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Der Tag beginnt mit Spaß Humor und Übermut

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Alt 25.02.2017, 08:41   #1
plotzn
Hofnarr
 
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Standard Kurz, kürzer, zu kurz

Werther, jugendlicher Schwärmer,
bürgerlich und weitaus ärmer
als die bessere Gesellschaft
kommt nach Wahlheim, wo er's schnell schafft,
die Natur mit ihrer Fülle
malerischer Landidylle
zu genießen und auf kleinen
Skizzen mit sich zu vereinen.

Werther trifft auf einem Tanzfest
Lotte und verliebt sich ganz fest
in die junge, tugendsame
und bewundernswerte Dame.
Die Verwandtschaft ihrer Seelen
können beide nicht verhehlen,
als sie an den Fensterbänken
an dieselbe Ode denken…

Halt! Moment! So wird das nichts!
Der Charakter des Gedichts
ist kein Schleichen, sondern Stürzen
und verdichten heißt verkürzen!


Auf dem Ball verliebt sich Werther –
Lotte ehrt, verklärt, begehrt er.
Tanz für Tanz ein unbeschwerter
Abend, aber dann erfährt er
nebenbei vom Fast-Verlobten.
Doch nachdem Gewitter tobten
und die zwei am Fenster stehen,
ist es ganz um ihn geschehen…

Stopp! Noch immer viel zu lang!
Konzentrier den Handlungsstrang
auf pikante, kleine Happen,
denn verdichten heißt verknappen!


Liebesdrama, Kopfschuss, Blut.
Siehste! Geht doch! Jetzt ist's gut!

Geändert von plotzn (25.02.2017 um 16:54 Uhr)
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Alt 25.02.2017, 12:02   #2
Erich Kykal
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HI Plotzn!

Wie könnte ich hier wiederstehen, wo du eine Lanze für die "verschwurbelte, überkommen blumige" Dichtkunst brichst! Ganz auf meiner Linie! Herrlich, wie du die immer straffere Verkürzung letztlich an absurdum führst, weil du so kenntlich machst, wieviel an Wortkunst, Gefühl und Empathie dabei sukzessive verlorengeht, bis nur noch ein - im wahrsten Wortsinne - lachhaftes Skelett übrig bleibt, über das man sich bestenfalls amüsiert.
So verbirgst du eine - für mich - tiefe Wahrheit der Dichtkunst unter launigem Amüsement: eine Botschaft an all jene, die glauben, durch rigorose Straffung an "Kunst" zu gewinnen!
Das I-Tüpfelchen wäre gewesen, den "Autor" auch noch eine "lyrische Modernisierung" versuchen zu lassen - das läse sich dann vielleicht so:

.................................................. .................................................. ......

Werther jugendlich Schwarmvogel
bürgerlich ---> Geldlos
schmuckedischmachtend
in Wahlheim, bebender -
die NaturFÜLLE
malerisch
GENUSS - GENUSS
Skizzen (kritz-kratz!) gemacht.

Trifft tanzfestend
lockige Lotte --- und LIEBE!
jung, tugendbesamend
bewundervoll D-A-M-E:
Verwandtschaft der Seelen
krönt/schönt/verpönt
fensterbänkelnd
dieselbe Ode ...

.................................................. .................................................. ........

Grausam, nicht wahr!?


Ein kleiner Fehler ist dir hier unterlaufen:

aber nebenbei erfährt er
von des Mädchens Fast-Verlobten.

Gefordert ist hier ein Dativ: erfährt er ---> von WEM? Diesen Dativ kannst du entweder am "von" festmachen - oder am "Fast-Verlobten".

Ergo:

aber nebenbei erfährt er
vom Fast-Verlobten des Mädchens.

Oder:

aber nebenbei erfährt er
von des Mädchens Fast-Verlobtem.

Sorry, dadurch wird der Reim leicht unrein - aber ich denke, damit kannst du leben ...

Sehr gern gelesen!

LG, eKy
__________________
Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen!
Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind.
Dummheit und Demut befreunden sich selten.

Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.
Erich Kykal ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 25.02.2017, 13:03   #3
Thomas
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Lieber Stefan,

vielen Dank, endlich habe ich durch dich das Prinzip der Twitter-Nachrichten verstanden. Zum Beweis dafür sende ich dir Schillers Wallenstein-Trilogie getwittert:
Starker Mann kommt an die Macht,
Vertrauter killt ihn feig bei Nacht.

Liebe Grüße
Thomas
__________________
© Ralf Schauerhammer

Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität. Diese seine Individualität so sehr als möglich zu veredeln, ist sein erstes und wichtigstes Geschäft. Friedrich Schiller
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Alt 25.02.2017, 13:10   #4
juli
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Hallo plotzn!

Ich schmeiß mich wech....

Das ist ein Liebesgedicht, wonach sich alle Dichter sehnen auch so wie du schreiben zu können. Auch die Toten. Du hältst mit deiner humorigen Sprache mir vor die Augen, wie Liebesgedichte sein können und wie jeder Schreiber so seine Einstellung hat um mit diesen Gefühlen umzugehen, bzw zu verworten. Dabei besonders gelungen ist die eigene Korrektur, die du hier kursiv gemacht hast. Immer „verkürzen“ bis nichts mehr geht.

Genial!

Liebe Grüße sy

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Alt 25.02.2017, 14:00   #5
plotzn
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Servus eKy,
köstlich Deine morderne Version des Werthers, bei der der Leser fast ebenso leiden muss wie der Protagonist.
Vielleicht ist es ja auch genau das, was der expertimentelle Autor damit ausdrücken wollte?
Beim "Verdichten" gilt es für mich, das richtige Mittelmaß zu finden. Weder langatmige Erzählungen noch kryptische Verkürzungen reizen mich. Und, wie Du geschrieben hast, die workunst und das Sprachgefühl darf nicht auf der Strecke bleiben.

Danke Dich für den Hinweis! So wie der Dativ dem Genitiv sein Tod ist, so ist wohl bei mir auch der Akkusativ den Dativ sein Tod.
Ich muss noch ein bisschen nachdenken, wie ich das gelöst kriege.


Lieber Thomas,
wenn ich Dich nicht hätte! Ich weiß gar nicht, was ich mit der vielen Zeit anfangen soll, die Du mir geschenkt hast, indem ich mich jetzt nicht mehr durch mehrere hundert Seiten Wallenstein quälen muss.


Liebe sy,
immer ihr Mädels mit Eurer Ader fürs Dramatische und Romantische!
Da mühe ich mich tagelang ab, um endlich den Werther auf eine Zeile zusammenzudampfen und dann lobst Du in höchsten Tönen die vorhergegangenen Fehlversuche...


Danke Euch Dreien und liebe Grüße!
Stefan
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Alt 25.02.2017, 14:49   #6
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Eine ganz großartige Idee ganz großartig umgesetzt, lieber Stefan!

Beinahe meinte ich schon, gewisse Forenlyriker-Stimmen aus meinen "frühen Forenjahren" zu hören.

Zitat:
Halt! Moment! So wird das nichts!
Der Charakter des Gedichts
ist kein Schleichen, sondern Stürzen
und verdichten heißt verkürzen!

...

Stopp! Noch immer viel zu lang!
Konzentrier den Handlungsstrang
auf pikante, kleine Happen,
denn verdichten heißt verknappen!
ich bin durchaus ein Freund der knappen, reimlosen Gedichte - aber genauso liebe ich die langen Balladen, blumige Beschreibungen und Happen aller Größen ganz allgemein. Wichtig ist doch, dass es gut gemacht ist und einem Gefühl entspringt, das man in genau der Form transportieren möchte, die man wählt.

In der bildenden Kunst heißt es nicht umsonst: das Material bestimmt die Form. Und im Umkehrschluss: wähle die best geeigneten Mittel, um das zum Ausdruck zu bringen, was dich bewegt.

Und das gilt auch für die geschriebenen Gemälde, wie ich meine.

Oft aber lese ich Texte, bei denen mich das Gefühl beschleicht, hier ging es um Effekthascherei. Und die findet man in allen Happengrößen - so dichterisch gemeint.
Wenn das Herz nicht mit bei der Sache ist, kann m.E. keine Kunst entstehen, die berührt und überzeugt.

Hier bin ich mehr als überzeugt. Daher sehr gern gelesen, viel gegrinst und sichtlich danach auch viel nachgedacht.


Lieber Gruß,
fee
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Alt 25.02.2017, 16:12   #7
Erich Kykal
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Was denn - und über meine tolle "moderne" Version redet kaum einer!?

Warum wohl ...

Quod erat demonstrandum ... - und auch dies noch für die "modernen" Lyriker:

LG, eKy
__________________
Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen!
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Dummheit und Demut befreunden sich selten.

Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.
Erich Kykal ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 25.02.2017, 16:37   #8
Schamansky
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Das nenne ich einmal Verdichtung! Super.
Schamansky ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 25.02.2017, 17:11   #9
plotzn
Hofnarr
 
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Liebe fee,
das stimme ich absolut zu, der Inhalt ist das Wichtigste und natürlich die Umsetzung. Am Argument des Verdichtens bei Gedichten ist schon was dran, wenn es vorher zu langatmig war, aber hier wollte ich dieses Argument bewusst auf die Schippe nehmen. Kürzen des Kürzens willen kann nur schief gehen.
Reimlose Gedichte passen für mich besser in die "echte" Lyrik als in die Humorsparte. Gerade der feste Rahmen (manchmal als Überraschungselement bewusst durchbrochen) gibt dem lustigen Gedicht seinen Halt.
Zitat:
Wenn das Herz nicht mit bei der Sache ist, kann m.E. keine Kunst entstehen, die berührt und überzeugt.
Sehr schön formuliert!


Servus ekY,
doch, ich rede darüber Die moderne Lyrik und Kunst im allegmeinen scheint es Dir ja "angetan" zu haben...


Servus Schamansky,
bin halt Minimalist...


LG, Stefan
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Alt 18.03.2017, 16:34   #10
Falderwald
Lyrische Emotion
 
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Moin Plotzn,

ganz köstlich und ich komme nicht umhin, dir hier auch mein Kompliment auszusprechen.

Zuerst dachte ich, wo will er hin, dann kam die erste verkürzte Version, da musste ich schon breit grinsen und am Schluss konnte ich nur noch laut lachen.

Das ist wirklich gelungen und sich inhaltlich am Vorbild orientierend absolut stringent, wunderbar, so muss humorvolle Dichtung sein.

Ich habe letztens eine kurze SMS von Wilhelm S. erhalten, indem er sein neuestes Werk vorstellt:

Hello Faldi, I translated
my new drama, short castrated:

Jago, Eifersucht, Othello, Mord,
Tod Desdemonas durch falsches Wort.

Look my name, it undertakes here.
Best regards, your Wilhelm Shakespeare.

Ganz toller Text, lieber Plotzn.


Lachend gelesen und gern kommentiert...


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald


__________________


Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)



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