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Ausflug in die Natur Natur- und Tiergedichte

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Alt 08.03.2017, 22:53   #1
Felix
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Standard Schon wieder Frühling

Jedes Jahr, man sollt es doch nun langsam wissen,
schmilzt das Eis, der Schnee, und laue Lüfte wehen;
Winterlinge blühen, leise läuten zarte Glöckchen,
kurz danach lässt sich der blaue Krokus sehen,
Tulpen sprießen und entfalten wie Narzissen
ihre Kelche, kürzer werden endlich Mädchenröckchen.

Frühling wird es, Bären kriechen aus den Höhlen,
früh am Morgen tönt der Vögel froher Sang;
nur die Miesepeter fangen an zu nölen:
Alles wie gehabt - der altbekannte Gang.
Sieh, es gibt nichts Neues unter unsrer Sonne,
bald ist wieder Herbst und Schluss mit Lust und Wonne.

Du kannst mir mit deinem Gejammer den Lenz nicht verdrießen,
ich liebe das Licht und die Wärme, ich liebe die süßen,
die reizenden Frauen mit lachenden Augen und Lippen,
ich mag es, mit tastenden Fingern an Blumen zu tippen,
dem Wachsen des Grases, dem Platzen der Knospen zu lauschen
und frühlingsbefeuert die zärtlichsten Küsse zu tauschen.

Das Plätschern des eisfreien Baches, das Rauschen des Blutes,
die grunelnden Büsche, die blühenden Blumen im Garten,
die Amseln und Drosseln und Finken, die fröhlichen Mutes
Gesänge erfinden und mit uns auf Sonnenschein warten -
da beugt selbst der knorrigste Baum ganz verwundert sein Knie:
Ich habe schon vieles gesehen, doch so einen Frühling noch nie!

Geändert von Felix (09.03.2017 um 00:13 Uhr)
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Alt 09.03.2017, 00:22   #2
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Ort: Österreich
Beiträge: 8.570
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Hi Felix!

Interessant, wie langzeilig ein Text sein kann und doch nur mit fünf Hebern auskommt - das gilt zumindest für den 2. Teil. Aber ich greife vor.

Die beiden ersten Strophen sind großteils sechshebig mit betontem Auftakt. Ausnahmen sind Z3 und 6 in S1, die siebenhebig sind. Das ließe sich leicht beheben: In Z3 streiche "zarte", in Z6 "endlich".

Der zweite Teil beginnt nun mit unbetontem Auftakt, passend zur freundlich-romantischen Abfuhr an die "Miesepeter". Hier sind die Zeilen nun fünfhebig, bis auf die allerletzte, die ist sechshebig. Da es aber die Conclusio ist, kann man durchaus der Ansicht sein, dass eine Überlänge als Schlusspunkt dem Finale die nötige Extrabetonung verleiht. Zumal sich da eigentlich auch nichts kürzen lässt, schon gar nicht ohne den schönen Satz zu verstümmeln!

Die einzige Frage, die sich mir stellt: Hast du den Auftakt und die vorherrschende Heberzahl in der Gedichtmitte bewusst gewechselt, um eine lyrische Wirkung zu erziehen, oder geschah dies intuitiv oder gar als "Unfall"?

Der Text liest sich gut, verlangt einen beruhigten, weihevollen Duktus. Länger dürften die Zeilen aber nicht mehr sein - es ist schon beinahe an der Grenze zur Prosa!
Wäre übrigens ein interessantes Experiment: Schreib so ein sehr langzeiliges Gedicht wie einen Prosatext und warte ab, ob jemand beim Lesen die melodische, getaktete Gedichtstruktur und die Reime erkennt! Das Ergebnis würde mich interessieren!

Sehr gern gelesen!

LG, eKy
__________________
Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen!
Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind.
Dummheit und Demut befreunden sich selten.

Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.
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Alt 09.03.2017, 01:57   #3
Felix
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Hallo Eky,
die einzige Frage ist schnell beantwortet: Wie Du unschwer erkennst, unterscheiden sich die ersten beiden von den letzten beiden Strophen nicht nur durch den "fehlenden" Auftakt bei den ersten beiden Strophen.
Die sind trochäisch geschrieben und wegen der überzähligen Trochäen werde ich noch nachdenken. Als "neckisch" empfinde ich allerdings, dass ausgerechnet der 6. Vers von kürzer werdenden Röckchen spricht und das mit einem Versfuß zuviel.
Doie letzten beiden Strophen sind in Daktylen (mit Auftakt) verfasst und hier ist der Schlussvers mit Absicht gelängt.

Die Strophen 1 und 2 sind erzählend, realistisch; die Strophen 3 und 4 sollen emphatisch und "tänzelnd" (gerade durch die Daktylen) sein.
So, jetzt ist es aber Zeit für mich, ins Bett zu gehen.
Ich sage erfreut: Danke! und werde mir die Kürzungen durch den Kopf gehen lassen.
Liebe Grüße,
Felix
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Alt 09.03.2017, 06:31   #4
Jongleur
Hallig-Dichter
 
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Hallo Felix,

Ein Musiker würde sagen, die beiden ersten Strophen haben einen binären Rhythmus. Die beiden letzten einen tenären (triolischen). Da drängt sich Musik förmlich auf. Sehr schön!
Irische Musik beispielsweise hat manchmal diesen steten Wechsel zwischen binären und tenären Strophen-Rhythmen.

Ich weiß nicht, ob es an mir liegt oder an den Langzeilen: ich hab eine Melodie gebraucht, um die Lang-Zeilen ins Kurzzeitgedächtnis zu bekommen und wo ich sie fand, verwandelte sich das Gedicht automatisch in einen Liedtext: Der Inhalt verschwand hinter dem Rhythmus. ;-)

Vielleicht ist es dir beim Dichten ähnlich ergangen? Die Worte lassen sich tatsächlich gut singen.

----

[Falls es dich interessiert, was sich HEUTE beim Lesen kompositorisch, rhythmisch (prosodisch) in meinen Füßen und Händen abspielt:

1. Mir gefallen ausgezeichnet die beiden ersten Verse in S1, die jeweils mit XxX,.... beginnen. Diesen Auftakt würde ich auch noch in V3 und V4 wählen, damit sich ein einprägsamerer Rhythmus ergibt! - und das gleiche Auftakt-Schema würde ich in S2 wiederholen

2. Ich würde das Reim-Schema in S1 uns S2 synchronisieren..)

3. Ich würde eventuell eine andere Reihenfolge der Strophen wählen: S1->S3->S2->S4. So wechseln sich schreiten (erzählen) und tanzen ab. Der Text würde mMn rhythmisch noch abwechslungsreicher. Wie gesagt, eventuell.... ;-)]

-----


Fazit: ein schöner musikalischer Morgengruß
Und für mich anregend, Ähnliches mal zu probieren. Also ein weiteres Dankeschön

Geändert von Jongleur (09.03.2017 um 07:11 Uhr)
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Alt 09.03.2017, 15:21   #5
Felix
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Lieber Jongleur,
Deine musikalischen Assoziationen finde ich sehr interessant und sie zeigen, dass man Gedichte unter ganz verschiedenen Aspekten rezipieren kann.
Ich stell mir gerade vor, wie ein bildender Künstler aus der Sparte Malerei ein genrefremdes Gedankengut visualisieren würde.
Aber zurück zur Musik. Lyrik ist der Poesie nahe verwandt und Gedichte werden nicht absichtslos auch Lieder genannt. Du nennst Trochäen (XxXxXx,,,,) binäre Rhythmen und Daktylen (XxxXxxXxx...) tenäre. Aber damit machst Du es für musikferne Individuen, die sich der Wortkunst, der Poesie verschrieben haben, unnötig schwer. Viele sind froh, wenn sie in den Versen die verwendeten (erstmal die am meisten verwendeten) Versfüße erkennen und benennen können. Ein Maler wird vielleicht durch die Rhythmen zu unterschiedlichen Farbgebungen, zu einem Aquarell, einer Kohlestiftskizze, einem Ölgemälde angeregt werden. Ich bin heilfroh, wenn der Rezipient an der Verwendung bestimmter Versfüße durch den Verfasser dessen (verborgene) Absichten erahnt. Wiewohl: Ich glaube, vor einiger Zeit die Anwendung der Regel des Goldenen Schnittes auch in der Lyrik entdeckt zu haben und greife zu einem ähnlichen Mittel wie Du (wobei Du Deine Kenntnisse in der Musik auf ein verwandtes Genre anwendest, um einen Dir Erfolg versprechenden Erkenntnisgewinn versprichst). Spannend und außergewöhnlich, aber doch fast exotisch.
Liebe Grüße,
Felix
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Alt 09.03.2017, 17:18   #6
Dana
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Lieber Felix,

sehr, sehr schön - man taucht darin fröhlich ein. Als Bilder tauchten alte Kinderbücher auf mit tanzenden Kindern, Mädchen auf einer Wiese.
Beim heutigen Spaziergang habe ich bewusst die Schneeglöckchen vor der Haustür angetippt.

Liebe Grüße
Dana
__________________
Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen,
ich schulde ihnen noch mein Leben.
(Frederike Frei)
Dana ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 09.03.2017, 20:51   #7
Felix
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Liebe Dana,
vielen, vielen Dank für Dein Kompliment!
Das Antippen einer Blume, es war eine Schwertlilie, habe ich auch mal gemacht. Nach langer Zeit ohne Blumen, Farben, Sonne, Musik und allem, was sonst noch Freude macht, entdeckte ich eine einsame Schwertlilie und habe sie beinahe andächtig gestreichelt. Wo? Verrat ich Dir, wenn Du mich fragst, per PN.
Liebe Grüße,
Felix
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Alt 14.03.2017, 10:33   #8
juli
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Beiträge: n/a
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Lieber Felix,

Der Frühling ist da!

Und deine langen Zeilen lassen ihn auch vor meinen Augen vorbeiziehen. Ich habe heute morgen die Tür aufgemacht und erstmal meine Hündin Sina vorgeschickt, damit sie mir Bescheid sagt, ob der Bär im Garten ist. Aber er ist wohl woanders.

In den langen Zeilen kann man gut verweilen....


Liebe Grüße sy

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Alt 14.03.2017, 16:16   #9
Felix
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Liebe Syranie,
Deine freundlichen Worte sind Nektar für meine Seele. Vielen Dank!
Darf ich Dir ein kleines "Geheimnis" verraten? Das Gedicht ist ein Akrostichon und setzt das, was der Großmeister Goethe den Faust bei seinem Osterspaziergang in Knittelversen sagen ließ in mehr oder weniger gelungene rhythmische Prosa, beinahe in freie Rhythmen um. Ein Akrostichon (jetzt werde ich richtig eingebildet) bezeichne ich dann als einigermaßen gelungen, wenn die LeserInnen es nicht gleich als solches identifizieren.
Liebe Grüße,
Felix
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