05.08.2011, 12:19 | #1 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Hallo, G.Heimer,
freut mich, dass du wieder "da" bist. Ein tiefsinniges Gedicht, das sehr anschaulich dieses "Hin und Her" im Inneren des Menschen beschreibt. So sind wir - scheint die Sonne, möchten wir Regen; regnet es, jammern wir nach der Sonne. Im Grunde genommen wollen wir beides auf einmal haben, natürlich ohne dabei nass zu werden, schätze ich ... Du hast aber auch einen ganz bestimmten "Typ" gut dargestellt. Habgierig, machthungrig, neidisch, faul, unentschlossen, bedenkenlos, auf Siege erpicht und stets bereit, jedem "Gefolgschaft" zu leisten, der ihm diese Vorteile verspricht. Ja, diese "Spezialausgaben" unserer Gattung liebe ich auch ganz besonders! Das "Pendel" schlägt mal nach links und dann wieder nach rechts aus, immer auf die "Seite", von der er sich die meisten bzw. größten Vorteile verspricht. Ich möchte dir zunächst ein Kompliment machen, auch wenn ich davon ausgehe, dass es keine bewusste Absicht war: Strophe 1 stimmt in Metrum und Prosodie absolut überein. Sehr schön! Die gleichmäßige Variation der Silbenzahl und der ebenso gelungene Wechsel der Kadenzen im Gedicht gefällt mir gut, und das Metrum "pendelt" im Jambus stringent zwischen 3 und 4 Hebungen. Allerdings gibt es einige "Fehlerchen" in Sachen Inversion, ich möchte dir gerne (mögliche) Alternativen anbieten: Das Pendel Im Menschen schlägt ein Pendel, solang er lebt hinieden. Mal sucht er Streit und Händel, mal sucht er seinen Frieden. Teils will er die Bequemlichkeit, liebt Blumen, die ihm sprießen; zum andern nimmt er sich nie Zeit, das Leben zu genießen. Teils sucht er Reichtum und auch Macht. Wer hat, der will noch mehr; zum andern hat er nichts bedacht, bleibt gern im Kopfe leer. Mal sucht er für sich feste Regeln, so findet er den Halt. Dann mag er ohne Grenzen segeln, beliebig in Gestalt. Mal liebt er Obrigkeit und Götter, die seine Wege lenken. Dann wieder mag er lieber Spötter, die Anarchie ihm schenken. Ihm bleibt verhasst, wer besser ist, - hier war ein "unzulässiger" Spondeus den sieht er als Bedrohung. Sobald er diese Angst vergisst - kein Komma folgt Gleichschritt und Verrohung. Er liebt die Bettler und die Kranken, um sich dann groß zu fühlen. Er liebt Geschenke! Nie das Danken! Genießt's, im Dreck zu wühlen. Er liebt zuweil die Sauberkeit, und hasst es, sie zu schaffen. Zum Siegen ist er stets bereit, mit immer neuen Waffen. An jedem Tag teilt sich ein Weg, dann muss er sich entscheiden, ob rechts ob links, ob flink ob träg. Das ist nicht zu vermeiden. Gemeinsamkeit nur macht ihn stark - wer stark ist, ist gefährlich! Nur wer die wahre Macht verbarg, beherrscht ihn, sein wir ehrlich! Dabei habe ich gleich ein paar Tippfehler mit ausgebessert. Ich hoffe, ich konnte behilflich sein - ich habe dein Gedicht nur ein wenig "geschliffen", d. h. ein paar "rauhe Kanten" geglättet. Wenn dir etwas zusagt, dann nimm es gerne! Und "für die Zukunft": Es wirkt leider doch etwas zu "aufzählerisch", bedingt durch die Versanfänge. Natürlich ist mir klar, dass es schon so sein soll, aber dann entweder alles oder ein wenig mehr "Variation" durch das "Einstreuen" von mehr als den vorhandenen Mehrsilbern - so, wie es ist, wirkt es ein wenig "zu viel". Das ist allerdings nur mein ganz persönliches "Empfinden", es soll nur als Hinweis dienen. Im "Original" beginnen nur 4 Verse zwei- oder mehrsilbig (es besteht kein Unterschied, dass es in meiner "geglätteten Fassung" dann 5 sind, das fällt nicht ins "Gewicht"), sie kommen durch die vielen Wiederholungen nicht zur Geltung - damit es "rund" wirkt, sollte es "komplett" durchgängig sein - oder abwechslungsreicher, ich hoffe, du verstehst, was ich meine. Nichts für ungut, ja? Das ist keine "Kritik", sondern eine "Anregung". Sehr gerne gelesen und kommentiert. Liebe Grüße Stimme
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05.08.2011, 15:53 | #2 | ||
Erfahrener Eiland-Dichter
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Hallo, G.Heimer,
ich melde mich gerne noch mal und versuche, es dir anschaulicher zu erklären. In deinem Gedicht geht es um das "Pendel". Ein Pendel "schwingt" hin und her. Es gibt Möglichkeiten, beispielsweise auch die Versanfänge "mitschwingen" zu lassen. Ich versuche mal, es an einem kurzen Vierzeiler (bitte den nicht zu "gewichtig" sehen, das ist eine 2-Minuten-Improvisation) zu demonstrieren. Am Morgen geht die Sonne auf, am Abend wieder unter. Ganz parallel zum Lebenslauf, mal müde und mal munter. xXxXxXxX xXxXxXx xXxXxXxX xXxXxXx Morgen-Abend / auf-unter / am-am parallel / Lebenslauf / mal müde-mal munter Am-ma(l) - annähernd "umgekehrt". Auch das ist dann eine "Verstärkung" von "auf und ab" - wie bei einem "Pendel". Hier beginnen alle Verse am Anfang mit einem einsilbigen Wort: am am Ganz - an "klingt" nicht gleich, das ist ein "Assonanzreim", wo sich der Vokal "reimt", nicht aber die Konsonanten* mal * eigentlich ein "unreiner" Reim, wenn er sich als Endreim (am Versende) befände Wie du siehst, als "Aufzählung" geht es auch. Bewusste Wiederholungen haben einen "Effekt", den man - gewollt - "steuern" kann, so dass es trotzdem nicht "eintönig" wirkt. Wie könnten Versanfänge also "pendeln"? So wäre es möglich: Jeden Morgen geht die Sonne auf und jeden Abend wieder unter. Parallel zu unsrem Lebenslauf, mal sind wir müde und mal munter. XxXxXxXxX xXxXxXxXx XxXxXxXxX xXxXxXxXx Hier wechseln die Versanfänge: Betont-unbetont-betont-unbetont. Der 1. Vers endet mit einer betonten Silbe, also kann der 2. Vers unbetont beginnen. Der 2. Vers endet unbetont, der 3. beginnt dann wieder betont; der 3. Vers endet betont, der 4. Vers kann unbetont beginnen - und die Strophe, die mit einer betonten Silbe begann endet als ganzes mit einer unbetonten Silbe. Hintereinander geschrieben sieht das so aus: XxXxXxXxXxXxXxXxXxXxXxXxXxXxXxXxXxXx Jeden Morgen geht die Sonne auf und jeden Abend wieder unter. Parallel zu unsrem Lebenslauf, mal sind wir müde und mal munter. Das ergibt einen Rhythmus, untermalt von einem "Takt". Wenn dieses "Betonungsmuster" stringent (durchgehend) eingehalten wird, kann man auch die Betonungen sehr stimmig variieren - was sehr schön "pendelt". Ein einsilbiges Wort hat, wie der Name sagt, nur eine Silbe: die, auf, und, zu, mal etc. Ein zweisilbges zwei: Abend, Morgen, Sonne, unter, müde etc. Dreisilbig drei: Parallel etc. Viersilbig, Fünfsilbig usw. Ich habe Worte ab 2 Silben (bis zum "offenen Ende, wie viele Silben) unter dem Begriff "Mehrsilber" zusammengefasst. Das meinte ich damit. Zitat:
Wiederholungen sind zu meiden - außer, man verwendet sie ganz bewusst als Stilmittel, das auf den Inhalt abgestimmt ist! Diese Unterscheidung ist wichtig. Schau, wenn du z. B. ein Gedicht schreiben möchtest, das, sagen wir mal, auch im Sinne einer Aufzählung "daher kommen" soll - nun, dann sollte man auch "aufzählen". Wenn ein Gedicht aber im anderen Fall sehr viel "verschiedene" Aussagen enthält, dann sollte entsprechend "variiert" werden - dann passt gewissermaßen die "Form" zum "Inhalt". Man kann auf diese Art ganz erstaunliche Effekte erzielen, die den Inhalt noch "unterstreichen". Ich meinte mit meinen Ausführungen nicht, dass dein "Wortschatz begrenzt" ist. "Bedrohung" und "Verrohung" sind Endreime - ich meinte die Versanfänge, bzw. den Versbeginn (das erste Wort in einem Vers). Zitat:
Und die "Meister" wussten mit Sicherheit, was sie taten ... Ich hoffe, ich konnte dir erklären, was ich meinte. Das soll nur eine Anregung sein, wie schön Form und Inhalt miteinander "interagieren" (zusammenarbeiten) können. Wenn man so etwas lernen möchte, eröffnen sich ganz ungeahnte (vielfältige und schöne) Möglichkeiten, ein Gedicht zu "gestalten". Liebe Grüße Stimme
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