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Alt 17.02.2009, 11:57   #1
Klatschmohn
MohnArt
 
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Standard Ich hätte.....

Ich hätte.....

Es ist sehr ungemütlich, wenn man mit einer Geschichte zu tun hat, die einem ein so schlechtes Gefühl bereitet, wie diese hier.

So ging es mir seit dem einen Tag und so geht es mir immer noch. Vielleicht sollte ich meinen Job hinschmeißen, ich tauge nicht mehr dafür. Aber was soll ich dann machen?
Eigentlich begann dieser Tag wie jeder andere. Doch danach war alles anders.
Meine Selbstachtung ist dahin und ich weiß, dass ich mich niemals wieder so unbefangen fühlen werde, wie vor der Geschichte.
Ich stand an dem Morgen wie üblich, um sechsuhrdreißig auf, befüllte den Kaffeeautomaten mit Wasser und Kaffeepulver (genau 4Tassen), duschte - erst heiß, dann kalt-, goss den Kaffee in die Warmhaltekanne, holte mir die hübsche neue Keramikschale aus dem Schrank, sowie Biomüsli und die Biomilch, (noch dachte ich nämlich, ich sei ein verantwortungsbewusster Mensch) setzte mich im Morgenmantel zum Frühstück hin, löffelte genüsslich mein Müsli, trank zwei Tassen Kaffee und griff dabei nach der Zeitung.
Punkt sieben klingelte das Telefon. Meine Kollegin und Freundin Karin war am Apparat.
Noch bevor ich wirklich begriff was sie sagte, legte sich ihre Nachricht wie eine eiserne Hand auf meinen Magen und drückte mir fast die Kehle zu.
Frank habe einen Selbstmordversuch gemacht, hatte sie gesagt und man wüßte nicht, ob er durchkommt.
Die Kälte die mich nun umfing, begann im Bauch und breitete sich von dort in Wellen in meinem ganzen Körper aus. Der Telefonhörer glitt mir aus der Hand, knallte auf die Kaffeetasse, die nun umkippte und einen hässlichen Kaffeefleck auf der neuen himmelblauen Tischdecke hinterließ. Ich starrte den Flecken an, als könne ich ihn durch das Starren ausradieren, weglöschen.
Ich beobachtete mich, als wäre ich außerhalb meines Körpers, völlig gefühllos.
Ich sah mich in meiner gepflegten, kleinen, mit sehr viel Liebe ausgestalteten Wohnung sitzen und auf den Fleck starren. Wasser, ja viel kaltes, fließendes Wasser, so würde ich die teure Decke retten können. Ich wollte aufstehen um alles abzuräumen und die Decke unter Wasser zu halten. Am anderen Ende der Telefonleitung redete Karin unentwegt weiter, aber es interessierte mich nicht.
Die Beine gehorchten dem Gedanken nicht. "Weich wie Pudding", beobachtete ich noch, als ich umknickte und den Designerstuhl auf dem ich gesessen hatte, mit zu Boden riss.
Endlich spürte ich wieder etwas. Das Steißbein schmerzte dumpf und vom Kreuzbein aus, strahlte ein langer stechende Schmerz in das rechte Bein hinein. Meine Gefühle kamen zurück. Heftig mit einer ungeahnten Intensität prallten sie auf mich ein, alte Schmerzen und Wunden rissen auf.

Nein, es war nichts zu radieren, nicht auszumerzen, nichts auszuwaschen, es war geschehen und ich hätte es verhindern können. Ich hätte es ihm sagen sollen. Sagen, dass sie ihn wegmobben, ihn grinsend in die Falle tappen lassen wollten.
Natürlich hatte ich meine Andeutungen gemacht, aber die hatte er offensichtlich nicht verstanden, oder nicht verstehen wollen.
Mit einer Lüge hatten sie ihn angestiftet, mit einer schamlosen, gemeinen, absichtsvollen Lüge: "Leni hat Drogen bei sich", hatten sie ihm gesagt und er war darauf hereingefallen.
Doch - ich hatte ihm ein Zeichen gegeben. Er musste doch mein warnendes Kopfschütteln gesehen haben.
Wieso hatte er sich so ins Bockshorn jagen lassen? Aber nein, er wollte wohl genau das hören, was sie ihm gesagt hatten.
Natürlich verhielt er sich vollkommen falsch, als er Leni vor der Toilette beim Lehrerzimmer abfing, ihr die Schultasche abnahm und diese umstülpte, ihr schließlich regelrecht an die Wäsche ging, um das Zeug zu finden.
Plötzlich waren sie alle da gewesen und haben die Beiden gesehen: Leni heulend ,rotgesichtig, mit wirrem Haar und der zerrissenen Bluse unter der Jeansjacke, die nur noch halb über ihren Schultern hing. Frank, vollkommen aufgelöst, die Hände an Lenis Jackentaschen.
Alle waren sie da gewesen, die Lehrerkollegen mit starren Mienen, ein Häuflein Schüler aus der neunten Klasse. Maria, Lenis Mutter, Kunstlehrerin an unserer Schule und Franks Lebensgefährtin ging auf ihn zu. Bleich und zitternd versetzte sie ihm eine schallende Ohrfeige. "Kinderschänder" hatte sie ihn angebrüllt.
Schweigen.
Nach einer Weile, die mir wie eine Ewigkeit erschien, wandte sich Frank ab und ging.
Warum war ich nicht hinterher gegangen? Warum habe ich ihm nicht erzählt, dass sie ihn los werden wollten? Warum hatte er nicht gemerkt, dass Leni, die in allen Schulaufführungen glänzte, sich urplötzlich beruhigt hatte.
Alle wussten doch, wie er reagieren würde, nachdem vor einem Jahr Marga nach einer Überdosis starb. Marga, seine Tochter.
Warum hatte er sich denn nur so provozieren lassen? Hatte er denn gar nichts bemerkt? Hatte er keines meiner Signale verstanden? Hätte ich deutlicher werden müssen?
Ich hätte. Das weiß ich jetzt, jetzt wo Frank beinahe gestorben wäre.
Ich weiß auch, warum ich nichts gesagt hatte. Ich war wieder feige gewesen, denn ich hatte Angst vor ihnen gehabt. Angst vor der neunten Klasse.
Werden sie mich überhaupt noch akzeptieren, werden sie mich irgendwann einmal ernst nehmen? Werde ich in ihrer Klasse überhaupt mein Fach noch unterrichten können? Religion und Ethik?
Sie ahnten, nein, sie wußten, dass ich es mitbekommen hatte und - sie hatten mich richtig eingeschätzt.
Wenigstens jetzt müsste ich Frank Bescheid geben. Ich müsste - wenn er durchkommt.
__________________

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