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Denkerklause Philosophisches und Nachdenkliches

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Alt 21.01.2012, 09:03   #1
Sidgrani
Von Raben umkreist
 
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Registriert seit: 27.12.2009
Ort: Am Niederrhein
Beiträge: 1.051
Standard Dichters Freud und Dichters Leid

Ist alles, was ich schreib, demnächst vergessen,
wird niemand mehr in Liebe an mich denken?
Bin ich, wenn ich von Leiden schreib, besessen,
sollt niemand meinem Werk mehr Blicke schenken?

Man wird mich feiern und mir Beifall spenden,
mich stets auf Händen tragen und mich preisen;
und mein Applaus wird wahrlich niemals enden,
weil zwei der holden Musen um mich kreisen.

Im Grunde bin ich immer sehr bescheiden,
die lieben Freunde könnt ich niemals kränken,
ich will vom Leben nicht zu viel, bin stets zufrieden.

Wohl deshalb kann ein jeder mich gut leiden.
So lässt sich auch mein Schicksal besser lenken
und ich muss niemals in der Hölle sieden.
__________________
Alle meine Texte: © Sidgrani

"Nur wer erwachsen wird und Kind bleibt, ist ein Mensch"

»Erich Kästner«

Geändert von Sidgrani (22.01.2012 um 15:27 Uhr) Grund: Zeichensetzung
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Alt 21.01.2012, 12:26   #2
Stimme der Zeit
Erfahrener Eiland-Dichter
 
Benutzerbild von Stimme der Zeit
 
Registriert seit: 15.03.2011
Ort: Stuttgart
Beiträge: 1.836
Standard

Hallo, Sidgrani,

das nenne ich ein Sonett! Den inhaltlichen Aufbau finde ich ausgesprochen faszinierend. Die von leichter Ironie gewürzte Gegenüberstellung von "Dichterfreud und Dichterleid" kommt hier wunderbar zur Geltung. Dieses Gedicht kann ich "in zwei Hälften lesen", also quasi die erste mit der dritten und die zweite mit der vierten Strophe.
Und eben auch als "Ganzes". Für mich lässt sich mehr als "Freud und Leid" herauslesen. Hier stehen sich auch Bescheidenheit und Eitelkeit, Demut und Arroganz gegenüber.

In mehr oder minder ausgeprägter Form kennen wir alle diesen "inneren Zwiespalt". Welcher Dichter ist frei von Arroganz und Eitelkeit? Wer kennt nicht die Zweifel, ob das Geschriebene auch Gefallen bei Lesern findet bzw. ob es "gut genug" ist? Davon nehme ich mich nicht aus.

Was für mich dieses Sonett so besonders gelungen sehen lässt, ist auch die Tatsache, dass es sich hier um zwei vom "Wesen her" grundverschiedene Dichter handeln kann - und um einen, der zwischen zwei inneren Seiten hin- und herschwankt. Ich kann mir gut vorstellen, dass ein Dichter viel Lob erntet, und die Bescheidenheit teils vorgetäuscht gegenüber anderen, teils vielleicht auch Selbsttäuschung ist. Andererseits kann das viele Lob auch zu Arroganz und Selbstüberschätzung führen. Und auch das völlige Gegenteil ist möglich. Viel Kritik mag Bescheidenheit lehren oder auch zu einer arroganten Abwehrhaltung führen.

In dieser Hinsicht finde ich es sehr passend, dass "mich, mir, mein, ich" so häufig auftauchen. Das sagt: "Ich-Bezogenheit", und zwar in jedem Fall. Ebenso gefällt mir die Wiederholung von "niemand" und "niemals", die die Strophen ebenfalls miteinander verbinden.
Dazu noch, nur zwei Beispiele: "Liebe/Leid" oder "niemals/immer".

Ich kann hier sehr viele Perspektiven und Seiten herauslesen, das finde ich ganz hervorragend gemacht, wirklich. Hier erfüllt der Inhalt absolut das Kriterium eines italienischen Sonetts - ein ernsthaft dickes Lob von mir!

Formal ein Lob für die Vokalisation. Ein wenig "a,u,o,ä"; aber hauptsächlich finden sich die hellen Vokale "i,ie,e,ei". Das gibt dem "Klanggedicht Sonett" noch einen ganz besonderen, zusätzlichen Klang, sehr schön gemacht. Ebenso auch die rein weiblichen Kadenzen - die noch dazu jeden Vers mit "-en" enden lassen. Aber es wirkt überhaupt nicht monoton, nicht auf mich, sondern sogar sehr harmonisch. (Was mich zusätzlich auf den Gedanken bringt, dass die innere Harmonie sich in dem "Einklang" von beiden der dargestellten Seiten finden lässt.)

Das kannst du aus dem Bauch dichten? Da bin ich ehrlich platt und sage: Immer schön weiterschreiben, ja? Mehr davon, bitte.

Liebe, beeindruckte Grüße

Stimme

P.S.: Hätte ich beinahe vergessen: Bitte in Vers 1 nach "alles" ein Komma.
__________________
.

Im Forum findet sich in unserer "Eiland-Bibliothek" jetzt ein "Virtueller Schiller-Salon" mit einer Einladung zur "Offenen Tafel".

Dieser Salon entstammt einer Idee von unserem Forenmitglied Thomas, der sich über jeden Beitrag sehr freuen würde.


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Alt 22.01.2012, 15:26   #3
Sidgrani
Von Raben umkreist
 
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Registriert seit: 27.12.2009
Ort: Am Niederrhein
Beiträge: 1.051
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Hallo Stimme,

wow, was für ein schönes Lob, danke.

So wie du, möchte ich auch Gedichte deuten und kommentieren können. Ich wusste bisher gar nicht, was ich da Tolles geschrieben habe. Ich war mir gar nicht sicher, ob es gefallen könnte.

Für dieses Sonett (mein erstes oder zweites) habe ich mich natürlich vorher erkundigt, worauf es dabei ankommt, soviel zum Bauchgefühl.

Liebe Grüße
Sidgrani
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