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Alt 06.05.2017, 21:50   #1
Thomas
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Beiträge: 3.375
Standard Die Angst des Hellhörigen

Die Angst des Hellhörigen

Es ist ein feines Klingen nur,
wie eine schneeverwehte Spur,
die dennoch in die Tiefe weist,
auf etwas Wildes, das vereist
noch schlummert, aber dennoch bald
hervorbricht und uns mit Gewalt
so mächtig dröhnend überfällt,
dass unsre kleine, heile Welt
zerbricht und in dem Strudel kreist,
der alles Leben mit sich reißt.
Dann wird, auf's Rad der Weltgeschichte
geflochten, unser Sein zunichte.



Oder vielleicht besser in moderner Schreibung

Die angst
des hell-hörigen


Es ist ein feines
klingen nur wie eine
schneeverwehte spur die
dennoch in die
tiefe weist auf etwas
wildes, das vereist noch
schlummert aber dennoch
bald hervorbricht und uns
mit gewalt so mächtig
dröhnend überfällt dass
unsre kleine
heile welt zerbricht und
in dem strudel kreist der
alles leben
mit sich reißt dann wird auf's
rad der weltge-
schichte geflochten
unser sein zu
nichte.
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© Ralf Schauerhammer

Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität. Diese seine Individualität so sehr als möglich zu veredeln, ist sein erstes und wichtigstes Geschäft. Friedrich Schiller

Geändert von Thomas (07.05.2017 um 08:05 Uhr)
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Alt 07.05.2017, 09:25   #2
Kokochanel
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poetische und kluge Zeilen, lieber Thomas, die mir in der 1. Variante ausnehmend gut gefallen.
Die zweite ist nichts für meinen Geschmack, wirkt zerstückelt und grob.

Ob es die beiden Schlusszeilen braucht?
"Dann wird, auf's Rad der Weltgeschichte
geflochten, unser Sein zunichte.".

Es geh ja hier um metaphorischen, persönlichen Weltuntergang. Dieser zerstört die heile Welt, aber nicht das SEIN. Ein Mensch lebt dennoch weiter, existiert.
Aufs Rad der Weltgeschichte geflochten...hm, nee.
Ich würde die beiden Zeilen weglassen.
Sie wirken wie ein erzwungenes Pathos, das es nicht braucht.

Ohne sie fände ich es perfekt.

LG von Koko
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Alt 07.05.2017, 09:29   #3
Thomas
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Liebe Koko,

vielen Dank für den Denkanstoß. Ich muss nachdenken, denn das Bild finde ich eigentlich stark.

Liebe Grüße
Thomas
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Alt 07.05.2017, 10:58   #4
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Mir gefällt die erste Version auch bedeutend besser, lieber Thomas!

Und die abschließenden Zeilen

Zitat:
Dann wird, auf's Rad der Weltgeschichte
geflochten, unser Sein zunichte.
finde ich toll und ich würde auch nicht darauf verzichten wollen. Die Aussage davor betrifft ja ganz allgemein alles Leben, das im Strudel eines Weltuntergangs vernichtet wird. Bis dorthin liest sich dein Gedicht wie eine Schilderung einer bevorstehenden Naturkatastrophe. Doch die beiden letzten Zeilen verweisen auf die eigentliche "Naturgewalt" - nämlich die Menschheit in ihrem zerstörerischen Sein und Streben. So zumindest interpretiere ich es.

Aufs Rad geflochten - das deutet ein gewaltsames Ende an und zugleich auch Bestrafung für unser Tun und unseren Hochmut. Das menschliche "Sein", auf das wir voller Stolz (vielleicht auch Hochmut) mittels der Weltgeschichte blicken, ist, worum es hier geht. Und um dessen Vergänglichkeit und Nichtigkeit.

Weltgeschichte ist bei genauerer Betrachtung auch unser Mittel zur Auflistung der Errungenschaften unserer "überlegenen" Gattung (die unschönen Kapitel blenden wir - kollektiv betrachtet - nur allzu leicht und gerne aus oder verbrämen sie als Eroberertum und Pioniergeist). Das letzte Kapitel der Weltgeschichte wird jedoch leider jenes sein, das davon handelt, wie wir selbst unseren schönen Planeten (die "kleine, heile Welt") ausgebeutet haben bis zur völligen Zerstörung.

Und es wird auch niemanden mehr geben, es zu schreiben, geschweige denn zu lesen.

Dein Gedicht habe ich aber gelesen und das noch dazu sehr gerne!

Lieber Gruß,
fee
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"Du musst, wenn du unser Glück beschreiben willst,
ganz viele kleine Punkte machen wie Seurat.
Und dass es Glück war, wird man erst aus der Distanz sehen.”

― Peter Stamm, Agnes
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Alt 07.05.2017, 11:12   #5
Erich Kykal
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Hi Thomas!

Zur 2. Version: Das Gedicht so zu schreiben, kann nur zum Ziel haben, den dekonstruktivistischen Hang moderner Lyrik zu persiflieren.
Wiewohl ich derlei gut finde - führt es doch jedem Leser vor Augen, welch aufgesetzte und bemühte Narretei sich da austobt - gefällt es mir gerade bei diesem Thema doch nicht, weil es vom eigentlichen Inhalt nur ablenkt, was dieser - gerade in diesen Zeiten - nicht verdient hat.

Versteh mich: Ein Gedicht über moderne Lyrik selbst so zu zerhäckseln, macht Sinn und zeigt den Unsinn manchen Bemühens in dieser Richtung, und da passt es auch, weil es im Werk ja genau darum geht.
Hier allerdings verliert die wichtige Botschaft deines Textes durch die Spielerei mit der Form unverdient an Wirkung - so als ginge es dir gar nicht darum, und alle Dichtkunst wäre ohnehin nur ein Spiel.

Also: 1. Version sehr gern gelesen!

LG, eKy
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen!
Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind.
Dummheit und Demut befreunden sich selten.

Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.
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Alt 07.05.2017, 12:35   #6
Thomas
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Liebe Fee,

herzlichen Dank für deinen ausführlichen Kommentar und die Erklärung zu den beiden Schlusszeilen. Das ist sehr hilfreich.

Lieber Erich,

auch dir vielen Dank. Mit der zweiten Version wollte ich eigentlich nicht persiflieren, mir ist sie eingefallen, weil ich gerade mal wieder über freien Vers nachdenke und mich fragte, ob man für diesen Inhalt eine derart gebrochene Darstellung wählen könnte. Wahrscheinlich doch nicht, obwohl für mich Ohrenmensch, der ich bin, beide gleich sind, nur unterschiedlich schwer zu lesen.

Liebe Grüße euch beiden
Thomas
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Alt 07.05.2017, 16:15   #7
Erich Kykal
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Hi Thomas!

Der Text ist ja identisch, nur die Zeilenstruktur wird aufgeöst, eher beliebig abgeteilt, die Satzzeichen gestrichen sowie die Großschreibung - also eigentlich alles unternommen, um den Text schwer lesbar und unrhythmisch zu machen, damit nur ja nicht lyrisch wirkt!
Typisches Merkmal jener geistesgestörten Attitüde des "krampfhaft-nach-Neuem-Suchen" in der sog. modernen Lyrik.
Diese geistlose Verbeliebigisierung ist meines Erachtens vielmehr ein Attentat als eine Weiterentwicklung, eine bewusste Sabotage schöner Sprache und harmonischen Gleichklangs, nur für die elitär abgehobene Effekthascherei pseudointellektueller Möchtegernliteraten zelebriert, denen partout nichts Besseres einfiel, um sich noch irgendwie zu profilieren!
So opferten sie das Schöne, Klare und Anerkannte auf dem Altar ihrer eierköpfigen Karrieresucht, einzig für ein paar ebenso eierköpfige Literaturkritiker, die daraus so vollmundig wie realitätsfern einen "neuen Aufbruch" zwangskonstruierten! Was für eine armselige Kopfgeburt!
Kein Wunder, dass heute noch kaum jemand ernsthaft Lyrik lesen möchte!

Oh, ich könnte stundenlang toben und wüten!!!
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Alt 08.05.2017, 06:03   #8
Thomas
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Lieber Erich,

ich weiß, wie sehr dich das stört und es tut mir leid, dass ich dich in Rage gebracht habe. Sieh es einfach als Experiment, denn mehr ist es auch nicht. Sinnvoll ist so etwas für mich, weil ich denke, dass sich die Poesie nicht allein in den bestehenden Formen erschöpft. Rilke hat ja auch wilde Dinge geschrieben - ja, er konnte es eben. Aber ich versuchte halt trotzdem meinen Spaß zu haben.

Liebe Grüße
Thomas
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Alt 08.05.2017, 15:56   #9
Erich Kykal
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Hi Thomas!

Dir mache ich keinesfalls einen Vorwurf - DU hast mich nicht wütend gemacht: Das war ich schon längst und bin es immer noch (und werde es immer sein!), und zwar auf jene, die diese indifferente Beliebigkeitschose überhaupt erst erfunden haben - wie ich ja ausführlich darlegte.

LG, eKy
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Alt 08.05.2017, 18:25   #10
Dana
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Lieber Thomas,
auch ich bin für die 1. Version.

Das Szenario wirkt "fantastisch" bedrohlich und man kann nur hoffen, dass es so nicht stattfindet. (Ach, was schreibe ich da, es findet ja schon statt.)
Die zwei Schlusszeilen gefallen mir auch, weil ich mir diesen "Untergang" als endgültig vorstelle. Nichts und niemand kann es mehr beweinen und nichts und niemand wird sich schuldig fühlen - nur das (All)Rad wird sich ohne uns weiter drehen.
Sehr gern gelesen.

Liebe Grüße
Dana
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Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen,
ich schulde ihnen noch mein Leben.
(Frederike Frei)
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