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Alt 08.12.2011, 20:00   #1
Thomas
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Beiträge: 3.375
Standard Maria mit dem Kinde

Maria mit dem Kinde

Maria sitzt und lächelt mild,
Maria mit dem Kinde.
Es ist ein allerliebstes Bild --
Maria mit dem Kinde.

Die Könige aus weiter Fern,
Sie huldigen dem Kleinen,
Und auch das Himmelszelt lässt gern
Ein neues Sternlein scheinen.

Und Ochs und Esel im Verein,
Die freu'n sich über's Kindlein.
Der Wind bläst frisch zur Tür herein,
Auch's Kind bläst in die Windlein.

So hold ist alles und so froh.
Es singt der Englein Chor.
Allein, ein klitzekleiner Floh,
Der springt dem Kind ins Ohr.

Es regt der klitzekleine Floh
Die kitzlig-dünnen Beine.
Maria blickt und denkt sich froh:
"Wie lächelt süß der Kleine!"

Und immer singt der Englein Chor,
Die Könige, sie beten;
Jedoch voll Hinterlist im Ohr
Beginnt der Floh zu reden:

"Der Esel ist ein dummes Tier
Und nicht einmal ein Pferd,
Auch dieser Ochse ist kein Stier
Und nichts Besondres wert.

Die Könige sind auch nur drei
Und nicht besonders mächtig.
Der Zufall führte sie herbei.
Der Mohr ist ziemlich schmächtig.

Der Stall ist voller Stroh und Mist,
Das Dach nicht repariert.
Dafür, dass du Erlöser bist,
Ist wenig arrangiert.

Ich sage dir ganz ungeniert,
Auch wenn die Engel singen,
Dein Heiland-Job wird garantiert
Am Ende wenig bringen.

Nicht jeder hat wie du das Glück,
Dass ihn ein Floh berät.
Tritt schleunigst von dem Job zurück,
Es ist noch nicht zu spät!

Mach' es wie ich und sei gescheit,
Lern Dinge, die dir taugen,
Vor allem lerne jederzeit,
Die andern auszusaugen!"

Das Kindlein liegt und ihm im Ohr
Da sticht und spricht der Floh.
Maria lauscht der Englein Chor:
In dulci jubilo!

Ach, wie sie lächelt hold und mild,
Maria mit dem Kinde.
Es ist ein allerliebstes Bild --
Maria mit dem Kinde.

Geändert von Thomas (09.12.2011 um 15:01 Uhr)
Thomas ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 09.12.2011, 09:02   #2
Stimme der Zeit
Erfahrener Eiland-Dichter
 
Benutzerbild von Stimme der Zeit
 
Registriert seit: 15.03.2011
Ort: Stuttgart
Beiträge: 1.836
Standard

Hallo, Thomas,

ich dachte, irgendwo hast du schon etwas über die spezielle Formulierung "Maria mit dem Kinde" gelesen, allerdings wusste ich nicht mehr, wo und in welcher Beziehung. Wer suchet, der findet: Der katholische Rosenkranz, genauer gesagt der "Freudenreiche Rosenkranz". Dieser kann mit einer Segensbitte abgeschlossen werden: "Maria mit dem Kinde lieb - uns allen deinen Segen gib. Amen."

Ja, Maria mit dem Kinde, das ist ein "allerliebstes Bild". Allerliebst - und vor allem ein Bild. Nur ist eine Abbildung nicht die Realität, was im Gedicht zum Teil direkter, zum Teil auch sehr subtil treffend dargestellt wird.

Es ist eine alte und dennoch immer aktuelle Geschichte: Ideal und Wirklichkeit. Wie im Forum mittlerweile bekannt, bin ich persönlich Religionen, zu denen auch die katholische gehört, nicht sonderlich "wohlgesonnen" - milde ausgedrückt.

Ich unterscheide dabei zwischen Glaube und Religion. Ein Glaube ist das, was das Wort an sich bereits aussagt: Es wird (an) etwas geglaubt. Ein Glaube lässt auch den Glauben an "Anderes" zu, ebenso wie den Zweifel. Daher darf, meines Erachtens nach, jeder glauben, woran er möchte, unabhängig davon, woran ich glaube - ersichtlich, worum es geht. Eine Religion dagegen macht aus einem Glauben eine "eherne Wahrheit", frei von tatsächlicher Wahrheit oder Vernunft. Daraus entstehen Dogmen, erstarrte, sinnfreie Rituale und Intoleranz. Denn unweigerlich beginnt dann das "Ich habe recht - du nicht" - Prinzip zu "wirken". Das wiederum führt zu einem "Überlegenheitsgefühl", das sich dann in Hierarchien struktuiert - was letztendlich zum "endgültigen Wandel" führt. Ein "altes Spiel" beginnt, und es geht nur noch um - Macht. Dabei geht der Glaube "verloren" und wird durch eines des schlimmsten Übel "ersetzt", das die Menschheit(sgeschichte) zu bieten hat. Sowohl in der Vergangenheit als auch "aktuell".

Ich finde den Floh eine recht gute Metapher dafür, denn Religionen setzen glaubenden Menschen "einen Floh ins Ohr". Aber dennoch, mir scheint das "Floh-Bild" (persönlich) noch viel zu "gelinde ausgedrückt".

Die katholische Kirche ist meines Erachtens nach deshalb ein besonders schlimmes Beispiel, da sie von ihren Anhängern fordert, in erster Linie der Kirche, d. h. der Institution zu dienen. Wobei, im wahrsten Sinne des Wortes, "Gott und Glaube" auf der Strecke bleiben.

Das Thema ist für mich schwierig abzuhandeln, denn es ist eines der Themen, die mich wirklich wütend machen können. Ich hoffe, es gelingt mir, hier sachlich zu bleiben, denn das ist nicht immer der Fall ...

Das Gedicht, so scheint es mir, arbeitet stark mit dem "metaphorischen" Sinn, denn das "Kind" (Jesus) ließ sich ja von keinem "Floh" beirren. Betrachte ich das Kind aber als "den Glauben an sich" (vielleicht sogar auf eine "kindliche Art"), dann ergibt die Aussage wirklich einen Sinn, und bestätigt mir meine Ansicht über "Glaube und Religion".

Ich kann es allerdings auch noch aus einer anderen Perspektive heraus betrachten, wenn ich den "Floh" als Metapher für "das Böse" annehme. Dann wird dem "Guten" vom "Bösen" der Zweifel ins "Ohr" geflüstert. Das bezieht sich dann auf den "Alltag" und dessen Geschehnisse, auf das Handeln und die Ansichten anderer Menschen, die jemanden vom Glauben (oder seiner Religion) abbringen wollen. Demnach müsste ich zu den "Bösen" zählen, denn ich glaube an Toleranz und Vernunft ... Aber damit kann ich leben. Auf diese Sichtweise bezogen, scheint mir der Floh einen "symbolischen Stellenwert" darzustellen. Kleiner Floh - große Wirkung? Nun ja, bezogen auf die direkte Bedeutung seiner Aussagen (denen ich nicht zustimme, nur um das anzumerken, es geht dabei ja um "Trivialitäten", denen eine "Scheinbedeutung" verliehen wird) würde ich sagen, gut, wenn es nicht so ist. Bezogen jedoch auf den "Floh an sich", wünschte ich, es wäre so ...

Wie du siehst, bemühe ich mich um Sachlichkeit, auch wenn es mir alles andere als leicht fällt. Mir ist noch wichtig, etwas anzumerken: Logik ist nicht alles, dem stimme ich zu. Aber wenn ich mir so ansehe, was Unvernunft, unbeherrschte Gefühle und Religionen für Unheil auf unserer Welt anrichteten und immer noch anrichten, dann wirkt auf mich der "Weg der Vernunft" doch sehr viel sinnvoller und "richtiger" - wobei ich darum bitte, hier eben nicht Logik mit Vernunft "gleichzusetzen", denn Vernunft ist logisch, aber Logik nicht immer vernünftig.

Ich respektiere und toleriere jede Form von Glauben - nur gibt es davon nicht viel. Religionen und religiöse Institutionen dagegen respektiere ich nicht im Geringsten. Ich hoffe, dass das unserem "Online-Kontakt" keinen Abbruch tut.

Wobei mir, jetzt, wo ich eigentlich zum "Schluss" kommen wollte, noch etwas einfällt. Der Inhalt des Gedichts könnte auch für das Weihnachtsfest stehen - und das, was anstelle dessen stattfindet ...

Formal gibt es einiges, das mir positiv auffällt. Zunächst einmal ist der vier-/dreihebige Jambus gut geeignet, hier "Leichtigkeit" zu vermitteln, was sehr gut zum durchaus auch "leicht ironisch" geprägten Inhalt passt. Das wiederum ergibt einen weiteren Aspekt: Nimmt sich das "Gute" selbst zu "leicht", zu "selbstverständlich"?

Die alternierenden Kadenzen erzeugen einen schönen Leserhythmus, es ist ein "Lied", das gesungen werden könnte. Die Zeilenlängen sorgen gut dafür, dass es sich flüssig und abwechslungsreich lesen lässt, auch, indem die jeweils zweiten und vierten Verse immer wieder um eine Silbe kürzer oder länger sind.

Ebenfalls gut gemacht ist die Wiederholung der ersten Strophe am Schluss, wo sich lediglich Vers 1 unterscheidet. Das gleiche Bild - aber nicht mehr dasselbe ...

Zitat:
Auch's Kind bläst in die Windlein.
Der "menschliche" Aspekt?

In Strophe 8, Vers 3, möchte ich eine "sinnbezogene" Alternative vorschlagen:

Zitat:
Der Zufall führte sie vorbei.
Die drei Könige wurden nicht vorbeigeführt, sie betraten ja den Stall - der Stern führte sie also eigentlich herbei.

Es ist ein gelungenes Gedicht und auch die Rubrikwahl ist gut getroffen. Daher ist es wahr, wenn ich sage, dass es mir gut gefällt.

Gerne gelesen und kommentiert.

Liebe Grüße

Stimme
__________________
.

Im Forum findet sich in unserer "Eiland-Bibliothek" jetzt ein "Virtueller Schiller-Salon" mit einer Einladung zur "Offenen Tafel".

Dieser Salon entstammt einer Idee von unserem Forenmitglied Thomas, der sich über jeden Beitrag sehr freuen würde.


Stimme der Zeit ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 09.12.2011, 15:00   #3
Thomas
Erfahrener Eiland-Dichter
 
Benutzerbild von Thomas
 
Registriert seit: 24.04.2011
Beiträge: 3.375
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Liebe Stimme der Zeit,

es freut mich, dass du dich mit dem Gedicht so gründlich auseinandergesetzt hast und deinen Vorschlag 'herbei' statt 'vorbei' nehme ich gerne auf.

Ich habe bei dem Gedicht aber gar nicht an die Institution der Kirche gedacht, weil mich diese Institutionen als solche nicht interessieren. Mich interessiert nur 'wirkliche Religion' (du nennst es Glaube), und Religion hat fast jeder denkende Mensch, denn es handelt sich dabei nur um den Versuch, auf die Frage nach Sinn und Bedeutung des eigenen Lebens im Gesamtzusammenhang des Universums, den wir als Menschen fast unweigerlich sehen, eine Antwort zu finden. Es ist der Versuch, also keine sichere Antwort, deshalb gehört der Zweifel zum Glauben, wie du mit Recht sagst. In der Geschichte haben sich die verschiedensten Institutionen entwickelt, die bei der Beantwortung dieser Frage mehr oder wenig hilfreich sind. Aber das soll jeder mit sich selbst abmachen.

Eigentlich habe ich mir nur überlegt, welchen Floh der Zeitgeist heute jedem ins Ohr setzt, der etwas für andere tun will, und dann habe ich weitergesponnen, was der heute wohl Jesus sagen würde. Der Floh ist so gut oder böse, wie der Zeitgeist halt immer ist. Soll man auf ihn hören?

Liebe Grüße
Thomas
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