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Denkerklause Philosophisches und Nachdenkliches

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Alt 14.04.2017, 20:31   #1
Falderwald
Lyrische Emotion
 
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Standard Dessen ungeachtet




Dessen ungeachtet


Wenn irgendwo mal wieder Journalisten
verhaftet werden, weil sie ihren Job
verrichteten wie gute Spezialisten,
wenn solch politisch motivierter Mob
die Macht in Händen hält, dies auszurichten,
ja, wenn sie alle Meinungen vernichten,
die nicht konform sind mit der Obrigkeit,
dann ist die Zeit wohl wieder mal so weit.
Die Muse weint. Die Dichtertränen rinnen.
Es stirbt der Traum. Verloschen ist das Licht.
Wo solche Geister ihre Fäden spinnen,
zerstört die Unterdrückung das Gedicht.

Wenn wieder Giftgas, Bomben und Raketen
vom Himmel fallen und die Feuerkraft
den Ausschlag gibt beim Kampf um den Planeten,
wenn solch ein Kriegsszenarium es schafft,
dass gar Millionen Menschen fliehen müssen,
und wenn das alles abhängt von Beschlüssen
der Idioten in der Obrigkeit,
dann ist die Zeit wohl wieder mal so weit.
Die Muse schreit. Des Blutes Tropfen rinnen.
Es stirbt der Traum. Verloschen ist das Licht.
Wo solche Mächte ihre Netze spinnen,
zerstört die dunkle Seite das Gedicht.

Wenn sich in diesen herrschenden Systemen
ein jeder, was er kann, auch einfach nimmt,
wenn alle nur mit eigenen Problemen
beschäftigt sind, weil durchwegs nichts mehr stimmt,
wenn es nur abläuft wie nach strikten Normen,
um Menschen marktwirtschaftlich umzuformen,
wenn das lanciert wird durch die Obrigkeit,
dann ist die Zeit wohl wieder mal so weit.
Die Muse trotzt. Des Schweißes Tropfen rinnen.
Der Traum lebt auf. Es brennt ein kleines Licht.
Ein wahrer Dichter lässt die Narren spinnen,
er aber schreibt ein zynisches Gedicht.


Falderwald
. .. .


__________________


Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)



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Alt 14.04.2017, 20:53   #2
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Hi Faldi!

Eigentlich wiederholt sich nur alles:

Erdogan verfährt ebenso wie Hitler, indem er Stück um Stück die demokratischen Kräfte, die ihm im Weg stehen, diskreditiert und aushebelt.
Seine Anhänger und weite Polizeikreise benehmen sich wie dereinst die SA und prügeln die Opposition stumm. Sobald er die ganze Macht hat, steht seiner Diktatur nichts im Wege.

Und wie war es damals mit den Flüchtlingen? all den Juden und Andersdenkenden, die versuchten, vor den Nazis zu flüchten? Unzählige mussten verrecken, weil die damaligen "Verfechter der Menschlichkeit und des Rechts" sich nicht mit ihnen belasten wollten und ihnen das Einreiserecht verwehrten.

Seltsam, dass davon heute kaum noch jemand spricht in den "Siegerstaaten"! Und heute? Heute sind WIR die rettende Insel, und tun dasselbe wie damals die "Guten"! wieviele Flüchtlingskinder müssen noch im Mittelmeer ersaufen oder in Internierungslagern unter unmenschlichen Bedingungen ihre Kindheit verleben, ehe bei uns auch nur ein Breitarsch Gewissen entwickelt?

Aber nein, wir haben ja sooooolche Angst vor dem Islam! Ich sag mal was: Wenn wir diese Völker weiter wie die letzte Scheiße behandeln, dann dürfen wir bald zurecht Angst haben! Nichts ist so bitter wie der Hass der Abgewiesenen! Erdogan weiß das und sammelt sie alle ein, die von Europa Gedemütigten und Enttäuschten!

Auf uns Dichter werden die Menschen genauso wenig hören wie auf die Mahnungen der Intelligenten und Weisen - zu gern beharrt man auf dem Status quo und erwehrt sich lieber jeder Veränderung innen oder außen. Seien es Diktatur, sinnloser Krieg, Extremismus oder Brutalkapitalismus - die meisten denken, das gehe sie nichts an, solang es sie selbst nicht direkt und deutlich merkbar betrifft.

Du weißt das, daher das "Zynische" in deinem Gedicht!

Dennoch sehr gern gelesen!

LG, eKy
__________________
Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen!
Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind.
Dummheit und Demut befreunden sich selten.

Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.
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Alt 14.04.2017, 21:39   #3
Thomas
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Lieber Falderwald,

Der Schlussatz aus "Verteidigung der Poesie" von Percy Bysshe Shelly lautet:

Poets are the hierophants of an unapprehended inspiration; the mirrors of the gigantic shadows which futurity casts upon the present; the words which express what they understand not; the trumpets which sing to battle, and feel not what they inspire; the influence which is moved not, but moves. Poets are the unacknowledged legislators of the world.

Irgendwie kann ich mich nicht entschließen diese schöne und hoffnungsvolle Idee (welche Shelly in dem Aufsatz übrigens gut begründet) aufzugeben.

In sofern begrüße ich dein Gedicht "Dessen ungeachtet", denn genauso muss der Dicher handeln.

Liebe Grüße
Thomas
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© Ralf Schauerhammer

Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität. Diese seine Individualität so sehr als möglich zu veredeln, ist sein erstes und wichtigstes Geschäft. Friedrich Schiller
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Alt 16.04.2017, 19:06   #4
Dana
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Lieber Faldi,
Zynismus in Nachdenklichkeit verpackt - oder umgekehrt.
Weil gerade Ostern ist, sehe ich die Muse am Kreuze und wünsche ihr, dass ihr Weinen und Schreien ge- erhört werden. Dass ihr Trotzen im Hoffnungsraum bewirkt, was sich alle Menschen wünschen: Demokratie, Frieden und Gerechtigkeit.
Ein Traum, ich weiß - ich stehe zu meiner Signatur.

Ein gutes, tolles Gedicht!

Liebe Grüße
Dana
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Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen,
ich schulde ihnen noch mein Leben.
(Frederike Frei)
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Alt 16.04.2017, 20:41   #5
Falderwald
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Servus Erich,

was erwartest du von einer Welt, die durch die schnellen Medien reizüberflutet ist?
Natürlich ist es eine Schande, dass so viele Menschen auf der Flucht umkommen. Nur was kannst du daran ändern?
Natürlich kannst du alles aufgeben und versuchen, dich vor Ort zu engagieren, wenn du nicht schon zu alt dafür bist.

Und das Gewissen ist so eine Sache. Warum sollte jemand ein schlechtes Gewissen haben, nur weil er unter privilegierteren Bedingungen lebt?
Es hätte ihn genauso gut treffen können. Zu einer anderen Zeit an einem anderen Ort geboren, wäre er der Getriebene, aber so ist es nun mal nicht.
Ich kann verstehen, dass viele Menschen dieses Elend nicht an sich heranlassen, denn wenn man sich alle Ungerechtigkeiten, alle Not und alle Unglücke vorstellen würde, dann würde man ja wahnsinnig und müsste eigentlich diesem Leben entsagen.

Aber was soll's?

Natürlich hast du Recht, dass auch wir Dichter nichts ändern können. Was wir aber können, ist die eine oder andere Dummheit festzuhalten.
Vielleicht lernt ja irgendwann mal irgendjemand etwas daraus.

Ein schwacher Trost, ich weiß, doch die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt...


Moin Thomas,

du zitierst einen überzeugten Atheisten?
Ok, dann versuche ich das mal mit meinem Schulenglisch einigermaßen sinnvoll zu übersetzen:

"Dichter sind die heiligen Priester der nicht beachteten Inspiration; die Spiegel der gewaltigen Schatten, welche die Zukunft über die Gegenwart formen; die Worte, welche ausdrücken, was sie nicht verstehen; die Trompeten, die zu jeder Schlacht erklingen, und nicht fassen können, was diese antreibt; die Wirkung, die sich nicht bewegt, aber bewegt. Dichter sind die unbestätigten (Moral)Gesetzgeber dieser Welt."

Eine wirklich schönes Ideal, wenn ich das alles richtig verstanden habe. Man kann nur hoffen, dass Shelley Recht behalten wird, denn er war ja anscheinend ein junger Rebell, der früh aus dem Leben schied.

Manche Dinge konnte er in dem Alter noch nicht wissen.
Aber zumindest wäre ein solches Ideal erstrebenswert gewesen.

Es freut mich, wenn du den Text in diesem Sinne begrüßen konntest...


Liebe Dana,

"Demokratie, Frieden und Gerechtigkeit"

Das ist auch ein schönes Ideal, doch haben sich das die Menschen erst einmal hart erkämpfen müssen.
Vielleicht kommt irgendwann der Tag, wo sie es auch wieder verteidigen müssen, und dann?

Dann ist irgendwie alles dahin.

Aber das Träumen ist erlaubt und solange man nicht wirklich aufwacht, bleibt es Realität. Wohl dem, der es sich bewahren kann...


Vielen Dank für eure Kommentare...


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald


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Falderwald ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 17.04.2017, 15:58   #6
Thomas
Erfahrener Eiland-Dichter
 
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Beiträge: 3.375
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Lieber Falderwalt,

welche Art von "-ist" jemand ist, ist mir egal, wenn er Recht hat, hat er Recht.

Schön, dass du eine Übersetzung gewagt hast, ich habe mich gar nicht ran getraut. Ist es nicht ein Tolles Zitat! Ja, er war Rebell, doch sein Charakter war vor allem geprägt von Empathie und Agape (Nächstenliebe sage ich nicht, weil es für dich vielleicht zu religiös klingt). Das würde dir sicher auch an ihm gefallen.

Liebe Grüße
Thomas
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© Ralf Schauerhammer

Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität. Diese seine Individualität so sehr als möglich zu veredeln, ist sein erstes und wichtigstes Geschäft. Friedrich Schiller
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