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Denkerklause Philosophisches und Nachdenkliches

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Alt 14.10.2011, 20:23   #1
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Standard Zu gleich und zu verschieden

Was hieße denn, zu sein wie alle andern?
Sich nicht verschließen und zuhaus allein
zu bleiben, und davor allein zu wandern?
Die Tage plaudern über kleine Sorgen,
doch dabei niemals wirklich ehrlich sein,
und sich von nebenan den Zucker borgen?

Was hieße denn, nicht anders sein als diese
so leicht Verachteten in ihrem Trott
im selbst gewählten steinernen Verliese?
Bin ich ein Freier denn, weil ich noch frage,
und macht mich Zweifel schon zu einem Gott,
nur weil ich mich so lang schon damit trage?

Was hieße denn, zu sein wie andre Leute?
Es hieße nur, dass ich nach draußen träte
und mich des Schweigens, das mich lange reute,
nun endlich ganz begeben mag in Frieden.
Ich könnte es, wenn mich nur einer bäte,
doch sind wir wohl zu gleich - und zu verschieden.
__________________
Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen!
Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind.
Dummheit und Demut befreunden sich selten.

Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.

Geändert von Erich Kykal (11.08.2015 um 08:54 Uhr)
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Alt 15.10.2011, 09:43   #2
Stimme der Zeit
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Standard

Guten Morgen, Erich,

wie ich gestern im Chat schon sagte, inhaltlich gefällt es mir sehr gut. Du beschreibst sehr anschaulich eine Ambivalenz der Gefühle. Das LI hatte sich, wohl auf eigenen Wunsch hin, in der Vergangenheit zurückgezogen. Als ich jünger war, wollte ich auch gerne "anders sein als die Anderen". Ich schätze, das hat etwas mit der "Identitätsfindung" zu tun. Seit ich älter bin, weiß ich, dass ich anders bin (Zumindest in einigen für mich wichtigen "Bereichen".) Gedichte zu schreiben ist ja heutzutage schon fast "exotisch". Jedenfalls führt es zu Reaktionen der "Umwelt", die von Amüsement über Spott bis hin zu kopfschüttelndem Unverständnis reichen. Ein Hoch auf die Lyrikforen, in denen wir "Spinner" uns "versammeln" können ...

Leider gibt es da auch noch die andere Seite. Alleine sein ist auf der einen Seite schön, man hat seine Ruhe, kann leben, wie man will. Auf der anderen Seite gibt es Tage, wo ich mich "selbst anöde" und trotz gemachter Erfahrungen gerne "Gesellschaft" hätte. Andererseits kann das auch langweilig sein, je nachdem. Und da hat man dann den "Salat". Wie soll das auch gehen? So sein wie andere Leute und nicht zu sein wie sie - und das "gleichzeitig"? (Ich hänge da immer "fest".)

Ich bin froh, nicht so zu sein, wie der "Norm-Mensch", andererseits hat dieser es sehr viel leichter, da er einfach gedankenlos durchs Leben gehen kann. "Beides" zu sein bzw. zu haben, das geht nun mal nicht. Aber an manchen Tagen wünschte ich mir das trotzdem, selbst wenn es natürlich unmöglich ist.

Das LI könnte "nach draußen treten", die Frage ist eher, ob es "da draußen" wirklich zu/frieden/er wäre ... "Ich könnte es, wenn mich nur einer bäte - ". Ich denke nicht, dass diese Entscheidung davon abhängig gemacht werden sollte. Ich führe auch schon seit ein paar Jahren eine Art "Eremitendasein", daher weiß ich: Die Initiative müsste vom LI selbst ausgehen. Warum? Nun, wer wäre denn da, um das LI "heraus zu bitten"? Solche (und meiner Meinung nach alle) Entscheidungen muss jeder selbst treffen.

Menschen sind bis zu einem gewissen Grad "alle gleich" und, wie im Gedicht erwähnt, dennoch "zu verschieden". Je größer der Unterschied, desto schwieriger wird es, "Gleichgesinnte" zu finden. Aber aufgeben? Nein. Schließlich kann man, folgt man seinen "Interessen", gerade in diesem Bereich Freunde entdecken; gemeinsame Interessen "verbinden" und liefern auch die "Gesprächsthemen".

Falsch wäre nur die Suche nach Gesellschaft um der Gesellschaft willen, so etwas funktioniert nicht, außer, einer von beiden "schauspielert". Das wäre falsch. Tja ...


Zum "Formalen" hätte ich noch ein paar Anmerkungen. Du kombinierst hier hauptsächlich 5 und 6 Hebungen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass das durchaus möglich ist, wenn der Leser die "Pausen" ganz bewusst "überliest". Letzten Endes "Geschmackssache", ein kundiger Leser findet den Rhythmus. In Strophe 3, Vers 3 sind es 4 Hebungen. Ich weiß nicht, ob es deinem "musikalischen Gefühl" auffällt, dass sich 4 und 5 Hebungen "besser" kombinieren lassen. Dieser Vers stört also den "Fluss" überhaupt nicht.


Leider gilt das nicht für folgende Stellen:


Zitat:
Die Tage plaudern über alltägliche Sorgen, xXxXxXxxXxxXx
Dass es mehr Silben sind, ist nicht das Problem, aber das Wort "alltägliche" wird xXxx betont, was dafür sorgt, dass dieser Vers "aus dem Rhythmus fällt". Wenn du statt dessen

Die Tage plaudern über Alltagssorgen, xXxXxXxXxXx

schreiben würdest, wären die beiden "falschen Töne" weg, ohne die Aussage zu verändern. Nur ein Vorschlag, denn hier ist die "Lesemelodie" wirklich nicht stimmig. "alltägliche" XxXx klingt ebenfalls "schief", da ich es so "falsch" betonen muss.

Das hier ist kein "Fehler", ich merke es nur an:

Zitat:
mit andern darob aber nicht besorgter sein, xXxxXXxXxXxX
"darob" wird, normalerweise, xX betont. Mit "besonderem Nachdruck" kann auch Xx gelesen werden, aber der Leser muss das "wissen", deshalb erwähne ich es, nur zur Info.

Zuletzt noch ein kleiner "Gedankenfehler":

Zitat:
doch dafür sich wir wohl zu gleich...
doch dafür sind wir wohl zu gleich ...

Das kenne ich, man denkt das eine und schreibt (sagt) prompt das andere ...

Wie gesagt, mir gefällt dein Gedicht sehr gut, wenn du also nur zwei Stellen "glättest" ("alltägliche Sorgen" z. B zu "Alltagssorgen" und "sich" zu "sind"), dann passt alles.

Gerne gelesen und kommentiert.

Liebe Grüße

Stimme
__________________
.

Im Forum findet sich in unserer "Eiland-Bibliothek" jetzt ein "Virtueller Schiller-Salon" mit einer Einladung zur "Offenen Tafel".

Dieser Salon entstammt einer Idee von unserem Forenmitglied Thomas, der sich über jeden Beitrag sehr freuen würde.


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Alt 19.10.2011, 08:30   #3
Erich Kykal
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HI, Stimme!

Danke für deine Gedanken!

Habe "alltägliche" durch "wesenlose" ersetzt, ich denke, das passt besser in die Melodie.

Das DArob soll bleiben, spätestens bein 2. Lesen weiß man, wie man es betonen muss, um im Rhythmus zu bleiben.

Das "sich" war ein freudscher Tippfehler, wie du sagtest: Das eine gedacht, das andere unbewußt getippt. Danke, ist korrigiert.

Zu den Hebungen: Beim Dichten zähle ich nicht (und auch nicht hinterher, zu meiner Schande), ich folge einfach meinem Gedankenstrang und überlasse den Rest meiner inneren Melodie und meiner intuitiven Sprachkompetenz. Wenn es "lesbar" ist, passt's auch für mich und fertig.
Puristen mag das die Zornesröte in die Stirn treiben, aber das ist mir schlicht "wurscht"! Der Vorteil des Unbeleckten: Er kann nonchalant Wege beschreiten, auf die sich ein versierter Kenner der Materie nie verirren würde, und schwupps - so entsteht manchmal etwas Neues!
Sicher nicht hier, aber ich bin sicher, du verstehst, was ich im Prinzip meine.
Den "Makel" der Fehlerhaftigkeit nach strengen Maßstäben nehme ich - schon aus Faulheit - gerne in Kauf.

Vielen Dank für deine ausführliche Behandlung meiner Zeilen!

LG, eKy
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Dummheit und Demut befreunden sich selten.

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Alt 20.10.2011, 22:11   #4
Dana
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Lieber eKy,

wir scheitern an der Gleichheit, weil wir zu verschieden sind suchen in der Verschiedenheit nach Gleichgesinnten. (z.B. Gedichteforen )

Ich wollte ab 15 Jahre gaanz anders sein als all die anderen. Dort, wo ich es mir gelang, schmerzte mich die "Nichtdazugehörigkeit".
Heute ist es anders, aber nicht deshalb, weil ich es nicht mehr so empfinde, sondern, weil ich es mir gönne anders zu sein und schon ein paar passende "Leidensgenossen" um mich habe.

Dein Gedicht stellt dieses sehr schön dar und hinterfragt. Oft, allzu oft wollen wir etwas, ohne uns bewusst zu sein, was es denn hieße, wenn es so wäre.
Zugleich sind wir oft unzufrieden mit dem, was ist.

Darum:

Zitat:
Zitat von Erich Kykal
Ich könnte es, wenn mich nur einer bäte -
doch dafür sind wir wohl zu gleich...

...und zu verschieden.
Dieses "bäte" widerspricht dem Gleich- und Verschiedensein. Weil wir sind, wie wir sind, sind wir es, die die Entscheidung treffen müssen, um uns dem zu stellen, was wir wollen.

Sehr philosophisch und nachdenklich dein Werk.

Liebe Grüße
Dana
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Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen,
ich schulde ihnen noch mein Leben.
(Frederike Frei)
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Alt 05.11.2011, 20:41   #5
Erich Kykal
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Hi, Dana!

Danke für's Reinschauen!
Im Grunde beschreibst du den ewigen Widerstreit, der mich begleitet, seit ich selbstständig denke:
Einerseits dazugehören wollen, andererseits dies nur zu den eigenen Bedingungen, und das funktioniert so gut wie nie - andererseits das Abgrenzen, weil man etwas Besonderes sein will, was darstellen, aus Hybris oder aus Schüchternheit, Scham oder Angst...all dies waren einst Gründe für mich, das Eremitentum zu suchen und mich letztlich darin erträglich einzurichten.
Mittlerweile ist es so sehr Gewohnheit, dass es kaum mehr wehtut, wenn ich harmonisches Miteinander anderer Leute sehe - dann denke ich immer dran, dass nichts für immer ist, und dass mein Weg mir all die Streitereien, die Kompromisse und die endlosen Diskussionen, den Ärger mit Verwandten, die Scheidungskonflikte und das nächtliche Kindergeschrei sowie die namenlose Angst beim nächtelangen Ausbleiben der fast Herangewachsenen erspart hat...und schon geht's mir wieder gut.
Ob ich nun ein paar weiterhin fortpflanzungsfähige Gene oder eine Handvoll Bücher hinterlasse - was spielt es letztlich für eine Rolle?
Wer wird in 10.000 Jahren noch wissen, wer Goethe war? Oder wie Deutsch geklungen hat? Genauso viele, wie nach 10.000 Jahren noch wissen, wer ihre Vorfahren waren! Also, was soll's...

LG, eKy

PS: Habe den Text nunmehr metrisch überarbeitet.
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Geändert von Erich Kykal (11.08.2015 um 08:55 Uhr)
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