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Alt 25.05.2016, 14:29   #1
Ophelia
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Standard Die Dörfler

Vor ihren grauen Häusern stehn sie brav
und sind so fromm und beten sonntags immer.
Ein magrer Greis verlässt nicht mehr sein Zimmer
und niemand stört den selbstgerechten Schlaf.

Und über allem ruft ein Glockenschlag
zur Andacht an die Kriege und die Toten,
der Pfaffe nuschelt lang von zehn Geboten,
die Felder sind noch immer braun und karg.

Das Pferd, es weint nicht, wenn der Bub es schlägt,
doch übers Wetter hört man manche Klagen.
Drei schlichte Weiber hört man Falsches sagen,
dazu erbricht ein Hund, der viel erträgt.

Ein feistes Weib sperrt schnell die Hasen ein
und schaut voll Argwohn in die engen Gassen,
als wollt sie heut noch irgendeiner fassen,
der Vater lallt mit rotem Kopf vom Wein.

Aus vielen Stuben klingt der Fremdenhass,
nur manchmal leise, aber dann viel schlimmer.
Man spricht den gleichen Heimatton und immer
verschweigt der Himmel alles, fern und blass.

Geändert von Ophelia (09.06.2016 um 09:50 Uhr)
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Alt 25.05.2016, 18:55   #2
Erich Kykal
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Hi Ophelia!

Bittere, fast zynische SozialKritik über das biedere Landvolk, das seinen Status quo heiligt und feiert - damit sich nur ja nichts ändert an den liebgewonnenen Ritualen und Gewohnheiten, über die sie sich definieren!

Früher als Teenager habe ich sie noch alle zur Messe pilgern oder mit gesenkten Häuptern den Kreuzweg entlangbeten sehen, in Trachten und Kopftüchern, den Rosenkranz in der Hand, emotionslos und monoton - eigentlich ohne jede Hirntätigkeit (aber dabei kommt es ja genau darauf an ...) - ihre Litanei herbetend.
Ich überlegte damals immer, wieviele davon wohl wirklich gläubig durchglüht waren, und wieviele nur mitgingen, um zu sehen und gesehen zu werden - um den Zusammenhalt der Gemeinschaft zu bekräftigen und gleichzeitig alles auszugrenzen, was nicht gehorsam und demütig mitlief!

Ein bitterböses Sittenbild ist dir da gelungen,wie ich es nicht besser - oder giftiger - hätte schreiben können!

Die Zeilen sind 5-hebig, mit unbetontem Auftakt, Kadenzenschema mwmw.

Ein paar Kleinigkeiten:


Vor ihren grauen Häusern stehn sie brav
und sie sind fromm und beten sonntags immer. Flüssiger: "und sind so fromm und ..."
Ein magrer Greis verlässt nicht mehr sein Zimmer
und niemand stört den selbstgerechten Schlaf.

Hoch über allem ruft ein schriller Glockenschlag "Hoch" will man instinktiv beim Anlesen betonen, daher stolpert man hier fast zwangsläufig. Altern.: "Und über allem ..." Wenn dich "Und" am Satzbeginn zu sehr stört, beende die Vorstrophe mit einem Strichpunkt. Die Zeile ist zudem 6-hebig! Streiche "schriller", dann passt es.
zur Andacht an die Kriege und alle Toten, Auch hier 6-hebig. Mach ein "die" aus dem "alle", dann passt es.
der Pfaffe nuschelt lang von zehn Geboten,
die Felder sind noch immer braun und karg.

Das Pferd, dass weint nicht wenn der Bub es schlägt, "dass" ist hier ganz falsch, und "das" wäre lyrisch unschön. "es" wäre passender. Komma nach "nicht".
doch übers Wetter hört man manche Klagen.
Drei schlichte Weiber hört man Falsches sagen,
dazu erbricht ein Hund, der viel erträgt.

Ein feistes Weib sperrt schnell die Hasen ein
und schaut voll Argwohn in die Gassen, Zeile ist nur 4-hebig. "in die engen Gassen" würde das korrigieren und gut mit der geistigen Enge dort korrelieren!
als wollt sie heut noch irgendeiner fassen,
der Vater lallt mit rotem Kopf vom Wein.

Aus vielen Stuben klingt ein übler Fremdenhass, Zeile ist 6-hebig. Streiche "vielen" oder "übler". Oder: "Aus vielen Stuben klingt der Fremdenhass,".
nur manchmal leise, oftmals noch viel schlimmer. Das "oftmals" scheint mir hier nicht korrekt zu sein. Klarer Bezug auf das "leise": "nur manchmal leise, aber dann viel schlimmer!".
Man spricht den gleichen Heimatton und immer
verschweigt der Himmel alles fern und blass. Möglich wäre ein Komma nach "alles", um eine betonende Pause anzudeuten.


Am meisten berührt hat mich die fast so nebenbei wirkende Erwähnung, dass der Hund viel erträgt: Ich bin neben einem Hof aufgewachsen und habe oft erleben müssen, wie gleichgültig die bäuerliche Natur mit dem Leben umspringt! Gibt es zu viele Kätzchen - lass die eigenen Kinder sie an die Wand werfen oder ihnen den Kragen umdehen wie bei Hühnern(selbst erlebt damals in den frühen Siebzigern, als der Bauer noch das madenverseuchte Plumpsklo auf dem Hof stehen hatte, gleich neben dem Misthaufen, auf dem dann die kleinen Kätzchenkadaver landeten - ich stand als kleiner Bub hilflos daneben und verbiss mir die Tränen!)! Gehorcht der Hund nicht oder beißt er jemanden, weil man nie Zeit hatte, ihn zu erziehen und abzurichten - einfach abknallen und es beim nächsten Hund wieder genauso falsch machen! Klappt schon irgendwann ...
Und Nutzvieh fällt bei denen eher gar nicht unter "fühlende Kreatur" ...

Sehr gern gelesen - vom Lyrischen her!

LG, eKy

PS: an alle "politisch Korrekten" und Übergutmenschen, die sich dran stoßen mögen - ich sehe solche Verse nicht als Problem, so lange man dabei nicht vergisst, dass sie nur eine Momentaufnahme eines kleinen Ausschnitts darstellen und nicht verallgemeinernd die ganze Kultur, der er angehörig ist, an sich schlecht machen wollen! Wer derlei dichtet (wie zB auch ich zuzeiten kritische Gedichte zum Stadtleben schreibe), weiß durchaus, dass das Landleben auch sehr schön und harmonisch sein kann, und dass es beieleibe nicht überall so zugeht wie im Gedicht beschrieben. Weder sollte man also so ein Werk verallgeneinern, noch ihm Verallgemeinerung unterstellen. Das nur sicherheitshalber ...
__________________
Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen!
Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind.
Dummheit und Demut befreunden sich selten.

Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.

Geändert von Erich Kykal (25.05.2016 um 19:18 Uhr)
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Alt 26.05.2016, 06:34   #3
Ophelia
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Hi Erich,

kürzlich habe ich Partei für zwei arme, kleine, nicht mal 1 Meter große Ponys ergriffen, die immer wieder übelst von 2 pubertierenden Mädchen geschlagen wurden und eine zeitlang auf unserer Weide standen. Die Mädels nannten es "Reithilfen" und sie sind dreimal so schwer, wie es für diese kleinen Pferdchen noch vertretbar wäre. Nun bin ich mit ihren Eltern ( meinen Nachbarn)schlimm zerstritten, weil "die Mädchen dürfen mit den Ponys machen, was sie wollen und das geht mich überhaupt nix an" usw. Oh, wie schlimm...Ja, ich bin ein "böser Tierschützer" und einige im Dorf sagen mir jetzt nicht mehr Guten Tag...Ja, so ist das hier Dorf: Immer schön Wegsehen und Mundhalten...Aber so ist es ja auch in der Stadt...Mittlerweile hat sich bei mir so einiges angesammelt und das wollte ich mal loswerden..
Danke für deine Hilfe. Da hab ich mir ja wieder ein paar schöne Schnitzer geleistet.

Liebe Grüße

Ophelia
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Alt 26.05.2016, 08:17   #4
juli
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Hallo Ophelia,

Auch diese Momentaufnahme gefällt mir. Sie ist lyrisch, klagt an und legt den Finger in die Wunden derer, die "bei dem Bleiben wie es immer schon war! "Bloß nicht den Kopf einschalten. Ich habe deinen Beitrag auch unten gelesen und hoffe als Tierfreundin, das du nicht den Mut verlierst. Ich weiß welche Granitköpfe in einem Dorf wohnen können, da hilft auch kein Einzelner.

Mutmachende Worte und liebe Grüße von sy,

...ich habe dein nachdenkliches Gedicht sehr geren gelesen, ist fast zu schade für den Stammtisch, aber es ist dein Baby.
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Alt 27.05.2016, 06:14   #5
Ophelia
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Hallo Syranie,

es freut mich, dass dir mein Gedicht gefällt. Ja, im Dorf, aber auch in der Stadt, kann man an vielem verzweifeln. Ich musste jetzt auch wieder die Erfahrung machen, dass : In Deutschland gilt derjenige, der auf den Schmutz hinweist, als viel gefährlicher, als derjenige, der den Schmutz macht. ( Kurt Tucholsky)
Übrigens, du teiltest mir mit, dass du mein Gedicht „fast zu Schade für den Stammtisch“ findest. Wo sollte ich es deiner Meinung nach einstellen? Ich war mir hier selbst nicht sicher.


Liebe Grüße

Ophelia
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Alt 27.05.2016, 08:45   #6
juli
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Hallo Ophelia,

Ich hatte an "Nachdenklich" gedacht, in die "Denkerklause".

Liebe Grüße sy


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Alt 31.05.2016, 15:41   #7
Ophelia
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Liebe Syranie,

vielen Dank für den Tipp. Ich habe mein nächstes Gedicht dort eingestellt.

Liebe Grüße

Ophelia
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Alt 31.05.2016, 18:27   #8
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Liebe Ophelia,

vorweg möchte ich sagen, dass ich die gewählte Rubrik passend finde. Es handelt sich um eine Momentaufnahme und die Betroffenheit darüber.
Ich kann sehr gut nachfühlen, was Du meinst und finde es gut verdichtet.
Es sind übrigens nicht nur die Dörfler, Kleinstädter können das auch sehr gut.

Den "Fremdenhass" in der letzten Strophe beziehe ich auf jeden neuen Bürger. Jener braucht nur aus der nahen Großstadt zu kommen und schon passt er nicht, wenn er es wagt an den Gegebenheiten zu rütteln.

Die Sprache ist fließend, kritisch und gnadenlos zynisch. Gefällt mir.
Du solltest es aber bitte nicht dem Gemeinderat vorlegen. Nicht weil es nicht treffsicher ist. Es wird ausschließlich gegen Dich als Person verstanden, die da nicht hingehört.

Liebe Grüße
Dana
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Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen,
ich schulde ihnen noch mein Leben.
(Frederike Frei)
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Alt 31.05.2016, 20:54   #9
Erich Kykal
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Hi nochmal!

Was noch aufgefallen ist:

Am Ende der ersten Str. muss der Strichpunkt durch einen Punkt ersetzt werden.

Das Komma nach "Himmel" in der letzten Zeile muss weg. Wenn schon eins sein soll, dann nach "alles".

Sehr gern erneut gelesen!

LG, eKy
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Dummheit und Demut befreunden sich selten.

Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.
Erich Kykal ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 01.06.2016, 08:11   #10
Ophelia
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Liebe Dana,

vielen Dank für deinen Kommentar. Es freut mich, dass dir mein Gedicht gefällt. Der Fremdenhass bezieht sich hier nicht auf mich als Städter, sondern auf den allseits lauter werdenden Fremdenhass, auf Flüchtlinge, Muslime usw. Also alles was in den Augen der "Ureinwohner" nicht hier hergehört. Deswegen hatte ich auch in der 2. Strophe schon mal darauf hingewiesen, dass die Felder immer noch "braun" und karg sind. Auch die Verlogenheit vieler Menschen. Man geht sonntags in die Kirche oder zumindest nennt man sich Christ, lässt seine Kinder taufen und konfirmieren und gleichzeitig ist es vielen egal, ob die Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken. Hauptsache sie kommen nicht hierher. Ich bin in letzter Zeit oft zutiefst schockiert über den offen ausgesprochenen Hass gegenüber Muslimen und Asylanten. Das gab es doch alles schon einmal und man weiß ja wohin es geführt hat. Meine Gedanken diesbezüglich hätten natürlich auch in einem Gedicht über Städter stehen können.

Liebe Grüße

Ophelia


Lieber Erich,

in der ersten Strophe hattest du mir selbst zu einem Strichpunkt geraten. Zuerst hatte ich hier auch einen Punkt. Bitte lies dir doch den ersten Kommentar von dir noch mal durch. Habe ich das nicht kapiert. In der letzten habe ich das Komma falsch gesetzt und geändert.

Liebe Grüße

Ophelia
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