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Finstere Nacht Trauer und Düsteres

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Alt 19.10.2014, 10:03   #1
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Standard Fragenkatalog eines Depressiven

Ich stehe bleiern unter viel zu leichten Leuten,
die nichts verstehen von den krallenden Gewichten,
die mich zu Boden zwingen und zugrunde richten
wie ungezähmte Tiere, die ein Wild erbeuten.
Worin besteht der Sinn, wenn keine Ziele winken,
nur abgebrannt erkühlen und in Asche sinken?

Warum nur kann ich nicht aus allen alten Häuten
wie ein Erträumter schlüpfen, wenn der Tag erwacht?
Weshalb nur bleib ich hässlich, alt und ungeschlacht?
Was wollen mir die vielen nackten Stunden deuten,
die ich entleert verlebe und zutiefst verwundet?
Wann kommt der letzte Schnitt, der meine Narben rundet?
__________________
Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen!
Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind.
Dummheit und Demut befreunden sich selten.

Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.

Geändert von Erich Kykal (19.10.2014 um 20:44 Uhr)
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Alt 19.10.2014, 17:15   #2
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Standard

Hi, Raziel!

Vielen Dank für das positive Feedback! Gestern war ich in etwa so drauf und habe mir so den Frust von der Seele geschrieben. Lyrische Eigentherapie...

Zu deiner Frage:

Beim Schreiben denke ich nicht an derlei. Ich fühle ein Taktgerüst in mir und fülle es mit passenden Worten und Reimen. Dabei gebe ich mich ganz der zugrunde liegenden Stimmung hin, was sich auf Metrum und Wortwahl auswirkt. Instinktiv wählt etwas in mir den Duktus passend zum Inhalt.
Meist beginne ich mit einem Bild im Kopf, das eine erste Zeile ergibt, und meist bestimmt diese erste Zeile dann die Heberzahl und den Auftakt. Die Kadenzen beachte ich mittlerweile auch, wechsle aber gern in einem einmal festgelegten Rhythmus, der beim Schreiben der ersten Strophe entsteht.
Deine Frage kann ich also nicht objektiv beantworten. Die vorletzte Zeile in S1 ist ohnehin ein eigener Satz, da ist nach meiner Lesart sowieso nix mit durchgehend lesen. Hier meinst du wohl die drittletzte Zeile (Übergang Z3 nach 4).
Das sind für mich einfach nur lange Sätze, für die eine Verszeile nicht ausreicht. Ich lese sie so, dass ich beim Zeilenwechsel zwar den Takt beibehalte, die Sprachmelodie dabei aber so weiterführe, dass man weiß, dass es noch derselbe Satz ist. Ich hoffe, das beantwortet deine Frage.

Zum Titel: Ich habe ihn gewählt, weil im Text recht viele Fragen aneinandergereiht sind. Ja, es sollte eher lapidar klingen, sozusagen als Kontrast.

LG, eKy
__________________
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Geändert von Erich Kykal (19.10.2014 um 17:26 Uhr)
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Alt 20.10.2014, 01:06   #3
AAAAAZ
Wortgespielin
 
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Hallo Eky,

depressive Stimmungen kennt jeder, und die hast du in gewohnter Manier gut und plastisch umgesetzt und dargestellt. Kopf hoch Junge, das wird schon wieder, nach Regen kommt Sonnenschein.
Einer echten Depressionen, vielleicht noch assoziiert mit Suizidalität oder Psychosen ist natürlich zunächst einmal viel schwerer beizukommen, und bedarf unbedingt professioneller Hilfe. Das tröstliche ist das Licht am Ende des Tunnel, wenn die Psychotherapie und Medikamente endlich greifen.
Depressionen und Kunst scheinen nicht nur bei Malern oft Hand in Hand zu gehen. Wohl dem Bohemian, der in der Avantgarde den Ausdruck geistiger Freiheit erleben kann und sein Schicksal zu genießen weiß. Ob es die besondere Sensibilität ist, die erst zum Schreiben befähigt und den Schreiberling schutzlos werden lässt, wenn er sich darauf einlässt, oder ob das innere Schwarze Loch durch das Schreiben erst aufgerissen wird, mit der Beschäftigung seiner selbst, vermag ich nicht einzuschätzen.
Zuviel Zeit mit sich selbst? Dispositionen? Zu wenig Anerkennung durch Mum und Dad? Zuviel Zeit zum Nachdenken? Stress durch Misserfolg? Existenzängste? Gesteigerte Selbstzweifel und Kritikunfähigkeit? Zu hohe Erwartungen an sich selbst? Was sind die Ursachen, welche solche Metabolismen im Kopf entstehen lassen?
Ist die Chance bei einer beschissenen Kindheit für das Heranwachsen eines erfolgreichen Autors erhöht.
Es ist schon auffällig, dass H.Heine, Tucholsky, Kästner, Kafka, Hemingway, Büchner, Wilde & Co Depressionen nachgesagt werden, und das sind ja noch lange nicht alle.
Vielleicht hast du neben der Zustandsbeschreibung auch eine Ursachentheorie auf Lager. Die düsteren Gedichte finden ja immer großen Anklang hier, und ich möchte nicht wissen, wieviele User selbst unter Depressionen leiden.
Dass die Beschäftigung mit Gedichten auch immer gleichzeitig eine Nabelschau Beschäftigung ist, die mit den eigenen Befindlichkeiten verbunden ist, lässt sich nicht vermeiden. Somit stellt die Depression eines der großen Themenkomplexe in diesem Forum dar.
Gedichte spiegeln die Welt, spiegeln die Einstellung zur Welt, spiegeln den Geist wieder. Wir haben depressive Zeiten, zweifelsohne. Doch Dichter und Denker haben auch immer wieder Auswege gefunden, und den Zeitgeist nicht unerheblich mit beeinflussen können.
Entweder geht es mit dem Sog hinab, oder von sicherer Entfernung draufgeguckt und erhaben drübergeschwebt.
Das Gehirn wird mit seinem Glückshormon- Belohnungssystem die Realität von der Phantasie nicht zu unterscheiden wissen. Warum sich so mies fühlen, wenn es nach objektiven Kriterien nur Chemie im Kopfe ist. Warum also sich nicht mal ab und zu selbst zum König schreiben, sich auch genauso fühlen und die Chemie wieder zurechtrücken. Das Handwerkszeug haben die depressionsgeplagten Schreiberlinge doch selbst an der Hand. Es muss ja nicht immer in die andere Richtung gehen.
Das sind jetzt natürlich alles sehr unprofessionelle Gedanken zum Thema, aber was willst du erwarten, wenn du deine Fragen zur Depression an die Leser eines Forums richtest.
L.G. AZ
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Alt 20.10.2014, 09:41   #4
Erich Kykal
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Hi, AZ (ich spar mir mal ein paar "A"s - betrachte sie als hingenommen)!

Danke für deine aufbauenden Worte! Sie lassen mich erahnen, dass dir derlei Zustande selbst geläufig sind.

Du hast recht, das vorgestern war keine "echte" Depression, aber hätte ich mittels lyrischer Psychohgygiene - nämlich dem obigen Gedicht - nicht gegengesteuert, ich hätte sehr wohl in diesen Zustand weiter abgleiten können. Das kenne ich aber schon an mir, und ich wehre den Anfängen, so gut es geht.
Steckt man erst mal tief im "Loch", ist fast unmöglich selber wieder rauskommen!

Nach diesem Gedicht ging es mir tatsächlich besser, und nunmehr rottet unter der Decke alltäglicher Ablenkungen nur noch die übliche latente Traurigkeit leise vor sich hin...

Die Ursachen für meine Depros kenne ich sehr wohl, will allerdings nicht öffentlich darüber sprechen - das ist allzu privat. Es sind einige Gründe, die da zusammenwirken - zum Glück nur selten alle auf einmal!

LG, eKy
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Alt 20.10.2014, 22:41   #5
juli
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Standard Hallo eKy :)

Hallo eKy
Dein Titel ist fast nüchtern, ich vermutete nicht so ein tiefgründiges Gedicht. Doch ich kenne ja "Erich Kykal Gedichte", und würde nicht enttäuscht.

Deine Lyrik findet Worte für die Menschen, die in dieser Situation keine finden können.

Die Bilder gehen tief in die Seele und lassen den Leser dadurch, das Du Worte gefunden hast, nicht alleine. Es ist heilsam traurige Gedichte zu lesen. Die Welt läßt sich manchmal nicht schönreden. Und das ist gut so.

Die langen Zeilen und der Wechsel von männlichen und weiblichen Endungen gefallen mir. Es passt zu den Fragen.

Sehr gerne gelesen von sy
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Alt 23.10.2014, 18:41   #6
Dana
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Lieber eKy,

du weißt, dass ich mich gern in "Traurigkeiten suhle" - ich liebe sie in Gedichten.
Darum lese ich dieses mehrmals und bestaune Sprachgefühl und Inhalt.
Die Kommentare tragen nicht minder Vertrautes, Kunst, Verarbeitung und Umgang.
Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass eine verdichtete "Depression" durchaus an Gewicht verlieren kann. Eine gute Aussprache, bzw. ein Benennen und dabei ein Gefühl für Verstehen zu bekommen, können ebenfalls zur Erleichterung beitragen.
Eine Depression ist viel zu ernst, um sie in ein paar Sätzen zu besprechen.
Ich weiß wohl, dass jene Erleichterung nur für den Moment gilt und ungewollt leichtfertig mit vertrauten Stimmungsschwankungen verwechselt wird.

Narbenrundung stelle ich mir schwerer vor als einen direkten Eingriff.

Liebe Grüße
Dana
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Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen,
ich schulde ihnen noch mein Leben.
(Frederike Frei)
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Alt 23.10.2014, 18:55   #7
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Hi, Sy, Dana!

Vielen Dank für eure Rückmeldungen!

Die Narbenphrase steht hier versinnbildlichend für das Ende, den Tod. Sozusagen die letzte Abrundung des Narbenbildes durch den finalen Schnitt, den das Schicksal zufügt...

LG, eKy
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Alt 23.10.2014, 19:22   #8
Dana
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Hier wird mein "Suhlen" verdeutlicht, ich lebe unendlich weiter, wegen der geliebten Traurigkeiten.

Den Tod habe ich nicht erkannt. Er ist zwar heilsam aber auch endgültig. Das Sein ist einmalig und sollte (könnte) eine "Heilung" innerhalb seiner Zeit erfahren.

Liebe Grüße
Dana
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(Frederike Frei)
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Alt 25.10.2014, 10:06   #9
Erich Kykal
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Hi, Dana!

Das LyrIch fragt zugleich voller Angst und doch mit einem gewissen Ersehnen nach diesem Ende: Der verzweifelte Zwiespalt der Depression, dieses Schwanken zwischen Lebenswille und Todeswunsch, dieses gefühlt ewige Auf-der-Kippe-Stehen, die übelkeiterregende Schwerelosigkeit der Unfähigkeit, sich endgültig zu entscheiden...

LG, eKy
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Alt 28.10.2014, 21:21   #10
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Ich kann es nicht lassen, weil....

Mein LyrIch kann sich nicht entscheiden, weil der Zwiespalt in Depression zuweilen ein Doppelleben führt. Der Depressive hat Vorrechte, der Beobachter in Anteilnahme aber Pflichten. Die Entscheidung über die Endgültigkeit belastet den "Unendgültigen" mit lebendigen Lasten.
Wie kann ich behaupten, Traurigkeiten zu lieben ohne mit ihnen zu leben?

Es geht nicht mehr um "Klärung" - es macht Sinn und "Spaß" zu reden.

Liebe Grüße
Dana
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(Frederike Frei)
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