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Alt 02.04.2010, 17:59   #1
Walther
Gelegenheitsdichter
 
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Standard Frank W. und der gefallene Engel

Frank W. und der gefallene Engel


Er lag auf der Wiese und schaute in den blauen Himmel. Um ihn herum war ein leises Knistern und Rascheln. Die Stille machte Geräusche hörbar, die man sonst wegen des Alltagslärms nicht wahrnehmen konnte.

Ein Kitzeln auf seinem linken Unterarm nahm seine Aufmerksamkeit in Anspruch. Eine Ameise krabbelte dort in seinen Haaren herum. Er sah den Versuchen, die Haare auf ihrem zielgerichteten Weg schräg über den Arm zu umgehen, eine Weile lächelnd und leicht abwesend zu. Dann schnippte er das Insekt vorsichtig weiter.

Er nahm die Arme unter seinen Kopf und sah den Engel an, dessen Blondschopf sich auf seinem Bauch befand. Die Schwere zeigte ihm an, dass der Engel eingeschlafen war. Die Bewegung des leichten sich Aufsetzens hatte eine kleine Unruhe in den schlanken Körper gebracht, der dort dahindrapiert lag, so als könnte er gar nicht anders liegen. Es gibt Dinge, Gegenstände, Wesen, die sind einfach schön, ganz egal, wie und wo sie gerade liegen, stehen oder sitzen, dachte er bei sich und wunderte sich immer noch, wie es gekommen war, dass so ungefähr das herrlichste Geschöpf, das es auf dieser Erde gab, ausgerechnet auf seinem nun wirklich nicht gerade kleinen Bauch ein Mittagsschläfchen hielt.

Weder war er selbst schön noch etwas Besonderes. Übergewichtig, x-beinig, weißhäutig: Das Auffälligste, sagte er sich immer, sind meine Hände, wäre da nicht der gequetschte kleine Finger an der linken Hand, das Erbe einer Rangelei mit seinem jüngeren Bruder im Haus der Großmutter, Ewigkeiten her, aber eben ein Makel. Ansonsten war sein Hals zu kurz, die Augen schrecklich kurzsichtig und mit einem leichten Silberblick versehen. Sein Geldbeutel war nicht voll, und der Erfolg war auch nicht sein ständiger Begleiter. Er wusste nicht, was man ihm überhaupt finden konnte. Außer dass er zuviel redete. Und zu laut. Und zu vorlaut,

Die Sonne war hinter dem Blätterdach der Lichtung verschwunden. Die Räder lehnten an einem der Bäume, und Frank W. stellte mit Überraschung fest, dass er nicht einmal niesen musste. Als Allergiker nieste man in dieser Jahreszeit, die Augen tränten, und überhaupt war die Natur ein feindlicher Ort. Der Engel, der ihm zugefallen war, schien nicht nur einfach strahlend zu sein, er hatte auch Wunderkräfte, die alles, was er anfasste, gut und gesund zu machen schienen, alles bekam ein geheimnisvolles Leuchten von innen heraus.

Er verlor sich in Bildern, Schreckensvisionen, Spekulationen, Zweifeln und Verlustängsten.

Auf einmal hörte er ein leises „Lieber!“, setzte sich auf, und da kam schon eine weiche, kühle Hand und strich ihm begütigend über das Kopfhaar. „Lieber, warum hast Du mich nicht geweckt? An was hast Du gedacht, Du sieht so sorgenvoll aus!“ Da lächelte er verschmitzt und antwortete: „Nichts, mein Engel, nichts. Es war vielleicht eine kühle Brise, die mir übers Gesicht strich.“ Sie knuffte ihn zart, als sie zu ihm gekrochen war, und küsste ihn auf die Stirn. „Erzahl mir nichts! An was hast Du gedacht? Was quält Dich?“

Statt einer Antwort nahm er sie in den Arm, seinen Engel, seine Elfe, sein Wundermädchen und drückte sie ganz fest an sich, so fest, dass sie seufzend aufstöhnte. „Schatz, lass mir doch ein bisschen Luft zum Atmen, ich bin doch da, ich gehe nicht fort von Dir.“ Er steckte die Nase in ihre blonden Haare und roch daran. Und dachte bei sich: Ich glaube ihr, ich muss ihr einfach glauben. Und daran, dass dieses Gefühl, dieser kleine Himmel niemals endet.
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Dichtung zu vielen Gelegenheiten -
mit einem leichtem Anflug von melancholischer Ironie gewürzt
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Geändert von Walther (02.04.2010 um 19:52 Uhr)
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