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Alt 28.01.2015, 01:51   #1
Cebrail
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Standard Westwind

Westwind

Mit übertriebener Sorgfalt setzte er den letzten Punkt. Dann blies er Asche– und Tabakkrümel von dem Blatt und hielt sich das kleine Schreibbuch auf Armlänge vor die Nase. In Gedanken zog er noch einmal die Schlaufen und Bögen seiner Worte nach und ein Lächeln huschte ihm über das Gesicht als er sich eingestand, dass die Jahre eine leichte Sehschwäche in seine Augen eingebrannt haben.
Eine Brille würde er niemals tragen, dafür war er zu Eitel. Wer will schon das Kleingeschriebene auf den Tablettenpackungen wirklich lesen.

„Das sieht aus als hättest du vom Abschiednehmen geschrieben“, flüsterte sie auf einmal wie aus dem Nichts direkt in sein Ohr. Er hatte sie, wie so oft, nicht kommen hören, wusste auch nicht wie lange sie schon hinter ihm gestanden hatte und bevor er sich versah drängte sie sich mit einer flinken Bewegung zwischen ihn und das Buch.
Heute klang ihre Stimme dünner als sonst und mit der Schwere des Wortes Abschiednehmen schien diese zu zerbrechen wie feines Eis.

„Nicht nur vom Abschied, auch vom Wandel, vom Loslassen, von Kreidekreisen und ... von der Liebe oder zumindest dem was ich darunter verstehe“, entgegnete er, noch immer ein wenig überrascht von ihrem plötzlichen Auftauchen, schloss die Augen und genoss den süßen Duft ihres Haares.
Vanille.
Sie war immer von einem Hauch Vanille umgeben.

„Vom Wandel? Wer oder was wandelt? Loslassen?“, fragte sie und hängte dann leiser, “Kreide, Liebe“, an.
Mit dem Buch in den Händen ließ sie sich bäuchlings in den Sand fallen und folgte mit dem Zeigefinger den Schlaufen und Bögen.

„Die Welt ist im Wandel, alles ist im Umbruch, Dinge und Leute verändern sich und eine Veränderung zieht die nächste nach sich. Ver-än–der-ung … hmm, gar nicht so einfach zu erklären, es ist ...“ stammelte er, brach den Satz aber ab als er merkte wie sich ihre Farben ins Blasse verschoben.

„Deine Worte wirken so tief ins Papier getrieben,“ kam es aus ihrem Mund, während sie langsam die vollgeschriebenen Seiten durchblätterte „sie klingen nach der Endgültigkeit im Traum, als hättest du diesmal wirklich von der Sonne geschrieben und nicht unter einer Glühbirne sitzend von ihr geträumt.“

„Kann schon sein“, antwortete er, atmete den Rauch seiner Zigarette tief ein und fuhr dann fort, „ich habe das Gefühl, dass die Zeit des Träumens vorbei ist und dass es nun eine Zeit des Spürens braucht.“

Den Kopf zu ihm gewandt fragte sie: „Dann hast du vom Abschied und vom Spüren geschrieben?“.

Da er ihrem Blick nicht standhalten konnte, schaute er auf den Sand zwischen seinen Füßen und flüsterte: „ Es ist der Abschied von so vielem, den Worten und ….“, nun noch leiser, “ von dir, weil auch du im Wandel bist.“

„Von den Worten, von mir“, flüsterte sie, richtete sich auf, nahm seinen Kopf zwischen ihre feingliedrigen Hände und schaute im direkt in die Augen. Einen Flügelschlag lang war es so als würde er sie durch Mondglas betrachten und er musste an Monets Frau mit Sonnenschirm denken.

„Die Worte, ich brauche sie nicht mehr, weil sie stets an dich gerichtet waren, aber ohne Empfänger verlieren sie sich im eigenem Widerhall. Sie reiben sich am Echo der Leere wund und es zerbricht das was sie eigentlich ausmacht. Ihre Hülle. Meine Worte waren immer nur die Transporthüllen von dem was ich empfinde. Momentan ähneln sie aber eher einem Raumschiff das sich aufgemacht hat eine Botschaft an eine ferne Zivilisation zu überbringen, nur reicht meine Technologie nicht aus dieses Raumschiff so zu konstruieren, dass es deine Welt erreichen könnte. Darum gehe ich nun ein Stück weit zurück und werde sie als Flaschenpost versenden. Wer weiß, wenn du dann eines Tages nicht mehr rückwärts läufst und einen Schritt zur Seite machst, wirst du dich vielleicht an das Meer erinnern und sie finden.“

„Du spürst es also auch. Ich dachte es würde dir nicht auffallen, wenn ich mich nur rar mache … so dass, die Freude über das Wiedersehen den Fadenschein übertüncht. So dass, der Moment die Farben wieder aufleben lassen kann. Aber mein Herzschlag wird mehr und mehr zum Glasklirren und mit jeder Reise zu dir werde ich blasser“, kam es schluchzend aus ihrem Mund.
„Warum ist das so?“, setzte sie nach.

„Vielleicht, weil du mich einfach nicht mehr brauchst um den Träumen einen Raum zu geben, weil deine eigenen Träume nun an Stärke gewonnen haben, weil du an einem anderem Ort den dir eigenen Traum leben musst oder weil dich einfach jemand anderes viel mehr braucht als du und ich es wahrhaben wollen“, erwiderte er fast tonlos.

„Du meinst, dass wir Abschied nehmen sollten solange wir uns noch spüren können?“, schluchzte sie.

„Bevor nur noch Nebelflüstern übrig ist. Heute sind wir mehr als wir jemals waren. Wir wissen um uns“, sagte er dem Rauch seiner Zigarette nachschauend.

Schweigen.

„Es ist Westwind, ein guter Tag für eine Flaschenpost“, unterbrach er die Stille, nahm das Buch vom Boden auf, befreite es von den Sandkörnern und begann damit vorsichtig Seite für Seite aus dem Einband zu trennen.

Langsam, beinahe in Zeitlupe, rollten sie gemeinsam die Seiten auf und steckten sie in eine Flasche.

„Ja“, sagte sie, während sie die Flasche mit dem Korken verschloss, „Westwindtage sind gute Flaschenposttage und …. gut zum Atmen.“
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© auf alle meine Texte

„Mir gefiel der Geschmack von Bier, sein lebendiger, weißer Schaum, seine kupferhellen Tiefen, die plötzlichen Welten, die sich durch die nassen braunen Glaswände hindurch auftaten, das schräge Anfluten an die Lippen und das langsame Schlucken hinunter zum verlangenden Bauch, das Salz auf der Zunge, der Schaum im Mundwinkel.“
Dylan Thomas

Geändert von Cebrail (28.01.2015 um 01:56 Uhr)
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Alt 23.03.2015, 14:11   #2
Chavali
ADäquat
 
Benutzerbild von Chavali
 
Registriert seit: 07.02.2009
Ort: Mitteldeutschland
Beiträge: 13.004
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Hi cebi,

was für eine schöne, eine traurige Geschichte, die aber auch in gewissen Maßen für Optimismus sorgt,
weil sie die Zukunft offen lässt.
Eine Geschichte von Liebe, Finden und Verlieren.

Schade, dass hier noch kein Kommentar kam bei so vielen Klicks!

Ich jedenfalls sage danke, dass ich deine sehr gut gelungene Geschichte lesen durfte.
Sie enthält viele Gedanken, über die es sich lohnt, zu sinnieren.


Lieben Gruß,
katzi

__________________
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© auf alle meine Texte
Die Zeit heilt keine Wunden, man gewöhnt sich nur an den Schmerz

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