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Finstere Nacht Trauer und Düsteres

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Alt 31.12.2011, 22:36   #1
Chavali
ADäquat
 
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Standard Silvester im Regen



R
egen fällt am letzten Tag des Jahres,
mich treibts hinaus auf dunkle Straßen,
weg von dem Licht, bei dem zusammen saßen
zwei Menschen und ihr unfassbares
Unglück und die tiefe Traurigkeit.

Herz, dein Rhythmus macht mir ernsthaft Sorgen,
es schlägt und schlägt auch wieder nicht,
es hält für sieben Jahre Leben lang Gericht
und will sich keine Liebe borgen,
ist zu keinem Kompromiss bereit.

Regen fällt noch immer, doch ich spür ihn nicht,
denn nass von Tränen ist nun mein Gesicht.
Das Herz klopft schwach und will jetzt ruhn,
leis verhallt der Tritt von meinen Schuhn.
Vergebung und Versöhnung sind zu weit.


__________________
.
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Die Zeit heilt keine Wunden, man gewöhnt sich nur an den Schmerz

*

Geändert von Chavali (01.01.2012 um 21:46 Uhr) Grund: danke, Dana
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Alt 01.01.2012, 11:51   #2
Stimme der Zeit
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Liebe Chavi,

mein erster Gedanke beim Lesen war: Wie traurig, wenn zwei Menschen an Silvester unglücklich sind. Regen ist eine gute Metapher, um das darzustellen, ich habe sie auch selbst schon verwendet. Besonders gut gefällt mir in diesem Zusammenhang die Formulierung in Strophe 3:

Zitat:
Regen fällt noch immer, doch ich spür ihn nicht,
denn nass von Tränen ist nun mein Gesicht.
Sehr schön, die Verbindung der Strophen miteinander, sie zeigt sich hier gekonnt sowohl in Endreimen als auch inhaltlich durch die gewollten Wiederholungen:

Zitat:
Regen fällt am letzten Tag des Jahres,
[...]
Regen fällt noch immer, doch ich spür ihn nicht,
Zitat:
weg von dem Licht, bei dem zusammen saßen
[...]
es schlägt und schlägt auch wieder nicht,
es hält für sieben Jahre Leben lang Gericht
[...]
Regen fällt noch immer, doch ich spür ihn nicht,
denn nass von Tränen ist nun mein Gesicht.
(Der identische Reim "nicht" passt inhaltlich.)
Zitat:
Unglück und die tiefe Traurigkeit.
[...]
ist zu keinem Kompromiss bereit.
[...]
Vergebung und Versöhnung sind zu weit.
"Unglück, Traurigkeit" - "keine Kompromissbereitschaft" - "Vergebung und Versöhnung (sind zu weit)"; "Das Herz schlägt" - "Das Herz klopft". Nur, um die "Feinarbeit" hier einmal auszugsweise darzustellen.

Formal sage ich zum Metrum: Ich musste mich beim ersten Lesen etwas "einlesen", aber beim zweiten Mal kam ich dann gut mit dem Rhythmus zurecht. (Das betrifft nur die beiden Verse mit 6 Hebungen.)

Ich möchte nur eine Anmerkung machen, die aber keine Kritik ist, nur meine Gedanken dazu:

In Strophe 1 und 2 sind sowohl der erste als auch der letzte Vers trochäisch (die inneren drei sind jambisch). In Strophe 3 wird dieses Muster durchbrochen. Wie gesagt, ich meine das nicht als Kritik, es ist nur so, dass ich zwei "Muster" sehe - das des Endkehrreims und das des Metrums - und jetzt bin ich selbst ein bisschen "gespalten", denn inhaltlich und metrisch würde das Gedichtende mir so "herum" besser gefallen:

Zitat:
Vergebung und Versöhnung sind zu weit.
leis verhallt der Tritt von meinen Schuhn.
Was den Endkehrreim "zerstört". Daher bin ich so "zwiespältig", denn gerade das "leise Verhallen" gefiele mir als "Abschluss" besonders gut, und es würde im Sinne von "erster und letzter Vers je Strophe sind trochäisch" ebenfalls passen - *ratlos guck*

Deshalb sage ich ja, dass es keine Kritik ist, denn es ist ja "richtig", wie es ist ...

Interessant ist das Reimschema generell. Tripelreim, Waise, umarmender Reim, Paarreim, Endkehrreim - flexibel dem Inhalt zugemessen.

Ich lasse also gerne ein Lob "hier".

Sehr gerne gelesen und kommentiert!

Liebe Grüße

Stimme
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Im Forum findet sich in unserer "Eiland-Bibliothek" jetzt ein "Virtueller Schiller-Salon" mit einer Einladung zur "Offenen Tafel".

Dieser Salon entstammt einer Idee von unserem Forenmitglied Thomas, der sich über jeden Beitrag sehr freuen würde.


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Alt 01.01.2012, 18:33   #3
Chavali
ADäquat
 
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Hallo liebe Stimme,

natürlich hast du mit (fast) allem recht und gut erkannt, was deine Anmerkungen zum Formalen
(Metrum, Reime, Endungen usw.) betrifft.
Wenn man sich einlesen kann, finde ich, so passt das
Ich mag beim Lautlesen eine dramatische Leseweise und dann kann man die Konstruktion gut anpassen
Zitat:
Interessant ist das Reimschema generell. Tripelreim, Waise, umarmender Reim, Paarreim, Endkehrreim - flexibel dem Inhalt zugemessen.
Das Reimschema ist in S1 ababc, in S2 abbac, in S3 aabbc, das heißt, die jeweils letzte Zeile 5 reimt sich miteinander
und eine Waise kann ich nicht erkennen, jedenfalls nicht als Endreim.

Die Umstellung der beiden letzten Zeilen von S3 wäre eine Überlegung wert, zumindest,
was den Inhalt angeht, wenn aber auch die Feststellung der unmöglichen Vergebung und Versöhnung
der absolute Abschluss sein soll.
Von daher werd ich es wohl so lassen.

Zum Inhalt:
Zitat:
mein erster Gedanke beim Lesen war:
Wie traurig, wenn zwei Menschen an Silvester unglücklich sind.
Ich glaube, das gibt es gar nicht so selten, wenn uns auch immer in den Medien was anderes, positiveres, klischeehaftes vorgegaukelt wird.
Sicher, die allermeisten Menschen feiern ausgelassen - und das ist auch gut so -
aber es gibt eben auch die andere Seite, die ich hier dargestellt habe.
Zitat:
Regen ist eine gute Metapher, um das darzustellen
Ja, verwende ich auch immer mal wieder sehr gern


Für deinen wie immer interessanten, ausführlichen und lehrreichen Kommentar
danke ich dir sehr herzlich *freu*


Lieben Neujahrsgruß!
Chavi





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Alt 01.01.2012, 18:59   #4
fee
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liebe chavali,


ich glaube auch, dass es gar nicht so selten ist, dass zur jahreswende derartiges passiert. nicht wenige sehen den übertritt ins neue jahr als "markstein", an dem man manches zurücklassen oder geklärt haben will.

und nicht immer entwickelt sich eine solche "auflösung" im positiven sinne. denn wenn ein gegenüber sich ebenfalls für die jahreswende vorgenommen hat, ab jetzt z.bsp. mehr zu sich zu stehen, konfliktfreudiger, nicht länger leidenswillig zu sein - dann löst sich etwas ganz anders auf. und schon gar nicht in wohlgefallen.

nicht, dass das unbedingt schlecht sein muss. jede trennung, jedes loslassen schmerzt. vor allem dann, wenn man etwas loslässt oder verabschiedet, an dem irgendwo mal das eigene herz hing. oder etwas, das als illusion erkannt wurde - dann schmerzt einen die zeit, die man dieser illusion geschenkt hat und das wissen, sie war in etwas nicht-existentes oder unerfüllbares investiert.

silvester ist eben nicht nur mal eben anlass ausgelassen zu feiern, dass ein jahr vorüber ist. sondern es geht immer hand in hand damit, etwas hinter sich lassen zu können.

schon komisch, dass so viele (ich nehme mich da gar nicht aus - ich biete heuer das klassische "ab 1. jänner mehr disziplin beim essen und beim sport" ) ein besonders "datum" dazu brauchen, das sich von anderen beliebigen tagen eigentlich nur durch die besonderheit eines datums unterscheidet, das nichtmal für alle menschen auf der erde gleichermaßen gilt... ich finde solche mechanismen, denen wir unterliegen immer spannend. sie sagen etwas über uns aus, das sich gar nicht leicht in worte fassen lässt als phänomen.


ein sehr bitteres gedicht also.
doch wer weiß - vielleicht sind die tränen und der regen im gesicht und das aufgeregte holpern des herzens ja das wert, was da noch kommt. auf jeden fall beschreibst du hier sehr klassisch einen prozess einer wahren erkenntnis in lyrICH, die sich in diesem ausbreitet und zu einer wahrheit wird, die von nun an das handeln - erkennbar verändert - bestimmen wird.

die heftigsten und schmerzvollsten verabschiedungen sind nämlich -im gegensatz zu denen, die so leicht oder vernünftig scheinen - so gut wie immer auch die endgültigsten.


sehr gerne gelesen.


liebe grüße,

fee
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Alt 01.01.2012, 20:14   #5
Dana
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Liebe Chavali,

Weihnachten und Silvester sind zu sehr mit "Friede, Freude, Eierkuchen" belegt. Die meisten wissen vom Gegenteil, weil es allzu menschlich ist, wenn man unter Stress Glückseligkeit verbreiten muss.
Ich schließe damit wirklich schöne Familienweihnachtsfeiern und Jahresausklänge nicht aus, wehre mich aber gegen die Zwänge, ihre Schönheit um jeden Preis zu "bejauchzen". Auch berufe ich mich nicht auf des "Dichters Beobachtungen", sondern erinnere eigene Erfahrungen.
Ganz bestimmt ist man selbst erfüllt und erwartet Frieden. Zugleich ist man gerade in dieser Stimmung hoch sensibilisiert. Ein unbedachtes Wort kann tief verletzen. Wird es bemerkt und angesprochen, sprudeln Dinge heraus, die sich lange vor der Zeit angesammelt haben.
Selbst danach, beteurt man in der "Nachbarschaft" und vielen Freunden, ein schönes Fest gehabt zu haben.

Dein Gedicht "platzt" (Ehrlichkeit) mit der anderen Seite der Medaille heraus und spricht den Leser, trotz tiefster Traurigkeit, positiv bzw. tröstend an.

Die gewählten Metaphern, Regen/Tränen, Herzklopfen (das ich auch mit Angst verbinde), geborgte Liebe, Gericht usw. - wirken auf mich wie ein Sog in Seelentiefen und geben Unausgesprochenes preis.

Der Schmerz selbst resümiert: Er spricht von Traurigkeit zweier Menschen geht aber allein auf regennassen Straßen umher. In der Verlorenheit "rechnet" er ab, indem es keine Kompromisse gelten lässt.
Wenn die Schritte verhallen, dann hat das Laufen aufgehört - nicht aber der Schmerz. Ruhe soll aushelfen - bis zur Vergebung und Versöhnung ist es noch weit.
Die Zahl "SIEBEN" hat mich besonders berührt. Nicht als magische Zahl, ich weiß um ihre andere Bedeutung.

Liebe Chavali, wie du erkennst, habe ich mich in den "Silvesterläufer" hineingefühlt - aus einem Bedürfnis heraus und durchaus aus einer persönlichen Neigung, mich im "Schmerz zu suhlen".
(Ich sah heute einen Bericht über Michelangelo und entdeckte darin eine Seelenverwandtschaft. Er beneidete und verachtete andere um ihre Freuden und empfand selbst nur Freude im und am Leid.)

Ein anderes Gedicht mit einem anderen Gewicht. Ich wollte dabei sein, weil ...

(Mach nur noch den Tippelfehler bei "Micht" weg.)

Bin ein Stück mitgelaufen,

liebe Grüße
Dana
__________________
Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen,
ich schulde ihnen noch mein Leben.
(Frederike Frei)
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Alt 02.01.2012, 09:40   #6
Chavali
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Liebe fee,

liebe Dana,


fast weiß ich gar nichts auf eure schönen, treffenden und berührenden Kommentare zu antworten.
Ihr habt alles schon gesagt.

Mit meinen Zeilen bin ich ausgebrochen aus der offiziell propagierten Stimmungsmache.
Nun ist es ja so - wie wir alle wissen - dass das LyrIch, von dem man schreibt, nicht gleichbedeutend
mit dem/r Verfasser/in ist.
Sagen wir. Und wenn doch?
Ich bin dagegen, alles schön zu reden und Zweckoptimismus zu verbreiten.
Wir alle haben unsere Päckchen (blöder Begriff, aber doch irgendwie passend)
zu tragen, für manche sind sie zu schwer, für die anderen leichter.
Manch einer kann sie abwerfen oder einen anderen tragen lassen, der andere bürdet sie auch noch
seinem Nebenmann, Mitgänger oder sonstwem auf.
Oder man trägt auch noch das des anderen mit!
Das kann man vertragen oder auch nicht.
Und je größer das Päckchen wird - wenn es zu einem Paket geworden ist -
desto unhandlicher wird es.
Sei es vom Gewicht her oder von der Greifbarkeit.

Natürlich stirbt die Hoffnung, dass alles gut wird, zuletzt.
Sonst wär das Leben oder Teile davon auch kaum zu ertragen.
Dass alles gut IST, wäre schön und superoptimistisch.
Manchmal, wenn sich Erwartungen, die sich nicht erfüllt haben, häufen, kann auch
schon mal der Optimismus angekratzt sein.


Nun, ich will nicht zu sehr polemisieren.
Ich freue mich sehr über eure Reaktionen und über eure Meinungen und Antworten,
die mir zeigen, dass auch ihr euch mit dieser Problematik beschäftigt
und insbesondere mit meinem Gedicht.

Dafür sage ich allerherzlichst *danke*


Seid lieb gegrüßt!
Chavali




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Geändert von Chavali (02.01.2012 um 10:17 Uhr) Grund: Satz eingefügt
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