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Denkerklause Philosophisches und Nachdenkliches

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Alt 03.11.2009, 18:52   #1
Blaugold
Erfahrener Eiland-Dichter
 
Registriert seit: 23.02.2009
Ort: BadenWürttemberg
Beiträge: 526
Standard Wie Viren im Kollektiv

Wo kommen wir denn hin mit alten Lehren,
wenn sie Beweise, allgültig, uns liefern,
gekreidet, fast verblasst, auf grauen Schiefern
und eingeschlagen, steinern, in den Mären?

Ist Gegenwart gepolt zum Wiederkehren,
sind alte Geister, welche nach mir riefen,
dieselben, die in meinem Gestern schliefen
um ewig sich als Memen zu vermehren?

Erinnerungen sind die alten Lieder.
Auch heute sind sie nie innovativ.
Sie kommen immer gleichgesinnt und bieder,

verbreiten sich zwar dumm, doch kreativ.
Sie drücken alle EigenSinne nieder.
Wie Viren auf dem Marsch ins Kollektiv.
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Alt 03.11.2009, 19:19   #2
Medusa
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Registriert seit: 07.02.2009
Ort: Berlin
Beiträge: 2.213
Standard

Hallo Blaugold,

wunderbar, die altväterlichen Formulierungen! Ebenso schön Deine flüssige und eindringliche Sprache - ein kleines Erlebnis, das zu lesen!

Ein wenig ins Schleudern gerate ich zum Thema Sonett. Mir scheint an manchen Stellen der Jambus nicht eingehalten:

Wo kommen wir denn hin mit alten Lehren,
wenn sie Beweise, allgültig, uns liefern, Hier stimmt was nicht, und egal, wie Du "allgültig" betonst, es passt nicht.
gekreidet, fast verblasst, auf grauen Schiefern
und eingeschlagen, steinern, in den ren? "in" betont?

Ist Gegenwart gepolt zum Wiederkehren,
sind alte Geister, welche nach mir riefen,
dieselben, die in meinem Gestern schliefen
um ewig sich als Memen zu vermehren?

Erinnerungen sind die alten Lieder.
Auch heute sind sie nie innovativ.
Sie kommen immer gleichgesinnt und bieder,

verbreiten sich zwar dumm, doch kreativ.
Sie drücken alle EigenSinne nieder. das "EigenSinne" ist gewollt, oder?
Wie Viren auf dem Marsch ins Kollektiv.

In den Terzetten wechselst Du zwischen weiblichen und männlichen Kadenzen bzw. zwischen 11 und 10 Silben. Mir gefällt das recht gut, passt aber nicht so ganz zu den Kadenzen der voran gehenden Quartette.

Ein sehr schönes Sonett, dessen Inhalt zum Nachdenken anregt.
Ich habe mich sehr gerne damit beschäftigt.

Herzliche Grüße,
Medusa.
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Alt 04.11.2009, 19:48   #3
Quicksilver
lebendig
 
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Beiträge: 350
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Hallo Blaugold,

da Medusa bereits auf die Form einging, möchte ich mich zum Inhalt äussern. Für mich war er beim ersten Lesen nicht direkt offensichtlich, was an der altertümlichen Sprache liegen mag. Nach dem zweiten und dritten Lesen vermute ich, dass deine Kernaussage dahin deutet, dass man sich nicht auf die Allgültigkeit der alten Lehrsätze festlegen sollte, selbst wenn wahre Innovation immer unwahrscheinlicher wird und scheinbar nur noch neue Kombinationen alten Wissens vorgenommen werden können.

Zitat:
Wo kommen wir denn hin mit alten Lehren
Nirgendwo hin - wir blieben statisch, im Kollektiv.

Gern sinniert.

Grüße
von
Quicksilver
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Alt 07.11.2009, 12:55   #4
Blaugold
Erfahrener Eiland-Dichter
 
Registriert seit: 23.02.2009
Ort: BadenWürttemberg
Beiträge: 526
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Hallo Medusa

du hast recht, bei "allgültig" kann man ins Stolpern kommen; ich wollte dieses Wort verwenden, im Sinne von "für alles gültig", was ja vor allem Fundamentalisten verschiedener Religionen oder Weltanschauungen ihren Schriften und Überlieferungen zuschreiben (was ja auch stimmen mag, aber nur in einem zugewiesenen Verständnis, meine ich). Mir fällt augenblicklich keine adäquate Alternative ein, mache mir aber Gedanken dazu.

bei
und eingeschlagen, steinern, in den Mären?
hab ich keine Bedenken zur Betonung, stünde es als Satzanfang, bzw. Zeilenanfang, wäre es wohl klar, finde ich: In den Mären... oder?

ja, der Wechsel der Kadenzen ist noch ein Schönheitsfehler, den ich aber akzeptiere.

EigenSinne hab ich so geschrieben, um damit mehr auszudrücken, als Eigensinn(e), mehr in der Bedeutung aller eigenen Sinne.


Hallo Quicksilver
Deine Interpretation und Verständnis des Textes kommt schon nahe an meine Intention, auszudrücken, dass das menschliche Gedächtnis, die Erinnerung, immer Vergangenheit ist und deshalb mit der Gegenwart nicht unbedingt korreliert. Traditionen, Konservationen, also "alte Lehren" sind, sofern sie nicht technisches-mathematisches Wissen darstellen, für eine sich "in Bewegung" befindliche Tatsache (Leben) eigentlich kaum von kultureller Ewigkeit.
Ein Mem ist ein Fakt im Kulturellen Zeitgeist im menschlichen Denken, also eine Memorie, eine Erinnerung (siehe Wikipedia). Sie sind das, was wir z.B. als Allgemeinwissen bezeichnen, es sind auch Vorurteile, nationaler oder irrationer Art. Sie verbreiten und vermehren sich tatsächlich dadurch, dass eine Person im täglichen Umgang mit Informationen damit "infiziert" wird. Die "beendete" Gegenwart, der Augenblick kommt nie wieder, dafür unaufhaltsam ewig Neues. Meine Aussage des Textes zielt deshalb darauf, alle "geistige" Infiltration genau unter die Lupe zu nehmen, denn da sind auch viele krude Memen darunter.

Ich danke euch für hilfreiche Kritik und Kommentare.

Blaugold
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Alt 08.11.2009, 13:24   #5
Quicksilver
lebendig
 
Registriert seit: 28.10.2009
Beiträge: 350
Standard

Hallo Blaugold,

die Infizierung empfinde ich als gutes Bild. Hierüber ließe sich herrlich weiter philosophieren. Du eröffnest mir dadurch noch weitere Perspektiven in deinem Gedicht und rennst offene Türen ein. Sind wir nicht alle ein bisschen dem viralen Marketing ausgesetzt?!

Grüße
von
Quicksilver
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