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Finstere Nacht Trauer und Düsteres

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Alt 23.12.2011, 22:36   #1
wolo von thurland
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Beiträge: n/a
Standard Erweckung

Im Ofen leidet stumm ein Butterwecken.
Die Hitze treibt ihm Angstschweiss auf die Stirn.
Es lebt in seinem ausgedörrten Hirn
nur ein Gedanke: Muss ich so verrecken?

Schon ist‘s zu spät, Gedanken sich zu machen.
Der Bäcker prüft und meldet: Exitus.
Dann ruft er den Gesellen Zerberus,
den Abtransport des Blechs zu überwachen.

Die Reise endet in der Unterwelt,
in tiefsten Schlünden dunkler Niederungen.
„Das wurde von dem Herrn da wohl bestellt.“

Der Herr hat ihn genommen und verschlungen,
egal, ob dies dem Wecken so gefällt.
Im Teigtrog hat man Kyrie gesungen.

Geändert von wolo von thurland (24.12.2011 um 10:33 Uhr)
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Alt 24.12.2011, 08:03   #2
Stimme der Zeit
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Registriert seit: 15.03.2011
Ort: Stuttgart
Beiträge: 1.836
Standard

Guten Morgen, wolo,

erst mal "vorab": Schöne Feiertage und einen guten Rutsch ins Neue Jahr!

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Ich gebe unumwunden zu, dass ich es immer wieder einmalig finde, was du für Ideen hast. Ein "Butterwecken" als Metapher, ich glaube nicht, dass das schon mal "da war". Was ich jetzt irgendwie interessant finde: Du mixt hier auch die griechische Mythologie (Zerberus, Unterwelt) mit dem Christentum (Der Herr, Kyrie).

Ich kenne die Bibel durchaus ein bisschen, wenn auch nicht die "genauen Stellen". Aber ich kenne das: "Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen, gepriesen sei der Name des Herrn!" (Hiob, wenn ich mich richtig entsinne.) Wenn ich das so glauben würde, müsste ich mich wirklich wie ein hilfloses Brötchen fühlen, das zuerst gebacken und dann "verschlungen" wird - und die Welt als "Teigtrog". Gut, dass ich das nicht tue, und mit Zerberus & Co. habe ich auch nichts am Hut. Die Welt als "Teigtrog" und den Mensch als "Weck" zu sehen ist schon "finster", aus dieser Sicht heraus ist die Rubrikwahl richtig.

Ich bin - jetzt auf das Individuum bezogen - durchaus tolerant. Jeder darf glauben, was er will - so lange er niemandem damit schadet. Was auf Anhänger von Religionen (für mich sind Sekte und Religion Jacke wie Hose, es gibt nur einen "Größenunterschied"), so denke ich, leider nicht zutrifft.

Der Titel ist ausgezeichnet gewählt, "Er/weck/ung" passt perfekt, gerade weil davon im Gedicht nicht die Rede ist.

Wirklich gut geschrieben, vor allem die "Details". Das "stumme Leiden" (der Weck hat ja auch nichts zu sagen - ist ja nur ein Weck, wenn auch mit Butter), der "Angstschweiß", das "ausgedörrte Gehirn" und die Frage, die sich der Weck "am Ende" stellt: "Muss ich so verrecken?" Eine Frage: Ist der Bäcker eine Metapher für einen Priester? Der "Kollege Zerberus" stellt für mich zweierlei dar: Eine religiöse Anspielung und den Bestattungsunternehmer. (Deshalb auch meine Frage bezüglich des "Bäckers", der auch ein Arzt sein könnte. Oder auch beides?) Sehr interessant auch der Hinweis darauf, dass das ganze "Blech" abtransportiert wird. Das sagt mir, dass der "einzelne Weck" wiederum eine Metapher darstellt - als "Stellvertreter" für all die anderen.

Zum Inhalt des ersten Terzetts nur eine kleine Frage: "Das wurde von dem Herrn da wohl bestellt". Ich vermute einen "versteckten" Hinweis auf den Tod, als "Lieferant". Ist er hier zugleich auch "Bote"?

Wirklich finster: "Der Herr hat ihn genommen und verschlungen, egal, ob dies dem Wecken so gefällt." Ich habe dabei auch noch nie "gebacken bekommen", wieso das zum Kyrie Eleison-Singen Anlass gibt. Nun ja, der Glaube ist das Himmelreich, so heißt es doch. Ja, die "Teigrohlinge" bitten um Gnade - als ob das ihnen ermöglichen würde, nicht "zu Ende gebacken zu werden". Nur kurz: Das ist meine ganz privat-persönliche Ansicht, die niemand teilen muss!

Formal ist das Sonett sehr gut gelungen. Ich finde das Metrum einwandfrei. (Zur Erklärung, nur am Rande: "Schon" ist hier das Füllwort. Es hat weiche Konsonanten und einen dumpfen Vokal. "Ist's" dagegen ist die Verkürzung von "ist es", hat harte Konsonanten und einen hellen Vokal - und es ist kein Füllwort. Zudem ist das jambische Metrum stringent - ich habe also keinerlei Probleme, diesen Vers jambisch zu lesen, für mich bleibt er im Rhythmus. Ich sehe das natürlich, wollte aber nur mal erklären, warum ich darin keine "Erbse" sehe.) Das Reimschema: abba, cddc, efe, fef (fein, die "Verbindung" in den Terzetten), umarmende Reime in den Quartetten, die Kadenzen sind ebenfalls gut platziert - ein schönes Sonett, noch dazu mit fantasievollen Endreimen.

Mir ist auch klar, warum dieser Vers eine Inversion enthält, und ich bin mir sicher, dass du hier die Stellung der Worte der Aussage untergeordnet hast. Das verstehe ich, denn ansonsten ergäbe sich ein daktylischer Versfuß (Gedanken zu machen). Ich bin der Überzeugung, das ist gewollt. Absicht ist kein Fehler. (Du hast mal irgendwo angemerkt, ob ich etwas "nicht sah", ich weiß nicht mehr, wo. Doch, ich sehe schon, aber ich lasse auch vieles gelten, das mich aus den verschiedensten Gründen "nicht stört" oder für mich akzeptabel ist.) Der Vers verbindet übrigens sehr geschickt die Aussagen von Strophe 1 und 2, wie eine "Überleitung".

Auch These, Antithese und Synthese sind gut dargestellt. Der "Weck" und sein "Leiden"; der "Bäcker" und "Zerberus" als "Umfeld"; das daraus resultierende "Schicksal des Wecks" und das "Fazit" daraus.

Daher hier auch mein persönliches Fazit: Ein dickes Lob für Inhalt und Ausführung!

Sehr gerne gelesen und kommentiert.

Liebe Grüße

Stimme
(Heute mit "Sondermarkenzeichen )
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Im Forum findet sich in unserer "Eiland-Bibliothek" jetzt ein "Virtueller Schiller-Salon" mit einer Einladung zur "Offenen Tafel".

Dieser Salon entstammt einer Idee von unserem Forenmitglied Thomas, der sich über jeden Beitrag sehr freuen würde.



Geändert von Stimme der Zeit (24.12.2011 um 08:07 Uhr) Grund: Kleine Ergänzung.
Stimme der Zeit ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 24.12.2011, 10:14   #3
wolo von thurland
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Beiträge: n/a
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hallo sdz
danke für deine guten wünsche. und ebensolche an dich.
danke auch für den hinweis auf den zweideutig-eindeutig-iambischen "schon"-vers. kann ich ein andermal vielleicht bewusst als hilfe benützen.
dass ich in deinen augen eine form und einen inhalt gebacken kriegte, freut mich.
wahrscheinlich war das aber wieder mal für andere könner weder von der form noch vom stil her ein sonett, und so muss der leser damit rechnen, dass auch der inhalt aus einer nicht regulär deklarierten backmischung stammt.
so ist auch mir nicht völlig klar, wer hier genau wessen rolle spielt (was ja auch schon mal in gewissen stücken von berühmten sonettschreibern vorkommen soll).
als ich es eingestellt hatte, stellte ich mir vor, wie die unermüdliche sdz sich ans googeln macht, und versuchte es selber. und siehe da: in osnabrück, wo ich noch nie war (seit gestern weiss ich immerhin, wo es liegt) gibt es einen "Teufels Teigtrog". so hätten denn der bäcker und der herr ja mehr oder weniger die wunderschöne doppelrolle in dem "spiel, das leben heisst", welche ihnen in der religionsgeschichte zugeteilt wird. aber da verstehe ich leider wenig davon und wollte es nur zu deiner erbauung hier anführen.
erbauliche feiertage wünscht
wolo
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