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Alt 06.07.2009, 12:41   #1
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Registriert seit: 18.02.2009
Ort: Österreich
Beiträge: 8.570
Standard Die Geschlagene

Da sitzt sie mit zutiefst geschlossenem Gesichte,
das alte Fotoalbum in der weißen Hand,
als machten frohe Kinderbilder das zunichte,
was er an Schmerz um ihre Augenblicke wand.

Sie weint allein auf die verblichenen Konturen,
als wären sie gebunden an ein fernes Sein,
das lange ihr entfiel, entglitt wie Zeit den Uhren,
und lang versunken wie ein lichter Edelstein

am dunklen Brunnengrunde ihrer wunden Seele
wie ein Stück Willensglut die letzte Hoffnung nährt,
dass jene Oberfläche, die von ihm Befehle
erhält sich kräuseln will und endlich aufbegehrt!
__________________
Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen!
Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind.
Dummheit und Demut befreunden sich selten.

Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.

Geändert von Erich Kykal (09.05.2016 um 23:03 Uhr)
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Alt 10.07.2009, 09:23   #2
a.c.larin
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lieber erich,

so ein romantisches, zartes bild für so einen schrecklichen sachverhalt?

die von dir beschriebene ist wie von mondlicht übergossen - keine spur des aufbegehrens kann ich hier herauslesen - noch lange nicht.
dazu bräuchte es viel mehr zorn - und den kann ich hier nicht finden.
nur tiefe trauer, die als versteinerung lastet...

irgendwie tuts noch gar nicht richtig körperlich weh - auch nicht beim lesen.
ich weiß nicht , wie ichs jetzt richtig sagen soll: du hast das zerbrechliche, das zerbrochensein, die trauer trefflich eingefangen, aber die ursache all dessen , die brutale gewalt - die bleibt ausgespart.....als dürfte man da gar nicht hinsehen...
das gedicht würde dadurch aber mehr an dramatik gewinnen, mehr aufrütteln....
mit ein bisschen kräuseln an der oberfläche kann jedenfalls kein aggressor je in die schranken verwiesen werden - das dürfte ein wunschtraum bleiben....

liebe grüße
larin
__________________
Cogito dichto sum - ich dichte, also bin ich!
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Alt 21.07.2009, 11:03   #3
Erich Kykal
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Hi, larin!

In punkto "brutale Gewalt" und warum sie ausgespart wird:
Dieses Gedicht handelt von IHR, nicht von IHM! Deshalb ist - wie du richtig bemerktest - alles wie petrifiziert. Sie ist in Angst und Gewohnheit erstarrt - die "stille Oberfläche" über dem Brunnen"ab"grund ihrer verletzten Seele.
Ja, viele, allzu viele Frauen schaffen es nie, sich von ihren Peinigern zu lösen, zumindest nicht ohne Hilfe von außen!
Ich wollte diese "gleichgültige Hoffungslosigkeit" eines lang gebrochenen Menschen einfangen, der nur deshalb noch lebt, weil da irgendwo ganz unten vergraben noch ein letzter Funke glimmt.
Dies finde ich treffender und beunruhigender als ein plattes, oberflächliches Fingerzeigen auf Missstände ehelicher Gewalt, indem ich wütend beschreibe, was ER ihr nun tatsächlich alles an körperlicher - und viel schlimmer - seelischer Gewalt antut. Davon mögen jüngere, zornigere Menschen berichten.
Ich sehe nur die leblosen Augen und den hingerichteten Geist der Unterdrückten. Das erscheint mir viel grausamer und mitleiderregender als die - oft jahrelange - Hinrichtung selbst!

LG, eKy
__________________
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Alt 21.07.2009, 11:10   #4
Leier
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Lieber Erich Kykal,

jetzt folge ich meiner ersten Intuition, und schreibe einen meiner Kurzkommentare.

Die "Geschlagene" interpretierte ich eher als die vom Schicksal geschlagene. Körperliche Gewalt kam mir nicht in den Sinn.
Ich sah eine psychisch Gebrochene, in der - auch durch Erinnerung an viel Früheres - noch ein Funke Lebensmut klingt. Oder wenn schon nicht Mut, so doch ein zähes Festhalten an dem Rest Selbst, der ihr blieb.

Lieben Gruß
von
cyparis

(das übliche LOB kann ich mir mit der Zeit ersparen, denn Du kennst es zur Genüge!)
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Alt 24.07.2009, 13:14   #5
Erich Kykal
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Hi, Cypi!

Ja, deine Interpretation wäre möglich, gäbe es da nicht die letzten Zeilen:
"...dass jene Oberfläche, die von IHM Befehle // erhält sich kräuseln will und endlich aufbegehrt!"
Dies zeigt sehr deutlich, wo sich dieses Gedicht abspielt: Eben in den Niederungen ganz prosaischer häuslicher Gewalt! Irgendwie hat mich immer fasziniert, wie unsicher, selbstverleugnend, selbstverachtend bis zur kompletten Selbstaufgabe Menschen sein können, dass sie ihr ganzes Sein solchen seelischen Vergewaltigern unterordnen! Waren sie schon immer Opfer oder wurden sie erst gebrochen und eingeschüchtert? Wohl beides!
Es gab tatsächlich eine Zeit, da ich mit solchen "Geschlagenen" keinerlei Mitleid hatte - ich konte mir schlicht nicht vorstellen, was es bedeutet, unterdrückt und ständig bedroht zu werden, und wie klein einen das mit der Zeit macht - immer kleiner, je länger man es zuläßt!
Dann hatte ich Zoff mit einem Bikerclubpräsi, der mich fertigmachte mit den Worten: Und wenn du dich wehrst, dann schick ich dir meine Leute auf den Hals! (Hierbei handelte es sich um ein gutes Dutzend Gewaltmenschen, die auf das Kommando: "Spring!" bestenfalls gefragt hätten: "Und auf WEN?")
Da erst erfuhr ich, was es bedeutet, der Schwächere zu sein, und wie hilflos man dem letztlich gegenübersteht. Wieviel Mut und aufgestaute Verzweiflung es einem abverlangt, sich dennoch hinzustellen und die Ohrfeigen zu kassieren, weil man sich nicht brechen lassen will!
Wieviel leichter wäre es doch, klein beizugeben und sich mit jedem Schritt zurück tiefer in Abhängigkeit, Unmündigkeit und Unterwerfung treiben zu lassen! Und genau davon leben diese Tyrannen, weil sie die Welt selbst nie anders kennengelernt haben und viel zuviel Angst haben, es könnte ihnen so ergehen wie ihren Opfern!
Im Gedenken an dieses Gefühl der Hilflosigkeit im Angesicht von Schmerz und Schrecken habe ich dieses Gedicht geschrieben.

LG, eKy
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Geändert von Erich Kykal (09.05.2016 um 23:04 Uhr)
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Alt 24.07.2009, 15:07   #6
Galapapa
Galapapa
 
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Hallo Erich,
Dein Gedicht hat mir sehr gefallen! Ich finde auch, daß gerade dadurch, daß die genaueren Umstände der Leiden gar nicht beschrieben sind, die ganze Aufmerksamkeit auf den Zustand des Opfers gelenkt wird, also auf das, was Du beschreiben wolltest.
Ich glaube, es gibt zahllose solche bedauernswerten Frauen, deren Wehrlosigkeit nicht allein mit fehlendem Mut zu erklären ist. Es sind oft auch die Umstände, die fehlende Perspektive, das kaputte Umfeld, die solche Opfer lähmen...
Mit einem herzlichen Gruß!
Galapapa
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Alt 24.07.2009, 15:42   #7
Medusa
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Lieber eKy,

ich hatte beim Lesen Deines Werkes ganz anderes im Sinn: Ein Gemälde von Max Liebemann. Es zeigt eine sitzende, gebeugte, noch nicht ganz alte Frau in dunkler Umgebung. Sie ist sehr ärmlich gekleidet und hält einen Brief in der Hand; im Hintergrund befinden sich drei weinende Kinder.

Liebermann prangert mit diesem Gemälde die Gewalt der Besitzenden über die Abhängigen an. In diesem Fall stellt er den Tod des Ernährers dar und weist deutlich auf die Folgen hin.

Meine Gedanken zu Deinem Gedicht passen wohl nicht ganz, ich wollte sie Dir allerdings nicht vorenthalten. Denn geschlagen wirst Du nicht nur direkt, auch indirekte Aggressionen hinterlassen Wunden und Narben.

Deine Zeilen lesen sich sehr flüssig und bringen die traurige Hilflosigkeit der Frau sehr deutlich herüber. Deine Sprache ist gewaltig, kritisch und sehr deutlich; für mich allerdings ein wenig dick aufgetragen.

Ich grüße Dich herzlich,
Medusa.

Geändert von Medusa (24.07.2009 um 15:44 Uhr)
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Alt 29.07.2009, 15:46   #8
Erich Kykal
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Hi, Galapapa!

Jo, danke für die Blumen! Es soll übrigens auch Männer geben, die unterdrückt und gedemütigt werden! ( Glücklicherweise bin ICH kein solcher!)


Hi, Medusa!

Ja, da verbindet sich ein tiefer Eindruck, den du schon zuvor hattest, mit meinen Zeilen. Davon, dass SIE geschlagen würde, steht ja in meinem Gedicht auch gar nichts - ich wollte nur ihren emotionalen Zustand fassen und die daraus resultierende Flucht in Vergangenes oder Leere. Ob sie nun seelisch oder physisch misshandelt wird (das "nur" vor seelisch spare ich mir an dieser Stelle!), habe ich gar nicht spezifiziert.
Und: Ich trage NIE zu "dick" auf! Das sprachliche Mäntelchen einiger meiner Leser mag mitunter zu "dünn" sein...(schmunzel, feix, extrabreitgrins...)

LG, eKy
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