17.07.2014, 10:44 | #81 |
Von Raben umkreist
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Nun möchte ich auch eins von den Gedichten einstellen, die mich faszinieren. Nicht zuletzt hat mich Achim Reichel mit seiner Liedversion entsprechend beeinflusst.
Regenballade (Ina Seidel) Ich kam von meinem Wege ab, weil es so nebeldunstig war. Der Wald war feuchtkalt wie ein Grab und Finger griffen in mein Haar. Ein Vogel rief so hoch und hohl, wie wenn ein Kind im Schlummer klagt und mir war kalt, ich wusste wohl, was man von diesem Walde sagt! Dann setzt’ ich wieder Bein vor Bein und komme so gemach vom Fleck und quutsch’ im letzen Abendschein schwer vorwärts durch Morast und Dreck. Es nebelte, es nieselte, es roch nach Schlamm, verfault und nass, es raschelte und rieselte und kroch und sprang im hohen Gras. Auf einmal, eh ich’s mich versehn, bin ich am Strom, im Wasser schier. Am Rand bleib ich erschrocken steh’n, fast netzt die Flut die Sohle mir. Das Röhricht zieht sich bis zum Tann und wiegt und wogt soweit man blickt und flüstert böse ab und an, wenn es im feuchten Windhauch nickt. Das saß ein Kerl! Weiß Gott, mein Herz stand still, als ich ihn sitzen sah! Ich sah ihn nur von hinterwärts, und er saß klein und ruhig da. Saß in der Abenddämmerung, die Angelrute ausgestreckt, als ob ein toter Weidenstrunk den dürren Ast gespenstisch reckt. "He, Alter!" ruf ich, "beißt es gut?" Und sieh, der Baumstamm dreht sich um und wackelt mit dem runden Hut und grinst mit spitzen Zähnen stumm. Und spricht, doch nicht nach Landesart, wie Entenschnattern, schnell und breit, kommt’s aus dem algengrünen Bart: "Wenn’s regnet, hab’ ich gute Zeit!" "So scheint es", sag ich und ich schau in seinen Bottich neben ihn. Da wimmelt’s blank und silbergrau und müht sich mit zerfetzem Kiem’, Aale, die Flossen zart wie Flaum, glotzäugig Karpfen. Mittendrin, ich traue meinen Augen kaum, wälzt eine Natter sich darin! "Ein selt’nes Fischlein, Alter, traun!" Da springt er froschbehend empor. "Die Knorpel sind so gut zu kau’n" schnattert listig er hervor. "Gewiss seid ihr zur Nacht mein Gast! Wo wollt ihr heute auch noch hin? Nur zu, den Bottich angefasst! Genug ist für uns beide drin!" Und richtig watschelt er voraus, patsch, patsch am Uferrand entlang. Und wie im Traume heb ich auf und schleppe hinterdrein den Fang. Und krieche durch den Weidenhag, der eng den Rasenhang umschmiegt, wo, tief verborgen selbst am Tag, die schilfgebaute Hütte liegt. Da drinnen ist nicht Stuhl, nicht Tisch, der Alte sitzt am Boden platt, es riecht nach Aas und totem Fisch, mir wird vom bloßem Atmen satt. Er aber greift frisch in den Topf und frisst die Fische kalt und roh, packt sie beim Schwanz, beißt ab den Kopf und knirscht und schmatzt im Dunkeln froh. "Ihr esst ja nicht! Das ist nicht recht!" Die Schwimmhand klatscht mich fett aufs Knie. "Ihr seid vom trockenen Geschlecht, ich weiß, die Kerle essen nie! Ihr seid bekümmert? Sprecht doch aus, womit ich Euch erfreuen kann!" "Ja", klappre ich: "Ich will nach Haus, aus dem verfluchten Schnatermann." Da hebt der Kerl ein Lachen an, es klang nicht gut, mir wurde kalt. "Was wisst denn Ihr vom Schnatermann?" "Ja", sag ich stur," so heißt der Wald." "So heißt der Wald?" Nun geht es los, er grinst mich grün und phosphorn an: "Du dürrer Narr, was weißt du bloß vom Schnater-Schnater-Schnatermann?!" Und schnater-schnater, klitsch und klatsch, der Regen peitscht mir ins Gesicht. Quatsch’ durch den Sumpf, hoch spritzt der Matsch, ein Stiefel fehlt - ich acht es nicht. Und schnater-schnater um mich her, und Enten- ,Unken-, Froschgetöhn. Möwengelächter irr und leer und tief ein hohles Windgestöhn... Des andern Tags saß ich allein, nicht weit vom prasselnden Kamin und ließ mein schwer gekränkt’ Gebein wohlig von heißem Grog durchziehn. Wie golden war der Trank, wie klar, wie edel war sein starker Duft! Ich blickte nach dem Wald - es war noch sehr viel Regen in der Luft...
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18.07.2014, 01:08 | #82 |
verkannt
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Hallo Lai,
"Quoth the raven, `Nevermore.'" ;-) Das habe ich mit Absicht nicht eingestellt, sollte ja eigentlich jeder kennen. Denke ich zumindest. ... und die Überversetzung unter dem Gedicht ist ein Wikipediading, ich kann allerdings keinen Autor dazu finden. Vielleicht machst du uns ja mal eine Translation. ;-) Ich bin darin nicht wirklich gut muss ich zugeben, klar schreie ich dass eine Übersetzung besser sein könnte, hänge aber selber schon seit zwei Monaten an einer Verdeutschung für "In the Ghetto", von daher, wer bin ich, dass ich mit Steinen werfe. Einen lieben Gruß C.
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© auf alle meine Texte „Mir gefiel der Geschmack von Bier, sein lebendiger, weißer Schaum, seine kupferhellen Tiefen, die plötzlichen Welten, die sich durch die nassen braunen Glaswände hindurch auftaten, das schräge Anfluten an die Lippen und das langsame Schlucken hinunter zum verlangenden Bauch, das Salz auf der Zunge, der Schaum im Mundwinkel.“ Dylan Thomas |
18.07.2014, 09:21 | #83 |
Kiwifrüchtchen
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Hallo Cebrail,
ja, ich könnte mich wohl wirklich mal an eine Übersetzung wagen. Zu übertragen, wie 'Unbekannt' es mit Annabel Lee gemacht hat, da ist nix dabei. Mir jedoch gefiele die Herausforderung, es gereimt zu versuchen. Ich werd mich mal dahinterklemmen und schauen, wie ich vorankomme. Da Du ein Poe-Fan bist, möchte ich Dir ans Herz legen, die Übersetzung / Nachdichtung des Rabens von unserem Forumkollegen Thomas zu lesen. Die ist mM nach um Längen besser als alle, die ich bisher gelesen habe, einschließlich die wohl bekannteste von Wollschläger, die von manchen Quellen auch als die beste bezeichnet wird. Für mich ist sie im Vergleich zu Thomas' schwach. Ich muß gleich nachgucken, ob Thomas' Werk hier am Eiland eingestellt ist. Fündig geworden. www.gedichte-eiland.de/showthread.php?t=8884 LG von Lai Lieber Sid, DAS ist ja ein tolles Werk! Der Name Ina Seidel ist mir völlig unbekannt. Bizarr, surreal und dabei witzig. Ganz super! Danke fürs Vorstellen.
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.................................................. ........................................... "Manchmal ist es so demütigend, ein Mensch sein zu müssen..." Erich Kykal Geändert von Lailany (18.07.2014 um 10:02 Uhr) |
25.09.2014, 02:43 | #84 |
TENEBRAE
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Rainer Maria Rilke
DER BLINDE KNABE An allen Türen blieb der blinde Knabe, auf den der Mutter bleiche Schönheit schien, und sang das Lied, das ihm sein Leid verliehn: "Oh hab mich lieb, weil ich den Himmel habe." Und alle weinten über ihn. An allen Türen blieb der blinde Knabe. Die Mutter aber zog ihn leise mit; weil sie die andern alle weinen schaute. Er aber, der nicht wusste, wie sie litt, und nur noch tiefer seinem Dunkel traute, sang: "Alles Leben ist in meiner Laute." Die Mutter aber zog ihn leise mit. So trug er seine Lieder durch das Land. Und als ein Greis ihn fragte, was sie deuten, da schwieg er, und auf seiner Stirne stand: Es sind die Funken, die die Stürme streuten, doch einmal werd ich breit sein wie ein Brand. So trug er seine Lieder durch das Land. Und allen Kindern kam ein Traurigsein. Sie mussten immer an den Blinden denken und wollten etwas seiner Armut weihn; er nahm sie lächelnd an den Handgelenken und sang: "Ich selbst bin kommen euch beschenken." Und allen Kindern kam ein Traurigsein. Und alle Mädchen wurden blass und bang. Und waren wie die Mutter dieses Knaben, der immer noch in ihren Nächten sang. Und fürchteten: wir werden Kinder haben, - und alle Mütter waren krank . . Da wurden ihre Wünsche wie ein Wort und flatterten wie Schwalben um die Eine, die mit dem Blinden zog von Ort zu Ort: "Maria, du Reine, sieh, wie ich weine. Und es ist seine Schuld. In die Haine führe ihn fort!" Bei allen Bäumen blieb der blinde Knabe, auf den der Mutter müde Schönheit schien, und sang das Lied, das ihm sein Leid verliehn: "Oh hab mich lieb, weil ich den Himmel habe -" Und alle blühten über ihm. DER SCHAUENDE Ich sehe den Bäumen die Stürme an, die aus laugewordenen Tagen an meine ängstlichen Fenster schlagen, und höre die Fernen Dinge sagen, die ich nicht ohne Freund ertragen, nicht ohne Schwester lieben kann. Da geht der Sturm, ein Umgestalter, geht durch den Wald und durch die Zeit, und alles ist wie ohne Alter: die Landschaft, wie ein Vers im Psalter, ist Ernst und Wucht und Ewigkeit. Wie ist das klein, womit wir ringen, was mit und ringt, wie ist das groß; ließen wir, ähnlicher den Dingen, uns so vom großen Sturm bezwingen, - wir würden weit und namenlos. Was wir besiegen, ist das Kleine, und der Erfolg selbst macht uns klein. Das Ewige und Ungemeine will nicht von uns gebogen sein. Das ist der Engel, der den Ringern des Alten Testaments erschien: wenn seiner Widersacher Sehnen im Kampfe sich metallen dehnen, fühlt er sie unter seinen Fingern wie Saiten tiefer Melodien. Wen dieser Engel überwand, welcher so oft auf Kampf verzichtet, der geht gerecht und aufgerichtet und groß aus jener harten Hand, die sich, wie formend, an ihn schmiegte. Die Siege laden ihn nicht ein. Sein Wachstum ist: der Tiefbesiegte von immer Größerem zu sein. DER APFELGARTEN Komm gleich nach dem Sonnenuntergange, sieh das Abendgrün des Rasengrunds; ist es nicht, als hätten wir es lange angesammelt und erspart in uns, um es jetzt aus Fühlen und Erinnern, neuer Hoffnung, halbvergeßnem Freun, noch vermischt mit Dunkel aus dem Innern, in Gedanken vor uns hinzustreun unter Bäume wie von Dürer, die das Gewicht von hundert Arbeitstagen in den überfüllten Früchten tragen, dienend, voll Geduld, versuchend, wie das, was alle Maße übersteigt, noch zu heben ist und hinzugeben, wenn man willig, durch ein ganzes Leben nur das Eine will und wächst und schweigt. DER FREMDE Ohne Sorgfalt, was die Nächsten dächten, die er müde nichtmehr fragen hieß, ging er wieder fort, verlor, verließ - . Denn er hing an solchen Reisenächten anders als an jeder Liebesnacht. Wunderbare hatte er durchwacht, die mit starken Sternen überzogen enge Fernen auseinanderbogen und sich wandelten wie eine Schlacht; andre, die mit in den Mond gestreuten Dörfern, wie mit hingehaltnen Beuten; sich ergaben, oder durch geschonte Parke graue Edelsitze zeigten, die er gerne in dem hingeneigten Haupte einen Augenblick bewohnte, tiefer wissend, dass man nirgends bleibt; und schon sah er bei dem nächsten Biegen wieder Wege, Brücken, Länder liegen bis an Städte, die man übertreibt. Und dies alles immer unbegehrend hinzulassen, schien ihm mehr als seines Lebens Lust, Besitz und Ruhm. Doch auf fremden Plätzen war ihm eines täglich ausgetretnen Brunnensteines Mulde manchmal wie ein Eigentum. RÖMISCHE FONTÄNE Zwei Becken, eins das andre übersteigend aus einem alten runden Marmorrand, und aus dem oberen Wasser leis sich neigend zum Wasser, welches unten wartend stand, dem leise redenden entgegenschweigend und heimlich, gleichsam in der hohlen Hand, ihm Himmel hinter Grün und Dunkel zeigend wie einen unbekannten Gegenstand; sich selber ruhig in der schönen Schale verbreitend ohne Heimweh, Kreis aus Kreis, nur manchmal träumerisch und tropfenweis sich niederlassend an den Moosbehängen zum letzten Spiegel, der sein Becken leis von unten lächeln macht mit Übergängen. SONETT XXIX (aus dem 2. Teil der Sonette an Orpheus) Stiller Freund der vielen Fernen, fühle, wie dein Atmen noch den Raum vermehrt. Im Gebälk der finstern Glockenstühle laß dich läuten. Das, was an dir zehrt, wird ein Starkes über dieser Nahrung. Geh in der Verwandlung aus und ein. Was ist deine leidenste Erfahrung? Ist dir Trinken bitter, werde Wein. Sei in dieser Nacht aus Übermaß Zauberkraft am Kreuzweg deiner Sinne, ihrer seltsamen Begegnung Sinn. Und wenn dich das Irdische vergaß, zu der stillen Erde sag: Ich rinne. Zu dem raschen Wasser sprich: Ich bin. DER BALL Du Runder, der das Warme aus zwei Händen im Fliegen, oben, fortgibt, sorglos wie sein eigenes; was in den Gegenständen nicht bleiben kann, zu unbeschwert für sie, zu wenig Ding und doch noch Ding genug, um nicht aus allem draußen Aufgereihten unsichtbar plötzlich in uns einzugleiten: das glitt in dich, du zwischen Fall und Flug noch Unentschlossener: der, wenn er steigt, als hätte er ihn mit hinaufgehoben, den Wurf entführt und freiläßt - , und sich neigt und einhält und den Spielenden von oben auf einmal eine neue Stelle zeigt, sie ordnend wie zu einer Tanzfigur, um dann, erwartet und erwünscht von allen, rasch, einfach, kunstlos, ganz Natur, dem Becher hoher Hände zuzufallen. DIE GAZELLE (Gazella Dorcas) Verzauberte: Wie kann der Einklang zweier erwählter Worte je den Reim erreichen, der in dir kommt und geht, wie auf ein Zeichen. Aus deiner Stirne steigen Laub und Leier, und alles Deine geht schon im Vergleich durch Liebeslieder, deren Worte, weich wie Rosenblätter, dem, der nicht mehr liest, sich auf die Augen legen, die er schließt: um dich zu sehen: hingetragen, als wäre mit Sprüngen jeder Lauf geladen und schösse nur nicht ab, solang der Hals das Haupt ins Horchen hält: wie wenn beim Baden im Wald die Badende sich unterbricht: den Waldsee im gewendeten Gesicht. DER SCHWAN Diese Mühsal, durch noch Ungetanes schwer und wie gebunden hinzugehn, gleicht dem ungeschaffnen Gang des Schwanes. Und das Sterben, dieses Nichtmehrfassen jenes Grunds, auf dem wir täglich stehn, seinem ängstlichen Sich-Niederlassen - : in die Wasser, die ihn sanft empfangen und die sich, wie glücklich und vergangen, unter ihm zurückziehn, Flut um Flut; während er unendlich still und heiter immer mündiger und königlicher und gelassener zu ziehn geruht. DIE HEILIGE Das Volk war durstig; also ging das eine durstlose Mädchen, ging die Steine um Wasser anflehn für ein ganzes Volk. Doch ohne Zeichen blieb der Zweig der Weide, und sie ermattete am langen Gehn und dachte endlich nur, dass einer leide, (ein kranker Knabe, und sie hatten beide sich einmal abends ahnend angesehn). Da neigte sich die junge Weidenrute in ihren Händen dürstend wie ein Tier: jetzt ging sie blühend über ihrem Blute, und rauschend ging ihr Blut tief unter ihr. EINSAMKEIT Die Einsamkeit ist wie ein Regen. Sie steigt vom Meer den Abenden entgegen; von Ebenen, die fern sind und entlegen, geht sie zum Himmel, der sie immer hat. Und erst vom Himmel fällt sie auf die Stadt. Regnet hernieder in den Zwitterstunden, wenn sich nach Morgen wenden alle Gassen und wenn die Leiber, welche nichts gefunden, enttäuscht und traurig voneinander lassen; und wenn die Menschen, die einander hassen, in einem Bett zusammen schlafen müssen: dann geht die Einsamkeit mit den Flüssen . . . WELCHE WIESEN . . Welche Wiesen duften deine Hände? Fühlst du wie auf deine Widerstände stärker sich der Duft von draußen stützt. Drüber stehn die Sterne schon in Bildern. Gib mir, Liebe, deinen Mund zu mildern; ach, dein ganzes Haar ist unbenützt. Sieh, ich will dich mit dir selbst umgeben und die welkende Erwartung heben von dem Rande deiner Augenbraun; wie mit lauter Liderinnenseiten will ich dir mit meinen Zärtlichkeiten alle Stellen schließen, welche schaun. DER TOD DER GELIEBTEN Er wusste nur vom Tod was alle wissen: dass er uns nimmt und in das Stumme stößt. Als aber sie, nicht von ihm fortgerissen, nein, leis aus seinen Augen ausgelöst, hinüberglitt zu unbekannten Schatten, und als er fühlte, dass sie drüben nun wie einen Mond ihr Mädchenlächeln hatten und ihre Weise wohlzutun: da wurden ihm die Toten so bekannt, als wäre er durch sie mit einem jeden ganz nah verwandt; er ließ die andern reden und glaubte nicht und nannte jenes Land das gutgelegene, das immersüße - und tastete es ab für ihre Füße. DER BLINDE (Paris) Sieh, er geht und unterbricht die Stadt, die nicht ist auf seiner dunkeln Stelle, wie ein dunkler Sprung durch eine helle Tasse geht. Und wie auf einem Blatt ist auf ihm der Widerschein der Dinge aufgemalt; er nimmt ihn nicht hinein. Nur sein Fühlen rührt sich, so als finge es die Welt in kleinen Wellen ein: eine Stille, einen Widerstand - , und dann scheint er wartend wen zu wählen: hingegeben hebt er seine Hand, festlich fast, wie um sich zu vermählen. EINE WELKE Leicht, wie nach ihrem Tode trägt sie die Handschuh, das Tuch. Ein Duft aus ihrer Kommode verdrängte den lieben Geruch, an dem sie sich früher erkannte. Jetzt fragte sie lange nicht, wer sie sei (: eine ferne Verwandte), und geht in Gedanken umher und sorgt für ein ängstliches Zimmer, das sie ordnet und schont, weil es vielleicht noch immer dasselbe Mädchen bewohnt. DER BALKON Von der Enge, oben, des Balkones angeordnet wie von einem Maler und gebunden wie zu einem Strauß alternder Gesichter und ovaler, klar im Abend, sehn sie idealer, rührender und wie für immer aus. Dieses aneinander angelehnten Schwestern, die, als ob sie sich von weit ohne Aussicht nacheinander sehnten, lehnen, Einsamkeit an Einsamkeit; und der Bruder mit dem feierlichen Schweigen, zugeschlossen, voll Geschick, doch von einem sanften Augenblick mit der Mutter unbemerkt verglichen; und dazwischen, abgelebt und länglich, längst mit keinem mehr verwandt, einer Greisin Maske, unzugänglich, wie im Fallen von der einen Hand aufgehalten, während eine zweite welkere, als ob sie weitergleite, unten von den Kleidern hängt zur Seite von dem Kinderangesicht, das das Letzte ist, versucht, verblichen, von den Stäben wieder durchgestrichen wie noch unbestimmbar, wie noch nicht. DON JUANS KINDHEIT In seiner Schlankheit war, schon fast entscheidend, der Bogen, der an Frauen nicht zerbricht; und manchmal, seine Stirne nicht mehr meidend, ging eine Neigung durch sein Angesicht zu einer die vorüberkam, zu einer die ihm ein fremdes altes Bild verschloss: er lächelte. Er war nicht mehr der Weiner, der sich ins Dunkel trug und sich vergoß. Und während ein ganz neues Selbstvertrauen ihn öfter tröstete und fast verzog, ertrug er ernst den ganzen Blick der Frauen, der ihn bewunderte und ihn bewog. DAME VOR DEM SPIEGEL Wie in einem Schlaftrunk Spezerein löst sie leise in dem flüssigklaren Spiegel ihr ermüdetes Gebaren; und sie tut ihr Lächeln ganz hinein. Und sie wartet, dass die Flüssigkeit davon steigt; dann gießt sie ihre Haare in den Spiegel, und, die wunderbare Schulter hebend aus dem Abendkleid, trinkt sie still aus ihrem Bild. Sie trinkt, wie ein Liebender im Taumel tränke, prüfend, voller Mißtraun; und sie winkt erst der Zofe, wenn sie auf dem Grunde ihres Spiegels Lichter findet, Schränke und das Trübe einer späten Stunde. DIE FLAMINGOS In Spiegelbildern wie von Fragonard ist doch von ihrem Weiß und ihrer Röte nicht mehr gegeben, als dir einer böte, wenn er von seiner Freundin sagt: sie war noch sanft von Schlaf. Denn steigen sie ins Grüne und stehn, auf rosa Stielen leicht gedreht, beisammen, blühend, wie in einem Beet, verführen sie verführender als Phryne sich selber; bis sie ihres Auges Bleiche hinhalsend bergen in der eignen Weiche, in welcher Schwarz und Fruchtrot sich versteckt. Auf einmal kreischt ein Neid durch die Volière; sie aber haben sich erstaunt gereckt und schreiten einzeln ins Imaginäre. DER PAVILLON Aber selbst noch durch die Flügeltüren mit dem grünen regentrüben Glas ist ein Spiegeln lächelnder Allüren und ein Glanz von jenem Glück zu spüren, das sich dort, wohin sie nicht mehr führen, einst verbarg, verklärte und vergaß. Aber selbst noch in den Steingirlanden über der nicht mehr berührten Tür ist ein Hang zur Heimlichkeit vorhanden und ein stilles Mitgefühl dafür - , und sie schauern manchmal, wie gespiegelt, wenn ein Wind sie schattig überlief; auch das Wappen, wie auf einem Brief viel zu glücklich, überstürzt gesiegelt, redet noch. Wie wenig man verscheuchte: alles weiß noch, weint noch, tut noch weh - , Und im Fortgehn durch die tränenfeuchte abgelegene Allee fühlt man lang noch auf dem Rand des Dachs jene Urnen stehen, kalt, zerspalten: doch entschlossen, noch zusammzuhalten um die Asche alter Achs.
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen. Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen! Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind. Dummheit und Demut befreunden sich selten. Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt. Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit. |
30.09.2014, 18:03 | #85 |
ADäquat
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G.E.Lessing
Abschied an den Leser Wenn du von allem dem, was diese Blätter füllt,
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01.10.2014, 03:48 | #86 |
Kiwifrüchtchen
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Seufz und schmelz... Der Pavillon, Eky
so schön, dass es weh tut. Jetzt sind es ein paar ACH's mehr. Chavi, Lessings Winzling ist auch nicht ohne. Schmunzel.
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13.11.2014, 02:04 | #87 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Freiheit
Das ganze halbverweste Sein durchbrochen! Die Klage, die um niedre Leiden stöhnt, die Freude, die den Schmerz der Seele höhnt: an's ehrne Tor des Todes anzupochen. Der Geist zerreibt sich, und die Sinne kochen, an Schmutz und Tollheit jahrelang gewöhnt... doch wo die Mahnung zur Vernichtung tönt, ist jedem Mann der Rettungsweg versprochen. Nun raffe ich die halberloschnen Flammen zu letztem, heldenhaftem Tun zusammen, die Riegel sprengend meiner Kerkerhaft. Mit meinem Blut den Frieden zu erwerben, die Freiheit mit des Lebens fliehnder Kraft, die nirgend ich erblicke denn im Sterben. Stuttgart, 13. März 1905 Wolf von Kalckreuth ... . Der Kreislauf der erblichnen Stunden drückt dich mit schwerer Müdigkeit; mit Ketten ist dein Fuß gebunden, die dich umschließen allezeit, bis sie mit leiser Traurigkeit die Stärke deines selbst vernichten: die Hand sinkt lahm, der Blick wird weit; denn sehend werden heißt verzichten. Der Ton, den andere gefunden, dem deine Seele Leben leiht, blüht in der Öde deiner Wunden mit seltsam fahler Farbigkeit. Er gibt dir flüsternd das Geleit, wohin sich deine Schritte richten. Du fühlst nur fremdes Glück und Leid; denn sehend werden heißt verzichten. Du denkst der Zeiten, die entschwunden, verlorner Tage Herrlichkeit. Doch fehlt die Kraft dir zu gesunden, es flammt kein Strahl, der dich befreit. Die Liebe, der du einst geweiht, dünkt dir ein lästiges Verpflichten - ein Schauspiel voller Seltsamkeit - denn sehend werden heißt verzichten. Ihr Glücklichen, sei euch geweiht mein traurig Sinnen und mein Dichten... lebt fort in blinder Seligkeit - denn sehend werde heißt verzichten. Wolf von Kalckreuth ... . Die Gärten in dem Schoß der großen Wüste, weit hinter fahlem Sand und Wellenblauen, wo Sommerwolken duftig niedertauen: Sie sind die Heimat meiner Sehnsucht, Süßte. Die Schar der Träume, die mich leuchtend grüßte, wann ich entschlief im leisen Abendgrauen, sie ließen jenes holde Land mich schauen und Sonnenlicht – das zärtlichste und frühste. Durch den Jasmin verrieseln klare Quellen, und blaue Winden spiegeln in den Wellen, die um die Lauben rinnen lautern Scheins. Und wie die Liebe sorglich uns geleitet, stand im Gefild ich, das sich prangend breitet – und du und jene Gärten waren eins. Wolf von Kalckreuth |
05.12.2014, 22:35 | #88 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Beiträge: 469
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Dies ist wohl eines der schönsten deutschen Gedichte. Ein Meisterwerk, das der junge Kalckreuth schon in solch zartem Alter schrieb.
Man staune wie er diese sehr sehr fordernde Form beherrschte und trotz der vielen gleichen Reime nie die Aussage vernachlässigte. Grandios und unübertroffen. Der Abendhorizont vergangner Stunden, der zitternd mein ermüdet Auge bannt, rankt seine weißen Blüten, zartgewunden, aufhellend, um das traumbetaute Land. Und liliengleich sprießt alles, was entschwand, als ob ein fremder Hauch es aufwärts triebe - und zitternd flimmern durch die Nebelwand der Stern der Sehnsucht und der blassen Liebe. Wie Weihrauchduft durch fern Gewölb empfunden hat sich ein Schleier über ihn gespannt, das fast dem weiten Äther er entschwunden, in dem er leise knisternd aufgebrannt. Es ist, als ob auf lieblichem Gewand gestreifter Blumen Goldstaub haften bliebe. So hingeweht perlt er am Himmelsrand, der Stern der Sehnsucht und der blassen Liebe. Ein Dunkel ohne Morgen deckt die Wunden, die ich betastet mit entweihter Hand, und deren Schmerz so köstlich ich erfunden, so oft die Sterne scheidend sich gewandt. Doch wie ein silbern, windentwehtes Band hält mich der Strahl, ob alles auch zerstiebe, und zaubert über Flut und weißen Strand den Stern der Sehnsucht und der blassen Liebe. Du, Liebste, hast allein mein Herz gekannt; und wann der Zukunft Machtwort es zerriebe, stets strahlt mir, ein entwichner Diamant, der Stern der Sehnsucht und der blassen Liebe. Wolf von Kalckreuth |
07.12.2014, 10:21 | #89 |
Kiwifrüchtchen
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Ort: nördlich von Auckland/Neuseeland
Beiträge: 945
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Das ist wirklich atemberaubend schön! Terrapin, DANKE fürs Einstellen, ich kannte Kalckreuth bisher nur dem Namen nach. Jetzt aber will ich mehr von ihm lesen, seine Poesie begeistert mich.
HG von Lai
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09.12.2014, 23:50 | #90 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Hallo Lailany!
Klackreuth ist in der Tat ein beeindruckender und ergreifender Dichter. Ein Ausnahmetalent wie Arthur Rimbaud. Als ich vor Jahren durch Zufall eines seiner Sonette gelesen habe erlag ich sofort seinem Zauber und verschlang alles von ihm. Es war diese schwingende Leichtigkeit in seinen Versen vereint mit köstlich treffender Aussage. Die Silben und Worte fließen so vorbestimmt und erhaben. Leider ist es mitunter recht mühsam an seine Werke zu gelangen. Doch wiegt der Klang der Lieder die Anstrengungen weitüber auf. Um ehrlich zu sein sind viele seiner Gedichte meine Lieblinge. In jedem einzelnen liegt der flammende Hauch eines hehren Geistes und die gewaltige Sehnsucht nach dem Tod. Ach, ich könnte schon wieder unnütz in aller Leidenschaft gefangen, haltlos Schwärmen. Hier ein Link, wo ich einen Teil seines Werkes für die interessierte Öffentlichkeit zugänglich gemacht habe, das er mir nicht irgendwann gänzlich vergessen wird. (Ich hoffe das das gestattet ist.) link entfernt - siehe nutzungsbedingungen chavali/mod Ich will auch gleich das erste Sonett, das ich von ihm las, beilegen. Die Lüfte werden seltsam kalt und leicht, denn alle Hoffnung ist im Sand bestattet, und selbst die Macht der Schwermut ist ermattet, die ich geliebt, wie alles, was entweicht. Nun ist der Pfad der blassen Nacht erreicht, den ihr im Leben längst vergessen hattet. Er ist so zart, so wundersam beschattet, das kein Gefilde ihm an Wehmut gleicht. Der Pfad auf weißem, schleierhaftem Moose, der Pfad ins Niebetretne, Wesenlose. - Und wenig nehme ich dahin von hier. Doch eh die Sinne sich in Nacht versenken, schenkt mir ein leises, zitterndes Gedenken, schenkt die Erinnrung toter Sehnsucht mir. Um Weihnachten 1905 Liebe Grüße, Terrapin. Geändert von Chavali (10.12.2014 um 10:34 Uhr) |
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