02.02.2014, 21:05 | #1 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Der Jammerlappen
Der Jammerlappen
Jammervoll und ausgewaschen blickt mit Seifenlaugenaugen mich mein Lappen morgens an. "Ach," so fängt er an zu klagen, "Damals," höre ich ihn sagen, "einst, in meinen bessren Tagen, hab' ich Großes fast getan!" Düster wird mein Badezimmer, klamm das Handtuch, matt der Schimmer meines Spiegels, der, beschlagen von solch' wehmutsvollem Klagen, blaß das Morgenlicht verschluckt, blind in Bad und Becken guckt. Und mit triefem Lappenbasse Spricht er von den guten Zeiten: "Damals wagte ich zu streiten. gegen selbsternannte Herren kämpfte ich mit scharfer Lauge, die ich ätzend ihnen spritzte in ihr menschheitsblindes Auge!" "Wollte ihre Augen öffnen! doch sie kniffen nur die Lider fester zu und immer wieder tunkten sie mich grausam nieder, nieder, bis ich fast erstickte! Gnadlos wurd' ich ausgewrungen, bis das Rückgrat mir zersprungen, ach, mein Rückgrat mir zerknickte." Dickbeseelte Wassertropfen rinnen von der Spiegelwange, und der Badewannenpfropfen gurgelt wieder zukunftsbange abgelaufnem Wasser nach; und es hallt aus allen Ecken, allen Wannen, Eimern, Becken: "Einmal tat er seine Pflicht! - Er hat's versucht. Es klappte nicht."
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© Ralf Schauerhammer Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität. Diese seine Individualität so sehr als möglich zu veredeln, ist sein erstes und wichtigstes Geschäft. Friedrich Schiller Geändert von Thomas (03.02.2014 um 20:21 Uhr) |
02.02.2014, 21:24 | #2 |
TENEBRAE
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Hi, Thomas!
Welch grimme Moritat! Herrlich, wie du pathetische Heldenlyrik hier durch den Kakao - sorry, das Schmutzwasser ziehst! S1Z6 - "in meinen bessern Tagen" spart den Apostroph und liest sich flüssiger. Aber auch bei "bessren" kannst du den Strich weglassen, er ist dort nicht mehr nötig. Dasselbe gilt für das "hab" in der Folgezeile, das "solch" in S2Z5, "wurd" in S4Z6 usw... Derlei Verkürzungen sind schon normaler Sprachgebrauch, und Apostrophe beunruhigen bloß das Schriftbild. Letzte Zeile - ist zwar nicht zu lang, liest sich aber irgendwie sperrig. Alternative wäre, einfach das "er" vorneweg wegzulassen: "Hat's versucht. Es klappte nicht." (Da hier ein "es" involviert ist, bleibt in diesem Falle der Apostroph bestehen). Man weiß nicht, soll man über den Lappen lachen oder ihn bewundern? Einerseits ist sein Ansinnen lächerlich, seine Welt bedauernswert klein, seine Rede wichtigtuerisch, wehmütig Vergangenes glorifizierend, das sich bestimmt niemals so glorios abgespielt hat wie dargestellt. Andererseits findet man innere Größe auch im Allerkleinsten - wer sind wir, den bescheideneren Maßstab herablassend zu belächeln, nur weil uns die Gnade, ein größeres Universum bewohnen zu dürfen, seine Ambitionen lächerlich erscheinen lässt? Wir sollten überlegen, für WEN wir wohl die armseligen Lappen sind, die sich mühen und mühen und meisthin doch scheitern müssen... Sehr gern und nachdenklich gelesen! (Der Lappen erinnert mich sehr an "Gus, the Theatre Cat" aus dem Musical "Cats", der alt und zittrig von seiner großen Vergangenheit als Schauspieler erzählt, die weit nicht so groß war, wie die Erzählung glauben machen soll.) LG, eKy
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen. Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen! Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind. Dummheit und Demut befreunden sich selten. Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt. Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit. |
03.02.2014, 20:20 | #3 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Lieber Erich,
vielen Dank für den ausführlichen Kommentar. Das "bessre" korrgiere ich gerne. Vor die etzte Zeile setzte ich noch einen Gedankenstrich, ich weiß, dass dich der Auftakt stört, aber ich bin etwas struppiger und finde das in der Schlusszeile gut. Liebe Grüße Thomas P.S.: Das Musical "Cats" kenne ich nicht, ich habe mir aber bei YouTube die betreffende Szene angeschaut und stimme dir zu.
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30.04.2014, 09:33 | #4 |
Lyrische Emotion
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Moin Thomas,
mir gefällt dieses Gedicht auch sehr gut. Das fängt schon beim Titel an, der sich beim weiteren Lesen als "eindeutig zweideutig" entpuppt. Irgendwie geht es vielen so, wie diesem armen Lappen, wenn sie den vergangenen Möglichkeiten und Unmöglichkeiten nachtrauern und dabei feststellen müssen, dass sie eigentlich nie eine reelle Chance hatten, weil die "Mächtigen" sie immer nur benutzt und ausgewrungen haben. Der Text hätte auch im Stammtisch stehen können, denn ich weiß nicht, ob ich den Lappen bedauern oder über ihn lachen soll. Da der Autor aber eine solch humorige Form gewählt hat, habe ich mich letztendlich doch fürs Lachen entschieden, was auch ein Lachen über mich selbst beinhaltet, wenn ich bedenke, wie oft ich schon mit dem Kopf gegen die Wand gerannt bin und letztendlich selbst dabei ausgewrungen wurde. Der "Selbsthumor" lässt grüßen und deshalb ist das Gedicht hier wohl auch gut aufgehoben. Gerne gelesen und kommentiert... Liebe Grüße Bis bald Falderwald
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Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine) Für alle meine Texte gilt: © Falderwald --> --> --> --> --> Wichtig: Tipps zur Software |
01.05.2014, 16:34 | #5 |
Von Raben umkreist
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Hei Thomas,
so ein Lappen kann viel erzählen, je nachdem, wo er zum Einsatz kommt. Und nachdem man ihm das Rückgrat gebrochen hat, wird er auch noch aufgehängt - was für ein jämmerliches Los. Besonders gefällt mir die folgende Passage: "und der Badewannenpfropfen gurgelt wieder zukunftsbange abgelaufnem Wasser nach;" In der selben Strophe schreibst du zum Schluss: ""Einmal tat er seine Pflicht! - Er hat's versucht. Es klappte nicht." " "Einmal" drückt nicht so richtig aus, was du - meinem Empfinden nach - sagen willst. Wäre z.B. "früher" nicht passender? Allerdings müsste es dann weiter heißen: "Doch ganz umsonst. Es klappte nicht." Oder wie wäre es hiermit? "Er gab sich hin für seine Pflicht! - Was er auch tat, man hörte nicht." Gerne mit Bewunderung gelesen, in den Text vertieft und geschmunzelt. Lieben Gruß Sid
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Alle meine Texte: © Sidgrani "Nur wer erwachsen wird und Kind bleibt, ist ein Mensch"
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05.05.2014, 06:57 | #6 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Hallo Thomas,
ich bin selbst ein alter Lappen und kann das sehr gut nachvolliehen, was du hier beschreibst. Ausgewrungen, benutzt und anschließend wieder aufgehängt habe ich mich auch oft gefühlt. Im Gegensatz zu deinem Lappen habe ich jedoch selten gejammert, weil ich wusste, dass es sehr schwer ist, anderen die Augen auf die eigene Sicht zu öffnen. Humorvoll und tiefsinnig beschreibt dein Gedicht die Geschichte diese Jammerlappens. Das hat mir gut gefallen. Herzliche Inselgrüße Narvik
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Nur der fröhliche Mensch allein ist fähig, Wohlgefallen am Guten zu finden. (Kant) |
05.05.2014, 12:54 | #7 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Lieber Narvik,
schön dass du den Jammerlappen ausgegraben hast und ihn positiv würdigst. Viele Dank und liebe Grüße Thomas
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08.05.2014, 14:46 | #8 |
Gast
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Hallo Thomas
Das ist eine coole Idee den Jammerlappen jammmern zu lassen und das auch noch so gekonnt
Meine Hits sind: Und mit triefem Lappenbasse Spricht er von den guten Zeiten: "Damals wagte ich zu streiten. gegen selbsternannte Herren kämpfte ich mit scharfer Lauge, die ich ätzend ihnen spritzte in ihr menschheitsblindes Auge!" "Wollte ihre Augen öffnen! doch sie kniffen nur die Lider fester zu und immer wieder tunkten sie mich grausam nieder, nieder, bis ich fast erstickte! Gnadlos wurd' ich ausgewrungen, bis das Rückgrat mir zersprungen, ach, mein Rückgrat mir zerknickte. Sehr sehr gerne gelesen , gelacht und gestaunt wegen der Idee sy |
15.05.2014, 10:47 | #9 |
Erfahrener Eiland-Dichter
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Lieber syranie,
vielen Dank. Ja, wenn ich deine Stelle lese, muss ich immer noch grinsen, genau wie beim ersten Scheiben. Liebe Grüße Thomas
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