,
Daß man zu Gottes Ehren
Eine Kirche hier erbaut.

Da riß er in seinem Grimme
Einen Fels von Bergeswand
Und schwingt sich hoch in Lüften,
Von männiglich erkannt.

Schon holt er aus zum Wurfe
Aufs heilige Prachtgebäu; -
Da tritt ein Maurergeselle
Hervor getrost und frei:

»Herr Teufel, wollt nichts Dummes
Begehen in der Hast!
Man hat ja sonst vernommen,
Daß Ihr Euch handeln laßt!«

»So bauet«, schrie der Teufel,
»Ein Weinhaus nebenan,
Daß ich mein Werken und Mühen
Nicht schier umsonst getan.« -

Und als sie's ihm gelobet,
So schleudert er den Stein,
Auf daß sie dran gedächten,
Hart in den Grund hinein. -

Drauf, als der Teufel entfahren,
Ward manches liebe Jahr
Gebaut noch, bis die Kirche
Der Jungfrau fertig war.

Dann ist dem Teufel zu Willen
Der Ratsweinkeller erbaut,
Wie man ihn noch heutzutage
Dicht neben der Kirche schaut.

So stehen Kirch und Keller
In traulichem Verein;
Die frommen Herrn zu Lübeck,
Die gehen aus und ein.

Sie beten wohl da droben,
Da drunten trinken sie,
Und für des Himmels Gaben
Da droben danken sie.

Und trinken sie da drunten,
Sie denken wohl dabei:
Dem selbst der Teufel dienet,
Wer fröhlich, fromm und frei.




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Alt 10.06.2012, 19:30   #59
eva
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ich steure mal meins bei:


Mondnacht

Es war, als hätt' der Himmel
Die Erde still geküsst,
Dass sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müsst'.

Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogten sacht,
Es rauschten leis' die Wälder,
So sternklar war die Nacht.

Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.



Joseph von Eichendorff
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Alt 09.10.2012, 21:06   #60
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Am Birkenbaum

Ferdinand Freiligrath






Der junge Jäger am Waldrand saß,
am Waldrand auf der Haar.
Wie Blut schon die Blätter, gebleicht das Gras,
doch der Himmel sonnig und klar.
Er sprach: Die Bracken ziehn sich zur Möhne!
Vergebens mich auf den Fuchs gefreut!
Fern, immer ferner des Hornes Töne –
Kein Schuß mehr fällt auf dem Brandholz heut!
Ob ich nach nur schlendre? Den Teufel auch!
Ich lob mir im Sonnenschein
das Eckchen hier am Wacholderstrauch
und den grauen, moosigen Stein!
Drauf streck ich mich aus, den nehm ich zum Polster,
an die Buche lehn ich mein Doppelgewehr!
Und nun aus dem Dichterwinkel der Holster,
mein Jagdgenosse, mein Byron, komm her! –
Und er nimmt seinen Weidsack und langt sie herfür,
die ihn öfters begleitete schon,
die höchst unwürd'ge auf Löschpapier,
die Zwickauer Edition.
Den Mazeppa hat er sich aufgeschlagen:
Muß sehn, ob ich's deutsch nur reimen kann!
Mögen immer die andern lachen und sagen:
Ha, ha, der lateinische Jägersmann!
Er liest – er sinnt – nun schreibt er sich's auf;
nun scheint er so recht im Fluß –
Da nimmt er vor Freuden den Doppellauf
und tut in die Luft einen Schuß.
So hat er es lange Stunden getrieben,
ein närrischer Kauz, ein Stück Poet,
bis ihm, mit Bleistift flott geschrieben,
ein saubrer Anfang im Taschenbuch steht.
Er reibt sich die Hände – Und nun nach Haus!
Zwei Stunden noch hab ich zu gehn;
nur ein einzig Mal noch hinab und hinaus
in die Ebene will ich spähn;
will mir Schimmer und Duft in die Seele saugen,
daß sie Freude noch und zu zehren hat,
wenn mir wieder die fernedurstigen Augen
auf Wochen einengt die graue Stadt.
Da liegt sie finster mit Türmen und Wall,
die mich lehren soll den Erwerb,
die mich grämlich sperrt in der Prosa Stall,
und Dichten heißt Zeitverderb!
Wenn ich manchmal nicht auf den Rappen müßte,
hätt ich manchmal nicht einen Jagdtag frei,
einen Tag wie heut – Schwerenot, ich wüßte
keinen Rat meiner heimlichen Reimerei!
Da liegt sie – herbstlicher Duft ihr Kleid –
in der Abendsonne Brand!
Und hinter ihr, endlos, meilenweit,
das leuchtende Münsterland!
Ein Blitz wie Silber – das ist die Lippe!
Links hier des Hellwegs goldene Au!
Und dort zur Rechten, überm Gestrüppe,
das ist meines Osnings dämmerndes Blau!
Eine Fläche das! So, denk ich mir, war
die Flur, die Mazeppa durchsprengt!
Oder jene, drauf der russische Zar
den schwedischen Karl gedrängt!
Zwar – milder und üppiger ist die Börde,
doch wir haben auch Heidegrund und Moor
und wilden Busch auf der roten Erde –
Ob auch hier schon wer eine Schlacht verlor?
- So denkt er, und hat es laut wohl gesagt;
da tritt ein Mann auf ihn zu:
Ein Bauer – und wenn ihr mehr noch fragt:
Der Hüter einer Kuh.
Die langen Glieder umhüllt ein schlichter
Leinrock, das bläuliche Auge sticht,
die Lippe zuckt – so tritt er zum Dichter,
so lächelt er seltsamlich und spricht:
2

Guten Abend, Herr! Ob man Schlachten schlug
in der Ebene dort – fürwahr,
ich hab's nicht erfahren! Lest nach im Buch!
Mich kümmert wenig, was war!
Ich schaue nur aus nach den künftigen Tagen –
So spricht vom Haarstrang der alte Hirt:
Eine Schlacht wohl sah ich dort unten schlagen,
doch eine, die man erst schlagen wird!
Ich habe sie dreimal mit angesehn!
Oh, öd ist die Haar bei Nacht!
Ich aber muß auf vom Bette stehn –
Dann hat es mich hergebracht!
Just, Herr, wo Ihr steht – just hier auf den Felsen,
da hat es mich Sträubenden hingestellt!
Und hätt ich gewandt mich mit hundert Hälsen,
doch hätt ich hinabschaun müssen ins Feld!
Und ich sah hinab und ich sah genau –
da schwammen Äcker in Blut!
Da hing's an den Ähren wie roter Tau,
und der Himmel war eine Glut!
Um die Höfe sah ich die Flamme wehen,
und die Dörfer brannten wie dürres Gras:
Es war, als hätt ich die Welt gesehen
durch Höhrauch oder durch farbig Glas!
Und zwei Heere, zahllos wie Blätter im Busch,
hieben wild aufeinander ein;
das eine, mit hellem Trompetentusch,
zog heran in der Richtung vom Rhein.
Das waren die Völker des Westens, die Freien!
Bis zum Haarweg scholl ihrer Pferde Gewiehr,
und voraus flog ihren unendlichen Reihen
im Rauche des Pulvers ein rot Panier!
Rot, Rot, Rot! Das einige Rot!
Kein prunkendes Wappen drauf!
Das trieb sie hinein in den jauchzenden Tod,
das band sie, das hielt sie zuhauf!
Das warf sie entgegen den Sklaven aus Osten,
die, das Banner bestickt mit wildem Getier,
unabsehbar über die Fläche tosten
auf das dröhnende, zitternde Kampfrevier.
Und ich wußte – doch hat es mir keiner gesagt! –,
das ist die letzte Schlacht,
die der Osten gegen den Westen wagt
um den Sieg und um die Macht!
Das ist der Knechtschaft letztes Verenden!
Das ist, wie nie noch ein Würfel fiel
aus der Könige kalten, bebenden Händen,
der letzte Wurf in dem alten Spiel!
Denn dies ist die Schlacht um den Birkenbaum! –
Und ich sah seinen weißen Stamm,
und er stand und regte die Blätter kaum,
denn sie waren schwer und klamm!
Waren klamm von Blut, das der blutige Reigen
an die zitternden wild in die Höhe gespritzt;
und so stand er mit traurig hangenden Zweigen,
von Kartätschen und springenden Bomben umblitzt.
Auf einmal hub er zu säuseln an,
und ein Licht flog über die Haar –
Und den Osten sah ich geworfen dann
von des Westens drängender Schar.
Die Zäume verhängt und die Fahnen zertreten
und die Führer zermalmt von der Hufe Wucht
und im Nacken der Freiheit Gerichtstrompeten –
so von dannen jagte die rasende Flucht.
Da! zu uns auch herauf! – Da seht ihr sie nicht?
Durch den Hohlweg und über den Stein!
Da! – - zum vierten Mal nun das gleiche Gesicht
und der gleiche lodernde Schein! –
Da! – tretet beiseit, daß kein fliegender Zügel,
daß kein sausender Dolman den Arm euch streift!
noch des Mannes Haupt, den, hangend im Bügel,
eben jetzt sein Pferd durch den Ginster schleift!
Da! – es stürzt! – das edelste dieser Schlacht! –
Der Geschleifte liegt tot im Farn!
Und über ihn weg nun die wilde Jagd,
die Lafetten, die Pulverkarrn! –
Wer denkt noch an den? Wer unter den Wagen
risse den noch hervor? Was Bahre, was Sarg!
Hört, Herr – doch dürft ihr es keinem sagen! –,
so stirbt in Europa der letzte Monarch!
3

Dem jungen Jäger schwirrt es im Kopf,
und er tat einen langen Satz,
und er fluchte: Vermaledeiter Tropf
und vermaledeiter Platz!
Doch der Alte, kühl wie ein Seher eben,
sah ihm ruhig nach von des Holzes Saum:
Ja, flucht nur, Herr Junge! Könnt's doch noch erleben!
Seid ja siebenzehn oder achtzehn kaum!
Dann pfiff er und zog übers Stoppelfeld –
Noch hat sich das Wort nicht erfüllt!
Doch der Birkenbaum steht ungefällt,
und zwei Lager heute zerklüften die Welt,
und ein Hüben, ein Drüben nur gilt!
Schon gab es Geplänkel: doch dauernd schlichten
wird ein Schlag nur, wie jener, den wachsenden Strauß –
Und dem Jäger kommen die alten Geschichten,
und er denkt: Schlüge dennoch das Volk in Gesichten
seines nahenden Welttags Siege voraus?






Interessant - oder?
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