14.11.2016, 14:27 | #1 |
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Red Jacket
Auf unfruchtbaren Boden gefallen und hinab gesunken auf den tiefen Grund des Ontario See ist die große Rede Sagoyewatha’s alias Red Jacket, Häuptling der Seneca und Mitglied des Wolfsklans, von Achtzehnzwanzig, in der er dem Presbyterianer Missionar Joseph Cram eine Absage erteilt, als dieser am Buffalo Creek die ich weiß nicht wievielte Missionsstation errichten will. „Der sie wach hält“ bedeutet sein indianischer Name, so wie das Geheul der Wölfe des Nachts die Seneca um den Schlaf bringt, und so wie Wölfe es zu tun pflegen, heult er Worte voller Kraft und Weisheit. „Freund und Bruder! Höre unsere Rede. Es gab eine Zeit, in der diese große Insel unseren Vorvätern gehörte. Ihr Land erstreckte sich von der aufgehenden bis zur untergehenden Sonne. Der große Geist hat es für die Indianer gemacht damit sie es nutzen. Er hat den Büffel, den Hirsch und andere Tiere als Nahrung geschaffen. Er schuf den Bären und den Wolf, und ihre Felle dienten uns als Kleidung. Er hat sie über das ganze Land verstreut und uns gelehrt, sie zu jagen. Er sorgte dafür, dass die Erde Mais hervorbringt, um Brot zu backen. All das hat er für seine roten Kinder getan, weil er sie liebte. Aber ein schlimmer Tag brach für uns an. Der weiße Mann hat unser Land entdeckt. Die Kunde davon wurde über das Meer getragen und immer mehr kamen zu uns. Aber wir fürchteten sie nicht. Wir hielten sie für Freunde, sie nannten uns Brüder. Ihre Zahl wurde immer größer, sie wollten mehr Land, sie wollten unser Land. So wurden uns die Augen geöffnet, unser Geist wurde unruhig, es gab Krieg. Die Weißen waren stark und mächtig und haben Tausende getötet. Einst waren unsere Länder groß und eure sehr klein, jetzt seid ihr ein großes Volk geworden, und wir haben kaum noch einen Platz, an dem wir unsere Decken ausbreiten können. Bruder! Du sagst, es gibt nur einen einzigen Weg, den großen Geist zu verehren und ihm zu dienen. Wenn es nur eine Religion gibt, warum seid ihr Weißen so häufig uneins darüber? Warum seid ihr nicht einig, wo ihr doch alle das Buch lesen könnt? Ich verstehe das alles nicht. Auch wir haben eine Religion, die einst unseren Vorvätern gegeben wurde und von diesen an uns, ihre Kinder, überliefert wurde. Unsere Religion lehrt uns, dankbar für alle Gunst zu sein, die wir erhalten haben, einander zu lieben und Einigkeit zu bewahren. Wir streiten niemals über Religion. Der große Geist hat uns alle erschaffen, und doch hat er einen großen Unterschied gemacht zwischen seinen weißen und roten Kindern, warum sollten wir daraus nicht schließen, dass er uns auch eine unterschiedliche Religion gab, die unserem Verständnis entspricht? Der große Geist handelt gerecht, er weiß, was das Beste ist für seine Kinder. Wir sind zufrieden. Wir wollen eure Religion nicht zerstören oder sie euch wegnehmen, wir wollen uns nur an unserer eigenen erfreuen.“ Offenbar zu viel verlangt. Der Animismus ist die Mutter aller Religionen. Die Idee einer beseelten, meist mütterlichen Natur und der Gedanke an einen großen Geist, der alle Lebewesen und Dinge, die da sind, lebendig macht und beseelt, hat keine Mühe, alle späteren Gottesgedanken in sich aufzunehmen wie die alte Erde neuen Regen. Sei es nun die christliche Lehre, die mit den Missionaren übers Meer geschifft kam, die der Wüstenvölker des siebenarmigen Leuchters oder des Halbmondes, oder die des ochsenreitenden Bettelweisen, der in sich ruhenden orangefarbenen Mönche und der Hüter der heiligen Kühe am heiligen Strom, von deren geheimnisvollen Welten mir der alte Chinese recht farbenfroh und anschaulich erzählt hat, all diese neueren Betrachtungsweisen sind letztendlich aus dem Animismus hervorgegangen. Undank ist der Welten Lohn, kaum waren die Erneuerer dem fruchtbaren Boden ihrer Urgroßeltern entwachsen, verkündeten sie lauthals, wir brauchen euch und euren Aberglauben nicht mehr, die mütterliche Erde ist eine große Ackerfläche, ihr Gestein ist toter Baustein, sämtliche Natur und allesamt Rohstoffe sind keine guten Geister sondern zum Ausbeuten und Plündern da, Luft ist nichts als leerer Windhauch und Wasser ohne eigenes Leben, ja selbst die Geschwister Tiere haben keine Seele, für einen aufrechten Christenmenschen nicht einmal die Indianer. Anfangs hatten die animistischen Stämme des Nordostens keinerlei Probleme mit der neuen Glaubenslehre, die ihnen zum Beispiel die Herrnhuter Missionare übers große Wasser herüberbrachten. Toleranten Wesens und aufgeschlossenen Sinnes, wie er ihnen eigen ist, war die Bibel in ihren Augen tatsächlich ein von Gott geschenktes Buch für seine weißen Kinder, die es ja offensichtlich lesen konnten, folgerichtig sollten diese versuchen, es nachzuleben und daran festzuhalten, wenn es ihnen von Gott befohlen sei und für sie bestimmt. Den Indianern und Kindern des Waldes aber hat Gott ihre Jagdgründe und Zeremonien gegeben. „Wir haben gehört, dass eure Religion in einem Buch aufgeschrieben ist. Wenn dieses Buch für uns ebenso bestimmt wäre wie für euch, warum hat der große Geist es uns nicht gegeben, und warum hat er die Kenntnis dieses Buches nicht schon unseren Vorvätern gegeben und sie gelehrt, es richtig zu verstehen?“ Bald mussten die Stämme erkennen, dass ein friedvolles Nebeneinander verschiedener Glaubensauffassungen eine recht einseitige Angelegenheit darstellte und von den andersgläubigen Weißen durchaus nicht so vorgesehen war, ja deren eigentlichem Vorhaben entgegenstand und sich mit ihrem aufdringlichen Ansinnen als unvereinbar erwies, wie Red Jacket weiter recht nüchtern feststellt, wenn er ein paar durchaus berechtigte Zweifel anmeldet. „Bruder, du sagst, man hat dich gesandt, um uns zu lehren, wie man den großen Geist nach seinen Wünschen verehren soll, und wenn wir die Religion des weißen Mannes nicht übernehmen, wären wir für alle Zeiten unglücklich. Du sagst, dass du recht hast und wir verloren sind. Wie sollen wir wissen, ob das wahr ist? Wir wissen nur, was du uns darüber sagst, wie sollen wir wissen, wann wir euch glauben sollen, wo wir so oft von den Weißen betrogen worden sind?“ Die Schlussfolgerung zumindest einer radikalen Minderheit war die, dass Indianer und Weiße nicht desselben Ursprungs sein können und getrennt voneinander erschaffen worden sein müssen, und da sie ihre Religion zunehmend von der des weißen Mannes bedroht und verfolgt sahen, reagierten sie ihrerseits mit der Warnung, dessen Sitten und Gebräuche zu übernehmen und sich gemäß seiner Religion zu verhalten, weil dieses den Zorn ihres Schöpfers auf sie ziehen und sie der Vernichtung preisgeben würde. „Der große Geist hat uns alle erschaffen, aber er hat zwischen seinen weißen und roten Kindern einen großen Unterschied gemacht; er hat uns eine andere Hautfarbe und andere Gebräuche gegeben; euch hat er besondere Kunstfertigkeiten gegeben, für die er unsere Augen nicht geöffnet hat; wir wissen, dass dies die Wahrheit ist.“ Der fortschreitenden Zersetzung und Unterwanderung durch die vermeintlichen Nachbarn begegneten wiederum noch Weitsichtigere mit wachsendem Misstrauen, der erzürnte Schöpfer würde ihnen ihr Land wegnehmen, ihre Freiheit und ihre Gewohnheiten, auch ihr Gold und ihr Silber, je mehr sie sich deren Gepflogenheiten anpassen würden, wie etwa der des Whiskeytrinkens, das eine Erfindung der Weißen sei, ebenso die eingeführten Wucherzinsen, die sie als ein Übel brandmarkten, das es in ihrer Welt nicht gegeben habe und welches ursprünglich bei ihrem Volk nicht bekannt gewesen sei, sondern von den Weißen zu ihnen gebracht worden. „Du sagst, du bist nicht gekommen, um unser Land und unser Geld zu nehmen, sondern um unseren Geist zu erleuchten. Ich will dir aber sagen, dass ich bei euren Versammlungen gewesen bin und gesehen habe, wie dabei Geld gesammelt wurde, ich weiß nicht, wofür dieses Geld bestimmt war, aber ich vermute, es war für euren Priester. Und sollten wir uns eurer Denkweise anschließen, vielleicht verlangst du dann Geld von uns. Ihr habt unser Land bekommen, aber ihr seid nicht zufrieden, ihr wollt uns eure Religion aufzwingen.“ Die Habgier ist in der Tat eine ansteckende Seuche und todbringende Krankheit schlimmer als die Pocken, weil sie nicht den Leib, sondern die Seele frisst. Und dennoch - wie gutgläubig und selbstkritisch scheint dieses Aufbegehren doch angesichts der kompromisslosen Gewalt, mit der den Algonquin im Laufe wachsender Zuwanderung Lebensweise, Lebensraum und Leben geraubt wurde. „Deine Vorväter überquerten das große Wasser und landeten auf dieser Insel“, wie der Seneca und begnadete Redner sich erinnert, „ihre Zahl war klein. Sie fanden Freunde und keine Feinde. Sie erzählten uns, dass sie aus Furcht vor bösen Menschen aus ihrem Land geflüchtet und hierher gekommen wären. Wir hatten Mitleid mit ihnen, gewährten ihnen ihre Bitte, und sie ließen sich unter uns nieder. Wir gaben ihnen Mais und Fleisch, sie gaben uns Gift dafür.“ Als nach den katholischen Spaniern und ihrer Schreckensherrschaft die Glaubensflüchtlinge reformierter Freikirchen in den Osten geströmt kamen, hofften die geplagten Algonquinvölker naiv und gutgläubig, dass die Neuankömmlinge als Verfolgte mehr Verständnis aufbringen würden für Not und Belange der Ureinwohner als ihre katholischen Vorgänger, sehen sich jedoch nicht nur bitterlich enttäuscht sondern eines Besseren belehrt, deren Fanatismus in Glaubensfragen erscheint mitunter sogar noch unversöhnlicher. „Endlich wurde ihre Zahl immer größer, sie wollten mehr Land, sie wollten unser Land. So wurden uns die Augen geöffnet und unser Geist wurde unruhig. Es gab Kriege. Indianer wurden bezahlt, um gegen Indianer zu kämpfen, und viele unserer Leute wurden getötet. Sie brachten uns harte Getränke, sie waren stark und mächtig und haben Tausende getötet.“ Ein weiteres Mal wird Martin Luthers eigentliches Ansinnen ins Gegenteil verkehrt und der große Reformator bitterlich betrogen, von Puritanern, Calvinisten, Methodisten, Baptisten - oder wie die Glaubenskrieger alle heißen mögen - missbraucht, mir fehlt da wirklich der nötige Überblick. Der rote Heide jedenfalls bleibt selbst noch als Bekehrter ein primitiver Untermensch, muss mitnichten als Nächster betrachtet und deshalb auch nicht so behandelt werden, wie die Bibel es ursprünglich lehrt, zumindest in ihrem jüngsten Abschnitt, wozu in drei Teufels Namen hat der kämpferische Magister sie wohl übersetzt? „Bruder, wir haben gehört, dass du vor den weißen Leuten in dieser Gegend predigst. Diese Leute sind unsere Nachbarn, wir kennen sie. Wir werden eine kleine Weile abwarten und sehen, welche Wirkung deine Predigten auf sie haben. Wenn wir feststellen, dass sie ihnen gut tun, sie ehrlich machen und weniger geneigt, die Indianer zu betrügen, dann werden wir noch einmal bedenken, was du uns gesagt hast. Der große Geist möge dich auf deiner Reise beschützen und du sicher zu deinen Freunden heimkehren.“ Wie aber soll eine Predigt einen weißen Menschen bessern, der sich von Gott daselbst als sein Abbild geschaffen fühlt, als auserwähltes Volk und dem roten Wilden überlegene Rasse? Buchauszug: Ga'an Desperado - Der Federhut |
16.11.2016, 12:06 | #2 | |
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Lieber Wozzi :)
Hier hast du Sagoyewatha’s alias Red Jacket, Häuptling der Seneca und Mitglied des Wolfsklans, eine Stimme gegeben. Unaufgeregt, erzählend und ohne einen moralischen Zaunpfahl.
Zitat:
Du hast hier Red Jacket sprechen lassen. Seine Stimme klingt nicht anklagend, eher nüchtern. Der weisse Mann hat den Indianern ihr Land genommen, und dabei auch versucht ihren Glauben zu nehmen. Soweit ich weiß, ist der Glaube der Roten, weit weit mehr der Natur zugewandt, alleine das sie ein Wolfclan sind zeugt davon. Ihre Lebensweise paßt sich der Natur an, und lebt mit den Gegebenheiten. Sie ist Teil von dem Ganzen und nicht wie beim Weissen dafür da um ausgebeutet zu werden. Die Standpunkte der beiden Menschenvölker sind völlig unterschiedlich. Und die Roten hatten keine Chance gegen einen nicht endenden Strom von weissen Siedlern, die Ihnen ihre Lebensgewohnheiten überstülpten. Alleine der Alkohol kosteste des Roten viele Menschenleben, ihre Körper waren weitaus weniger an die die Krankheiten der Weissen angepasst. Ebenso wurden viele Rote durch simple hier Kinderkrankheiten, oder einem Schnupfen getötet. Auch hier waren ihre Körper nicht an die Viren und Bakterien angepaßt. Eroberung und Verdrängung von "ihrem" ( ich setze das hier in Häckchen, weil sie das Land auf dem sie lebten, als Geschenk betrachteten) verursachten das Böse im Menschen, Krieg und " Mein und Dein" wurde wichtig. Die Weissen brachten ihre Religion mit ins Land. Und christlicher Glaube kann kriegerisch sein. Die Missionare taten ihr Übliches und wollten bekehren. Ich meine es herrschte keine Athmosphäre des Zuhörens und des gegenseitigen Respektierens. So kitschig der Film ist " Der mit dem Wolf tanzt" mit Kevin Costner, den Film mag ich, so wichtig ist er dennoch für das Zusammenleben zweier fremder Kulturen. Wenn man in eine andere Region kommt, guckt man ersteinmal wie Mensch und Natur dort miteinander Leben. Die Betonung liegt auf Leben. Heutzutage sind die Roten Menschen, die "Indianer" in Südamerika bedroht. Wenn ich im Fernsehen eine Doko sehe, bekomme ich ein Magenkullern im Bauch, weil da schon wieder ein Filmteam ist, und berichtet und die Menschen in ihrer Kultur gestört werden. Unsere gesamte Menschenheit explodiert langsam aber sicher, weil wir immer mher werden, und die Ressorcen der Erde ausbeuten und ausbeuten ohne sie wieder zu nähren. Das hat Red Jacket weise schon damals erkannt. Die schönen Urwälder werden für ein Monokultur, wie Soja geopfert. Sie sind das Leben der dortigen Ureinwohner... Deine Geschichte gefällt mir, weil sie erzählt und nicht Klischeehaft ist, auch finde ich sie spannend, weil ich dazugelernt habe, denn du hast dich mit diesem Thema befasst. Liebe Grüße sy |
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16.11.2016, 13:00 | #3 | |
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Hallo Sy,
das freut mich aufrichtig, dass Dir meine Geschichte der Geschichte etwas geben hat können. Tatsächlich ist es geradezu erschütternd, mit welcher Engelsgeduld die Völker der Natives dem Landraub und Morden durch die weißen Eindringlinge begegneten. Mit der unermüdlichen Stimme der Vernunft versuchten sie diese zur Einsicht zu bewegen... Zitat:
Man sagt, dass der Mensch im Alter, wenn der Lebenskreis dabei ist, sich zu schließen, erneut zum Kindskopf wird, mag sein, doch manches, was einem als Kind lieb und wertvoll war, wird einem später fremd und bedeutungslos und geht für immer verloren. Am Fuß des Berges kommen mir zwei unwirklich merkwürdige Gestalten entgegen. Der eine auf kleinem Pferd ist rundlich und kleinwüchsig, in eine zusammengeflickte Jacke gezwängt, hat schneeweiße wirre Haare auf dem Kopf und ist unablässig am Quasseln, der andere, lang aufgeschossen und dünn, reitet ein Maultier, trägt einen Tropenhelm und steckt in maßgeschneidert militärisch anmutenden Klamotten, auf dem Rücken transportiert er einen merkwürdigen Kasten, an der Schulter baumelt ein großes Schmetterlingsnetz. „Ey ey, sieh an“, schmunzelt der Dicke, „das Greenhorn vor uns scheint mir doch ein waschechter Desperado zu sein, wenn ich mich nicht irre.“ „Oh well, was für eine außergewöhnliche Zufälligkeit, ist es erlaubt zu mir zu machen eine Aufnahme von euch?“, stelzt der Dünne in seltsamer Sprechweise. Im Nu hat er seinen Fotoapparat auf ragenden Beinen auf den Pfad gepflanzt, verschwindet mit dem Kopf unter einem großen ledernen Umhang am hinteren Ende des rechteckigen Kastens und weist mich mit einer Hand in die rechte Position, der ich ohnehin verblüfft und ungläubig regungslos verharre, drückt auf einen Knopf am Ende einer Art Schnur, es folgt ein paffendes Geräusch, eine große weiße Rauchwolke steigt in die Höhe, eine noch größere schwarze hinterher, und der Englishman steht über und über von Ruß geschwärzt über seinem verschmort stinkenden Gerät. Während sich der Haarschopf vom Kopf des Rundlichen gehoben hat und eine seltsam rosafarbene, von schwarzen Flecken durchsetzte Vollglatze zum Vorschein kommen lässt, die den Eindruck einer großen hässlichen Narbe macht. Der Komiker indessen grinst verschmitzt, kratzt sich den kahlen Schädel und meint: „Diese Aufnahme scheint mir wohl etwas überunterbelichtet geraten zu sein, wenn ich mich nicht irre.“ Ich lass die beiden schrägen Vögel einfach stehen, was ihnen gar nicht auffällt, und setze meinen Ritt fort, als ein Apache vor mir auftaucht, wie ich noch nie einen zu Gesicht bekommen habe. Er reitet ein fantastisches schwarzes Pferd, gezäumt und besattelt mit feinster Lederarbeit voller Perlen und Glitzersteine. Sein prächtiges Kostüm ist über und über mit kunstvollen Strickereien und Mustern verziert, Mokassins, Hosenbeine und Ärmel schmücken lange Fransen, ein mit Silberbroschen beschlagener Stutzen ragt aus einer ebenso grandios gearbeiteten Lederhülse. Um die hohe Stirn trägt er ein schimmerndes Band aus Schlangenhaut und sein glänzendes Haar wogt in sanften Wellen über stattliche Schultern. „Der große Häuptling des stolzen und edlen Volkes der Apachen grüßt den fremden weißen Mann,“ hebt er pathetisch an und die Hand zum Gruß, „was führt die Hufe seines edlen Pferdes in die Heimat seines roten Bruders?“ „Ja nun“, sag ich verlegen, während Infini amüsiert losprustet, „genau genommen bin ich nur auf der Durchreise...“ Aber er hört mir gar nicht richtig zu und fährt unbeirrt fort: „Das Auge des weißen Mannes ist klar und ehrlich, seine gebrochene Stimme verbirgt kein Falsch und keine Arglist, er möge mein Herz mit der Ehre und Freude erfüllen, mich seinen Bruder zu nennen.“ „Du mich auch,“ stottere ich verdattert, „ich will sagen, du kannst mich mal, klar doch, gerne haben, mein’ ich, würd’ ich es, meinetwegen darfst du mich Bruder nennen, selbstverständlich, ist doch kein Thema...“ Weiter komme ich nicht, weil ein muskelbepackter, ebenso in Fransenleder gehüllter Blondschopf von erheblicher Schulterbreite, Körpergröße und mit gewaltigen Fäusten hinter ihm zum Vorschein kommt, einen doppelläufigen, mit Silbernägeln beschlagenen Bärentöter am Sattel, und mir ins Wort fällt: „Fremder, das Land der Apatschen ist ein wildes Land voller Geheimnisse, der Gott des weißen und roten Mannes möge deine verschlungenen Wege behüten und dir die Tapferkeit und Aufrichtigkeit bewahren, die ein wahrer Westmann braucht, um in den Gefahren und Tücken des Lebens zu bestehen und aufrecht den guten Kampf zu kämpfen.“ „Ja ja“, stammle ich mittlerweile völlig verwirrt, „den aufrechten Gang wird er wohl brauchen in diesem Affenstall, damit man ihn auch unterscheiden kann von Seinesgleichen, ich will damit nur sagen...“ Aber hoffnungsloser brauche ich mich nicht zu verhaspeln, denn die Beiden haben mich ganz offensichtlich vergessen, ein düsterer Schatten ist über das ebenmäßig bronzene Gesicht des Apachen gefallen, er spricht zu seinem Freund mit trauriger aber fester Stimme davon, dass seine Stunde gekommen sei, er deutlich Manitous Ruf vernehme und seine Seele alsbald in die ewigen Jagdgründe gehen müsse. Was dem Hünen nun gar nicht zu gefallen scheint, der erwidert was von unverbrüchlicher Treue und Blutsbruderschaft, von der Geistestrübung nicht bewältigter Trauer über den Tod der geliebten Schwester des Mescalero-Apache, der sein, des Westmannes liebendes Herz für immer mit bitterem Schmerz erfülle... und ich mache dass ich fortkomme von den beiden tragischen Helden. Zur Beruhigung meiner angegriffenen Nerven will ich mir grade eine Zigarillo anzünden, als ein Schuss aufpeitscht und das Zündholz in meiner Hand bis auf den Stumpf aus meinen Fingern fegt. Ein breit grinsender bärtiger Typ im scheinbar hierzulande modischen Fransenlook ragt mit qualmendem Stutzen auf dem Felsen vor mir in die Höhe und meint spöttisch lachend: „Ha, zwielichtiger Geselle, du hast gezittert und gewackelt, denn die Kugel meiner Büchse sollte dein Zündholz nur auspusten, aber ich will nicht mit meiner im ganzen Westen gerühmten und gefürchteten Schießkunst prahlen vor einem alten Tramp, der seine Lungen mit Rauchwerk vergiftet.“ „Du meine Güte,“ entfährt es mir fassungslos mit erhobenen Händen, „schon gut, schon gut, Rauchen fügt mir und meiner Umgebung erheblichen Schaden zu, kann tödlich sein und lässt mich früher sterben, ich weiß Bescheid und schäme mich ...“, aber seine spukhafte Erscheinung ist wie vom Erdboden verschluckt und spurlos verschwunden. Immer diese radikalen Nichtraucher, früher gepafft wie ein Schlot und seitdem auf der Flucht vor jedem Hauch von Tabakduft und wie der Teufel hinter jedem Genussraucher her. Gerade will ich tief und befreit durchatmen, als mir ein dürres, verlottertes Männlein mit langem Ziegenbart und weißer ausgedünnter Mähne vor die Hufe springt, mich mit erhobener Büchse böse anfunkelt und schnarrt: „Ha, du elende verdorbene Seele, hast wohl Bekanntschaft gemacht mit den beiden Gutmenschen, würg, wie ich ihr verdammtes Getue hasse, ihre verfluchte Güte und ihren abgelutschten Edelmut, keinen blassen Schimmer haben die Träumer von der Härte des Lebens, grade mal gut genug sind sie für den feigsten Verrat, ich spucke auf ihre dämliche Einfalt.“ Irgendwie habe ich auf einmal von allem genug und die Nase gestrichen voll von dem Theater, der Widerling geht mir gewaltig auf den Geist, ich schnalze mit der Zunge, worauf Infini los springt und das Gerippe einfach zur Seite schiebt, dass es nur so in die Grasmatten fliegt und grässlich hinter mir her flucht, und ich schwöre mir hoch und heilig, beim nächsten Mal den kurzen Weg durch Italo, Wildwest, Westerncity - oder wie immer dieses gottverlassene Nest noch mal heißen mag - zu nehmen. Als ich endlich den Gipfel erreicht habe, traue ich erst meinen Augen nicht. Auf einer Steinplatte sitzt, einen Bogen Papier auf dem Schoß, eine seltsam kostümierte Gestalt und kaut unter geschwungenem Schnurrbart versonnen auf dem Stiel einer Tuschefeder herum, nebst Tintenfässchen eine halbleere Whiskeyflasche neben sich stehen. Nur beiläufig nimmt er mein Kommen zur Kenntnis, das Gesicht beschattet von einem schrägen Hut meint er abwesend mit einem Akzent, der mich irgendwie an den des Baieren erinnert, einen entfernten Bekannten, wobei er eher zu den Wölkchen spricht, die aus seiner Pfeife aufsteigen, denn zu mir: "Man soll den Menschen nicht nach dem beurteilen, was er ist, sondern danach, wie er es geworden ist." "Macht keinen Unterschied", erwidere ich träge, "ob man ihn danach beurteilt, was er ist, oder nach dem, wie er es geworden ist, das Ergebnis ist das gleiche und der Mensch derselbe." „Gott zum Gruße, Reisender", fährt er unbeirrt fort, "siehst du das rechteckige Wäldchen dort unten im Talgrund, dass sich im Osten an den mäandernden Flusslauf schmiegt, durch das ein schmaler Pfad das klare Bächlein entlang führt, das sich mitten hindurch schlängelt, eine scharfe Krümmung macht nach Westen, genau in der Mitte, dort wo die zwei weißen spitz zulaufenden Felsblöcke aus dem Boden und über die grünen Wipfel der Tannen hinausragen, genau zwischen den mythischen Steinen hindurch zwängt sich der schmale Pfad, dessen östliche Seite mit dichtem Dornengestrüpp bewachsen und dessen westliche durch einen steil abfallenden Hang gesäumt ist, dort wo der ausladende Wacholderbaum seinen Schatten über die plätschernden Wellen wirft, kantiges Gestein den Pferden den Weg erschwert und sich dicke Wurzeln über den unebenen Boden schlängeln, eine Mulde die Sicht beeinträchtigt und die Rücken der Felsen den Blick versperren, dieser Punkt in der weiten Landschaft des Westens ist der ideale Ort für einen Hinterhalt der schmutzigen ruchlosen Schwarzfußindianer, um meinen edlen Helden aufzulauern...“ Ich hör ihm nicht mehr zu und reite mit rauchendem Kopf dem ersehnten Talgrund zu, Falle und Hinterhalt her oder hin, außerdem gab es in der Gegend noch nie so was wie riechende Schmutzfußindianer. Blackfoot oder Schwarzfußindianer gibt es wirklich, oben im hohen Norden der Prärie, östlich von Saskatschewan am gleichnamigen Flusslauf oberhalb der Stammesgründe der Crow. Und weiter im Nordosten, im Gebiet der großen Seen, bei den Ojibwa, da ist Manitou wirklich zuhause, der bei den Algonquin weiter südöstlich wiederum Manito heißt und nicht gleichbedeutend ist mit dem großen Geist, sondern eher aus einer Vielzahl kleiner Geister besteht, einer Art nichtmenschlicher unbegreiflicher Wesen, die Tieren, Pflanzen, Sternen und auch Dingen innewohnen und ihnen auch schon mal Schaden zufügen können, in der Regel aber mächtige Helfer der Menschen sind und bei den Apache Ga'ans genannt werden. Nur - wen interessiert das schon? Ist ja auch nicht so wichtig, man weiß ja, dass der oder die Usen gemeint ist damit. Well, du kannst die liebliche Schwester des edlen Häuptlings der Mescalero töten und seinen weisen Vater heimtückisch ermorden, kannst seine schöne Braut verhökern an einen Lieutenant der Blauröcke, um einen Friedensvertrag zu untermauern, den es noch nicht einmal auf dem Bauplan gibt und niemals geben wird, du kannst ihn belügen und betrügen nach Strich und Faden und feige verraten, ja ihm selbst in den Rücken schießen und eine Kugel durchs tapfere Herz jagen, seine menschliche Größe wirst du niemals bezwingen, du kannst ihn verlachen und verspotten, bis dir die Haare samt den Zähnen ausgefallen sind, er ist größer als du es je sein wirst und wird es bleiben für immer und alle Zeit. Die Welt wäre ein besserer Ort, gar keine Frage, wenn es mehr Typen gäbe von seiner Sorte, gute Menschen ohne Arg, die da edelmütig, wahrhaftig, treu und furchtlos durchs Leben reiten und das Böse bekämpfen, wo immer sie ihm begegnen, sprich überall. Es gibt keinen Grund, ihm die Schuld zu geben dafür, dass du selbst nicht so sein kannst, er hat dich nicht betrogen, du selbst hast dich betrogen, um dich und um ihn. Auch kann er nichts dafür, dass du ihn zur Märchenfigur herabgewürdigt hast, die man grade deshalb so bedenkenlos lieben kann und hemmungslos anhimmeln, weil es sie nicht gibt. Sicher, auch das ist eine Möglichkeit, sich mit gutem Gewissen davon freizusprechen, den Beweis erbringen zu müssen, dass es Menschen seines Schlages geben könnte, wenn man es nur lange und oft genug versucht und nicht aufgibt es zu versuchen. Stell ihn auf einen unerreichbaren Sockel und du bist aus dem Schneider. Es ist einfach nicht fair, was die Leute ihm antun. Klar, wer wie ich unter einem schlechten Stern geboren ist, tut sich da leicht, der weiß von Anfang an, dass er nie so sein wird können wie der edle Häuptling der Apatschen, weil er's schon verbockt hatte, noch bevor er seinem leuchtenden Vorbild über den Weg geritten ist. Da ist dann nicht mehr viel mit Träumen, die Frage, auch so einer werden zu wollen und können, stellt sich dir von Vornherein nicht, aber bewundern tust du ihn dafür umso mehr. Und es ist dir auch völlig schnuppe, dafür belächelt zu werden oder für blöde gehalten, weil du als Hoffnungsloser genau weißt, dass der Mensch so sein könnte, wenn er's nur wollte. In Wirklichkeit nämlich will er es ganz einfach nicht, und damit ihm niemand auf die Schliche kommt, stellt er sich eben hin und seufzt „ach, könnte ich nur so sein wie der. Vielleicht würd ich es ja sogar versuchen, wenn er einen Batzen Geld hätte und in einem Schloss wohnen würde, da wüsste ich dann wenigstens, dass was raus springt dabei, aber so... sterben werd ich noch früh genug“. Da hat er zweifellos recht, das wird er, eben grade weil er's versäumt hat, unsterblich zu werden wie dieser strahlende Held. Tja, dumm gelaufen. Danke für Deine vergleichsweise sehr gut informierten Zeilen! Wir zerstören unsere Welt, rotten die Tiere aus und vernichten die letzten Lebensräume von Menschen, die noch mit der Natur leben können und nicht gegen sie. Wir befinden uns im Zustand kollektiver Geisteskrankheit. Seit Jahrhunderten. Herzliche Grüße Wozi Geändert von Wodziwob (18.11.2016 um 09:37 Uhr) |
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