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Denkerklause Philosophisches und Nachdenkliches

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Alt 11.07.2015, 10:13   #1
Erich Kykal
TENEBRAE
 
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Standard Taumeltag

Die Sonne steigt ins Zauberblau, wir wohnen
im neuen Tag, und wie mit Kinderaugen
betasten wir, wozu die Bilder taugen,
darin wir uns erkennen und betonen.

Die Blicke, die wir übernächtig schonen,
begreifen diesen Sommer und berühren
die leichten Wege, die ins Wagnis führen
und bunte Seelen fordern und belohnen.

An allen Farben will die Freude saugen!
Worin wir uns versehnen und ergänzen,
erwächst in uns zu taumelnden Allüren.

Wie um uns an den Stunden auszulaugen
verlieren wir in lichtberauschten Tänzen
den Willen, uns zu kennen und zu spüren.
__________________
Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
Wer Gebete spricht, glaubt an Götter - wer aber Gedichte schreibt, glaubt an Menschen!
Ein HAIKU ist ein Medium für alle, die mit langen Sätzen überfordert sind.
Dummheit und Demut befreunden sich selten.

Die Verbrennung von Vordenkern findet auf dem Gescheiterhaufen statt.
Hybris ist ein Symptom der eigenen Begrenztheit.
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Alt 12.07.2015, 21:21   #2
Falderwald
Lyrische Emotion
 
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Standard

Servus Erich,

ja, das beschreibt das Leben nicht schlecht.

Niemand kann wissen, was der neue Tag ihm bringt und wie er verläuft.
Wer morgens aufsteht, muss den neuen Tag erst einmal antesten. Das Egebnis ist von mancherlei Faktoren abhängig. Das muss jeder allmorgendlich neu und selbst erfahren.

Der Sommer ist hell und mild und beschwingt. Wer mehr oder minder gut genächtigt hat, dem stehen viele Wege offen, die Erfolg versprechen. Manche sind schwerer zu begehen, manche leichter und je nach Tagesform und Charakter braucht es auch die ein oder andere Herausforderung.

Alle streben nach ihrem individuellen Glück und versuchen, so viel wie möglich davon zu erhaschen. Und je erfolgreicher einer in diesen Bestrebungen ist, umso mehr bildet er sich darauf ein.

Dabei bemerkt er oft gar nicht, wie diese Tage vorüber gehen. Und mit jedem neuen Tag läuft ein Teil seiner Lebensuhr ab. Die Spannung des Federwerks lässt nach und damit nimmt auch der Wille ab, zu erkennen und zu verstehen.
Und dann, hier schließt sich der Kreis zum Titel, taumelt er nur noch durch jeden neuen Tag, bis...

Ja, so ist das wohl...

Ich lese gerade im "Rilke Reloaded" und ein wenig blitzt dein Vorbild durch diese Zeilen.

Das hat mir auf jeden Fall gut gefallen...

Allerdings habe ich noch eine kleine Anmerkung.
Da dieser Text nicht im neuen Buch steht, hoffe ich, dass es noch nicht zu spät ist, um eventuelle Änderungen daran vorzunehmen.

Im ersten Quartett befindet sich in Zeile zwei und drei eine unschöne Wiederholung: (Wor)in uns.
Wir versehen und ergänzen uns in etwas, woraus in uns dann taumelnde Allüren erwachsen. Hm...
Zudem klingt die diesbezügliche Formulierung der Wiederholung in der dritten Zeile auch ein wenig hart und eckig.

Dem wäre mit einer kleinen Umformulierung beizukommen, z. B.:

An allen Farben will die Freude saugen!
Worin wir uns versehnen und ergänzen,
erwachsen sinnentaumelnde Allüren.


Der "Sinnentaumel" beschreibt ja zudem ja auch noch genau die an dieser Stelle beabsichtigte Bedeutung: durch Erregung der Sinne bewirkter ungezügelter, rauschhafter Gemütszustand.

Aber vielleicht fällt dir ja noch etwas Besseres ein.


Gern gelesen und kommentiert...


Liebe Grüße

Bis bald

Falderwald


__________________


Oh, dass ich große Laster säh', Verbrechen, blutig kolossal, nur diese satte Tugend nicht und zahlungsfähige Moral. (Heinrich Heine)



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Alt 12.07.2015, 23:16   #3
Erich Kykal
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Hi, Faldi!

Danke für deine Gedanken und das Lob.

Dein Vorschlag vermeidet zwar die Wortwiederholung, wirkt aber von der Satzkonstruktion her unvollständig und eher unelegant. Selbst mit einem Doppelpunkt am Ende der Mittelzeile klänge der Satz abgehackt. Da riskiere ich lieber ein weiteres "wir".

Worin wir uns versehnen und ergänzen (Lebensfreude, Emotion, Zuneigung, kurz - das ganze soziale Miteinander und seine Spielarten) erwächst in uns zu taumelnden Allüren.
Die Terzette wollen sagen, dass wir durch die Ablenkungen eines schön erlebten Tages gern mal übermütig werden, zuviel riskieren oder uns schlicht besaufen usw..., kurz, uns im Taumel gesellschaftlichen Umgangs (in der Oberflächlichkeit der Spass- und Freizeitgesellschaft) in Urlaub oder Freundeskreis vergessen, über die Stränge schlagen, den Blick für's Wesentliche verlieren.
Für das letzte Terzett stelle man sich eine Stranddisco vor, ein Ballermanngelage - oder irgendein beliebiges Wochenendbierfest in der Provinz. (Vgl. auch den "Trubel der Menge" bei Faustens Osterspaziergang und sein philosophisches Lamento darüber ...)

LG, eKy
__________________
Weis heiter zieht diese Elend Erle Ute - aber Liebe allein lässt sie wachsen.
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Geändert von Erich Kykal (13.07.2015 um 14:56 Uhr)
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Alt 13.07.2015, 12:48   #4
juli
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Standard Hey eKy :)

Ja so ist das Leben, ein auf und ab.

Besonders gut gefallen mir die beiden Terzette, weil sie so lebensfroh sind.

Faldi hat hier ja schon interpretiert, ich schließe mich dem an.

Sehr gerne mehrfach gelesen.

Liebe Grüße sy
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Alt 13.07.2015, 14:58   #5
Erich Kykal
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Hi, Sy!

Vielen Dank für das üppig verteilte Lob - immer wieder genossen!

LG, eKy
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Alt 16.07.2015, 22:24   #6
Dana
Slawische Seele
 
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Lieber eKy,
jenen Taumeltag kennen wir allzu gut. Im Taumelgenuss verliert man den Willen sich zu (er)kennen und zu spüren. Doch, weil es immer wieder so geschieht, stellt sich die Frage um das Warum.
Geschieht es um des "Überlebenswillen", um zu Bestehen des Bestehens wegen? Oder sind die Tage so?
Ich will die Antwort darin nicht suchen. Die Denkerrubrik ergibt sich in sich selbst. Wir üben uns im Überleben, ob mit Allüren oder jenen Stunden in lichtberauschten Tänzen. Vielleicht bestehen wir nur aus Taumeltagen, weil wir die anderen nicht erkennen.
Ein schönes, gutes und denkwürdiges Sonett in der Denkerrubrik.

Liebe Grüße
Dana
__________________
Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen,
ich schulde ihnen noch mein Leben.
(Frederike Frei)
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Alt 16.07.2015, 23:25   #7
Erich Kykal
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Hi, Dana!

Danke für die Blumen und Überlegungen!

Interessant ist ja, dass ich mir solche Gedanken nie vorher zurechtlege! Das Gedicht beginnt als "tabula rasa" mit einer ersten Zeile, die meist einem äußeren Eindruck geschuldet ist, einem interessanten Bild.
Was dann beim Dichten draus wird, entscheiden teils unbewusste Hirnregionen, denn vordergründig bin ich mit Wortfindung, Rhythmus, Sprachklang und Reimfolge beschäftigt.
Oft bin ich selbst hinterher überrascht, wo mich das Unterbewusste hingetragen hat! Am meisten wundert mich, dass meine Werke bei so einer Methode dennoch immer zu einer nachvollziehbaren Conclusio finden, und das rechtzeitig zum Ende der Sonettform.

Hier habe ich in den Quartetten zwar nicht dieselben umarmten Reime, doch wiederhole ich beide dann in den Terzetten - so hat alles doch irgendwie seine "Ordnung" ...

LG, eKy
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Geändert von Erich Kykal (01.04.2016 um 22:36 Uhr)
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