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Der Tag beginnt mit Spaß Humor und Übermut

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Alt 13.03.2019, 15:08   #1
Thomas
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Standard Dekonstruktion des Säulenheiligen

Dekonstruktion des Säulenheiligen

Er saß auf seinem Pfahl,
seit fünfundzwanzig Tagen,
dem Hintern war's ne Qual
den Rumpf samt Kopf zu tragen.

Ich halte Kopf und Rumpf
für unbrauchbare Fracht,
hat matt und etwas dumpf
der Steiß bei sich gedacht.

Da sprach der Kopf im Groll:
Ich hab vom Sitzenbleiben
schon lang die Nase voll
und könnte mich entleiben.

Der Rumpf sprach: Lieber Po,
ich geh dann auch schon mal!
Da saß allein und froh
der Hintern auf dem Pfahl.
__________________
© Ralf Schauerhammer

Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität. Diese seine Individualität so sehr als möglich zu veredeln, ist sein erstes und wichtigstes Geschäft. Friedrich Schiller
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Alt 13.03.2019, 18:38   #2
Erich Kykal
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Hi Thomas!

Das Thema ist beliebt - Rilke schrieb auch darüber: "Der Stylit".

Der Stylit

Völker schlugen über ihm zusammen,
die er küren durfte und verdammen;
und erratend, dass er sich verlor,
klomm er aus dem Volksgeruch mit klammen
Händen einen Säulenschaft empor,

der noch immer stieg und nichts mehr hob,
und begann, allein auf seiner Fläche,
ganz von vorne seine eigne Schwäche
zu vergleichen mit des Herren Lob;

und da war kein Ende: er verglich;
und der Andre wurde immer größer.
Und die Hirten, Ackerbauer, Flößer
sahn ihn klein und außer sich

immer mit dem ganzen Himmel reden,
eingeregnet manchmal, manchmal licht;
und sein Heulen stürzte sich auf jeden,
so als heulte er ihm ins Gesicht.
Doch er sah seit Jahren nicht,

wie der Menge Drängen und Verlauf
unten unaufhörlich sich ergänzte,
und das Blanke an den Fürsten glänzte
lange nicht so hoch hinauf.

Aber wenn er oben, fast verdammt
und von ihrem Widerstand zerschunden,
einsam mit verzweifeltem Geschreie
schüttelte die täglichen Dämonen:
fielen langsam auf die erste Reihe
schwer und ungeschickt aus seinen Wunden
große Würmer in die offnen Kronen
und vermehrten sich im Samt.


(Das Gedicht ist ein schönes Beispiel für Rilkes Metrikschwächen - aber seine geniale Sprache gleicht es mehr als aus, wodurch die fehlenden Heber gar nicht ins Gewicht zu fallen scheinen ...)

Dein Werk hat natürlich einen ganz anderen, humoristischeren Ansatz, da kann man gar nicht direkt vergleichen. Man sehe mein Zitat also als eine Ergänzung/Variation zur Thematik.

Gern gelesen!

LG, eKy


PS: Weißt du was!? Darüber schreib ich jetzt auch! Du hast mich inspiriert! Warte - neues Thema kommt gleich ...
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Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen!
Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind.
Dummheit und Demut befreunden sich selten.

Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.

Geändert von Erich Kykal (13.03.2019 um 19:06 Uhr)
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Alt 14.03.2019, 06:43   #3
Thomas
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Lieber Erich,

vielen Dank für den interessanten Hinweis. Ich finde das Gedicht von Rilke metrisch völlig in Ordnung und freue mich, dass ich auch dich zu einem Gedicht anregen konnte.

Liebe Grüße
Thomas
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Alt 14.03.2019, 17:24   #4
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Hi Thomas!

Metrisch korrekt ist es nicht. Es wirkt vielleicht so, weil Rilke genial mit Sprache spielt, aber die Vierheber in diesem mehrheitlich fünfhebigen Werk sind unregelmäßig verteilt. Auch die vier- und fünfzeiligen Str. folgen einander ohne Regelmaß, die letzten beiden Quartette sind gar zu einem Achtzeiler zusammengefasst.

Rilke wollte das natürlich so, keine Frage. Nur bei sehr wenigen Stellen seines Oevres frage ich mich ernsthaft, ob er da doch etwas übersehen hatte oder bewusst eine Zeile zu kurz fasste.

LG, eKy
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